Der “Affenmensch” aus den Pyrenäen

Am 16. Mai 1979, so berichteten die spanische Zeitung ABC und El Vanguardia im gleichen Wortlaut, war ein “komisches Wesen, das ein Affenmensch sein könnte, von einer Gruppe Holzfällern in einer Gegend um Huesca in den Pyrenäen gesehen worden”. Weiter heißt es:

“Die Arbeiter sahen dieses seltsame Wesen von 1,70 Höhe, nackt, auf einem Baum, komische Schreie ausstoßend, mehr einem Tier denn einem Menschen ähnlich. Später stieg es mit Gewandtheit den Baum herunter, Füße und Hände einsetzend, warf einen Baumstumpf zu den Arbeitern, nur um nur kurz darauf im Dickicht des Waldes zu verschwinden.” (ABC/La Vanguardia vom 16. Mai 1979; Übersetzung von Peter Ehret).

Ort der Sichtung war die Ostseite eines Bergs namens Peña Montañesa (so etwas wie “Bergfelsen”) bei Laspuna, Huesca. Die Holzfäller waren auf dieses Wesen aufgrund seiner seltsamen Schreie aufmerksam geworden. Beide Zeitungen berichten ferner davon, dass sich die Stelle in einem sehr dichtem Waldgebiet befindet und nur in der Zeit der Wildschweinjagd von Personen durchzogen wird. Einige Tage zuvor waren die Holzschleppmaschinen der Arbeiter beschädigt worden. Auf einer von ihnen lag ein ca. 20 Kilogramm schwerer Stein. Auch wenn man nicht sicher sein konnte, ob ein Zusammenhang mit der Sichtung bestand, so wurde nicht ausgeschlossen, dass diese Sabotage mit dem Vorfall irgendwie zu tun hatte (ABC/La Vanguardia vom 16. Mai 1979; Übersetzung von Peter Ehret).

Baskenland an der Biskaya
Das Baskenland liegt am Golf von Biskaya, in vielerlei Hinsicht eine besondere Landschaft

Pyrenäenwälder: Raum für den spanischen Yeti?
Verbirgt sich der „Herr des Waldes“ in diesen Schluchten?

Mehr Begegnungen

2011 erzählte einer Holzfäller, Manuel Cazcarra, die Ereignis vom Frühling 1979 noch einmal in der spanischen “Mysterysendung “El Cuarto Milenio (El Cuarto Milenio, 1: 24:08 – 1:24:56) Doch es blieb nicht bei dieser einen Begegnung in diesem Jahr. Nur wenig später kam es zu noch mehr Begegnungen. Die denkwürdigste Sichtung war sicherlich jene einer Schulklasse:

Als der Bürgermeister von Laspuna, Antonio Belzuz, noch Lehrer war, machte er mit seinen Schülern einen Ausflug in die nahen Wälder zu einer Quelle, die etwas entfernt vom ersten Sichtungsort lag. Auch sie hörten seltsame Schreie. Als die Schulklasse auf einem Forstweg stand, erschien dort eine in 100 Meter Distanz eine Person mit nacktem Oberkörper und bemalten Gesicht. Später sahen sie das „Wesen“ noch einmal, im Wald oberhalb des Weges. Von diesem Erscheinen waren die Kinder verständlicherweise sehr erschrocken. (El Cuarto Milenio 1:25:35 – 1:26:38) Nach diesem Vorfall benachrichtigte der Lehrer den Bürgermeister – und die Guardía Civil stieg noch einmal zu dem Ort hinauf – doch fand keine Spur des Wesens. (El Cuarto Milenio 1:37:40 – 1:38:20).

Landesweite Aufregung in der Presse

In der Presse war der Aufschrei groß. Auch das Boulevardblatt El Caso bekam von dem Fall Wind. Die Reporter konnten einen Zeugen interviewen, der ein Foto von dem Wesen gemacht haben will. Auf dem sehr verschwommenen Bild ist eine völlig nackte Person mit langen Haaren zu sehen (El Cuarto Milenio 1:27:04).

