Es klingt schon fast zum Lachen, die Polizei Bochum und andere Polizeibehörden im Ruhrgebiet fahnden nach einem Luchs – und der ist ihnen immer einen Schritt voraus.
Doch von Anfang an:
Laut Pressemeldung der Polizei Bochum ist der Luchs im November 2018 aus dem Wildpark in Haltern am See „entwichen“. Daraufhin wurde die Raubkatze erst einmal lange Zeit nicht gesehen. Anderen Quellen zufolge handelt es sich bei dem Wildpark um den „Hochwildpark Granat“, wo im Dezember selbsternannte „Tierschützer“ einige Gehege so beschädigt haben, dass einzelne Tiere entkommen konnten.
Am 10. März 2019 fotografierten Zeugen den Luchs in den späten Abendstunden an der Sodinger Straße in Herne. Am 11. und 12. März wurde er in der Nähe gesichtet, an der „Holper Heide“ und an der Dorastraße. Insbesondere diese Sichtungen wurden stark von den lokalen und regionalen Medien „betreut“, der Luchs wurde zu einer kleinen Berühmtheit – und tauchte wieder unter.
Ende April wurde der Polizei gemeldet, dass der Luchs in Castrop-Rauxel unterwegs ist. Zeugen hatten ihn in der Nähe vom Schloss Bladenhorst gesehen.
Am 8. Mai meldete ein Anrufer der Polizei Bochum, dass er den Luchs gegen 19:55 Uhr auf einem Feld an der Limbeckstraße in Bochum Werne beobachtet habe.
Zunächst: Von dem Luchs geht für Menschen, auch für Kinder keine Gefahr aus. Dennoch sollte man sich davor hüten, den Luchs in die Ecke zu treiben und selbstständig einfangen zu wollen. Wer immer den Luchs sieht, soll dies unter der bekannten Rufnummer 110 bei der Polizei melden.
Was macht der Luchs da draußen? Wie kommt er klar?
Luchs sind in Deutschland generell einheimische Tiere. Sie waren in Deutschland intensiv bis zur Ausrottung 1850 bejagt. Erst 150 Jahre später begann eine Wiederbesiedlung. Wichtige Zentren waren der Bayerische Wald, wo Luchse aus Tschechien selbstständig einwanderten. Auch der Harz wurde zur Wiederansiedlung ausgewählt. Mittlerweile leben Luche auch in der Eifel, Hessen und in vielen Mittelgebirgen. Anders als Wölfe, die etwa zur selben Zeit einwanderten, legen Jungluchse bei der Suche nach einem Revier selten große Entfernungen zurück. Sie besiedeln meist freie Nachbarreviere, so dass die Verbreitung wesentlich langsamer verläuft, jedoch eine dichtere Flächendeckung erreicht.
Wenn der Luchs seit November überlebt hat, hat er gelernt zu jagen. Das Beutespektrum der Luchse ist extrem groß und beginnt bei Mäusen und Ratten, geht über die im Ruhrgebiet stark vertretenen Füchse und Kaninchen bis zum Reh und Junghirsch. Auch Vögel und Fische fressen sie. Beute gibt es im mittlerweile recht grünen Pott also genug.
Dennoch scheint das Tier zu wandern, was vermutlich nicht an der Beuteverfügbarkeit liegt. Wahrscheinlicher ist, dass der Luchs versucht, Störungen durch Spaziergänger, insbesondere mit Hunden auszuweichen.
Vermutlich wird der Luchs erst sesshaft, wenn er ein Revier mit weniger Störung gefunden hat. Hierzu wird er vermutlich ins Bergische, ins Sauerland oder nach Norden ausweichen müssen. Wäre er nach seinem Ausbruch nicht nach Süden, sondern Osten gewandert, in den Lippeauen hätte der Luchs sicher einen geeigneten Lebensraum gefunden.
Erst wenn der Luchs sesshaft geworden ist, könnten Mitarbeiter des Wildparks Futterfallen aufstellen.
Warum nicht einfach in Ruhe lassen?
