Bildmontage: Wasserspeier im Wald
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Ciudad Juárez, Chihuahua. Don Simplicio Martínez ist sich sicher, dass es kein Hund war, der vor ein paar Tagen 20 Schafe und 51 Hühner getötet hat. Es gäbe keine Blutspuren in den Gehegen und das Loch, durch das der Angreifer geflüchtet sei, ist mehr als zwei Meter hoch. Er befürchtet, vom Chupacabra angegriffen worden zu sein.
Don Simplico lebt als Kleinbauer am Rande der Millionenstadt Cuidad Juárez, die direkt an der Grenze USA-Mexiko gegenüber von El Paso, Texas liegt.

 

„Entweder es ist geklettert oder geflogen“

Ein Wächter hörte, dass die Hühner gestört wurden, so Don Simplico weiter. Er nahm eine Machete und sah nach dem Rechten. Er habe es wegen der Dunkelheit nicht gut sehen können, aber er beschreibt einen Eindringling als schwarz und größer als ein Hund, ähnlich einer Hyäne. „Tremendo“, enorm fügt der Kleinbauer hinzu.

Insgesamt starben bei dem ersten Angriff 25 Masthühner und 26 Legenennen. „Das einzige, was unversehrt herauskam, war eine Ziege, die ich geliehen habe“, resümierte Don Simplico für die Zeitung „El Mexicano“. Insgesamt habe er durch den unbekannten Angreifer in den letzten zwei Jahren 118 Tiere, nicht nur Hühner, sondern auch Schafe verloren. Seine Nachbarn hätten ähnliche Verluste erlitten.

Biologen der Abteilung für Ökologie der Autonomen Universität Ciudad Juárez (UACJ) installieren eine Kamera und ein Alarmsystem. „Wir suchten nach Fußspuren, damit wir die richtigen Fallen für die Größe des Tieres stellen können. Sowohl die Tierpfleger als auch wir glauben, dass es sich um einen Luchs oder Puma handelt.“ Von dem Tier wurden Fußabdrücke mit fünf Zehen gefunden. An einem der toten Hühner haben Mitarbeiter der Universität eine Nekropsie durchgeführt.

Soweit die Pressemeldungen der Zeitungen „El Mexicano“ und „Diario“. Die dritte lokale Zeitung, „Hoy“ berichtete nicht über das Thema:

Meldung des „El Mexicano

1. Meldung des „Diario“

2. Meldung des „Diario


Hintergrund

Cuidad Juárez ist eine Millionenstadt an der Grenze USA-Mexiko. Sie grenzt direkt an die Stadt El Paso, Texas. Durch diese Lage ist sie sowohl als Ort für ausgelagerte Fertigungsanlagen von US-Firmen als auch für die „Narcos“, die Drogenkartelle Mexikos bedeutsam. Sie ist eine der Städte mit den höchsten Kriminalitätsraten der Welt.


Ungefähre Lage der Gegend „Hinter der Zementfabrik“, in der Don Simplico vermutlich lebt. Der genaue Ort ist nicht lokalisierbar.
Im Bericht des El Mexicano waren Bilder des Anwesens von Don Simplico und einiger getöteter Hühner zu sehen. Bemerkenswert hier ist die wechselnde Bildqualität. Die Seite der Zeitung blendet offenbar zunächst ein 160 px kleines Basisbild ein, das nach einer gewissen Zeit durch ein 768 px großes „Landscape“-Bild überlagert wird. Dem entsprechend gut oder schlecht ist die Auflösung und Detailtreue. Auf einem der Bilder ist Don Simplicos Stall zu erkennen, ein kleines Backsteingebäude, das durch „Fundmaterial“ wie Schalungsplatten und Transport-Paletten erweitert wurde. Auf einem weiteren ist ein totes Junghuhn zu sehen, drei weitere zeigen mehrere tote Hühner. Keins der Bilder liefert ausreichend Details, um Bissstellen an den Hühnern zu erkennen. Blutspuren sind auch nicht erkennbar.

Seltsame Fotos

Bemerkenswert scheint mir noch folgendes: Don Simplico gab an, dass 51 Hühner bei dem letzten Angriff getötet worden seien. Auf dem ersten Bild (Bild 18) sind 39 Hühner zu sehen, die auf einer mit Schalungsplatten umgebenen Fläche mit trockenem Naturboden liegen. Sie sind dort etwa gleichmäßig verteilt, mit einem sehr ähnlichen Abstand zwischen den Individuen. Im hinteren Bildteil liegen meist dunklere Tiere, vorne hellere und stärker zerrupfte Hühner. Es wirkt sogar so, als wären sie in Kreissegmenten abgelegt.
Auf dem letzten Bild (Bild 13) des Beitrages sind ebenfalls tote Hühner zu sehen, diesmal etwa 19 Tiere. Sie liegen wild durcheinander auf einem Haufen, zwischendrin ist ein Seil zu erkennen. Hier kann man an einzelnen Tieren Verletzungen erkennen.

 

51 oder 58? Wie viele Hühner sind es denn nun?

