FlamingosDefinitiv zwei unterschiedliche Flamingo-Arten, aber wer ist wer?
Lesedauer: etwa 10 Minuten

Für mich als „Nachtarbeiter“ ist es eindeutig zu früh. Damit ich um 11 am Zwillbrocker Venn sein kann, muss ich das Haus tatsächlich um 8 verlassen. Da ist dann noch genug Reserve dabei, um beim Bäcker ein Frühstück zu holen und einen der drei anderen Teilnehmer am nächstgelegenen Busbahnhof abzuholen. Doch nun streikt die Navi-App. Bei der Migration der Software im vergangenen Jahr ist zwar die App aufs neue Handy gewandert, nicht aber die Karte für Nordwestdeutschland. Es fallen ein paar böse Worte, der Stresslevel steigt, für alle Fälle schreibe ich mir die Navigation von google Maps wenigstens rudimentär auf. Sowas brauche ich nicht, um diese Uhrzeit schon gar nicht. Nun beginnt der Tag auch noch mit Zeitdruck – und ohne ein frisches Brötchen.

 

 

45 km weiter: Noch immer keine Karte auf dem Handy, aber immerhin weiß ich, dass ich der A3/A2 folgen, dann auf die A31 und dort in Borken raus muss. Dann muss ich nur der B67 zur B70 folgen, bis Vreden und dann ist es beschildert, außerdem war ich schon einmal da. Doch kurz vor mir springt auf einmal die Stauzeit am Kreuz Kaiserberg von 1 Minute auf 15 Minuten. Was ist da los? Es klärt sich bald, also genau 12 Minuten später: Baustelle, man hat gerade von drei auf eine Spur verengt. Ich komme gerade so da vorbei, aber Spaß macht es spätestens jetzt nicht mehr. Von der Stunde Reserve sind schon 35 Minuten verbraucht.

 

Irgendwann hat dann das Handy auch die Karten heruntergeladen (300 MB mobile Daten, am Monatsanfang kein Thema) und das Navi zeigt jetzt Straßen statt einer grauen Fläche an. Ziel (Vreden Busbahnhof) angeben, 10:32 Uhr soll ich da sein. Puh, das sind nur 2 Minuten zu spät. Meine Laune verbessert sich, als dann auch noch B70 an den Schildern steht. Die Exkursion beginnt!

Tatsächlich kann ich die Zeit halten und Tim direkt einsammeln. Tim ist extra aus den Niederlanden angereist und hat in Vreden ein Hotel genommen.

Los geht’s zur Biologischen Station Zwillbrocker Venn, wo wir uns mit den anderen beiden Teilnehmern treffen wollen. Die Station macht am Wochenende erst um 12 auf, das stört aber nicht weiter. Einige Tische stehen im Schatten unter großen Bäumen, der nächste Teilnehmer ist auch schon da. Schnell gehen die Gespräche los, kein Wunder, wenn man das selbe Hobby hat. Und das babylonische Sprachgewirr: Tim versteht Deutsch, möchte aber nur Englisch sprechen. So radebrechen wir zweisprachig, was aber irgendwie lustig ist. Das kenne ich schon von anderen Veranstaltungen – die „deutsche Kryptozoologie“ wird international!

Mit ein paar Minuten Verspätung kommt dann noch der letzte Teilnehmer und setzt sich zu uns. Eigentlich könnte man auch hier sitzen bleiben, so angenehm ist es unter dem Baum. Da fehlt nur noch das Frühstück.

 

Graugänse
Das typische Sichern von zwei Graugänsen ermöglicht den anderen Tieren eher ruhiges Fressen im Gras

 

Irgendwann raffen wir uns doch auf, die Kryptiden locken zu sehr. Ja, tatsächlich. Das Zwillbrocker Venn ist einer der wenigen Orte in Deutschland, wo man Kryptiden ziemlich zuverlässig beobachten kann. Nur über die Straße und schon waren wir im Naturschutzgebiet. Die Landschaft ist für die Gegend typisch: offene Felder und Wiesen, dazwischen Baumreihen und Hecken, gelegentlich ein Wäldchen (oder ein Bauernhof), selbst die Randbereiche des Naturschutzgebietes werden bewirtschaftet. Zentraler Punkt des Naturschutzgebietes im Zwillbrocker Venn ist allerdings ein See, eher ein flacher Teich von vielleicht 32 ha. Durch eine große Lachmöwenkolonie oder eher durch deren Kot ist der See eutrophiert und bietet eine große Menge Plankton. Dieses wiederum zieht die Planktonfresser unter den Vögeln an. Ja, die gibt es tatsächlich, sie sind sogar ziemlich bekannt: Flamingos!

