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Stele mit der Bezeichnung "Loch Ness", der See im Hintergrund, das Seeungeheuer fehlt.
Loch Ness, ohne Nessie. So ging es auch dem genannten Advokaten

Einen kleinen Einblick, wie es Anfang 1934 am Loch Ness zuging, bieten zwei deutsche Presseartikel aus dieser Zeit. Leider konnte ich den Beruf des „Ungeheuerführers“ in schottischen Zeitungen nicht bestätigen. Denkbar ist sicherlich vieles, auch, dass es sich bei diesen Meldungen bereits um antibritische Propaganda handelt. Schließlich befinden wir uns damals in der Nazi-Zeit.

 

 

 

Wir lesen in der „Neuen Mannheimer Zeitung“ vom 15. Februar 1934:

 

 

Prozeß um das Seeungeheuer – Einer, der nichts sah, verlangt Schadenersatz.

Das schottische Seeungeheuer von Loch Neß wird nunmehr auch die Gerichte beschäftigen. Das schottische Gericht soll ein Urteil fällen, ob das Seeungeheuer tatsächlich vorhanden ist, oder… ob es nur ein Reklametrick zur Förderung des Fremdenverkehrs ist. Täglich strömen immer noch Hunderte Besucher nach der berühmten Gegend, wo sich angeblich das Seeungeheuer aufhalten soll. Jeder will es sehen, und stundenlang stehen die Menschen und warten, ob die berüchtigte Seeschlange einmal auftauchen will. Es gibt zahlreiche phantasiebegabte Besucher, die steif und fest behaupten, daß sie die Seeschlange gesehen haben. Angeblich zeigt sich das Ungeheuer nur am späten Nachmittag, wenn es auf Nahrungssuche ausgeht.

 

Die Erzählung der Leute von ihrer Begegnung mit dem Seeungetüm haben bewirkt, daß in den letzten Wochen rund eine Million Pfund von Reisenden ins Land gebracht worden sind. Andere sprechen von mehreren Millionen Pfund, die der gesteigerte Fremdenverkehr eingebracht hat. Die Hotels, die bis zur Entdeckung leer waren, sind ausverkauft. In jedem Haus sind plötzlich möblierte Zimmer zu haben. Führer zum Seeungetüm preisen sich an und werden gern verpflichtet, denn diese Männer wissen die interessantesten Dinge von der Riesenschlange zu erzählen, mit der sie geradezu auf Du und Du stehen: so oft sind sie ihr bereits begegnet. Das „Jägerlatein“ steht in hoher Blüte.

 

Nun hat sich ein steifer englischer Advokat durch die vielen Berichte verleiten lassen, der Seeschlange auch einen Besuch von London aus abzustatten. Er kam. Und… sah, im Gegensatz zu Cäsar, nichts. Er ging zu allen Tageszeiten zu dem Seeungeheuer, aber es wollte sich nicht zeigen. Schließlich nahm er auch einen von den vielgerühmten Führern, die das Seeungeheuer unter allen Umständen sahen. Aber auch jetzt zeigte sich das Ungetüm nicht. Es wußte offenbar noch nichts von der innigen Beziehung zu dem Führer. Einmal deutete der Führer aufgeregt auf eine Stelle, wo angeblich das Ungeheuer zu sehen war. Es war aber nach der Ansicht des Advokaten nur eine leichte, vom Wind hervorgerufene Wellenbewegung oder Kräuselung des Wassers.

Der Advokat hat sein Geld umsonst ausgegeben, denn er ist überzeugt, daß das Untier nicht vorhanden ist. Er will Schadenersatz für seine Reiseunkosten, die er nicht gehabt hätte, wenn nicht das Gerede von dem Seeungetüm gewesen wäre. Wenn er nur Pech gehabt hat, kann er keinen Schadenersatz fordern. Das Gericht wird einen Lokaltermin um das Untier abhalten müssen.

Der Film wird als vollgültiger Beweis nicht angesehen. Hoffen wir, daß das Seeungeheuer sich auf seine große werbende Aufgabe besinnt und sich dem Gericht zeigt, denn sonst könnte mancher noch eine Schadenersatzklage anstrengen. Allerdings kann das Gericht nur die Feststellung treffen, daß es das Ungeheuer gesehen hat, wenn es der Fall sein sollte. Falls nicht, kann es dem Kläger auch nicht Schadenersatz zusprechen, da es ja… auch Pech gehabt haben kann.

