Ringelrobben (Pusa hispida) sind die am weitesten verbreiteten arktischen Robben und kommen nördlichen Meeren vor, die im Winter eisbedeckt sind. Zudem besiedeln sie die nördliche Ostsee und zwei Süßwasserseen.
Die Tiere des Nordmeeres erreichen etwa 135 cm Länge und 70 kg Gewicht, die Unterart der nördlichen Ostsee ist etwas größer und schwerer. Anders als viele andere Robben bilden Ringelrobben keine Kolonien, sondern ziehen einzeln umher und jagen gelegentlich in kleinen Gruppen. Sie fressen Krebstiere und kleine Fische.
Ringelrobben sind stark an Eis gebunden. Sie leben im Winter unter der Eisschicht, halten dort Atemlöcher frei und graben Höhlen in den Schnee, in denen sie ruhen, ihre Jungen bekommen und aufziehen. Die Nominatform P. hispida hispida (im Folgenden „Arktische Ringelrobbe“) ist am weitesten verbreitet. Sie bewohnt den zirkumpolaren Arktischen Ozean. Drei Unterarten kommen als eigenständige Populationen in Fennoskandinavien vor: die Baltische Ringelrobbe P. h. botnica in der nördlichen Ostsee, die Ladoga-Ringelrobbe P. h. ladogensis im Ladoga-See und die Saimaa-Ringelrobbe P. h. saimensis im finnischen Saimaa-See. Das Vorkommen dieser drei fennoskandischen Unterarten wurde mit der Isolation der Ringelrobben im Ostseebecken nach der letzten Eiszeit und der damit verbundenen weiteren Verschleppung im Ladogasee und Saimaa-See erklärt. Eine weitere Unterart kommt im Ochotskischen Meer westlich der Halbinsel Kamtschatka vor: P. h. ochotensis.

Der Saimaa

(Foto: Dreg743; CC-BY-SA 4.0)
Der Saimaa ist ein großes Süßwasser-Seensystem. Es besteht aus mehr als zehn zusammenhängenden Seen, von denen die größten vier größer als der Bodensee sind. Insgesamt bedeckt das System eine Fläche von 4.400 km², das ist knapp doppelt so groß wie das Saarland (2570 km²). Damit ist es der viertgrößte natürliche See Europas. Es entwässert durch den Fluss Vuoksi in den russischen Ladogasee. Seine Küste ist durch über 13.700 Inseln und Inselchen, Fjorde und Vorfluter stark zerklüftet, so dass sie fast 15.000 km erreicht. Die Saimaa-Seen sind flach und erreichen durchschnittlich nur 7 m Tiefe, die größte gemessene Tiefe liegt bei 85 m.
Wie die anderen Seen der finnischen Seenplatte entstand er durch das Abtauen der Gletscher der Weichseleiszeit, im Süden staut eine Endmoräne den See. Durch die postglaziale Landhebung (das Land hob sich, als das Gewicht der Gletscher verschwand) ist er auch im Norden aufgestaut. Hierdurch ähnelt seine Form einem großen Stausee. Historisch bildete sich hier bis vor etwa 5000 Jahren ein mehr als 400 km langer See. Dieser floss erst mit dem Durchbruch des Vuoksi am heutigen Imatrafall ab und bildete dann die heutige Landschaft.
Heute ist das Seensystem über den Saimaa-Kanal mit der Ostsee verbunden. Der Kanal überwindet auf 43 km 76 m Höhendifferenz in acht Staustufen.
Wie für einen flachen See zu erwarten ist, hat der Saimaa eine hohe Primärproduktion, die sich in seinem Fischreichtum wiederspiegelt. Der Fischbestand ist typisch mit Coregonen (Artstatus wie bei Coregonen typisch oft unklar), dem lokal fast ausgestorbenen Wandersaibling (Salvelinus alpinus), einer lokalen, Süßwasserform des Lachses (Salmo salar m. Sebago), aber auch Bachforellen, Barschen, Hechten und Zandern. Der Saimaa-Lachs ist auf Besatzmaßnahmen angewiesen, ebenso die nicht einheimischen Regenbogenforellen und Bachsaiblinge.
Im Saimaa leben aktuell fast 500 endemische Ringelrobben, was diese zu einer der am stärksten gefährdeten Flossenfüßerarten der Welt macht.
Die Saimaa-Ringelrobbe

