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Das „Rheinkrokodil“ ist aus dem Sommerloch wohl bekannt, aber 1888 beschäftigten Krokodile im Hamburger Hafen die ganze Nation.

 

Beginnen wir mit dem „Düsseldorfer Volksblatt“ vom 22. August 1888 (Seite 3):

 

 

Hamburg, 21. August. Aus einem Schiffe sind 13 anderthalb Meter lange Krokodile in die Elbe gelangt. Die Polizei hat eine Warnung an die Badenden erlassen. Wie eine dem „Berl. Tagebl.“ zugegangene Mitteilung besagt, waren die Reptilien für einen Händler und des Weiteren für zoologische Gärten bestimmt; sie befanden sich, nachdem sie aus einem Dampfer entlöscht worden waren, im einer Schute in einem hölzernen Verschlage. Diesen letzteren haben die Bestien aufgesprengt und sind sodann in den Strom gesprungen. Den Badeanstalten bringt die Geschichte bei dem erklärlichen Schreck, den sie dem badenden Publikum eingeflößt hat, einen beträchtlichen Schaden.

 

 

Zwischen den Schiffen Krokodile? Binnenhafen
Im Chaos zwischen den Schiffen im Binnenhafen können sich die Krokodile sicher verstecken

 

Was weiter geschah, erzählt das „Hallesches Tageblatt“ am nächsten Tag, Donnerstag, den 23. August 1888:

 

 

Krokodile in der Elbe.

Unter „Kleine Mittheilungen“ meldeten wir gestern, daß in der Elbe bei Hamburg ein Krokodil gefangen worden, das, wie sich herausgestellt hat, der „Wittenberger Vogelwiese“ entstammte. Nun melden Hamburger Blätter weiter: „Der Kapitän eines im Segelhafen liegenden Schiffes hat bei der Polizeibehörde die Anzeige gemacht und zwar erst, nachdem der Bericht über das gefangene Krokodil bereits veröffentlicht worden war, daß nicht nur dieses eine Thier, sondern noch 12 andere Krokodile, die sich in einem Boote befanden, in die Elbe entwichen seien. In Folge dessen hat man die Frage erörtert, ob das Baden im offenen Wasser der Elbe noch zu gestatten sei, da die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, daß die entflohenen Thiere den Badenden gefährlich werden können. Die Polizei-Behörde erläßt eine entsprechende Bekanntmachung. Der Kapitän, welcher die Thiere nicht besser verwahrt hat, wird sich deshalb zu verantworten haben.“ Diese Nachricht würde als ein Erzeugniß der in diesem Jahre allerdings mehr wie schwachen Hundstagshitze erscheinen, wenn sie nicht amtlich bestätigt würde. Es findet sich nämlich in Hamburger Blättern folgende „Warnung“: „Vor einigen Tagen sind von einem im Segelschiffshafen liegenden Schiffe 13 ca. 1 ½ Meter große Krokodile in die Elbe entwichen. Da dieselben besonders für Badende nicht ungefährlich erscheinen, so wird das die Badeanstalten in der Elbe besuchende Publikum hierdurch gewarnt. Hamburg, den 20. August. Die Polizeibehörde.

 

Hamburger Hafen - ohne sichtbare Krokodile
Ein Foto Georg Koppmanns vom Hamburger Hafen, 1883

 

Die Wittenberger Vogelwiese war ein sehr beliebtes Volksfest, ähnlich dem Dom in Hamburg oder den Cannstatter Wasen. Das „Düsseldorfer Volksblatt“ greift das Thema am 29. August 1888 auf Seite 3 mit einer überraschenden Wendung wieder auf:

 

 

* Hamburg, 26. Aug. Von den entwischten zwölf Krokodilen sind nun zwei gefangen, auf die anderen wird eifrig gefahndet. Hamburger Blätter berichten: „Von zuverlässigen Augenzeugen wird uns erzählt, daß am Freitag nachmittag um 1 Uhr ein Alligator in der Nähe der Maschinenwerkstatt von A. Stierling am Kl. Grasbrook gesehen worden ist. Der Jollenführer des genannten Herrn machte auf das Tier Jagd, welche aber leider erfolglos blieb, da der bestürzte Jäger mit seinem Haken nach dem Rücken der Bestie stach, von dem die Spitze abglitt. Es sind bisher zwei der Tiere gefangen, und zwar eins durch zwei Ewerführer, welche den Alligator in dem Augenblick, als er an einer schrägen Mauer im Segelschiffhafen hinaufzuklettern versuchte, bei den Beinen erfaßten und in ihre Schute zogen. Dies Tier soll dem zoologischen Garten übermittelt worden sein. Ein zweites ist in einem Keller an den Vorsetzen zu sehen.“

In seltsamem Widerspruch mit Vorstehendem steht folgende auf denselben Gegenstand bezügliche spätere Notiz Hamburger Blätter:

„In bezug auf die angeblich entsprungenen Krokodile macht Kapitän Fry vom Dampfer „City of Lincoln“ mittels Inserat die Mitteilung, „daß alle Gerüchte über Entweichung von Krokodilen von seinem Schiffe erfunden seien“. Nach den von uns eingezogenen Erkundigungen ist seitens der hiesigen Polizeibehörde über diese Angelegenheit eine strenge Untersuchung eingeleitet, und bleibt das Resultat derselben abzuwarten.“

Die „Köln. Ztg.“ läßt sich berichten, daß die ganze Geschichte der Frau eines Reporters am Hafen aufgebunden sei. – Wenn auch diese Krokodile sich schließlich als Enten entpuppen sollten – es wäre eine grandiose Leistung des Erfinders.

