Dieser Beitrag über den Basajaun erscheint in zwei Teilen. Zu Teil 1
Der unsichtbare Wächter des Waldes
“So etwas passiert nicht jeden Tag” – so kommentierte die erstaunte spanische Tageszeitung El País die simultane Veröffentlichung eines Romans in gleich vier spanischen Landessprachen (El País vom 17. Januar 2013):
El Guardían Invisible ist ein sehr erfolgreicher Mystery-Krimi. Verleger aus 13 Ländern haben seine Rechte gekauft. 2017 wurde er verfilmt – von den Produzenten des bekannten Krimi-Autors Stieg Larsson (El País vom 17. Januar 2013). El Guardian Invisible (zu Deutsch: “der unsichtbare Wächter”) spielt im Valle del Baztán, dem baskischen Teil der Autonomie Navarra. Seine ausgedehnten Wälder mit ihrer mystischen Aura waren es, welche Autorin Dolores Redondo jene dunkle Atmosphäre gaben, die sie für die mysteriösen Ritualmorde an jugendlichen Mädchen als Auftakt ihrer Triologie suchte. Die Figuren personifizieren das “Patria Chica”, das in Spanien so typische Gefühl lokaler Zugehörigkeit, ausgedrückt in seinen Traditionen und Legenden. Doch der Wald im tiefen Norden Spaniens ist dabei weit mehr als ein passiver Statist. Er birgt ein Geheimnis. Und auch auch wenn die Handlung des Krimi getreu dem Matriarchat der Region von den Frauen einer Familie getragen wird – der heimliche Held ist ein Anderer.
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Der Wächter
Im Film taucht er erst ganz am Ende auf – als Wächter über das Gleichgewicht zwischen Leben und Tod – verhilft er der leitenden Ermittlerin Amaia Salazar schließlich zum Durchbruch. Er ist der “Herr des Waldes”. Die Basken nennen ihn Basajaun. Ein Wesen aus der lokalen Mythologie, das die Wälder beschützt. Der Film macht indes keinen Hehl daraus, was die Verwandtschaft des unsichtbaren Wächters betrifft:
“Es ist eine große Kreatur, komplett behaart. Ein mythologisches Wesen, das die Wälder beschützt. – So wie Bigfoot? – So oder so ähnlich. – Nur älter.” (Originalzitat aus El Guardián Invisible, 2017,
aus: Podcast. El Último Pedlaño vom 28. September 2019. Minuten 32:47 – 32:55, Übersetzung von Peter Ehret)
Eine “endemische Art” als Repräsentant der Kultur Euskadis
Ein Bigfoot in einem baskischen Krimithriller – das klingt auf den ersten Blick nach einer lokalen Adaptation von Akte X. Und tatsächlich berechtigt die FBI-Ausbildung der Hauptfigur teilweise zu dieser Assoziation (ABC vom 20. August 2013). Doch Redondo´s Basajaun kommt nicht aus Amerika, sondern erscheint als fester Teil der lokalen Mythologie. “Bis vor noch 100 Jahren glaubten die Menschen hier mehr an diese Wesen mehr als an die Heilige Dreifaltigkeit” (El País vom 17. Januar 2013).
Auch in der Literatur bekannt
Daher verwundert es nicht, dass der Mythos des Basajaun auch in ganz anderen literarischen Produktionen verarbeitet wird. So zum Beispiel im illustrierten Kinderbuch von Bakarne Atxukarro und Ikaskun Zubialde aus dem Jahre 2019: “Wir wollen, dass unsere Kleinen jene Geschichten kennenlernen, die wir als Kinder erzählt bekommen haben”. Der Basajaun soll dabei nicht nur das Interesse der jungen Leser wecken, sondern kommuniziert als fester Bestandteil der lokalen Kultur auch bestimmte Werte und Weisheiten, “von denen wir glauben, das wir sie nicht verlieren sollten”. Der “Wächter des Waldes” übernimmt dabei die Rolle des Kulturvermittlers (El Diario Vasco vom 29. November 2019).