 

Maikäfer
Auf dem Weg zur Remise und später auch fanden wir einige Maikäfer, die am Ende ihres Lebens angekommen waren

 

Flamingos im Münsterland

Doch vor die Sicht auf die Flamingos haben die Götter und die Betreuer des Zwillbrocker Venns einen kurzen Weg gesetzt. Flach, gut ausgebaut und beschildert, so hat man es gerne. Bis zur „Remise“ ist es nicht weit. Diese Remise besteht aus drei Gebäuden, zunächst einem etwas erhöhten Beobachtungsstand, dann einem Gebäude mit Informationen und Shop und zuletzt – ähnlich wichtig, einer Toilette.

Der Beobachtungsstand eröffnet das erste Mal einen Blick auf den kleinen See, der sonst von Vegetation verborgen ist. Es gibt hier buchstäblich große Schwärme von Vögeln. Die Lachmöwen geben immernoch den Ton an, das kann man ruhig wörtlich nehmen, und das, obwohl sie tagsüber oft weit ins Hinterland fliegen. Enten und Teichhühner auf dem Wasser und tatsächlich: Flamingos. Von leicht rosé bis kräftig rosa sind sie gefärbt. Am besten sieht man die Tiere, die im Wasser stehen. Nicht wie im Zoo in einem knöcheltiefen Tümpel, hier geht ihnen das Wasser bis an die Brust.
Mindestens zwei Arten sind auch mit einem einfachen Fernglas oder bezahlbarem Teleobjektiv erkennbar, welche der drei bis vier Spezies es sind, kann ich jedoch nicht differenzieren. Vielleicht liefern die Bilder hinterher noch eine bessere Chance.

 

Flamingos sind DIE Attraktion im Zwillbrocker Venn
Definitiv zwei unterschiedliche Flamingo-Arten, aber wer ist wer?

 

Zwischen den Flamingos tummeln sich noch weitere Wasservögel. Stockenten, Reiherenten, Blesshühner und einen weiteren, etwas kleineren schwarzen Schwimmvogel kann ich erkennen. Die von hier gemeldeten, seltener zu beobachtenden Arten haben sich dann wohl doch verzogen. Trotz der schützenden Baumreihen vor dem Wasser und einem breiten Heide- und Schilfgürtel sind am Samstag dann doch zu viele Menschen hier.

 

 

Gründelnde Flamingos
Wenn Flamingos gründeln, hat das was von Bojen

 

Die freien Flamingos zeigen ein Verhalten, das man im Zoo so nur selten beobachten kann. Sie gründeln wie Stockenten: In tieferem Wasser wirbeln sie mit den Füßen den Boden auf und kippen dann nach vorne: „Köpfchen in das Wasser, usw.“. Das, was dann zu sehen ist, wirkt auf den ersten Blick wie eine kegelförmige, ausgeblichene Boje. Ich war erstaunt, wie lange es diese Vögel dabei aushielten.

 

Gründelnde Flamingos
Wie tief das Wasser ist, sieht man an dem Flamingo rechts im Bild

 

Weiden, Heiden und Moore im Zwillbrocker Venn

Auf dem Weg zum zweiten Beobachtungsstand ging es durch einen lockeren Wald, der hauptsächlich den Wanderweg verschattet. Auf der Seeseite des Weges wechselten sich Moore mit Heide ab, auf der Landseite sind oft landwirtschaftlich genutzte Flächen. Viele dieser Flächen sind Weiden für Rinder, auf denen sich auch Gänse wohl fühlen. Insbesondere in der Nähe kleiner Lachen standen sie in Gruppenstärken von fünf bis etwa 25 Tieren. Typisch: Zwei Tiere sicherten den Trupp zum Wanderweg hin ab, aufmerksam, mit gereckten Hälsen, während andere Gänse sich um die Jungen kümmerten, fraßen oder ruhten.

 

Vorsicht auch im Zwillbrocker Venn
Passt auf! Besser ist es, auf den Wegen zu bleiben

 

Neben den einheimischen Graugänsen fanden wir auch Kanada- und Nonnengänse. Immer wieder hörten wir das Rufen eines Kuckucks, mittlerweile leider auch eine Seltenheit. Auch ein Fasan gesellte sich zum Konzert, ließ sich aber auch nicht blicken. Für die Beobachtung der Bodenvögel war die Vegetation eigentlich schon zu hoch, wir hätten früher kommen sollen, andererseits …

 

Nonnengänse
Auch Nonnengänse pflegen die Arbeitsteilung

 

Der zweite Beobachtungsstand

Der zweite von uns angelaufene Beobachtungsstand steht im Osten des Sees. Eine Blickrichtung öffnet sich über den See, wobei die meisten Vögel zu weit weg sind, um sie gut erkennen und bestimmen zu können. Dafür ist der Überblick nach links bzw. nach unten in die Heide um so schöner. Eine nicht identifizierte Grasmücke nistet bzw. füttert in einem Gebüsch, etwa 10 m vom Beobachtungsturm entfernt. Zwischen den Büscheln in der Feuchtheide taucht gelegentlich ein Kopf mit einem langen Schnabel auf oder ein tarnfarbener Vogelhintern zeigt sich. Welche Vögel genau das sind, kann ich nicht erkennen, aber offenbar geübtere Vogelbeobachter identifizieren das Tier aufgeregt als Schnepfe. Der große Brachvogel, der Rotschenkel und die Uferschnepfe meldet die Website der biologischen Station, aber es bleibt letztlich ein Rätsel.

