Der Wolterstorff-Molch ist eine ausgestorbene Schwanzlurch-Art, die zu den Feuerbauchmolchen der Gattung Cynops gehörte. Diese Gattung kommt im südöstlichen China und in Japan vor und hat die Tendenz, Endemiten zu bilden. Alle sieben Arten der Feuerbauchmolche leben stark wassergebunden, haben eine raue Haut und erreichen in der Regel 8 cm bei den Männchen und 10 cm bei den Weibchen. Der Wolterstorff-Molch bildet hier eine bemerkenswerte Ausnahme.
Unser Tier des MonatsAuch in diesem Jahr haben wir wieder einen Kalender zur Kryptozoologie herausgebracht. Thema in diesem Jahr sind neuzeitlich ausgestorbene Tiere. Wir haben in diesem Jahr 13 wunderschöne Aquarelle, Tuschezeichnungen, Stiche und Ölgemälde von neuzeitlich ausgestorbenen Tieren vom Gilb der Zeit befreit, ihre Farben wieder zum Glänzen gebracht und sie für den Kalender aufbereitet. |
Der Wolterstorff-Molch Cynops wolterstorffi war endemisch im Dian-See und den Zuflüssen in der unmittelbaren Umgebung. Der Dian-See ist ein Gebirgssee in etwa 1900 m Höhe, an seinen Ufern liegt die Großstadt Kunming. Der See selbst ist mit seiner Fläche von 298 km² und einer Länge von 39 km knapp dreimal so groß wie Deutschlands größter See, die Müritz (113 km²). Ungewöhnlich für einen Gebirgssee ist die geringe durchschnittliche Tiefe von nur 4,4 m. Ursprünglich wies der Dian-See eine große Biodiversität auf. Hier lebten 25 Fischarten und -unterarten, davon 10 Arten, die im Einzugsgebiet des Sees endemisch sind. Ebenso war der See für seine endemische Wasserpflanzenflora bekannt.
Lage des Dian-Sees in der Stadt Kunmin, Provinz Yunnan, VR China
Der Wolterstorff-Molch
Der Wolterstorff-Molch ist für einen Feuerbauchmolch ausgesprochen groß und kräftig gebaut. Weibchen erreichten bis zu 16 cm Gesamtlänge, Männchen blieben mit 12 cm ein Stück kleiner (Die Angaben im Kalender bitte korrigieren!). Die Tiere trugen eine erhabene Rückenleiste, die sich bis weit über den Schwanz erstreckte. Während der Paarungszeit zeigten die Männchen am Schwanz eine tiefblaue Färbung. Ihre Haut war glatter als die des verwandten Japanischen Feuerbauchmolches (Cynops pyrrhogaster), jedoch rauer als beim Chinesischen Feuerbauchmolch (Cynops orientalis). Vermutlich war das Fleckenmuster am Bauch der Tiere individuell und veränderte sich im Laufe der Individualentwicklung nur langsam. Ähnlich wie bei anderen gefleckten Amphibien hätte man es zur individuellen Erkennung nutzen können.
Zur Biologie des Wolterstorff-Molches ist wenig bekannt. Andere Feuerbauchmolche ernähren sich räuberisch von Insekten und deren Larven, Krebstieren, Kleinfischen und anderen kleinen Tieren. Dies ist auch bei Cynops wolterstorffi zu erwarten.
Vermutlich haben die Tiere das Wasser kaum oder gar nicht verlassen. Den Winter verbrachten sie im tieferen Wasser des Sees. Während der Fortpflanzungszeit, in April und Mai sammelten sie sich zu Tausenden im Flachwasser des Sees und in Zuflüssen, in Be- und Entwässerungskanälen.
Die verwandten, heute noch lebenden Arten legen etwa 80 bis 200 Eier, die in schleimigen Schnüren unter Wasser an Pflanzen aufgehängt werden. Bei den verwandten Arten dauert die Larvalentwicklung bis zur Metamorphose etwa 50 bis 80 Tage. Da der Wolterstorff-Molch größer war, hat er vermutlich entsprechend mehr Eier produziert. Eier und Larven von C. wolterstorffi sind jedoch nicht bekannt.