Natürlich darf der Basajaun dann auch auf dem mythologischen Wanderweg in Urdaibai nicht fehlen. Der Künstler Robert Garay konstruierte eine fast Meter hohe- und 1500 Kilo schwere Statue des Basajaun aus Lianen, Rinde und Stämmen von Eukalyptus- und anderen Bäumen. Ziel des mythologischen Wanderpfades ist es, dem Besucher die Mythologie (und kulturelle Identität) der Region näherbringen (El Correo vom 23. März 2013)
Und ja – auch das muss an dieser Stelle erwähnt werden – Basajaun war auch der Deckname für ein Kommando der baskisch-nationalistischen Untergrund- und Terrororganisation ETA, das in Navarra und dem baskischen Guipúzcoa operierte (El País vom 19. November 2003)
Der Basajaun ist ein sehr baskischer Hominide. Von einer nachträglichen Adaptation des amerikanischen Bigfoot-Mythos kann beim Basajaun also keine Rede sein!
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Ein echter Hominide
Der Begriff “Basajaun” setzt sich zusammen aus den baskischen Wörtern “Basa” (“wild”, “bestialisch”) und “jaun” (“Señor” oder “Mensch”) –im Spanischen wird er trotzdem weitläufig mit “Señor del Bosque” (“Herr des Waldes”) übersetzt (Criptozoologia en Español). Der Basajaun ist in der Tiefe der Wälder zu Hause. Gelegentlich soll er auch in Höhlen leben. Er ist gross. Sein menschlicher Körper ist komplett mit Haaren bedeckt, die ihm bis zu den Knien reichen und auch über Gesicht und Brust wachsen. (Hirus.eus) Lediglich einer der Füsse ist nicht – wie der Andere – menschenähnlich, sondern endet in einem runden Huf oder Klaue (Sobre Leyendas). Dennoch geht er auf zwei Beinen – wie der Mensch – steht den tierischen Waldbewohnern in seiner Agilität allerdings in nichts nach.
Charakteristisch sind seine Schreie, die an die “Irrintzina” der baskischen Schäfer erinnern sollen (Criptozoologia en Español) – ein sehr schriller Ton, mit denen man in den Bergen des Baskenlands zu kommunizieren pflegte (Beispiel unten, Minute 0:33)
Geist oder reales Wesen?
Natürlich gibt es auch beim Basajaun eine transzedentale Komponente als “Wächter” des Lebens im Wald und Hüter eines Kultus des Respekts (Podcast. Monographias Zona Cero, Minuten 1:36 – 2:11) ein Attribut, das man im Übrigen auch beim Yeti des Himalyas findet (Siiger, 1978: 427 – 428). Im Gegensatz zu dem jenseitigen Dasein vieler hominider Naturgeister aus der antiken Mythologie Europas (Magin, 1986: 64), wird im Zusammenhang mit dem Basajaun jedoch immer wieder betont, dass es sich dabei um ein physisch real existierendes Wesen handelt.
Mit seiner Existenz war es allerdings mit dem Einzug des Christentums vorbei. Als ein Stern von Christi Geburt kundtat, war das Ende dieser Spezies besiegelt. Der Grund dafür liegt in der heidnischen Kultur des Basajaun – ein zentrales Unterscheidungsmerkmal zu den Menschen. Der Einzug des Christentums beendete die heidnischen Kulturen – und mit ihnen auch die Existenz des Basajaun. Das reale Wesen verschwand – und die Sage begann. (Podcast. Monographias Zona Cero, Minuten 2:42 – 4:08; Minuten 6:18 – 6:49).
Schäfers Freund und Helfer
Der Basajaun ist nicht der einzige wilde Mann in der baskischen Mythologie. Auch in den baskischen Erzählungen findet man die polyphemen Kreaturen und Giganten. die man auch aus der griechischem Mythologie kennt (Magin, 1986: 64) und denen man auf der iberischen Halbinsel die Konstruktion der Dolmen zuschrieb.
