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Hört man an Liverpool, denkt man zunächst an eine Arbeiterstadt mit Hafen und Industriebetrieben an der Küste zur Irischen See. Allenfalls tritt der berühmte Cavern Club, in dem die Beatles ihre ersten Auftritte hatten, ins Gedächtnis. Auch heute ist die Musikszene der Stadt nicht zu verachten, bekannt aus den jüngeren Jahren sind beispielsweise Atomic Kitten.

Natürlich denkt man auch an den FC Liverpool und den ebenfalls in der Stadt am Mersey beheimateten FC Everton.

 

Liverpool

 

Einen Großteil seiner Bedeutung hatte sich Liverpool aus dem Handel mit der Karibik erarbeitet. Hier wurde karibischer Rum, Zucker und zahlreiche andere Güter gehandelt. 1787 war der Markt von Liverpool einer der berühmtesten Sklavenmärkte der Welt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde 40 Prozent des Welthandels über den Hafen von Liverpool abgewickelt. Kein Wunder, dass die Biologischen Sammlungen und Museen in dieser Stadt immer wieder Objekte aus allen Teilen der Welt bekamen.

 

Die Liverpool-Taube

Anders, als zuerst bei diesem Namen zu erwarten, ist die Liverpool-Taube keine besondere Lokalform der Stadttaube, die wiederum auf die Felstaube zurückgeht. Die Liverpool-Taube hingegen steht mehr oder weniger losgelöst zwischen den Taubenvögeln, lange Zeit konnte man sie nicht einordnen.

 

Liverpool-Taube Caloenas maculata
Die Liverpool-Taube auf dem berühmten Bild von Joseph Smit. Sie zeigt einen Knopf auf dem Schnabel, den der Vogel nicht hatte und der Fuß ist gespiegelt.

 

Die Liverpool-Taube ist von zwei Sammlungsexemplaren bekannt. Eins ist verschollen, das andere befindet sich heute im Magazin des World Museum Liverpool. Es handelt sich hierbei um einen Balg, der auf einen Wattekörper aufgezogen ist, wie das in Museumssammlungen weltweit üblich ist.

Der Vogel war zu Lebzeiten etwa so groß wie eine Felsentaube. Als genaue Maße finden sich 32 cm Gesamtlänge, eine Flügellänge von 17,5 cm, was etwa einer Spannweite von 45 bis 50 cm entspricht. Dies ist im Vergleich zu einer Stadttaube wenig, bei gleicher Körperlänge erreicht sie etwa 60 cm Spannweite. Schon den ersten Beschreibern fielen die kurzen, abgerundeten Flügel auf.

Im Leben war das Gefieder der Liverpool-Taube tief flaschengrün. Schwung- und Rückenfedern waren mit einem hellen, cremefarbenen Punktmuster gezeichnet. Am Schwanz trug der Vogel eine helle Endbinde, die ebenfalls meist als cremefarben beschrieben wird, jedoch auch gelblich oder sogar orange gewesen sein könnte.
Bemerkenswert ist eine Art Kragen aus verlängerten, spitz zulaufenden Federn am Hals der Tiere. Der Schnabel war gelb und trug einen dunklen Höcker (hierzu später mehr), die Beine waren rot und entsprachen mehr oder weniger den bekannten Beinen von Tauben.

 

Die Geschichte der Sammlungsexemplare

Den ersten Eingang in die ornithologische Literatur findet die Liverpool-Taube 1783. John Latham erwähnt sie im Buch „A General Synopsis of Birds, Vol. 2“ (S. 642). Ihm lagen zwei Exemplare vor, die der englische Major Thomas Davies und der Naturforscher Joseph Banks in ihren Sammlungen führten.

Die Herkunft beider Exemplare ist nicht einmal annähernd geklärt. Davies erhielt viele Sammlungsobjekte von einem oder mehreren Kontakten in New South Wales (Australien), Banks hatte als prominentesten „Lieferanten“ Kapitän James Cook. Doch es gibt keine (überlieferten?) Aufzeichnungen, die eine grüne, gepunktete Taube aus diesen Quellen belegen.