Oft fand die Metamorphose nur unvollständig statt, viele Museumsexemplare weisen Kiemenreste unterschiedlicher Länge auf. Insgesamt zeigt die Art eine starke Tendenz zur Neotenie, also der Ausprägung larvaler Merkmale im Adultstadium.
Eine Abbildung lebender Tiere ist nicht sicher bekannt. Ein Kandidat stammt aus der Erstbeschreibung, die hier und in unserem Kalender „Ausgestorbene Tiere“ dargestellt wird. Leider konnten wir bisher nicht herausfinden, ob Boulenger nach dem Leben oder ein Totpräparat gezeichnet hat. Im Netz findet man zudem einige Fotos von Museumsexemplaren vom Wolterstorff-Molch, die wir aus rechtlichen Gründen nicht zeigen dürfen.
Das Aussterben
Im Rahmen des „Großen Sprungs nach vorn“ (1958 – 61) begann sowohl die Umformung des Ökosystems um den Dian-See als auch das Wachstum der Stadt Kunming. Die umliegenden Marschländer wurden in Reisfelder umgewandelt, indem man von weither Mutterboden ankarrte und aufschüttete. Die massiv wachsende Stadt entnahm immer mehr Wasser aus dem See und pumpte das Abwasser der Haushalte und Fabriken weitgehend ungeklärt zurück.
Gleichzeitig wurden „moderne“ Fische im See ausgesetzt, hauptsächlich Graskarpfen. Zudem sollen Chinesische Ochsenfrösche (Hoplobatrachus rugulosus) als Speisetiere im Marschland angesiedelt worden sein.
Dies wirkte sich verheerend aus. Waren der Wolterstorff-Molch in den 1950ern noch häufig, konnte eine Expedition 1979 kein Exemplar mehr finden. Ein Fischer berichtet, er habe 1984 noch ein Einzeltier gesehen.
Auch die anderen endemischen Arten verschwanden. Von den zehn endemischen Fisch(unter)arten
- Acheilognathus elongatus, ein bitterlingsartiger Karpfenfisch, der etwa 7 cm erreichte
- Anabarilius alburnops, ein über 30 cm groß werdender Karpfenfisch aus der Gattung der Ukeleien
- Anabarilius polylepis, mit der vorherigen Art nahe verwandt, aber kleiner blieb
- Cyprinus micristius micristius, ein Karpfenartiger im engeren Sinne,
- Liobagrus kingi, ein Wels aus der Familie der Schlankwelse (Amblycipitidae)
- Pseudobagrus medianalis, ein Wels aus der Familie der Stachelwelse (Bagridae)
- Silurus mento, ein Wels aus der Familie der echten Welse (Siluridae), er erreichte etwa 21 cm Gesamtlänge
- Sinocyclocheilus grahami, eine etwa 17 cm lange Barbe
- Sphaerophysa dianchiensis, eine Bachschmerle (Fam. Nemacheilidae) und
- Xenocypris yunnanensis, eine Art aus der Familie der asiatischen Karpfen (Fam. Xenocyprinidae)
gelten alle bis auf Anabarilius alburnops als ausgestorben. Doch auch diese Art ist seit den 1990ern verschollen. Ob in dem See noch weitere, endemische Amphibien vorkamen, konnte ich nicht herausfinden.
Die beiden einzigen (nicht endemischen) heimischen Arten, die heute noch im See leben, sind der Goldfisch und der Ostasiatische Kiemenschlitzaal (Monopterus albus). Dafür leben nun 25 Arten nicht einheimischer Fische im See bzw. dessen Randgewässern.
Das Wasser im See ist so stark verschmutzt, dass es seit 2001 weder für landwirtschaftliche noch für industrielle Zwecke genutzt werden kann und als Trinkwasser aufwändig gereinigt werden muss. Es kam zu mehreren großen Fischsterben, die vermutlich mehr als 55% der Fischpopulation ausgelöscht haben.
