Liebe Leserinnen und Leser,
wie im vergangenen Jahr möchten wir euch auch dieses Jahr um die Mitarbeit bei einem Citizen Science-Projekt zum Thema Neozoen bitten.
Da es zumindest im weiteren Sinne kryptozoologisch sein soll und die bekannten Kryptiden ja nicht unbedingt in wohnortnahen Wäldern, Gewässern, Gärten und Baumärkten herumlaufen, widmen wir uns dieses Jahr wieder den Neozoen. Wir haben dieses Jahr tatsächlich zwei Gruppen dieser Neueinwanderer unter den Tieren im Focus.
Der Riesen-Weberknecht Leiobunum spec. A
Wie sieht er aus?

Die noch unbeschriebene Art ist eine große, robuste Weberknecht-Art mit langen Beinen, die zwischen 4 und 6,5 mm Körperlänge erreichen kann. Die Spannweite der langen, dünnen Beine liegt bei bis zu 18 cm!
Die Körperoberseite ist dunkel bis fast schwarz gefärbt, mit einigen weißen Zeichnungselementen und einem charakteristischen metallisch grünen Schimmer. Die Unterseite und die Grundglieder der Beine sind gelblich. Sie stehen im scharfem Kontrast zu den dunklen übrigen Beingliedern und dem Körper. Bei jungen Weibchen ist auch die Spitze der Femora weiß gezeichnet (später undeutlich).
Der Augenhügel ist bei der Art hoch, an der Basis etwas eingeschnürt, leicht nach hinten gebogen und unbehaart (Gattungsmerkmal), nur mit wenigen Haaren besetzt. Die Cheliceren sind glatt, ohne Tuberkel und gelb. An den Beinen tragen alle Cheliceren zwei Reihen von Tuberkeln, außer der dritten, bei der die hintere Reihe fehlt. Eine definitive Bestimmung kann nur mikroskopisch über die Form des Penis der Männchen erfolgen, ist für unsere Betrachtung aber nicht notwendig.

WeberknechteWas zeichnet sie aus? Sie gehören zu den Spinnentieren im weiteren Sinne, haben aber, im Gegensatz zu vielen anderen Arten einen einteiligen, runden bis eiförmigen Körper mit vier Laufbeinpaaren. Die ähnlichen, aber nur entfernt verwandten Zitterspinnen haben einen zweiteiligen Körper! Wie viele Arten gibt es in Deutschland? Etwa 55, davon 10 rein alpine Arten und weitere 4 mit sehr kleinem Verbreitungsgebiet. Wie unterscheide ich einzelne Arten? Die häufigen und auffälligen Arten zeigen meist unterschiedliche Farben und Färbungen, auch die Dicke und Länge der Beine ist ein erstes Unterscheidungsmerkmal. Wirklich sicher sind erst Untersuchungen im mikroskopischen Bereich, was für Laien kaum zu leisten ist. Sind sie gefährlich? Nein, Weberknechte sind nicht giftig und nicht aggressiv, bei Störung fliehen sie. Sie verfügen über Stinkdrüsen, die zur Abwehr ein Sekret absondern, jedoch nicht verspritzen. |
Wo kann ich die Tiere finden?
Bisher wurde Leiobunum spec. A nahezu ausschließlich an Hauswänden beobachtet. Oft waren das Wände großer Industriegebäude, häufig dann, wenn diese nicht mehr in Betrieb waren. Genauso hat man sie aber auch an ganz normalen Mehrfamilienhäusern gefunden. Die Tiere werden an offenen Stein- oder verputzten Hauswänden ab Juni bis in den Oktober hinein beobachtet.
Leiobunum spec. A fällt vor allem dadurch auf, dass die Tiere tagsüber in großen Aggregationen ruhen. Solche Polster können mehrere hundert Exemplare umfassen und wirken durch die langen, dünnen Beine der Tiere wie Haarbüschel. Da sie längere Zeit die selben Ruheplätze nutzen, fallen sie vor allem an hellen Wänden durch Kotverschmutzung auf.
Wird eine solche Aggregation gestört, bewegen die Tiere ihre Körper mit hoher Geschwindigkeit auf und ab. Die Bewegung pflanzt sich wellenartig durch eine ganze Kolonie fort. Bei starker Störung flüchten die Tiere jedoch individuell.
An welchen Orten könnte man sie finden?