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Die mythologische Rezitation des Basajaun als reales Wesen ist eine Sache. Konkrete Sichtungen eine andere. Auch wenn der Basajaun im kulturellen Universum der baskischen Gegenwart noch sehr präsent ist, so steht er doch Pate für Leben abseits der menschlichen Zivilisation und übernimmt die Rolle ihres natürlichen Antipoden (Podcast. Monographias Zona Cero. Minuten 18:38 – 18: 49).
Rezente Sichtungen des Basajaun?
Die mythologische Rezitation des Basajaun als reales Wesen ist eine Sache. Konkrete Sichtungen eine andere. Auch wenn der Basajaun im kulturellen Universum der baskischen Gegenwart noch sehr präsent ist, so steht er doch Pate für Leben abseits der menschlichen Zivilisation und übernimmt die Rolle ihres natürlichen Antipoden (Podcast. Monographias Zona Cero. Minuten 18:38 – 18: 49).
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Allerdings berichtet der baskische Folklorist José María Satrústegui in seinem Buch Mitos y Creencias von einem Informanten vom Roncesvalls-Pass bei Valcarlos und Ondarolle an der spanisch-französichen Grenze. Dieser hatte in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts mit den lokalen Schäfern gesprochen. Sie bestätigten ihm nicht nur die reale Existenz des Basajaun, sondern wollen ihn auch selbst zu Gesicht bekommen haben. (Podcast. Monographias Zona Cero. Minuten 18:55 – 19:46). Ein alter Schäfer berichtete gar davon, dass das Wesen ihn in Aitzurre besucht hatte (De la Rubia-Muñoz, 1995: 23). Dennoch bleiben diese Sichtungen im Falle des Basajaun eher die Ausnahme, selbst wenn im Baskenland öfter von Begegnungen mythologischen wilden Männern die Rede ist – der Basajaun wird in der Regel als Repräsentant einer weiter zurückliegenden mythologischen Epoche gesehen. (Podcast. Monographias Zona Cero. Minuten 19:46 – 20:41).
Die Spitze des Eisbergs
Es ist, – wie gesagt, – schwierig, eine klare Grenze zwischen Basajaun und anderen wilden Männern des Baskenlands zu ziehen. Das beweist der Bericht des französischen Architekten Julien David Leroy aus dem Jahre 1776. Dort nahm er eigentlich zur Nutzung der Wälder in den baskischen Pyrenäen Stellung. Allerdings wird darin auch erwähnt, dass die Bewohner von Irati mehrmals einem großen wilden Mann begegnet sind, dessen Körper behaart war und der einen ähnlichen Warnschrei wie eine Gämse von sich gab. Gelegentlich tauchte er in den Unterschlüpfen auf, ohne jedoch etwas von den Lebensmitteln anzurühren, da er von landwirtschaftlichen Erzeugnissen wie Käse, Brot oder Milch keine Ahnung hatte. Lediglich die Lämmer trieb er mit Freude lachend vor sich her – bis sie Hunde ihn in die Flucht trieben und er auf Distanz ging (Criptozoologia en Español).
Wilde Männer in Spanien: früher…
Wenn man nun den Fokus auf die ganze iberische Halbinsel ausdehnt, eröffnet sich ein ganzes Universum von Begegnungen und Sichtungen von Wilden Männern. Nicht wenige von ihnen reichen bis in die heutige Zeit hinein.
Ebenfalls aus den Pyrenäen, dafür aber weiter südlich, hört man von dem Nonell de la Neu (Nonell des Schnees) – es soll sich bei der Kreatur um einen verfluchten Jungen namens Nonell handeln. Er ist ein schwerer animalisch aussehender Gesellte, bedeckt mit weißem Haar. Sein Erscheinen kündet von den ersten Schneefällen – und gilt ganz allgemein als böses Omen (De la Rubia-Muñoz, 1995: 23). Auch wenn hier schon ein Unterschied zu dem rein eremitisch lebenden Basajaun feststellbar ist, so kann man bei diesen Gestalte zumindest noch eine gewisse Ähnlichkeit entdecken.