Die morphologischen und ökologischen Unterschiede zwischen der Saimaa-Ringelrobbe und den anderen Unterarten der Ringelrobbe sind seit langem bekannt und werden historisch auf die holozäne postglaziale Isolation der Saimaa-Population von der Ostseepopulation zurückgeführt.
Genetische Analysen von Haplotypen mitochondrialer DNA (mtDNA), Microsatellitenloci und genomweiter Variation haben jedoch größere genetische Unterschiede zwischen der Saimaa-Ringelrobbe und anderen Populationen offenbart, als durch postglaziale Gendrift und rezente Anpassung erklärt werden können.
In einer in PNAS veröffentlichten Studie untersuchten Wissenschaftler der Uni Helsinki die genomischen Unterschiede zwischen der Saimaa-Ringelrobbe und anderen Ringelrobben umfassender. Dabei bezogen sie die bisher nicht beprobten Arktischen Ringelrobben in Nordeurasien sowie die Ochotskische Ringelrobbe P. h. ochotensis, eine Unterart aus dem asiatisch-pazifischen Raum, mit ein. Neben mitochondrialen und nukleären Genomen untersuchten sie auch Unterschiede in der Ernährungsmorphologie, um das Ausmaß der ökologischen Differenzierung zwischen den Unterarten zu beleuchten.
Dabei zeigte sich, dass die Saimaa-Ringelrobbe auch bei zirkumpolarer Beprobung von Arktischen Ringelrobbenpopulationen ihre genetische Einzigartigkeit behält. Aufgrund der genomischen Divergenz zu anderen Ringelrobben und der speziellen morphologischen Merkmale, die mit der Ernährungsökologie zusammenhängen, erscheint es gerechtfertigt, die Saimaa-Ringelrobben als echte Art, Pusa saimensis zu behandeln.

Überprüfung des Artstatus: Saimaa-Robbe, P. saimensis
Derzeit enthält die Gattung Pusa drei Arten: Die Ringelrobbe (P. hispida), die Kaspische Robbe (P. caspica) und die Baikalrobbe (P. sibirica), während die nahe verwandte Gattung Phoca den Seehund und die Largha-Robbe umfasst. Bisher wurden fünf Unterarten der Ringelrobbe unterschieden, darunter P. h. hispida, P. h. botnica, P. h. ochotensis, P. h. ladogensis und P. h. saimensis.
Integration von morphologischen, genetischen und biogeographischen Daten in der Systematik
Genomweite Analysen der Artverwandtschaft liefern detailliertere und zunehmend komplexere Einblicke in die Geschichte vieler Abstammungslinien. Dabei erschwert sich die unglaubliche, digitale Datenfülle oft eine die Abgrenzung von Arten. Sie schafft stattdessen eine Vielzahl einzelner Klein- und Kleinstgruppen, die sich biologisch kaum unterscheiden. Eine rein genetische Artdiagnose reicht also oft nicht aus.
Darrell John Kitchener, ein australischer Säugetierkundler, schuf hierfür ein Ampelsystem. Es umfasst drei Arten unabhängiger Methoden zur Artunterscheidung: Morphologie, Genetik und Biogeographie. So kann eine einfache genetische Distanz, auch wenn sie groß ist, alleine keine sichere Artdiagnose darstellen. Erst die Integration der anderen Methoden, der Morphologie und der Biogeographie schafft Sicherheit.
Die Anwendung dieser Methode kann zu einer deutlichen Verringerung der Anzahl anerkannter Arten, aber auch zur Identifizierung neuer Taxa führen.
Beschreibung
P. saimensis ist eine relativ kleine Robbe. Die durchschnittliche Körperlänge und das Gewicht der Weibchen betragen 132 cm und 59 kg, die Männchen sind etwas größer. Neugeborene Jungtiere sind 68 cm lang und wiegen durchschnittlich 5 kg. Sie haben graues, lockiges Lanugohaar, das sich beim Absetzen in kurzes, borstiges, erwachsenenartiges Fell verwandelt. Die Schädel von P. saimensis sind relativ breit und kurz.
Die Schädel von P. saimensis und P. hispida sind erkennbar unterschiedlich geformt. Das Gebiss von P. saimensis zeigt eine Betonung der spitzeren und höheren vorderen Eckzähne auf Kosten des gut entwickelten Höckerkamms bei P. hispida. Die Zunge ist relativ breit und hat eine abgerundete, gegabelte Spitze.
Morphologie
Der Schädel von P. saimensis weist einen größeren Unterkiefer, eine größere Jochbeinbreite und eine längere Jochbeinlänge auf als die anderen Unterarten von P. hispida. Darüber hinaus unterscheidet sich P. saimensis von P. h. botnica und P. h. ladogensis durch höhere Trommelfellblasen und etwas größere Augenhöhlen.
Die Zahnreihe von P. saimensis ist kürzer als bei den anderen Unterarten von P. hispida. Das Gebiss ist einfacher, der Vorbackenzahn-Bereich im Unterkiefer weist keine fünfzackigen Zähne auf, die bei den anderen Unterarten von P. hispida in geringem Maße vorkommen. Der erste Backenzahn (M1) ist anteroposterior kurz, sogar kürzer als bei der ansonsten kleinen P. h. ochotensis.