Wo die Tiere herkommen, ist unbekannt. Aktuelle Spekulationen gehen von Nordafrika als Ursprung aus, von wo aus die Tiere mit Holzlieferungen in die Niederlande gekommen sind.
Der Erstnachweis für Deutschland stammt aus Duisburg, 2005 und dem benachbarten Oberhausen. 2009 fand man sie im gesamten Westen des Ruhrgebietes, aber auch in Hamburg. Funde aus den vergangenen fünf Jahren zeigen eine weitere Verbreitung an der Ruhr und Rhein. Weitere Verbreitungsschwerpunkte sind bei Hamburg und Berlin.
In anderen Gegenden sind sie seltener, aber wohl mehr oder weniger flächendeckend vorhanden. Häufiger sind hier Einzelfunde, keine Aggregationen. Es ist davon auszugehen, dass viele Bestände unbemerkt geblieben sind – hier ist also viel zu entdecken!
Status
Leiobunum spec. A gilt als etabliert. Trotz der lokalen Massenvorkommen scheinen sie heimische Weberknechte nicht zu schädigen oder zu verdrängen. Dies liegt vermutlich daran, dass sie ausschließlich in der direkten Umgebung des Menschen leben, wo es kaum bedrohte Weberknechte gibt, denen sie Konkurrenz machen können. Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) schlägt vor, diese Art zu beobachten.
Zur Biologie
Geschlechtsreife Tiere treten in Deutschland und angrenzenden Ländern im Sommer auf, ihr Maximum liegt im September. Die Tiere paaren sich und legen Eier, die den Winter überdauern, Adulte scheinen spätestens im Januar zu sterben. Die Jungtiere leben am Boden. Wie andere Weberknechte auch suchen sie Schutz unter Holz oder Steinen, meist im Umfeld von Gebäuden. Sie häuten sich siebenmal bis zum Adulttier. Ab Juni treten die Tiere an Hauswänden auf und schließen sich zu Aggregationen zusammen, die bis in den Oktober hinein bestehen.
Die auffälligen Aggregationen bestehen nur tagsüber, nachts vereinzeln die Tiere, um zu jagen. Während sie auf drei Beinpaaren laufen, tasten sie mit dem zweiten Beinpaar den Weg vor sich nach Beutetieren ab. Eine andere Strategie besteht im regungslosen Warten, dass ein Beutetier die ausgestreckten Beine berührt. Sie fressen kleine, weichhäutige Insekten wie Mücken, Blattläuse, Staubläuse und Fliegen, aber auch Aas, z.B. Beutereste von Spinnen.
Zusammenfassung Riesen-Weberknecht Leiobunum spec. AWann finde ich ihn? Zwischen Mitte Juni und Oktober, tagsüber. Wo finde ich ihn? An gemauerten oder verputzten Wänden, vor Wind, Regen und Sonne geschützt. Wie erkenne ich ihn? Sehr groß, grünlich-schwarz, Massenansammlungen, die bei Störung wippen Besteht für mich eine Gefahr? Nein, Weberknechte sind nicht giftig und nicht aggressiv. |
Landplanarien
Was sind Landplanarien?
Planarien (Turbellaria) stellen die nicht parasitischen Formen der Plattwürmer (Plathelminthes) dar. Sie sind vielen Menschen gar nicht oder höchstens als Lästlinge aus dem Aquarium bekannt. Die dort klein bleibenden, aber räuberischen Würmchen haben Verwandte an Land, die sie in den Schatten stellen. In Deutschland treten Landplanarien praktisch nicht auf, es gibt einige wenige kleine und unscheinbare Arten, die selbst naturinteressierten Nichtfachleuten kaum auffallen.
Um so größer ist die Arten- und Formenvielfalt in den Tropen. Die größten Arten, z.B. Bipalium kewenese aus China, erreichen über 30 cm, selten bis 1 m. Einige Arten sind lebhaft gezeichnet oder für terrestrisch lebende Tiere sehr farbig.
Generell sind Plattwürmer, wie der Name sagt, platt. Sie sind zweiseitig symmetrisch und oft wesentlich länger und breiter als hoch. Landplanarien bewegen sich mit ruhigen, gleitenden Bewegungen fort, sie werden durch Cilien auf der unteren Epidermis angetrieben. Eine Bewegung durch Muskelkontraktion ist nicht möglich, da ein festes oder Hydroskelett als Widerlager fehlt. Sie können aber ihre Körperform durch Muskelkontraktion verändern und hierbei erstaunliche Veränderungen in der sichtbaren Größe zeigen.