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Inwiefern der wilde, aber friedliebende Basajaun noch etwas mit den schimpansenartigen Simiots zu tun hat, welche im 17. Jahrhundert in das von Überschwemmung und Unwetter geplagte Perpignan in Frankreich einfielen und kleine Kinder raubten, solange bis die zeitweilige Überführung zweier toter Heiliger aus Rom ihre Raubzüge stoppte, steht da schon auf einem anderen Blatt (Criptozoologia en Español). Nicht nur aus den Pyrenäen, auch aus der Sierra Nevada bei Granada kommen Geschichten von monos caretos, kleine, affenähnliche Monster, welche Bergsteigern und Wanderern das Leben schwer machen sollen (Leyendas Urbanas). Auch ihre Spuren im Schnee sollen schon gefunden worden sein (De la Rubia-Muñoz, 1995: 24) …
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…und heute
So vielfältig die mythologischen wilden Männer aus den Pyrenäen und Spanien, so zerstreut auch die Verteilung der Sichtungen aus der heutigen Zeit. Und so verfließt auch schnell die Grenze zu anderen forteanischen Phänomenen.
Von den Kanarischen Inseln kennen wir beispielsweise eine Sichtung aus dem Jahre 1976 von drei 3-Meter grossen Kreaturen. Auch wenn dabei keine Lichter am Himmel beobachtet wurden, wird die Begegnung später als UFO-Sichtung interpretiert. (Magin, 1986: 66). Ähnlich in Galizien 1988. Dort sollen drei Anwohner wiederholt von Schreien geweckt worden sein – beim Nachsehen sahen sie schimpansenähnliche Kreaturen, begleitet von weißen Lichtern… eine Bigfoot-UFO-Story wie aus dem Buch von Jane und Colin Bord. Fast schon überflüssig zu erwähnen, dass der “Affe” bald auch unter dem Namen Lobisome fungierte, den galizischen Namen für Werwolf. (De la Rubia-Muñoz, 1995: 24 – 25) Ganz anders im südspanischen Murcia. Ein Anwohner sah an einem Flussufer nachts eine große menschenähnliche Gestalt unter einem Baum – ein klassischer Bigfoot (Podcast. El Último Peldaño vom 28. September 2019. Minuten 0:00 – 0:30)
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Spurenfunde?
Auch von Spurenfunden Pyrenäen wurde mehrmals berichtet. (Podcast. El Último Peldaño vom 28. September 2019. Minuten 23: 26 – 23:40, Siehe auch: De la Rubia-Muñoz, 1995: 23) Generell sind die Pyrenäen so etwas wie ein “Hot Spot” der spanischen Hominidensichtungen. 1993 hörte eine Gruppe Speläologen, die eine Nacht in der Nähe der Ruinen der Kirche Collada de Vallgrasa verbrachte seltsame Schreie, die eine wütende Katze erinnerten. Als sie zum Eingang der Kirche gelangten, sahen sie eine unheimliche, zottige Kreatur von 1,5 m Körpergröße, die verschreckt aus dem Gebäude floh. Nur wenig später, zwischen Farga de Bebié und Ripoll (Girona), wurde ihrerseits eine Gruppe Paläontologen von zwei haarigen Kreaturen aufgeschreckt und ergriff die Flucht. (De la Rubia-Muñoz, 1995: 24).
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Spanien oder Europa?
Das Problem bei diesem Phänomen wird schnell ersichtlich. Die Sichtungen konzentrieren sich eben nicht nur auf die Pyrenäen, sondern auf die gesamte Iberische Halbinsel – und darüber hinaus. Das zwingt uns, auch Europa als Ganzes in Betracht zu ziehen. Denn aus ganz Europa kommt – wenn auch etwas kleinere – Anzahl von Hominidensichtungen (Magin, 1988: 156). Im Ergebnis bekommen wir dann ein Sammelsurium von isolierten (und sehr unterschiedlichen) Hominiden-Sichtungen, die selten zeitlich und örtlich so nahe beieinander liegen, dass sie eine biologische Hypothese stützen könnten (Magin, 1988: 155).