Ein Luchs ist kein besonders „wertvolles“ Zootier. Nordluchse sind in ihrer Gesamtheit nicht bedroht, sie vermehren sich in Zoos relativ gut und sind gut haltbar. Es dürfte für den Wildpark in Haltern ein Leichtes sein, sich aus dem Nachwuchs dieses Frühlings einen Ersatz für den entkommenen Luchs zu besorgen.
Der Luchs selber scheint auch nicht unter der neu gewonnen Freiheit zu leiden. Menschen sind nicht gefährdet, auch Haustiere werden nur in Ausnahmefällen angegriffen. Wieso lässt man ihn nicht einfach seine Luchsdinge machen?
Die Redaktion weiß nichts über die Herkunft des Luchses. Handelt es sich um ein Tier eines mitteleuropäischen Stammes, ist es ein Mischling aus verschiedenen Stämmen oder stammen seine Urahnen möglicherweise aus Sibirien? Man bemüht sich, die Wiederbesiedlung mit dem Aussetzen von genetisch „passenden“ Tieren zu unterstützen. Es wäre nicht gut, sibirisches Erbgut in den europäischen Stamm einzukreuzen.
Der Natur schadet ein Luchs mit Sicherheit nicht. Selbst dort, wo er regelmäßig jagt, nimmt die Anzahl der Rehe nicht ab. Die Jäger klagen dennoch, weil ein Luchs das Rehe und Hirsche „in Bewegung bringt“. Sie müssen ihre Gewohnheiten ändern und nutzen regelmäßig andere Unterstände. Die Jäger müssen daher länger nach ihren Tieren suchen. Die Waldbauern freuen sich im Gegenzug über den Luchs. Durch die Bewegung des Rotwildes verteilt sich der Verbiss an Jungbäumen. So wird die natürliche Vermehrung des Waldes gefördert.
Doch die Interaktionen sind noch vielschichtiger, zu vielschichtig, um sie hier abzubilden.
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Pressemitteilung der Polizei Bochum
Kaum berichteten wir …
Kaum berichteten wir davon, wird er auch schon eingefangen. Nach Informationen von RP-online hatte ein ortsansässiger Jäger das Tier am vergangenen Samstagabend (11.05.2019) entdeckt. Seine Hunde haben den Luchs erschreckt, der daraufhin auf einem Baum geflüchtet sei – und so in der Falle saß. Die Mitarbeiter des „Hochwildparkes Granat“, wo der Luchs frei gekommen war, konnten das Tier betäuben und mitnehmen. Holger Beckmann, Inhaber des Wildparkes, berichtete weiter, dass das Tier zunächst einmal in einer Quarantänestation in Rheine untergebracht worden sei. Es gehe ihm soweit gut, so die erste Diagnose.
In den Hochwildpark Granat in Haltern am See kann er aber vermutlich nicht zurückkehren. Da Luchse Einzelgänger sind, können sie nur zusammen in einem Gehege gehalten werden, wenn sie von klein auf aneinander gewöhnt sind. Selbst bei Geschlechtsparnern sind tierhalterische Kunstgriffe notwendig. „Seine Artgenossen werden ihn nach der langen Abwesenheit in ihrem Gehege nicht mehr akzeptieren“, so Beckmann.
Für die Wiederauswilderung geeignet?
Holger Beckmanns erster Eindruck scheint zu bestätigen, dass der Luchs in seiner neuen Freiheit nicht an Hunger gelitten hat. Das macht ihn möglicherweise zu einem besonderen Tier: Er hat ein halbes Jahr im Ruhrgebiet überlebt, er hat gelernt, mit Straßenverkehr und ständigen Störungen durch Menschen zurecht zu kommen. Sollte er genetisch „passen“, ist er ein wertvolles Tier für weitere Auswilderungsversuche. Mal sehen, ob der Hochwildpark Granat seinen Luchs für ein solches Projekt freigibt.
Und für einen echten Ruhrpöttler, wie im letzten halben Jahr aus dem Luchs geworden ist, „da is dat Sauerland abba sowat von Erholungsgebiet, dat glaubse nich!“
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Beitrag des WDR
Hier haben wir zwei Artikel vom 10. und vom 13.5.2019 zusammengefasst.