Es ging in den letzten Tagen groß durch die Medien, sogar die Tagesschau hat nicht nur auf ihrer Webseite, sondern auch in der Hauptausgabe um 20 Uhr davon Berichtet: Umweltschützern ist es gelungen, die extrem seltene Bayerische Kurzohrmaus, Microtus bavaricus, wieder zu entdecken.
Wie meist können wir in der Geschwindigkeit nicht mit den großen Medien mithalten, sondern befassen uns kurze Zeit später mit so einer Meldung, dafür haben wir mehr Hintergrund.
Wer ist die Bayerische Kurzohrmaus?
Die Bayerische Kurzohrmaus ist ein Nagetier aus der Familie der Wühler, sie zählt darin zur Gattung der Feldmäuse. Die Maus erreicht eine Kopf-Rumpf-Länge von 88 – 106 mm und eine Schwanzlänge von 32 – 44 mm. Mit 18 – 28 g sind sie mittelgroße Mäuse, etwa in der Größenklasse von Haus-, Wald- oder Gelbhalsmaus. Die meist als „Wühlmaus“ bezeichnete Ostschermaus wird mit über 100 g deutlich größer.
Microtus bavaricus hat flauschig wirkendes, gelblich braunes Fell, das leicht rot überhaucht wirken kann. Die Fußrücken sind bei erwachsenen Exemplaren weiß behaart. Jungtiere wirken eher stumpf graubraun.
Die Ohren sind so kurz, dass sie im normalerweise vollständig oder fast vollständig im Fell verborgen sind. Auch die Augen sind klein und komplett schwarz.
Die nächsten Verwandten der Bayerischen Kurzohrmaus sind die Alpen-Kleinwühlmaus Alpen-Kleinwühlmaus (Microtus multiplex) und Illyrische Kurzohrmaus (M. liechtensteini). Alle drei Arten sind einander so ähnlich, dass man sie nur molekularbiologisch oder an der Kombination einzelner Maße von Schädel und Zähnen unterscheiden kann.
Wie lebt die Bayerische Kurzohrmaus?
Sie gilt als Endemit in den Nördlichen Kalkalpen. Sie war nur von zwei Standorten bekannt. Einer dieser Standorte liegt in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen. Er besteht aus mäßig feuchten Bergwiesen in der Nähe eines Baches, etwa auf 730 m Höhe.
Ein anderer Fundort ist liegt knapp 50 km weiter östlich, bei Achenkirch in Österreich. Die Tiere hier bewohnen einen offenen Fichtenmischwald, der bis 2005 als Waldweide genutzt wurde. Er liegt in 730 bis 1100 m Höhe und wird ebenfalls von zahlreichen Bächen durchzogen.
Über die Lebensweise der Bayerischen Kurzohrmaus ist so gut wie nichts bekannt. Sie lebt unterirdisch und gräbt flache Gänge. Die anfallende Erde schiebt sie zu kleinen Erdhaufen auf der Oberfläche auf. Eine besondere Aktivitätszeit gibt es wühlmaustypisch nicht, Aktivität wird immer wieder durch kurze Schlafphasen unterbrochen. Vermutlich ernährt sich die Art von Wurzeln, Knollen, Zwiebeln und anderen unterirdischen Pflanzenteilen, gelegentlich wird sie auch oberirdisch Gräser und Kräuter fressen.
Die nahe verwandte Alpen-Kurzohrmaus ist besser bekannt. Sie ist häufiger tag- als nachtaktiv und lebt vermutlich monogam paarweise in exklusiven Revieren, d.h. sie dulden keine weiteren Artgenossen in ihren Revieren. Die Fortpflanzung findet das ganze Jahr statt, im Winter jedoch seltener. Ihre Würfe sind mit üblicherweise 2 – 3 Jungen relativ klein.
Wieso ist die Bayerische Kurzohrmaus etwas besonderes?
Genau die kleinen Erdhügel waren es, die den jungen Biologen Claus König ab 1959 auf ihre Spur bringen sollten. Er untersuchte das Nahrungsspektrum der Singvögel im Alpenraum und entdeckte die Hügelchen auf einer Wiese vor Garmisch-Partenkirchen. Zusammen mit seiner Frau, Säugetierforscherin am Senckenberg-Museum in Frankfurt fing er dann in Mausefallen 23 Tiere fing. Er bestimmte sie als bisher unbekannte Art und beschrieb sie 1962 als Pitymys bavaricus.