 

Davies Exemplar

Nach Thomas Davies‘ Tod ging sein Exemplar der Liverpool-Taube an Edward Smith-Stanley, den 13. Earl of Derby. Von dort aus ging es 1851 in die Sammlung des Derby Museums ein. Davies Exemplar war ursprünglich eine lebensecht montierte Dermoplastik, die Davies selber angefertigt hatte. Vermutlich zeigen die beiden Zeichnungen von David Latham direkt den Habitus des Präparates. Die identische Körperhaltung und der nahezu identische Ast sind ein starker Hinweis darauf.

Im Derby Museum wurde die Dermoplastik dann zu einem Museumsbalg umgearbeitet. Dieses Museum wurde später zum World Museum, der Balg ist noch immer in seiner Sammlung. Heute wird es unter der Sammlungsnummer WML 3538 in einem klimatisierten Safe im Keller aufbewahrt.

Alle bekannten Abbildungen der Liverpool-Taube basieren auf diesem Exemplar.

 

Liverpool-Taube Caloenas maculata
Illustration von John Latham, 1823 (Version mit kurzen Flügeln). Latham zeichnete das Tier nach dem Präparat von Thomas Davis.

 

Joseph Banks Sammlung

Das Exemplar, das zu Banks Sammlung gehörte, gilt heute als verschollen. Joseph Banks fuhr in jungen Jahren als Bordwissenschaftler mit James Cook und verfügte über zahlreiche Kontakte weltweit. Unter anderem erhielt er nahezu alle Vögel, die James Cooks Begleiter auf allen drei Entdeckungsreisen sammelten.

Er verstarb hoch geehrt für seine wissenschaftlichen Erfolge und die Arbeit für die Internationalisierung der Wissenschaft 1820, blieb jedoch kinderlos. Der botanische Teil seiner Sammlung ging in den Besitz des Natural History Museums in London über, wo er heute noch als eigener Sammlungsteil gepflegt wird.
Seine zoologische Sammlung teilte er bereits 1792 auf. Danach ist der Verbleib seiner Liverpool-Taube unklar.

 

Hunterian Collection

Einen Teil schenkte er John Hunter. Hunter verkaufte sie wiederum 1799 an die „Company of Surgeons“, aus der später das Royal College of Surgeons of London (RCoS) werden sollte. Diese Sammlung wird als Hunterian Collection bezeichnet. Auch hier ist nicht klar, welche Tiere dieser Verkauf beinhaltete.

 

Die Liverpool-Taube
Illustration von John Latham, 1823 (Version mit langen Flügeln)

 

Im British Museum

Der andere Teil Banks zoologischer Sammlung ging im gleichen Jahr an das British Museum, aus dem das Natural History Museum 1881 abgespalten wurde. Der Großteil dieser Tiere waren in Alkohol eingelegt. Ein Katalog dieser Tiere existiert nicht. Es ist also nicht klar, ob sein Exemplar der Liverpool-Taube in diese Sammlung einging.

1808 und 1809 reorganisierte George Shaw vom British Museum die biologische Sammlung des British Museums mit einer ganzen Reihe von „Trustees“, vertrauenswürdigen Freiwilligen. Die unsortierten Sammlungsobjekte wurden gesichtet, Objekte, die Shaw als lehrreich oder interessant ansah, kamen in die oberen Räume. Dabei scheint es sich hauptsächlich um eine Sammlung von Hörnern und Geweihen zu handeln. Den Rest bezeichnete er als „zoological rubbish“, zoologischen Unsinn oder Müll und ließ einige Präparate verbrennen.