Ernüchterung in den Pyrenäen
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Selbst bei den vielversprechenden Fälle aus den Pyrenäen und Nordspanien konnten oder könnten indes Erklärungen gefunden werden. So zum Beispiel bei dem “Affenmenschen” aus Alicante, der am 6. April 1972 von mehreren Personen gesehen werden konnte, auf Bäumen schlief, Müll und Blätter ass. Er entpuppte sich als geistig unausgebildeter Mann, der aufgrund seiner Behinderung der Sprache unfähig war (Magin, 1986: 66, Siehe auch: ABC vom 6. April 1972).
Das gilt auch für die Sichtungen aus dem benachbarten Katalonien. In der Nähe von Barcelona konnte 1968 ein Mann auf einem Motorrad ein vermeintlich auf zwei Beinen laufendes Tier beobachten, das lange Arme hatte und einen unheimlichen Eindruck machte. Nur wenige Tage später beobachtete eine Gruppe in Vilobí de Penedés ein “unheimliches haariges Wesen beim Trinken” an einem Teich. (De la Rubia-Muñoz, 1995: 23) Allerdings wurde in der Folgezeit ein Bär in genau der Region gefangen, in welcher sich diese Sichtungen ereigneten. (Magin, 1995: 4)
Probleme gibt es auch bei dem spektakulären “Affenmenschen”, der die Bevölkerung 1979 in der Peña Montañesa (Aragón 1979) terrorisierte. Diesen Fall hat jedoch schon der erste Teil dieser Artikelserie eingehend behandelt.
Das Yeti-Foto an einer Ski-Station in den Pyrenäen, welche in ganz Spanien für Furore sorgte, entpuppte sich nachträglich als ein Marketing-Trick, um Touristen in die Region zu locken (Podcast. El Último Peldaño vom 28. September 2019. Minuten Minuten 10:22 – 11:03).
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Abschließender Kommentar und Bewertung
Das zentrale Problem bei den rezenten Sichtungen der wilden Männer in Spanien ist, dass sie a priori in die Narrative des Bigfoot und Yeti eingebunden werden. Gerade durch diese Asoziierung wird jedoch der erkenntnistheoretische Gehalt der spanischen wilden Männer für das hominide Phänomen verdeckt.
Die Priorität mythologischer Erzählungen
Es ist nämlich davon auszugehen, dass zumindest der Basajaun eine mythologische Gestalt ist, die vollkommen unabhängig von seinem vermeintlichen amerikanischen Vetter in der kulturellen Narrative der Basken existiert. Auch wenn gelegentlich eine Brücke zu Bigfoot geschlagen wird (wie in Ansätzen sichtbar beim Roman des Guardían Invisible), dann nur, weil sich diese Assoziation aufgrund vorher schon da gewesener Ähnlichkeiten ohnehin anbot. Was die modernen Sichtungen betrifft, so sind sie zu vielfältig und geografisch verteilt, als dass eine biologische Einheit Sinn machen würde.
Außerdem sind die Referenzen schon so sehr mit der Bigfoot-Mythologie vertraut, dass eine Verzerrung der heimischen Mythologie durch die “hominide Brille” nichts auszuschließen ist. Und gerade bei den wichtigen Fällen aus den Pyrenäen stellte sich die Sachlage vor Ort bei genauerem Hinsehen nicht so da, als es eine oberflächliche Lektüre ohne Prüfung vermuten lässt. So ist es sinnvoller, sich auf die mythologischen Gestalten zu konzentrieren. Was bedeutet der Basajaun nun für die Hominidenforschung?