Weitere Fundorte gab es nicht, auch Nachsuchen am Typusfundort blieben erfolglos. Nachdem im einzigen bekannten Verbreitungsgebiet der Maus 1980 eine Klinik gebaut wurde, galt das inzwischen als Microtus bavaricus bezeichnete Tier als verschollen, möglicherweise ausgestorben.
1976 und 1977 gab es einige Fänge in einem Gebiet in Österreich, bei Achenkirch, ca. 47 km östlich von Garmisch-Partenkirchen. Sie blieben zunächst unbestimmt oder wurden für die Liechtenstein-Kurzohrmaus (Microtus liechtensteini) gehalten.
Erst als die österreichische Wissenschaftlerin Friederike Spitzenberger bei einer Routineuntersuchung im Jahr 2000 im selben Gebiet ein Exemplar in einer Falle fing, erkannte man die Tiere von 1976 und 77 als nicht mit M. liechtensteini identisch. Eine genetische Untersuchung bestätigte, dass es sich um eine eigene, wenn auch mit M. liechtensteini eng verwandte Art handelt. Weitere morphologische Untersuchungen zeigten, dass die Tiere aus dem Wald bei Achenkirch zu M. bavaricus gehören.
Nun gab es also einen zweiten Fundort für die Phantom-Maus. Damit hätte man eigentlich erwarten können, dass sich die Forscher aus dem Alpenraum nur so stritten, wer die Art offiziell wieder entdecken könnte – doch weit gefehlt. Es gibt in Europa relativ wenig Wissenschaftler, die sich mit rezenten Säugetieren befassen, auch bei Hobbyforschern sind eher Vögel und Schmetterlinge beliebt.
- 2004 gelingt es Friederike Spitzenberger bei Archenkirch, eine lebende Microtus bavaricus zu fangen, filmen und fotografieren. Sie stellt fest, dass es sich um eine urtümliche Art handelt, die sich wohl nur hier gegen modernere Wühlmäuse behaupten kann.
- 2005 endet die Waldweide im Fundort bei Achenkirch. Das Vorkommen gerät in Gefahr, falls die Beweidung für den Fortbestand der Mäuse notwendig ist.
- 2010 gelangt eine konservierte Bayerische Kurzohrmaus in die Zoologische Staatssammlung München. Sie stammt aus Österreich, dem Revier Nesselreith, etwa 30 km südwestlich von Garmisch-Partenkirchen. Ein neuer Fundort.
- 2017 finanziert das Landesamt für Umwelt Bayern ein umfangreiches Forschungsprojekt zu Microtus bavaricus. Leiter ist David Stille.
- Im Rahmen dieses Projektes werden an mehreren Stellen in Bayern über 100 Kameras mit speziellen Auslösern aufgestellt.
- 2021 wurden 2 Männchen und 1 Weibchen aus dem Gebiet um Achenkirch in den Zoo nach Innsbruck gebracht. Dort vermehrten sich die Tiere gut, bereits im ersten Jahr kamen zehn Jungtiere auf die Welt, von denen acht aufgezogen wurden. 2023 gelangte ein Paar in den Tierpark Berlin Friedrichsfelde und weitere Tiere nach Wien ins Haus des Meeres. In Friedrichsfelde vermehrten sich die Tiere ebenfalls gut, so dass ein Paar im selben Jahr an den Zoo Berlin weitergegeben werden konnte. Wo die Tiere in den Ausstellungen zu sehen sind, konnte ich nicht herausfinden.
- Am 21 Juli 2023 meldet ein Beobachter bei Naturgucker.de eine Bayerische Kurzohrmaus in den Donauauen bei Teugn vor den Toren Regensburgs, also weit out-of-place.
- David Stilles Projekt hat 2023 erste Erfolge. In einem Suchgebiet in Garmisch-Partenkirchen haben 96 Kameras insgesamt 1,4 Millionen Fotos von Kleinnagern aufgenommen. Darunter sind 8 Bilder mit Kurzohrenmäusen. Ohne eine genetische Untersuchung ist unmöglich zu sagen, ob es sich um Bayerische Kurzohrenmäuse handelt.