Banks war einer der Freiwilligen, der sich an dieser Reinigungsaktion beteiligte und zweifellos auch einige Objekte entsorgte, die er 17 Jahre zuvor dem Museum geschenkt hatte. Man kann sich vorstellen, was es mit ihm machte, wenn das Museum die von James Cook an ihn weitergegebenen Tiere als „zoological rubbish“ bezeichnete. Um so verwunderlicher ist es, dass er dem Haus dennoch später seine botanische Sammlung vermachte.

 

Ein Teil dieses „zoological rubbish“ wurde an das Royal College of Surgeons verkauft, so dass sie mit der Hunter-Sammlung wieder vereint wurde. Hierfür bezahlte das College £175.10s. 0d. (etwa 2000 € in heutiger Kaufkraft). Obwohl sicher eine Liste angefertigt wurde, ist keine überliefert, so dass unklar ist, ob hier die Liverpool-Taube enthalten war.

 

William Bullock – Museumsinhaber

Nun kommt William Bullock ins Spiel. Bullock war eine schillernde Persönlichkeit, ursprünglich Goldschmied und Juwelier. 1790 eröffnete er ein naturkundliches in Sheffield, 1801 zog er damit nach Liverpool um und schließlich 1809 nach London.
Joseph Banks unterstützte Bullocks populäre Museen mit zahlreichen Ausstellungsstücken. Leider – wie zu erwarten – gab es auch hierzu keinerlei Aufzeichnungen, welche Tiere Banks an Bullock weitergegeben hat.
Bullocks Sammlung umfasste am Höhepunkt etwa 32.000 Objekte. In unzähligen Dioramen präsentierte er 3000 Vogelarten, deren Lebensweise und Nahrung. Nachdem er erfolglos versucht hatte, seine Sammlung vollständig an die Universität in Edinburgh oder das British Museum zu verkaufen, versteigerte er 1819 seine Sammlung. Dabei gingen 3342 Lots über den Tisch des Auktionators. Das British Museum erwarb seine Mexikosammlung, der Rest gilt als verschollen. Falls er in Besitz der Liverpool-Taube war, könnte sie in den Aufzeichnungen des Auktionshauses noch einmal aufgeführt sein. Diese sind aber aktuell unzugänglich.

 

Bullocks Museum
Postkarte von William Bullocks Museum, 1820 in der Piccadilly Egyptian Hall. Eine Liverpool-Taube ist nicht zu sehen.

 

Austausch zwischen dem RCoS und dem British Museum

1835 erhielt das British Museum 32 Sammlungsexemplare, darunter 24 Vögel aus der Hunterian Collection des RCoS. Keines dieser Tiere konnte eindeutig den Cook-Sammlungen zugeordnet werden.

1843 wurden weitere 400 Exemplare aus der Hunterian Collection dem British Museum überstellt. Hierfür gab es eine Liste, die dem Autor nicht zur Verfügung steht. In der Folge kam es zu weiteren Überstellungen, insgesamt 138 Vögel kamen vom RCoS zum British Museum. Mindestens 71 davon gehörten zur „New Holland Division“, die George Shaw 1808 aufgestellt hatte. Es kann also sicher sein, dass diese 71 Exemplare aus der Schenkung von Joseph Banks 1792 stammten. Ob unter den restlichen Tieren eine grüne Taube mit hellen Flecken war, ist vermutlich nicht ohne Nachforschung vor Ort herauszufinden.
Heute existieren nur noch zwei James-Cook-Präparate, die sicher aus der Sammlung von Joseph Banks stammen: Alkoholpräparate des Iiwi-Kleidervogels (Vestiaria coccinea) von Hawaii und des Südinsel-Sattelvogels (Philesturnus carunculatus) aus Neuseeland.

 

Die Erstbeschreibung

John Latham war zwar der erste, der die Liverpool-Taube beschrieben hat, eine Erstbeschreibung im wissenschaftlichen Sinn erfolgte jedoch erst durch den deutschen Naturforscher Johann Friedrich Gmelin. Gmelin übernahm dazu Lathams Beschreibung und benannte das Tier Columba maculata (gepunktete Taube).