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Wichtig für die Hominidenforschung
Wir haben es beim Basajaun mit einem mythologischen Wesen zu tun, dass zumindest in einige Aspekten dem Bigfoot und Yeti sehr ähnlich ist; – auch in seiner “animistischen” Dimension als “Wächter des Waldes”. Des weiteren existiert der Basajaun unabhängig von seinen “Vettern” in Amerika und Asien. Daraus könnten sich Rückschlüsse ergeben, wie eine solche Legende entsteht – gerade weil er eine globalere Perspektive auf das Phänomen der Hominiden erlaubt.
Bigfoot-Giganto-Theorie in Erklärungsnot
Gleichzeitig bringt das Vorhandensein eines unabhängigen Hominiden in Westeuropa Ansätze der “klassischen Kryptozoologie” noch mehr in Erklärungsnot. So zum Beispiel die Bigfoot-Giganto-Theorie, wie sie immer noch auf den Seiten der Bigfoot Field Researchers Organization zu finden ist. Denn der bisher nur in Asien nachgewiesene Gigantopithecus (oder einer seiner Nachfahren) müsste nun nicht nur nach Nordamerika, sondern in das Baskenland eingewandert sein. Natürlich wäre hier ein Einwand, nicht von Gigantopithecus, sondern von Neandertalern als Stimuli für die Begegnungen auszugehen.
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Weniger seriöse Blogs sprechen gar von einer Restpopulation der “anderen” menschlichen Spezies, die bis in die jüngste Zeit (oder bis heute?) in den Pyrenäen überlebt hat. Es lohnt sich nicht, sich in einer Diskussion über die biologischen Bedingungen für das Überleben einer stabilen Neandertaler-Population zu verlieren. Wie solche Überlegungen im Falle großer Kryptiden zeigen (Siehe hierzu: Loxton & Prothero, 2013: S. 20 – 27), ist so eine Theorie ist leichter ausgedacht als durchdacht. Ökologische Ansprüche einer stabilen Population, vor allem vor dem Hintergrund der menschlichen Besiedlung, bringen einen solchen Erklärungsansatz für die Hominiden in Westeuropa schnell an ihre Grenzen.
Zwischenfazit
Somit ergibt sich erst einmal ein ernüchterndes Zwischenfazit. Denn das Vorhandensein mythologischer Wesen in zwei geografisch sehr weit auseinander liegenden Regionen (und dazu noch im dicht und historisch besiedelten Europa) sprechen dafür, dass die Hominiden mehr auf mythologische Sinnbilder denn auf reale biologische Wesen zurückgehen. Sie verkörpern die konfliktive Interaktion des Menschen mit der Natur– hinzu käme dann noch die Vermittlung einer eigenständigen kulturellen Identität. Es sei hier noch einmal an die Abgrenzung der christlichen Zivilisation der Menschen zur heidnischen Kultur des Basajaun erinnert. Und es ist daher auch nicht weiter verwunderlich, dass der Basajaun heute wieder in die kulturelle Narrative einer eigenständigen baskischen Identität eingespannt wird.
Also:
Alles nur Mythos?
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Nicht so schnell. Selbst wenn es beim Basajaun eine klare identitäre Komponente gibt und es dabei auch seit jeher um die Vermittlung spezifischer Lebensformen und Werte ging, so bleibt die Frage, warum “das Andere” denn in dieser “affenartigen”, behaarten und wilden Gestalt erscheint. Auch wird nicht, wie in kulturell-identitären Konstruktionen üblich, die Andersheit des Basajaun für das affirmative Bekenntnis zur eigenen Gemeinschaft instrumentalisiert. Es wird nur davon gesprochen, dass diese zwei Gemeinschaften getrennt voneinander existierten, – diese Koexistenz aber nicht unbedingt problematisch war.