Eine Person – und kein Affenmensch.

Wie auch seinerzeit das Boulevardblatt El Caso, so ist auch die Mysterysendung El Cuarto Milenio dafür bekannt, dass sie eine Geschichte unnötig aufbläht und die Beiträge mit einer mystischen Aura zu überziehen sucht. Dennoch kommen in dieser Sendung die Zeugen Cazcarra und Belzuz persönlich zu Wort. Cazcarra sagt zum Beispiel ausdrücklich, dass es sich bei dem Wesen um eine Person gehandelt hat. Er habe ganz deutlich die sauberen Arme sehen können (El Cuarto Milenio 1:28:15 – 1:28:22).

Typisches Dorf im Baskenland

Der Affenmensch aus den Pyrenäen?
Statute des Basajaun von Rober Garay

So auch Antonio Belzuz: “Der Torso war nackt. Er hatte einen braunen Torso. Man konnte sehen, dass er viel Zeit draußen verbrachte” (1:28:30 – 1:28:44) Belzuz fügte außerdem noch hinzu, dass die Person schamanenhafte Gesten machte und zu drohen versuchte, „so wie ähnlich wie ein Apache“ (El Cuarto Milenio 1:33:05 – 1:33:25). Dennoch – es war eine ganz normale Person (El Cuarto Milenio 1:39:40 – 1:39:55).

Für Antonio Bulzoz war „das Wesen“ ein verkleideter Mann (El Cuarto Milenio 1:34:50 – 1:34:57).

Also kein Affenmensch!

Affenmensch oder Bärenmensch?

Unweit vom Dorf gibt es eine Höhle mit vielen Funden von Höhlenbären. In der Nähe der Höhle gibt es ein Museum, in dem der Besucher mehr über diese Tiere erfahren kann – und neben diesem Museum ein anderes über den vorzeitlichen Menschen. Daher kommt der in der Gegend geläufige Begriff „hombre oso“ “Bärenmensch”. Interessanterweise verwendet Manuel Cacarro diesen Begriff „hombre oso“ in seinem Interview auch zuerst, als er von seiner Begegnung mit dem “Hombre mono” (“Affenmensch”) berichtet (El Cuarto Milenio 1:35:30 – 1:36:40).

Schafherde
Der Basajaun ist auch der traditionelle Beschützer der Hirten und Herden

Montiertes Skelett eines Höhlenbären
Höhlenbär-Skelett im Naturkundemuseum Braunschweig

Wilde Männer in der lokalen Erzähltradition

Der Zeuge Antonio Belzuz und der beteiligte Journalist des El Cuarto Milenio halten es für möglich, dass es sich bei der Erscheinung um einen bösen Streich (vielleicht auch mit politischer Intention, z.B. Umweltaktivismus gegen Holzschlag) gehandelt haben könnte. Da in der Region eine Erzähltradition von “Wilden Menschen” existiert, habe der „Affenmensch“ gewusst, wie er sich die unbewussten Ängste der Bevölkerung zunutze zu machen konnte. Außerdem gibt es – gerade aufgrund der vielen Höhlen – in vielen Dörfern die Tradition, sich beim Karneval mit Fellen zu verkleiden. Zu diesem Zeitpunkt warnt man die Kinder sogar von dem “Bärenmenschen, der von den Bergen in die Täler steigt.” (El Cuarto Milenio 1:40:16 – 1:40:18) (Magin: 1995: 4). Die Menschen der Region hatten also die passende Kleidung und die Sage im Kopf – jetzt musste sie nur noch aktiviert werden.

Der Journalist des Senders ist sogar davon überzeugt, dass die Leute in der Region wüssten, wer der mysteriöse Affenmensch war. Schließlich wurde ihm in den Bars mehrmals angeboten, “ihn zum Affenmenschen zu führen” (1:42: 50 – 1:43).