Rechnet man die beiden Zahlen zusammen, sind dort mindestens 58 Hühner ums Leben gekommen, obwohl Don Simplico nur 51 hatte. Ich gehe davon aus, dass hier teilweise dieselben Hühner in unterschiedlicher Lage fotografiert wurden. Hierfür gibt es noch zwei weitere Hinweise: Die Hühner auf dem ersten Bild (Bild 18) wirken wir arrangiert, mit Individualabstand, schön im Schatten, dicht bei einander und im Halbkreis. Als hätte der Arrangeur an einer Stelle gestanden und die Hühner um sich auf den Boden geworfen. Interessanterweise trägt dieses Bild die interne Nummer 18.
Das letzte Bild zeigt wohl die zusammengebundenen Hühner, die Don Simplico zum Abdecker oder zur Hundefutterfabrik bringen wollte, um wenigstens noch ein wenig Geld zu verdienen. Es trägt die interne Nummer 13, wurde also vermutlich vor dem „ersten“ Bild gemacht. Auch auf den weiteren Fotos liegen die Hühner wieder anders.

Ich gehe davon aus, dass diese Fotos nicht die Auffindesituation zeigen, sondern für den Fotografen der Zeitung arrangiert sind. So gibt es auch keine Blutspuren. Kein Wunder, vermutlich wurde keins der Fotos am „Tatort“ aufgenommen.

 

Wo kam er rein?

Apropos Tatort: Don Simplicos Stall ist fotografiert. Wirklich „sicher“ gegen ein Eindringen von Außen scheint mir diese Konstruktion nicht zu sein. Dennoch zeigt das Foto definitiv keine Stelle in 2 m Höhe, in die das „große, schwarze Tier“ eingedrungen sein könnte. Warum hat Don Simplico darauf verzichtet, ausgerechnet diese Stelle zu zeigen?

Sie nehmen es ernst

Die Tatsache, dass sich Don Simplico nicht nur an die Presse, sondern auch an Polizei und Staatsanwaltschaft gewandt hat, zeigt, wie ernst er die Sache nimmt. In den Artikeln des Diario sind sogar die Aktenzeichen der Vorgänge verzeichnet, offenbar haben die Behörden die Vorfälle ernst genug genommen, mehrere Verfahren zu eröffnen. Mit den Aktenzeichen wird es in Zukunft möglich sein, die Verfahren weiter zu verfolgen: Stadtpolizei 0700322765, Büro der Uni: DE/01/170/2019, Staatsanwaltschaft del Norte: 12885/19.

Der Chupacabra

In Mexiko und anderen mittelamerikanischen Staaten gibt es die Legende des Chupacabras. Der Name bedeutet übersetzt „Ziegensauger“. Die Legende tauchte 1995 erstmals in Puerto Rico auf und verbreitete sich schnell in ganz Mittelamerika. Der Cupacabra soll nachts Nutztiere anfallen und töten. Zu den bemerkenswerten Folgen eines solchen Angriffes gehört, dass das Opfer wie blutleer erscheint. Er fällt also im engeren Sinn unter den Begriff eines Kryptiden.

Wirklich geklärt ist dieses Phänomen nicht, auch wenn es eine Reihe von Erklärungsmöglichkeiten gibt. Sie beginnen bei Vampiren, die in der mittelamerikanischen Legendenwelt vorkommen, jedoch eine geringe Rolle spielen. Häufig werden alle seltsamen Kadaver, die in den „betroffenen“ Ländern gefunden werden, dem Chupacabra zugesprochen. Die Beschreibungen angeblicher Sichtungen variieren je nachdem, welche Horror- oder Mystery-Serie im gerade von den lokalen Fernsehanstalten gesendet wird.
Eine mögliche Erklärung lieferte der deutsche Autor Michael Schneider. Er behauptet, es handle sich hier um einheimische Kleinraubtiere, die unter Mineralstoffmangel leiden. Früher hatten die Bauern Salzlecksteine für ihr Vieh ausgebracht, an denen sie sich auch bedienen konnten. Durch die Beimischung spezieller Mineralstoffmischungen in Fertigfuttermittel für Nutztiere sind die Lecksteine überflüssig geworden. Um den Mineralstoffbedarf zu decken, würden die Kleinraubtiere Nutztiere töten und das mineralstoffreiche Blut lecken. Auch diese Erklärung befriedigt nur zum Teil.


Dieser Artikel erschien das erste Mal am 23. April 2019. Im Rahmen des Relaunches haben wir ihn erneut publiziert.

Von Tobias Möser

Tobias Möser hat Biologie, Geologie und Wirtschaftswissenschaften studiert. Schon als Kind war er vor allem an großen Tieren, Dinosauriern, später Walen interessiert. Mit der Kryptozoologie kam er erst 2003 in näheren Kontakt. Seit dieser Zeit hat er sich vor allem mit den Wasserbewohnern und dem nordamerikanischen Sasquatch befasst. Sein heutiger Schwerpunkt ist neben der Entstehung und Tradierung von Legenden immer noch die Entdeckung „neuer“, unbekannter Arten. 2019 hat er diese Website aufgebaut und leitet seit dem die Redaktion.