 

 

eine ruhige Wasserfläche mit wenigen Wellen, in der Mitte ein Gegenstand unbestimmbarer Größe, aus dem ein langer Fortsatz in einem flachen Bogen nach oben geht und dort wie abgeknickt wirkt
Das als „Surgeon’s Picture“ bekannte Bild von April 1934.

 

Der Hinweis auf einen Film kommt recht unvermittelt. Es ist nicht ganz klar, welcher Film gemeint sein könnte. Es handelte sich wohl um die Aufnahmen von Malcolm Irvine vom 12. Dezember 1933, der damals auch in deutschen Wochenschauen lief.

Leicht neutraler und ohne Ungeheuerführer liest sich das ganze im „Karlsruher Tagblatt“ vom 21. Februar 1934 auf der Seite 3:

 

 

Das rentable Seeungeheuer

Ein Rechtsanwalt verklagt den Verkehrsverein von Loch Neß

 

Wenn alles trachtet, an dem berühmten und nicht beweisbaren Seeungeheuer von Loch Neß zu verdienen, können doch die Rechtsanwälte nicht beiseite stehen. Ein englischer Rechtsanwalt hat jetzt einen Schadenersatzprozeß gegen den Fremdenverkehrsverein, den die Anwohner des schottischen Seengebiets von Loch Neß rasch gebildet haben, angestrengt. Besagter Rechtsanwalt war neugierig auf das Ungeheuer, wie alle Engländer, und fuhr eines Tages zum Loch Neß, um sich das Ungeheuer anzusehen. Er hat wochenlang weder Mühe noch Kosten gescheut, das Fabeltier auszuspüren, hat aber nichts gesehen, als eine spiegelglatte Wasserfläche, um die sich anzusehen man keine weite Reise zu machen braucht.

 

Als der Anwalt enttäuscht in seine Heimat zurückfuhr, war er überzeugt, daß die ganze Angelegenheit mit dem Seeungeheuer ein großer Schwindel sei, der lediglich der Fremdenwerbung diene. Er hat seine Schadenersatzklage entsprechend formuliert. Das Gericht will demnächst einen Lokaltermin am Loch Neß abhalten. Denn anders läßt sich über den Prozeß schwer entscheiden. Hoffentlich ist das Ungeheuer dann bei guter Laune und zeigt sich den hohen Herren vom Gericht in seiner ganzen Schrecklichkeit.

 

Nunmehr liegt eine Bilanz vor, die die außergewöhnlich gute Rentabilität des Gerüchts von dem Seeungeheuer beweist. In den Statistiken des Fremdenverkehrs jenes schottischen Gebiets kann man jedes neue Auftreten des Ungeheuers mit einem deutlichen Anschwellen der Besucherkurve in Zusammenhang sehen. Den Gasthäusern und Hotels fiel ein erheblicher Gewinn zu, und die städtischen Behörden, die die Fremdenwerbung betreiben, brauchten für Propaganda nichts mehr auszugeben. Auch die Bodenpreise haben beträchtlich angezogen. Die Hotelbesitzer hoffen, daß die bevorstehende Sommersaison ebenso ertragreich sein wird, wie die Wintersaison. Schon jetzt herrscht große Nachfrage nach Häusern, die für die Ferienzeit gemietet werden sollen, und die städtischen Behörden werden mit Anfragen nach geeigneten Siedlungsterrains überschüttet.

 

Von Ulrich Magin

Ulrich Magin (geb. 1962) beschäftigt sich seit seiner Kindheit mit Kryptozoologie, insbesondere mit Ungeheuern in Seen und im Meer. Er ist Mitarbeiter mehrerer fortianischer Magazine, darunter der „Fortean Times“ und Autor verschiedener Bücher, die sich u.a. mit Kryptozoologie befassen: Magischer Mittelrhein, Geheimnisse des Saarlandes, Pfälzer Mysterien und Magische Mosel. Besondere Beachtung finden auch seine Bücher "Die Burg des Zwergenkönigs" und "Der Mord an Clara Schlürmann".