Unterschiedliches Verhalten bei unterschiedlichen Personen

Interessant ist auch, dass die Sichtungeswelle genau ab dem Moment abflaute, als sich die respekteinflößende Guardia Civil in den Fall einmischte (El Cuarto Milenio 1:41:00 -1:41:22). Es gab nur zwei oder drei (allerdings sehr flüchtige) Begegnungen mehr (El Cuarto Milenio 1:43:46 -1:43:56). Dabei verhielt sich das Wesen offenbar von Zeuge zu Zeuge anders: Zu den bewaffneten Holzfällern war er viel distanzierter und zeigte sich viel flüchtiger (und warf eventuell sogar zur Abschreckung einen Baumstamm). Bei der wehrlosen Schulklasse ließ es sich in aller Deutlichkeit sehen (El Cuarto Milenio 1:45:25 -1:45:47).

Bewertung

Man kann von El Cuarto Milenio halten, was man will – hier sprechen die Zeugen aus erster Hand von ihrem Erlebnis. Einer von ihnen konnte das Wesen sogar sehr deutlich sehen und hat eine distanzierte Art, die Ereignisse zu erzählen. Es wird dabei klar, dass es sich

  1. definitiv um eine Person gehandelt hat und
  2. eine Erzähltradition von Wilden Männern in der Region existiert und
  3. es sogar eine örtliche Tradition gibt, sich an Karneval mit Fellen zu verkleiden!

So ist wohl davon auszugehen, dass es sich bei dem mysteriösen Affenmenschen von Peña Montañesa um einen Streich gehandelt hat.

Damit ist die Geschichte aber noch nicht zu Ende.

Wann waren die Sichtungen? – 1979 oder 1993?

Im spanischen Kryptoversum ist der Fall bestens bekannt – und wird in die Liste der Sichtungen von wilden Männern in Spanien eingereiht. Ein Beispiel ist die Wiedergabe des Falls im INFO Journal durch De la Rubio-Muñoz. Allerdings wird hier als Datum der 4. Mai 1993 genannt (De la Rubia-Muñoz, 1995: 23) und als Quelle ein Artikel des ABC vom 8. Mai 1993 angegeben.

Wie Ulrich Magin schon 1995 in einer Reaktion auf den Artikel bemerkte, müsste die Zeitung ABC eine alte Geschichte wieder herausgekramt haben, denn schon 1979 berichtete die Zeitung über den Fall (Magin: 1995: 4). Tatsächlich fanden wir bei einer neueren Recherche im Zeitungsarchiv der ABC jedoch nur diesen einen Artikel aus dem Jahre 1979, jedoch nichts für den 8. Mai 1993, weder unter dem Namen des einen Zeugen “Manuel Cazcarra” oder “Peña Montañesa” – nicht einmal, als die Suche für den ganzen Mai 1993 unter den Begriffen „mono“ (Affe), “raro” (komisch), „extraño“ (seltsam) “animal”, “Huesca” ausgedehnt wurde. Der Artikel aus dem Jahre 1979 findet sich mit derselben Methode hingegen problemlos ohne großes Suchen – so ist es bei einem anderen Fall eines vermeintlichen Affenmenschen aus dem Jahr 1972 in Alicante.

Berge und Weiden
Baskische Landschaft mit Pferd. Ist das das Biotop für einen Affenmenschen?

Baskische Fahne mit Yeti-Schattenriss
Die Frage nach dem baskischen Yeti bleibt doch unbeantwortet

Der einzige Fund, der für den Mai 1993 aus dem ABC auftaucht, ist ein Artikel über einen “Hombre Dinosaurio” (Dinosauriermensch) vom 30. Mai 1993.

Jedenfalls sprechen alle konsultierten Zeitungen sowie alle Zeugen ganz klar vom Jahre 1979 – und betonen außerdem, dass es danach zu keinen weiteren Sichtungen gekommen ist. Antonio Bulzoz, der mittlerweile Bürgermeister von Laspuna ist, hätte davon im späteren Jahre 2011 sicher erzählt, wenn sich 1993 noch einmal etwas ereignet hätte.