Letztlich kann man das Aussterben des Wolterstorff-Molches auf drei sich verstärkende Eingriffe zurückführen:
- Wachstum der Stadt Kunming und die ungeklärte Einleitung der kommunalen und industriellen Abwässer in den See
- Verlust geeigneter Lebensräume durch Landgewinnung für Reisfelder, vor allem im Norden des Sees
- Verstärkung bzw. Einführung von Fressfeinden wie Graskarpfen, Enten und Chinesischen Ochsenfröschen.
Wann genau der Wolterstorff-Molch ausgestorben ist, wird wohl unklar bleiben.
Für die Taxonomen unter uns:
- Erstbeschreibung als Molge wolterstorffi Boulenger, 1905, in:
Boulenger, G. A. 1905. Description of a new newt from Yunnan. Proceedings of the Zoological Society of London 1905: 277.
Syntypen sind: BMNH 1946.9.6.30–34 (formerly 1905.30.51–59) - Triturus wolterstorffi — in Dunn, E. R. 1918. The collection of Amphibia Caudata of the Museum of Comparative Zoology. Bulletin of the Museum of Comparative Zoology. Cambridge, Massachusetts 62: 445–471.
- Triton (Cynops) wolterstorffi — Wolterstorff, W. 1925. Katalog der Amphibien-Sammlung im Museum für Natur- und Heimatkunde. Erster Teil: Apoda, Caudata. Abhandlungen und Berichte aus dem Museum für Natur- und Heimatkunde zu Magdeburg 4: 231–310.
- Hypselotriton wolterstorffi — Wolterstorff, W. 1934. Über die Gattung Hypselotriton. Zoologischer Anzeiger 108: 257–263.
- Cynops wolterstorffi — Chang, M. L. Y. 1935. Note préliminaire sur la classification des salamandres d’Asie orientale. Bulletin de la Société Zoologique de France 60: 424–427.
- Hypselotriton wolterstorffi — Wolterstorff, W., and W. Herre. 1935. Die Gattungen der Wassermolche der Familie Salamandridae. Archiv für Naturgeschichte. Zeitschrift fur Systematische Zoologie. Neue Folge Band. Leipzig 4: 217–229.
- Triturus wolterstorffi — Liu, C.-c. 1950. Amphibians of western China. Fieldiana. Zoology Memoires 2: 1–397 + 10 pl.
- Hypselotriton wolterstorffi — Freytag, G. E. 1962. Über die Wassermolchgattungen Paramesotriton Chang, 1935, Pingia Chang, 1935, und Hypselotriton Wolterstorff, 1934 (Salamandridae). Mitteilungen aus dem Zoologischen Museum in Berlin 38: 451–459.
- Cynops (Hypselotriton) wolterstorffi — Scholz, K. P. 1995. Zur Stammesgeschichte der Salamandridae Gray, 1825. Eine kladistische Analyse anhand von Merkmalen aus Morphologie und Balzverhalten. Acta Biologica Benrodis. Düsseldorf 7: 25–75.
- Hypselotriton (Hypselotriton) chenggongensis — Dubois, A., and J. Raffaëlli. 2009. A new ergotaxonomy of the family Salamandridae Goldfuss, 1820 (Amphibia, Urodela). Alytes. Paris 26: 1–85.
Aktuell meist verwendet: Cynops wolterstorffi (Boulenger, 1905)
Es soll nicht verschwiegen werden, dass einige Herpetologen C. wolterstorffi „nur“ für eine besonders große Lokalform des Feuerbauchmolches Cynops cyanurus halten.
Literatur:
- Deutsche und englische Wikipedia zum Wolterstorff-Molch
- Amphibiaweb zu Cynops wolterstorffi und anderen Cynops-Arten
- Englische Wikipedia zum Dian-See
- Wang, S., Wang, J., Li, M. et al. Six decades of changes in vascular hydrophyte and fish species in three plateau lakes in Yunnan, China. Biodivers Conserv 22, 3197–3221 (2013). https://doi.org/10.1007/s10531-013-0579-0
- https://amphibiansoftheworld.amnh.org/Amphibia/Caudata/Salamandridae/Pleurodelinae/Hypselotriton/Hypselotriton-wolterstorffi