Alle Planarien sind Zwitter, die eine innere Befruchtung haben. Sie haben ein erstaunliches Regenerationsvermögen. Auch kleine abgetrennte Körperteile können wieder zu einem vollständigen Tier heranwachsen. Solche Tiere werden jedoch häufig nicht so alt wie unverletzte.
Warum Landplanarien als Neozoen problematisch sein können
Alle Landplanarien fressen Fleisch, die meisten sind aktive Jäger, es gibt aber auch Aasfresser. Die Tiere haben artspezifische Techniken und gelten als sehr erfolgreich, sie dezimieren ihre Beutetiere erheblich. Da die Tiere sehr anpassungsfähig sind, können sie als Neozoen in ähnlichen Habitaten oft überleben und verheeren dort unter den Beutetieren. Der Art Platydemus manokwari wird mit dem Aussterben mehrerer Schneckenarten im Pazifikraum in Zusammenhang gebracht.
Landplanarien gelten als Spitzenprädatoren in ihrem Lebensraum und sind oft die wichtigsten Regulationsfaktoren ihrer Beutetiere. Die meisten Tiere verschmähen sie wegen ihres giftigen Schleimes und eines abstoßenden Geschmackes. Wenn überhaupt, gehören Laufkäfer und Kurzflügler sowie einige Schneckenarten zu ihren Fressfeinden. Bestandsregulierend sind vor allem Umweltfaktoren wie Austrocknung oder Frost.
Ein Grund für sinnvolle Citizen-Science-Arbeit liegt im relativ neuen Auftreten mehrerer Arten und einem damit verbundenen Missverhältnis bei den Beobachtungen, in der Literatur und der Umweltämter. So listet das Landesumweltamt NRW als einzige Art den Neuseeland-Plattwurm (Arthurdendyus triangulatus) auf, er gilt als invasiv und sein Auftreten wird seit 2019 beobachtet – oder eher sein Nicht-Auftreten: Die Art kommt zwar seit 60 Jahren in Großbritannien und Irland vor, konnte sich aber (bisher?) auf dem europäischen Festland nicht etablieren.
Im Gegensatz dazu fehlen alle in Deutschland beobachteten Arten in den amtlichen Neozoen-Registern.
Landplanarien als Neozoen in Deutschland
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Die vermutlich häufigste Art unter den Landplanarien-Neozoen ist die Schlangenkopf-Planarie Rhynchodemus sylvaticus. Sie ist eine eher ungewöhnliche, weil im Querschnitt oval bis runde Landplanarie. Wenn sie sich bewegt, hält die nur 1 – 3 cm lange Planarie ihren Kopf meist über dem Boden. Dabei bewegt sie ihn suchend in beide Richtungen, was zum englischen Namen „Snakehead-Flatworm“ geführt hat. Wir haben ihn mangels einer anderen deutschen Bezeichnung übernommen. Die Schlangenkopf-Planarie jagt unter anderem Landasseln.
Die Art wird seit 2011 in Deutschland beobachtet, insbesondere in NRW, Niedersachsen, Brandenburg, Meck-Pom, RLP, Bayern.
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Als zweithäufigste gilt Obama nungara, der Obama-Plattwurm. Er stammt aus Südamerika und hat einen spitzen Kopf. Er erreicht bei 70 mm Körperlänge 15 mm Breite. O. nungara ist goldgelb bis hellbraun gefärbt und lebhaft gezeichnet. In Brasilien, aber auch in Frankreich bevorzugt sie offene Landschaften. In Europa ist sie an Kulturlandschaften gebunden, man findet sie in Gärten, Gärtnereien und Abstellflächen von Gärtnereien. Sie lebt in Frankreich hauptsächlich entlang der Küste und in urbanen Räumen, immer unterhalb 500 m Meereshöhe. Der Gattungsname Obama hat nichts mit dem Ex-US-Präsidenten Barack Obama zu tun, sondern stammt aus einer Eingeborenensprache, wo er soviel wie Blatt-Tier bedeutet.
Die Art wurde vermutlich durch den Handel mit Pflanzen eingeführt, genetische Untersuchungen lassen den Ursprung aus Argentinien vermuten. In Belgien, den Niederlanden, England und südlich der Alpen ist O. nungara ebenfalls verbreitet.