Falsches Sichtungsdatum im Netz

Ob Sergio de la Rubio-Muñoz da Artikel durcheinander gebracht hat? Er beruft sich später bei dem Fall auf eine Zeitschrift namens Mundo Oculto, auch aus dem Jahre 1993. Hat er sich in der Zeitung geirrt?

Wie dem auch sei, solche Fehler können passieren und sind (leider) in der Recherche Alltag.

Was allerdings schwerer zu verdauen ist, ist die Tatsache, dass dieses falsche Datum 1993 in ein paar Blogs und Podcasts zu dem Thema wiederkehrt. Javier Resines berichtet zum Beispiel von einem Vorfall in Peña Montañesa vom 4. Mai 1993: (Link) (Für unsere Leserinnen und Leser, die der spanischen Sprache nicht mächtig sind: einfach in der Suchfunktion „Peña Montañesa“ eingeben).

Auch einem sehr schwärmerischen Interviewpartner im Mystery-Podcast El ultimo Peldaño unterläuft derselbe Fehler – er beruft sich allerdings auf einen französischen Autor als Quelle (Podcast. El Último Peldaño vom 28. September 2019. Minuten 37:40 – 37:15).

Dubiose Zusatzinformationen

Darüber hinaus gibt der Interviewpartner des Podcasts den Fall völlig anders wieder, als die Zeugen ihn in der Sendung in Cuarto Milenio schildern: im Podcast ist die Rede davon, dass die Gruppe Holzfäller noch weitere Begegnungen mit diesem Wesen hatten – und sich die Lage so sehr zuspitzte, dass die Guardia Civil sich gezwungen sah, den Felsen zu bewachen und die Menschen vor möglichen Attacken zu schützen.

Auch Sergio de la Rubio-Muñoz berichtet noch davon, dass die Guardía Civil auf einer Patroille in dieser Region später seltsame Spuren gefunden hat. Um jedoch eine größere Panik zu vermeiden, kommunizierte sie, dass sie von einem Bären stammten, der aus einem nahen Naturschutzgebiet eingewandert sei (De la Rubia-Muñoz, 1995: 23-24).

Keines dieser Ereignisse wird von den Original-Zeugen bei Cuarto Milenio mit auch nur einer Silbe erwähnt!

Zweifelhafte spanische Affenmenschen

In Anbetracht der Falschwiedergabe des Sichtungsdatums, sowie einiger dubioser Zusatzinformationen, die von den Zeugen bei ihrem Interview in El Cuarto Milenio keine Erwähnung finden (aber hätten erwähnt werden müssen!), liegt der Verdacht nahe, dass hier ungeprüft voneinander abgeschrieben wurde. Möglich, dass andere Presseartikel wie der des El Caso Licht ins Dunkel um die widersprüchliche Angabe der Ereignisse bringen könnten – das falsche Datum bleibt dennoch bestehen.

Berichte über Sichtungen von wilden Männern und Affenmenschen in Spanien, so wie sie in einigen Fachzeitschriften und vor allem im Web kursieren, sind daher von höchst zweifelhaftem Gehalt!


Zum Weiterlesen

Zeitungsartikel

ABC vom 16. Mai 1979

ABC vom 30. Mai 1993

La Vanguardia vom 16. Mai 1979 (pdf-Download)

Fachzeitschriften

De la Rubio-Muñoz, S. (1995), “Wild Men in Spain”, INFO Journal. 72. Winter 1995, S. 22 – 25.

Magin, U. (1995), “Wild Men Corrections”, INFO Journal. 73. Summer 1995, S.4.

Fernsehprogramme und Podcasts

El Cuarto Milenio, Staffel 6, Folge 228, Stunde 1:22:45 – 1:47

El último Peldaño vom 28. September 2019: Descripción de El Basajaun: el Yeti de los Pirineos. La abducción del matrimonio Hill. Asalto al Área 51.


Wir berichteten über den Basajaun:

Das mögliche Unmögliche – Yetis in Spanien, Peter Ehret am 12.12.2019

Der Basajaun – Ein westeuropäischer Yeti?, Dominic Schindler am 10.12.2019