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Das Problem mit dem Christentum bestand lediglich in seiner heidnischen Kultur und ist somit zu allgemein, um als spezifisches Ausgrenzungsmerkmal für den Basajaun zu gelten. So bleibt die Koexistenz das wichtigste Merkmal der Beziehung zwischen Menschen und Basajaun. Eine Instrumentalisierung des Mythos im Rahmen einer kulturell-identitären Dynamik sehen wir erst in den letzten Jahren, und auch nur im Kontext der sehr modernen baskischen “kulturellen Wiedergeburt” des Baskenlandes nach der Franco-Diktatur, welcher weit über den plumpen Nationalismus der ETA hinausreicht und sich in vielen Facetten manifestiert, von Kinderbüchern bis Krimi-Thrillern. Allerdings enthält der ursprüngliche Mythos keine identitätsstiftende Eigendynamik.
Was heißt das nun?
Das kulturelle Versteck der Kryptiden
Moderatere und differenziertere Erklärungsansätze des Basajaun spekulieren darüber, dass der Mythos tatsächlich eine lang zurückliegende Koexistenz mit anderen Menschenarten hindeuten könnte. Diese Überlegungen werden im Übrigen auch ganz Allgemein im Zusammenhang mit kryptozoologischen Phänomenen diskutiert. So verstecken sich in Tierbezeichnungen des indigenen Volks der Seneca (die Föderation der Irokesen) in Nordamerika möglicherweise noch ausgestorbene Tiere. In diesem Zusammenhang benutzten die Stämme ein Wort für ein schweineähnliches Tier mit Rüssel noch bevor die Europäer nach Amerika kamen.
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Später bewiesen die Funde der Knochen von Mastodonten, dass tatsächlich derartige Tiere in der Region existierten – somit war es umgekehrt: die Schweine wurden mit einem viel älteren Begriff für Rüsseltiere von den Seneca beschrieben und dadurch bekam der Begriff eine neue Bedeutung (Podcast. Monstertalk vom 23. September 2018, Minuten 17:45 – 19:37). Der Mythos als kulturelle Erinnerung an reale (und darunter auch ausgestorbene) Tierarten könnte in der Tat ein viel versprechener Ansatz sein, um kuriose kryptide Phänomene und Sagengestaltung doch noch auf eine biologische Grundlage zu setzen. Selbst wenn auch hier Vorsicht angebracht ist – Eine durch Erzählung transportierte Erinnerung an Tiere aus vergangenen Zeiten ist auf jeden Fall realistischer als Spekulationen über versprengte Restpopulationen großer Tiere, welche die menschliche Entdeckung bis heute überdauert haben.
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Bigfoot unlocked!
Um noch einmal zum Basajaun und den Hominiden zurückzukommen: Es darf hier nicht unerwähnt bleiben, dass der ursprüngliche Bigfoot, so wie er in spezifischen Erzählungen der Coast-Salish People existierte, sich ebenfalls stark von dem Hominiden der heutigen kryptozoologischen Folklore unterscheidet. De facto ist dort die Rede von “gigantischen wilden Indianern, die in den Bergen lebten” und – dem Basajaun ganz ähnlich – die menschlichen Zivilisation (der First Nations!) mieden, doch Kleider trugen, Waffen besaßen und in Dörfern lebten! (Loxton & Prothero, 2013: S. 34 – 35).
Der Kreis schließt sich. Bigfoot und Basajaun vereinen sich wieder. Unsere Reise, die mit der narrativen Verschmelzung dieser Figuren begann und die wir von ihrer Einbettung in die hominide Folklore (und damit auch voneinander) befreien mussten, ähneln sich auch ihres kryptiden Haarkleides entblößt verblüffend – und lassen uns unweigerlich mit dieser einen rhetorischen Frage zurück:
Könnten die Erzählungen von wilden Männern kulturelle Erinnerungen an unsere Koexistenz mit anderen Menschenarten sein?
Hinweis und Danksagung
Die Schlussfolgerungen sind teilweise sehr spekulativ und spiegeln ausschließlich die Meinungen des Autors, Peter Ehret, wieder. Ferner ist es mir wichtig, zu betonen, dass alle Schlußfolerungen aus dem Material abgeleitet wurden, das mir zu diesem gegebenem Zeitpunkt vorlag und trotz intensiver Suche erhebe ich keinen Anspruch auf Vollständigkeit! Deswegen handelt es sich auch nur eine provisorische Studie, die in einem sehr begrenzten Zeitrahmen vorgenommen wurde. Einzelne Aspekte müssen überprüft werden.