Formal wird dadurch das Tier aus Davies Sammlung zum Holotyp, denn es lag indirekt der Beschreibung zugrunde: Latham hat es beschrieben, Gmelin hat es aufgrund seiner Beschreibung benannt.

 

Leider bedeutet das auch, dass kein weiteres Exemplar „verwendet“ wurde. Selbst Walter Rotschild, einer der wichtigsten britischen Vogelsammler, besaß kein Exemplar der Liverpool-Taube. Möglicherweise konnte er das verbleibende Exemplar nicht einmal untersuchen, so dass er 1901 dem Vorschlag von Ernst Hartert zustimmte, es handele sich um ein abnormes Exemplar einer bekannten Art.

Zahlreiche andere Ornithologen befassten sich mit der zoologischen Einordnung der Liverpool-Taube, fast ähnlich viele Meinungen gibt es hierzu. Zunächst (1826) stellte man es zu den Fruchttauben, dann (1827) in die Nähe der Kragentaube. Der wissenschaftliche Name Caloenas maculata etablierte sich.

 

Im 20. Jahrhundert taucht die Liverpool-Taube kaum in der ornithologischen Literatur auf. Der Vogel blieb ein Rätsel. Niemand wollte sich näher mit diesem Enigma befassen.

 

Kragentaube
Kragentaube, bereits 1827 als nächster Verwandter der Liverpool-Taube vermutet.

 

Neuere Untersuchunten

Mit Beginn des 21.Jahrhunderts gelangte die Grün-gepunktete Taube, so die Übersetzung des englischen Namens (Green spotted Pigeon) wieder ins Licht der Wissenschaft. Eine neue Generation von Wissenschaftlern befasste sich mit Vorliebe mit solchen Rätseln, wandte neue Methoden an und so war es nur eine Frage der Zeit, bis Caloenas maculata Aufmerksamkeit auf sich zog. 

Anstoß gab vermutlich der Autor Errol Fuller, der sich unter anderem mit Rotschild befasste. Er betrachtete die Art als valide, schließlich gab es zwei ähnliche Museums-Exemplare, was bei einer von Rotschild vermuteten „Aberration“ nicht der Fall sein konnte. Fuller prägte auch den Namen „Liverpool-Taube“ für Caloenas maculata, die er für ausgestorben erachtet. 

 

Im gleichen Jahr erschien die erste Untersuchung der Liverpool-Taube seit fast 175 Jahren. Der britische Ornithologe David Gibbs betrachtete den Vogel als nur „oberflächlich der Kragentaube ähnlich“, möglicherweise als einzigartig genug, eine eigene Gattung zu begründen.

Er vermutete die Herkunft von einer der Inseln des tropischen Pazifiks. Die britisch-tahitianische Ethologin Teuira Henry schrieb in ihrem Buch „Ancient Tahiti“ 1928 von einem grünen, gesprenkelten Vogel, der „titi“ hieß. Der Name „titi“ wird im Osten Polynesiens jedoch hauptsächlich lautmalerisch für Sturmtaucher, also schwarz-weiße Seevögel verwendet.

 

„titi“ mit oder ohne Schwanz?

Weitere Literaturarbeiten folgten. 2020 fand der französische Ornithologe Philippe Raust heraus, dass die Erzählungen aus „Ancient Tahiti“ nicht von Teuira Henry, sondern von ihrem Großvater stammten. John Muggridge Orsmond, britischer Missionar, sammelte diese Geschichten bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Darunter findet sich die Zeile „The titi, which cried “titi”, now extinct in Tahiti, was speckled green and white and it was the shadow of the mountain gods“. Der walisische Priester John Davies (nicht verwandt mit Thomas Davies) schrieb 1851 ein tahitianisches Wörterbuch, in dem er die Bezeichnungen „titi“ und „tītīhope’ore“ in Beziehung setzte. Raust übersetzte tītīhope’ore als „titi ohne langen Schwanz“. Er schloss daraus, dass der Vogel vom „titi oroveo“, dem „titi mit langem Schwanz“ unterschieden wurde. Als „titi oroveo“ wird der Langschwanzkoel Urodynamis taitensis bezeichnet.
(Anmerkung des Verfassers: der Langschwanzkoel ist in Neuseeland endemisch, fast 4000 km entfernt. Auch wenn die Polynesier in ihren schnellen Booten hochmobil waren / sind, dürfte eine direkte Unterscheidung dieser beiden Vogelarten in der Praxis eher unwichtig sein. Daher wird aus „titi ohne langen Schwanz“ im Alltag schnell wieder „titi“ geworden sein.)