 

Zeichnung der Kehrwieder
Zeichnung der Kehrwieder von Johann Theobald Riefesell, 1884

 

Aber so ganz eindeutig war es dennoch nicht. Wie die „Norddeutsche allgemeine Zeitung“ in ihrer Morgen-Ausgabe vom 4. September 1888 auf Seite 7 sagte:

 

 

Hamburg. In der berüchtigten Krokodilangelegenheit schreiben die „Hamb. Nachr.“: „Bekanntlich wurde vor einiger Zeit von Ewerführern im Hafen ein Krokodil gefangen, das von einem Schiffe entwichen war. In Folge dessen wurde der Kapitain dieses Schiffes über den Vorfall polizeilich vernommen, und da nach dieser Vernehmung anzunehmen war, daß von dem Schiffe außer dem wiedereingefangenen noch zwölf Krokodile entwichen waren, so erließ die Polizeibehörde die bekannte Warnung und soll der Kapitain die Kosten dieser Veröffentlichung getragen haben. Nachher erließ derselbe dann eine Annonce, worin er erklärte, daß von seinem Schiffe keine Krokodile verschwunden seien. Als ihm hieraus durch die Polizeibehörde eine frühere Aussage entgegengehalten wurde, bestritt er, dem recherchirenden Offizianten gesagt zu haben, daß ihm hier 13 Krokodile über Bord gegangen seien; er habe vielmehr nur erklärt, auf See seien 13 Krokodile über Bord gegangen. Der betreffende Beamte beharrte jedoch bei seiner Angabe, daß der Kapitain ihm die zuerst referirte Aeußerung gemacht habe, und ist deshalb dem Kapitain wegen Verbreitung des falschen Gerüchtes seitens der Amtsanwaltschaft mittelst Strafmandats eine erhebliche Geldstrafe auferlegt worden. Der Kapitain, welcher mit einem Schiffe vorgestern Hamburg verlassen hat, soll durch seinen hiesigen Vertreter gegen diesen Strafbefehl Berufung eingelegt haben, so daß die Angelegenheit noch die Gerichte beschäftigen dürfte.

 

Hamburger Hafen, auch diesmal ohne Krokodile
Neuer Kran und Hohe Brücke, 1883. Aus dem Buch: „Vor dem Zollanschluss. Ansichten aus den zum Abbruch bestimmten Stadttheilen“, Teile 1 und 2, Hamburg 1883 und 1884, Verlag Strumper & Co

 

Dann verschwinden die Elbkrokodile fast spurenlos aus der Presse. Eine letzte Meldung noch findet sich im November des Jahres. Das „Düsseldorfer Volksblatt“ weiß am 30. November 1888 auf Seite 3 den Abschluss der ganzen Geschichte:

 

 

* Die Hamburger Krokodile vor Gericht.

Die Schreckenskunde von dem Entspringen mehrerer Krokodile im Hamburger Hafen vom Bord des Schiffes „City of Lincoln“ im verflossenen Sommer lieferte am 22. November noch vor dem dortigen Gericht ein kleines Nachspiel. Der Kapitän der „City of Lincoln“, Frederic Frey, hatte einen gerichtlichen Strafbefehl auf 50 Mark erhalten, weil er wilde Tiere, Alligatoren, an Bord gehabt hat, ohne die gesetzlichen Vorsichtsmaßregeln angewendet zu haben. Kapitän Frey hatte Einspruch erhoben und erklärte, daß die in New-Orleans an Bord genommenen 46 Alligatoren in einem eigens dazu hergerichteten mit Segeltuch überspannten Boot untergebracht worden und genügend versichert gewesen seien. Die beiden entsprungenen, aber wieder eingefangenen Alligatoren, seien fünf Monate alt gewesen. Uebrigens hätten die Tiere höchstens einen Tag im Elbwasser weiter leben können und es wäre keine Gefahr vorhanden gewesen, weil die Tiere sehr scheu gewesen wären. Der Kapitän erklärte noch, daß bei seiner Ankunft im Hafen noch etwa 29 Alligatoren an Bord gewesen seien. Das Gericht war der Ansicht, daß der Kapitän die nötigen Vorsichtsmaßregeln nicht angewandt habe, und verurteilte ihn zu 30 Mark Geldstrafe, event. 6 Tagen Haft.

 

Von Ulrich Magin

Ulrich Magin (geb. 1962) beschäftigt sich seit seiner Kindheit mit Kryptozoologie, insbesondere mit Ungeheuern in Seen und im Meer. Er ist Mitarbeiter mehrerer fortianischer Magazine, darunter der „Fortean Times“ und Autor verschiedener Bücher, die sich u.a. mit Kryptozoologie befassen: Magischer Mittelrhein, Geheimnisse des Saarlandes, Pfälzer Mysterien und jüngst Magische Mosel.