Genetik
P. saimensis unterscheidet sich genetisch deutlich von allen vier verbleibenden Unterarten von P. hispida (Arktis, Ladoga, Ostsee und Ochotskische See). Da die Bewertung der Angaben etwas für Spezialisten ist, verweise ich hier auf die Originalarbeit.
Biogeographie
Da der Saimaa-See in den letzten 10.000 Jahren eine geografische Barriere für die Ausbreitung der Arten bildete, konzentrierten wir uns hier auf genetische und morphologische Belege, um zu untersuchen, ob die Vorfahren der Saimaa-Robben älter sein könnten als der Saimaa-See.
Unsere genetischen Analysen bestätigen, dass sich die Robben im Saimaa-See nicht nur deutlich von anderen Ringelrobben unterscheiden, sondern vor allem auch eine unabhängige und tiefere Evolutionsgeschichte haben. Die Abstammungslinie der Saimaa-Arten ist doppelt so weit von den arktischen, baltischen und ladogaseischen Ringelrobben entfernt wie die Abstammungslinie untereinander. Ebenso weist die Saimaa-Population den größten Anteil einzigartiger SNPs auf, und die PCA-Komponente, die die Saimaa-Individuen von allen Ringelrobben trennt, erklärt fast dreimal so viel Varianz wie die zweite Komponente, die die vier verbleibenden Ringelrobben-Unterarten trennt. Obwohl unsere Analysen eine kurze Periode jüngeren Kontakts zwischen der Saimaa-Linie und den Linien, die die heutigen Ladoga- und Ostseepopulationen bilden, vor etwa 8 bis 10.000 Jahren aufzeigen, spricht die Existenz dieses Genflusses nicht gegen eine Arttrennung. Tatsächlich ist ein Ergebnis der rasanten Entwicklung genomischer Ansätze die wiederkehrende Beobachtung genetischer Vermischung und Introgression bei vielen echten Arten in freier Wildbahn.