 

Tahiti heute
Tahiti heute, die Siedlungen fressen sich immer höher in die Berge

 

Ökologie der Liverpool-Taube

Über das Verhalten und die Ökologie der Liverpool-Taube ist so gut wie nichts bekannt. Lediglich der namensgebende Ruf „titi“ kann als überliefert gelten. Die körperlichen Merkmale lassen jedoch einiges an Schlüssen zu:

  • Die kräftigen und teilweise befiederten Beine sowie der relativ lange Schwanz lassen darauf schließen, dass die Liverpool-Taube auf Bäumen lebte.
  • Die kurzen, aber nicht übermäßig kurzen Flügel bestätigen dies und lassen zudem vermuten, dass der Vogel im Wald lebte.
  • Die Körperproportionen ähneln den großen Fruchttauben der Gattung Duckula, die streng arboreal unter dem dichten Kronendach des Waldes leben.
  • Das grüne Gefieder mit den großen, hellen Flecken ist im sich ständig verändernden Licht- und Schattenspiel des Blätterdaches eine hervorragende Tarnung.
  • Der schlanke Schnabel spricht für weiche Früchte als Nahrung.
  • Die kurzen und abgerundeten Flügel sprechen nicht für einen Langstreckenflieger, Vogelzug ist also unwahrscheinlich.
  • Dies spricht für eine sehr begrenzte Verbreitung auf einer oder mehr eng zusammenliegenden Inseln.
  • Die Erzählung, der titi lebe im Schatten der Berggötter könnte für ein Vorkommen in hoch gelegenen Bergwäldern sprechen.

 

Liverpool-Taube Caloenas maculata
Noch einmal das Bild von Joseph Smit.

 

Desoxiribonukleinsäure

Ich habe das nur ausgeschrieben, weil mir DNA für die Überschrift dieses Kapitels zu kurz war. Tim Heupink, Hein van Grouw und David M Lambert haben 2014 eine DNA-Analyse des einzig verbliebenen Vogels veröffentlicht, die zwar die Verwandtschaftsverhältnisse klärt, aber weitere Fragen aufwirft.

Bevor ich hier mit Ergebnissen um mich werfe, möchte ich noch einmal ozeanische Tauben in Erinnerung rufen. Ja, da gabs doch auch in der Kryptozoologie etwas: Der Dodo und der Rodrigues-Solitär waren Tauben von Inseln des Indischen Ozeans. Sie sind längst durch die Ancient-DNA-Maschinerie gelaufen, ähnlich wie die nächste lebende Verwandte, die Kragentaube. Und genau hier ist schon die Verbindung zur Liverpool-Taube, die ja möglicherweise auf der anderen Seite Australiens im Pazifik lebte. Die Liverpool-Taube wurde aufgrund der kragenartigen Befiederung am Hals bereits 1827 in die selbe Gattung wie die von den Nikobaren stammende Kragentaube gestellt: Caloenas maculata bzw. Caloenas nicobarica. Theoretisch sollten sie also recht nahe miteinander verwandt sein, auch wenn sich die Arten in ihrer Ökologie vermutlich deutlich unterschieden. Die Kragentaube ist in ihrer Ökologie eine typische Erdtaube, deren Lebensweise eher einem Hühnervogel entspricht.