 

Grasmücke
Eine männliche Grasmücke, aber was für eine?

 

Kein Rätsel blieb, wer ganz am Rande des Sichtfeldes, fast vor dem Waldrand brütete. Das Teleobjektiv zeigte dann doch zwei Kraniche und mindestens ein Jungtier. Definitiv ein Highlight der Tour.

 

Kraniche in der Heide des Zwillbrocker Venns
Ein Kranich-Pärchen mit Nachwuchs, kaum zu erkennen, ein Großteil des Zwillbrocker Venns ist Heide

 

Übrigens: In den Beobachtungsständen haben die Betreuer zahlreiche Tafeln aufgehängt, die die dort vorkommenden Vögel zeigen und kurze Erklärungen zu ihnen tragen. Das erleichtert vielen Besuchern, die Tiere tiefergehend, über „andere Ente“ hinaus zu identifizieren.

 

Insekten

Warm, trocken bis nass, Sonne, da kommen die Insekten raus – sollte man meinen. Insgesamt macht das Zwillbrocker Venn in diesem Jahr den Eindruck, als wäre es sehr trocken. Gräben sind eingetrocknet, Bäume werfen grüne Blätter ab. Ist das der Klimawandel oder „nur“ die Dürrewelle, die seit drei Jahren Norddeutschland herrscht?

 

 

Das wirkt sich auch auf die Zahl der Insekten aus. Sicherlich ist das nicht die einzige Ursache dafür, dass wir vergleichsweise wenige beobachten. Die nahe gelegenen Mahdwiesen, Mais- und Getreidefelder werden sicher nicht ohne Insektizide bewirtschaftet. So sehen wir nur wenige Schmetterlinge, außer ausgelaugten Maikäfern keine einzige Käferart und auch die sehr artenreiche Großlibellenfauna des Zwillbrocker Venns übt sich in Zurückhaltung. Einige der Mini-Hubschrauber können wir von den Beobachtungsständen sehen, ein Tier posierte wunderbar im Sonnenschein. Bei meinen letzten Besuchen war hier mehr los – allerdings ist angenehm, dass auch die Blutsauger gerade anderswo beschäftigt sind.

 

Der See im Zwillbrocker Venn
Der See von Westen aus gesehen

 

Ausklang

Wir folgten weiter dem Weg um den See herum, weiter durch die Wälder des Zwillbrocker Venn. Die bei meinem letzten Besuch sehr attraktive dritte Aussichtshütte erwies sich dieses Mal als Niete. Hier gab es nicht so viel zu sehen, so dass wir lieber die Bänke dahinter ansteuerten und dann die nicht mehr so lokale Kryptozoologie ein Thema wurde. So blieb es auch beim Weg zur Biologischen Station, die wir kurz besuchten.

Auf dem Weg zu einem nahe gelegenen Biergarten ging es noch an der Barockkirche St. Franziskus vorbei, die zu einem ehemaligen Minoritenkloster gehörte und deren Umgebung sehr gepflegt wirkt. Der Biergarten lockte dann aber mit kühlen Getränken und Kuchen.

 

Fazit

Es hat sich gelohnt, ins Zwillbrocker Venn zu fahren, nette Leute zu treffen und über Kryptozoologie zu sprechen. Die Beobachtungsmöglichkeiten sind in der Woche sicher besser, als am bevölkerten Wochenende. Für mich hat sich die Tour vor allem wegen der Teilnehmer gelohnt, noch einmal ganz herzlichen Dank, dass Ihr dabei ward.

Es wird weitere Exkursionen geben, auch wieder in NRW. Wann genau ist noch unklar, aber wir informieren euch mehr als rechtzeitig.

Von Tobias Möser

Tobias Möser hat Biologie, Geologie und Wirtschaftswissenschaften studiert. Schon als Kind war er vor allem an großen Tieren, Dinosauriern, später Walen interessiert. Mit der Kryptozoologie kam er erst 2003 in näheren Kontakt. Seit dieser Zeit hat er sich vor allem mit den Wasserbewohnern und dem nordamerikanischen Sasquatch befasst. Sein heutiger Schwerpunkt ist neben der Entstehung und Tradierung von Legenden immer noch die Entdeckung „neuer“, unbekannter Arten. 2019 hat er diese Website aufgebaut und leitet seit dem die Redaktion.