Integrative Analyse
Der tiefe genetische Ursprung der Saimaa-Linie wird durch die morphologischen Daten weiter unterstrichen. Die ausgeprägte Schädelmorphologie der Saimaa-Ringelrobben ist seit langem bekannt. Ihre Zahn- und Zungenmorphologie deutet auf eine Spezialisierung auf die ausschließliche Ernährung mit Fisch hin. Diese spezialisierte Ernährungsnische unterscheidet sich von den anderen Ringelrobben, deren komplexere Zahnmorphologie die Fähigkeit widerspiegelt, Zooplankton in ihre Ernährung aufzunehmen.
Die genetischen Unterschiede und der Zeitpunkt der Populationsaufspaltungen stimmen mit dem folgendem Szenario überein: Spätestens während der Mittleren Weichselzeit vor 90 bis 50.000 Jahren isolierte sich die Saimaa-Population aus eisgestauten marinen Ringelrobben in einem oder mehreren östlichen oder südöstlichen Refugien, als es in der Westsibirischen Tiefebene und im Weißmeerbecken große Gletscherseen mit Wasserwegen zum östlichen Rand des Fennoskandischen Eisschildes gab. Die Saimaa-Robbe ist zwar uralt, aber als landumschlossene Meeresart aus östlichen proglazialen Refugien nicht einzigartig. Reliktartige Meeresfische und wirbellose Arten kommen im heutigen Saimaa-See und in den östlichen Seen rund um das Ostseebecken vor. Es ist denkbar, dass viele der anderen Relikte auch einen älteren Ursprung haben, als bisher angenommen und eine einzigartige Evolutionsgeschichte beherbergen.
Fazit
Mit dieser Arbeit wurde auf moderne Weise begründet, dass die Saimaa-Ringelrobbe keine Unterart der Ringelrobbe darstellt, sondern zu Recht den Status einer eigenen Art besitzt. Um dies zu unterstreichen, besteht die Arbeit zu großen Teilen aus einer Neubeschreibung der Saimaa-Ringelrobbe, die auch formal genügt. Die Saimaa-Ringelrobbe ist damit eine eigene Art.
Bedrohung und Ausblick
Obwohl Oscar Frithiof Nordqvist (1859 – 1925), ein finnischer Hydrograph, ursprünglich die Saimaa- und Ladoga-Ringelrobben beschrieb, plädierte er zeitgemäß auch für die Ausrottung beider Populationen, da sie angeblich die lokale Fischerei störten. Sein Ziel, die Saimaa-Robbe auszurotten, wurde beinahe erreicht: Als die Art 1955 schließlich unter gesetzlichen Schutz gestellt wurde, waren weniger als 100 Exemplare übrig. Seitdem hat sich der Bestand allmählich erholt und wird im Jahr 2024 fast 500 Exemplare umfassen.
Die Jagd auf die Robben ist verboten, auch Wilderei kommt kaum vor. Häufig ertrinken Tiere in Fischernetzen, wobei nicht klar ist, ob sie die Netze nicht wahrnehmen oder gefangene Fische „stehlen“ wollen. Jungensterblichkeit in zu kurzen oder warmen Wintern ist eines der größten Probleme: Saimaa-Robben sind wie alle Ringelrobben zum Gebären und zur Jungenaufzucht auf Schneehöhlen angewiesen. Schmilzt der Schnee zu früh, ertrinken die Jungen im Wasser oder erfrieren, da das Lanugo-Fell zwar gut vor Kälte, aber nicht vor Wasser schützt. Der anhaltende menschengemachte Klimawandel stellt daher eine erhebliche langfristige Bedrohung dar.
Die Saimaa-Robbe hat jedoch die letzte postglaziale Warmzeit überlebt und könnte dies wahrscheinlich auch in Zukunft tun, wenn sie die Chance dazu erhält.

Literatur
Originalarbeit:
A. Löytynoja, J. Pohjoismäki, M. Valtonen, J. Laakkonen, W. Morita, M. Kunnasranta, R. Väinölä, M.T. Olsen, P. Auvinen, & J. Jernvall, Deep origins, distinct adaptations, and species-level status indicated for a glacial relict seal, Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 122 (25) e2503368122, https://doi.org/10.1073/pnas.2503368122 (2025). – Open access.
Unterstützend verwendet:
Wikipedia zur Ringelrobbe, Saimaa-Robbe, Oscar Frithiof Nordqvist, Saimaa-Seensystem
Weiterführende Links:
Exploring an arctic relict seal – Interview mit drei der Studienautoren