In Deutschland trat die Art das erste Mal 2021 in Regensburg auf, danach gab es auch Nachweise am Oberrhein, der schwäbischen Alb, im Schwarzwald, dem Ruhrgebiet und in Schleswig-Holstein. Es ist zu erwarten, dass bei gezielter Suche zahlreiche neue Fundorte entdeckt werden.

Die Blaugefleckte Landplanarie Marionfyfea adventor gehört ebenfalls zu den in Deutschland nachgewiesenen Neozoen. Sie stammt ursprünglich aus Neuseeland, ob von vorgelagerten oder den Hauptinseln, ist unklar. Sie erreicht etwa 1 cm Länge und ist damit eine recht kleine Landplanarie, die unter der Lupe zahlreiche blaue Punkte auf hellbraunem Untergrund zeigt. Noch bevor sie 2016 erstbeschrieben wurde, war sie in Europa weitverbreitet. Nachweise gibt es für Deutschland ab 2024 aus dem Münsterland und vom Niederrhein. Sie ist in den Niederlanden weit verbreitet.
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Etwas älter ist der Erstnachweis der Blauen Garten-Planarie Caenoplana coerulea, die ab 2022 in Hannover, dem Hochschwarzwald und West-Allgäu nachgewiesen wurde. Die schlanken Tiere erreichen 6 bis 12 cm Gesamtlänge. Ihr Kopf ist rosa bis rotbraun, der Körper blaugrau bis blauschwarz und immer mit einem prominenten hellgrünen Längsstreifen in der Mitte des Rückens versehen. Sie leben in feuchten Waldgebieten, ursprünglich in Ost-Australien und Neuseeland, heute auf den Balearen, in Argentinien, Frankreich und südlichen US-Staaten. Man kann sie in der Regel nur nach Regen an der Oberfläche finden.
Einzelnachweise gibt es von:
- Microplana scharffi (2015), ein Einzelnachweis Cham im Bayerischen Wald
- Bipalium vagum (2024), ein isolierter Standort in der Tropenhalle des Zoos Leipzig
Microplana terrestris ist in Deutschland heimisch und gehört damit nicht zu den Neozoen. Die Verbreitung der unscheinbaren, etwa 1-2 cm lang werdenden Art erstreckt sich zwischen Schweden, die britischen Inseln, Frankreich bis Griechenland. Sie wurde nach Nordamerika eingeschleppt. M. terrestris ernährt sich vor allem von Aas und verletzten Beutetieren, das können alle Arten von Bodenlebewesen sein.
Zusammenfassung LandplanarienWann finde ich sie? ganzjährig, hauptsächlich nach Regen Wo finde ich sie? Am und im Boden, oft unter abgefallenen Blättern, Holzstücken oder Steinen, wo es feucht ist. Zur Suche empfiehlt sich, eine Handvoll Streu mitzunehmen, in eine Schüssel zu geben, zu befeuchten und abzudecken. Früher oder später kommen die Planarien in den sichtbaren Bereich und können beobachtet werden, wenn welche in der Bodenprobe enthalten sind. Wie erkenne ich sie? charakteristische Gleitbewegung, Körperform. Eine Lupe hilft, die oben angegebenen Größen sind Maximalgrößen. Wie kann ich sie näher bestimmen? Körperform und -zeichnung sind bei den wenigen in Deutschland vorkommenden Arten eindeutig. Falls es eine unbekannte Art ist, empfiehlt es sich, sie in Ethanol (Spiritus) zu konservieren und zur Bestimmung an ein Institut für Bodenbiologie zu schicken. Besteht für mich eine Gefahr? Nein, Planarien können nicht beißen oder stechen, keine der für Deutschland gemeldeten Arten gilt als giftig. Auch wegen des übel schmeckenden und riechenden Schleims sollte man sich nach Hautkontakt mit Seife waschen. |
Was soll ich tun, wenn ich eine der Arten entdeckt habe?
- Ruhe bewahren!
- Foto machen und mit möglichst vielen und genauen Daten auf einer Naturbeobachter-Plattform hochladen, z.B. iNaturalist.org oder observation.org. Es lohnt sich, auf dem Handy die App Obsidentify einzurichten.
- E-Mail an tobias@tobias-moeser.de, in der Hoffnung, es gibt genug Funde, um im Herbst einen Beitrag über Erfolge unseres Projektes zu bringen.
- Weiterhin Ruhe bewahren. Bei Obama nungara der Blauen Garten-Planarie würde ich mir ggf. überlegen, ob sie attraktive Terrarientiere darstellen könnten.