Dennoch habe ich im Rahmen der Möglichkeiten versucht, jene Quellen zu selektieren, die eine differenzierte Herangehensweise an die Problem vornehmen – eine von ihnen waren der Podcast Monographias Zona Cero, der mit der Seite des preisgekrönten spanischen Radiomoderators Juan Antonio Cebrián verlinkt ist. Allerdings sind hier die Angaben über die am Talk beteiligten Personen unvollständig, was höchst unbefriedigend ist. Dennoch hebt sich diese Referenz deutlich von anderen Quellen des spanischen Webs ab – lediglich die Seite Criptozoologia en Español könnte man als positive Referenz noch dazuzählen.
Schriftliche Quellen: Ich danke Ulrich Magin für das zahlreiche Material zu den wilden Männern in Spanien, Europa und für die fürsorgliche Unterstützung bei der Recherche!
Teil 1 des Beitrags ist hier zu finden.
Am 10.12.2019 veröffentlichte Dominic Schindler ebenfalls einen Artikel zum Basajaun.
Zum Weiterlesen
Monographien
Satrústegui, J.M. (1980), Mitos y Creencias, San Sebastián: Txertoa. (im Original nicht konsultiert!)
Loxton, D./Prothero, D. (2013), Abominable Science. Origins of the Yeti, Nessie, and other famous cryptids. New York/Chichester, West Sussex: Columbia University Press.
Fachzeitschriften
De la Rubio-Muñoz, S. (1995), “Wild Men in Spain”, INFO Journal. 72. Winter 1995, S. 22 – 25.
Magin, U. (1995), “Wild Men Corrections”, INFO Journal. 73. Summer 1995, S.4.
Magin, U. (1988), “More about Giants, Goblins, Satyrs and Other Strange Hominid Monsters in Europe”. Pursuit. 74. Forth Quarter 1988, S. 155 – 157.
Magin, U. (1986), “The European Yeti”, Pursuit. 84. Second Quarter 1986, S. 64 – 66.
Siiger, H. (1978) „The Abominable Snowman“. In: Fisher, James F. (Hrsg.), Himalayan Anthropology: The Indo-Tibetan interface, The Hague: Mouton Publishers, S. 421 – 430.
Zeitungsartikel
ABC vom 20. August 2013: Un terrorifico expediente X en el Valle del Baztan
ABC vom 6. April 1972: El supuesto hombre de las montanas de alicante es un retrasado mental recogido en un asilo de religiosas
EL Correo vom 23. März 2013: Un ‚Basajaun‘ gigante abre la ruta de arte mitológico de Urdaibai
El Diario Vasco vom 29. November 2019: Denonartean publica ‚Basajaun‘, escrito por Bakarne Atxukarro e Izaskun Zubialde
El País vom 17. Januar 2013: La fascinación de ‚El guardián invisible‘
El País vom 19. November 2003: La policía detiene a 12 ‚reclutas‘ que ETA había elegido para rehacer su estructura
Webpages
Bigfoot Field Research Organization – The Bigfoot-Giganto Theory
Criptozoologia en Español – EL HOMBRE SALVAJE EN ESPAÑA
Hirus.eus: Basajaun
Leyendas Urbanas y Fabulas: Los monos careto
Sobre Leyendas. Jaime Márquez: El Basajaun. Leyenda del País Vasco.
Podcasts
El último Pedlaño vom 28. September 2019: Descripción de El Basajaun: el Yeti de los Pirineos. La abducción del matrimonio Hill. Asalto al Área 51.
Monographias Zona Cero vom 24 Mai 2016. Basajaun. Legendario Guardían de los bosques vascos.
Monster Talk vom 23. September 2018: Seneca Legends (episode169)