Inzwischen ist die Jagd nach einem der seltensten Säugetiere in Deutschland zum Medienereignis geworden. Arte und der BR begleiten die Mäusejäger. Doch in den Fallen sind zunächst nur häufige Arten zu finden.
Mit dem Altmeister kommen die Erfolge – am Ende
Die Kamerateams bitten auch den mittlerweile 90-jährigen Claus König zum Fundort. Der ehemalige Direktor des Staatlichen Museums für Naturkunde in Stuttgart ließ es sich nicht nehmen, die Bergwiesen selbst zu begutachten. „Wir haben einige auffällige Erdhaufen gefunden“, erzählt König der ZEIT. „Genau dort, wo meine Frau und ich damals Erfolg hatten.“ Doch auch die Fallen in den Grabgängen fingen zunächst nur Erde. Kein Wunder, schieben die Mäuse doch eine Menge Erde in den Gängen vor sich her, die dann den Fallenmechanismus auslöst.
Eine Woche lang machten sich die Mäusejäger mit 65 Fallen auf die Jagd. König hat noch Tipps auf Lager: „Zugluft mögen die Mäuse nicht, die Kästen müssen immer gut mit Erde bedeckt sein“. Doch dann, am letzten Morgen der Fangaktion ist etwas in der vorletzten Falle: auf 1050 m Höhe, in einem Schneeheide-Kiefernwand guckt Bayerns erste Bayerische Kurzohrmaus seit über 60 Jahren aus der Falle.
Doch die heutige Forschung ist tierfreundlich. Anstatt die Maus für eine Museumssammlung zu präparieren, setzen König und Stille sie in eine Klarsichtbox mit Streu und Futter, so dass die Filmleute bedient werden können. Selbst eine DNA-Probe lässt die Maus freiwillig zurück, in Form von abgeschlifferten Darmzellen auf ihrem Kot.
Über diese Jagd hat ARTE eine 44minütige Sendung produziert. Sie ist zwischen dem 13.02.2024 und dem 19.05.2024 verfügbar: Die Bayerische Kurzohrmaus – Rettung einer bedrohten Art
Bayerische Kurzohrmäuse sind offenbar weiter verbreitet
Inzwischen verfügt das Meldesystem Gbif über elf Meldungen zur Bayerischen Kurzohrmaus Microtus bavaricus. Drei der Fundorte sind in Österreich, sieben in Deutschland und einer in Kroatien.
Mittlerweile gehen die Biologen davon aus, dass die Bayerischen Kurzohrmäuse eine spezielle Nische zum Überleben gefunden haben. Sie nutzen in den Höhenlagen Biotope, in denen es anderen Mäusen zu feucht ist.
Im Rahmen des Klimawandels ist aber das nicht genug, befürchten Stille und König. Wird es wärmer, drängen moderne Mäuse aus den tieferen Lagen nach oben und vertreiben die dort lebenden Tiere. Ob es für die Bayerische Kurzohrmaus ausreicht, in höhere Lagen auszuweichen, ist unsicher.
Hoffentlich wird im Rahmen dieses kleinen Hypes auch ein Licht auf einige andere in Deutschland endemische Arten geworfen. Es gibt sogar eine endemische, verschollene Art, von der auch sonst kein Fundort außerhalb Deutschlands bekannt ist.
Literatur und andere Quellen zu Microtus bavaricus
C. König: Eine neue Wühlmaus aus der Umgebung von Garmisch-Partenkirchen (Oberbayern): Pitymys bavaricus (Mammalia, Rodentia). – Senck. Biol. 43 (1): 1-10, Frankfurt a. M. (1962)
https://www.gbif.org/occurrence/search?taxon_key=2438594
https://de.wikipedia.org/wiki/Claus_K%C3%B6nig
http://www.earthsendangered.com/profile.asp?gr=&view=all&ID=6&sp=2311
https://en.wikipedia.org/wiki/Bavarian_pine_vole
https://www.zootierliste.de/?klasse=1&ordnung=113&familie=11336&art=55009425&subhaltungen=1
https://de.wikipedia.org/wiki/Bayerische_Kurzohrmaus
https://www.iucnredlist.org/species/13461/90865453
https://web.archive.org/web/20081020065057/http://www.nabu.de:80/m05/m05_05/03058.html