 

Kragentaube auf Nest
Eine Kragentaube auf dem Nest, der Federkragen ist gut zu erkennen

 

Die Verwandtschaftsanalyse in Form eines phylogenetischen Stammbaums sieht nach der Analyse von Heupink, van Grouw und Lambert so aus:

 

 

Dabei ist zu beachten, dass die verwandtschaftliche Distanz zwischen der Kragentaube und der Liverpool-Taube ziemlich genau so groß ist, wie der übliche Abstand zwischen zwei Taubenarten einer Gattung. Dies rechtfertigt, die Liverpool-Taube als eigene Art innerhalb der Gattung der Kragentauben zu führen. Der seit 1827 etablierte wissenschaftliche Name Caloenas maculata ist also korrekt vergeben.

 

Die Analyse lässt aber noch etwas vermuten: Alle Arten im Umfeld der Liverpool-Taube gruppieren sich um die Indonesische Inselwelt, Wallacia. Hier ist ein Evolutionszentrum zu erwarten, was auch der Artenzahl der Taubenvögel dort entspricht. Die einzelnen Verbreitungsgebiete scheinen durch Inselhüpfen erreicht worden zu sein.

 

Einziges bekanntes Exemplar der Liverpool-Taube
Was von einer Art bleibt: Ein einzelnes, ausgedunkeltes Museumsexemplar. Foto: Clemency Fisher, World Museum, Liverpool CC-BY 4.0

 

Aussterben der Liverpooltaube

Über das Aussterben einer Art zu spekulieren, von der man nicht einmal wirklich sicher weiß, wo sie gelebt hat, ist natürlich schwierig. Falls die Art tatsächlich in den Bergen Tahitis gelebt hat, ist ein genauer Grund für das Aussterben schwierig festzustellen.

Die Insel ist großflächig für den Menschen umgeformt worden, schon die Polynesier brachten neue Nutzpflanzen, den Terrassenbau und vor allem die Polynesische Ratte mit. Dies kann bereits zum Aussterben geführt haben, vor allem wenn die Art die Tieflandwälder besiedelte.

 

Tahiti
Gibt es nicht vielleicht doch auf Tahiti oder den Nachbarinseln noch eine Restpopulation?

 

Nun kommt das „Aber“: Bisher ist nur mit mäßigem Aufwand nach den Liverpool-Tauben gesucht worden. Niemand weiß sicher, dass sie auf Tahiti oder angrenzenden Inseln vorkamen. Sollten sie „im Schatten der Berggötter“, also in den Gipfellagen der Insel gelebt haben und das Blätterdach kaum verlassen haben, waren sie für die Polynesier kaum greifbar. Als Baumtaube ist sie zudem nicht so sehr durch Ratten und Katzen gefährdet, wie die ebenfalls auf Tahiti endemische Polynesische Erdtaube (Pampusana erythroptera). Sie hat immerhin bis heute auf zwei bewaldeten Nachbarinseln überlebt.

 

Hat sie überlebt?

Es wäre sicher spannend, hier eine ähnliche Expedition wie zur Insel Fergusson bei Papua-Neuguinea zu veranstalten. Tatsächlich würde es mich wundern, wenn „The Quest for lost Birds“ so etwas nicht schon auf ihrer „to do“-Liste hätte: In der Geschichte der Art spielen die Briten, einschließlich James Cook eine wesentliche Rolle, sogar der Name deutet auf England hin. Es verspricht Schlagzeilen zuhause und damit neue Spenden.

 


Literatur:

David G. Medway: The fate of the bird specimens from Cook’s voyages possessed by Sir Joseph Banks; Archives of Natural History 36:2, 231-243 (https://doi.org/10.3366/E0260954109000965)

Heupink, T. H.; van Grouw, H.; Lambert, D. M. (2014). „The mysterious Spotted Green Pigeon and its relation to the Dodo and its kindred“. BMC Evolutionary Biology. 14: 136. doi:10.1186/1471-2148-14-136

Latham, J.; Dwight, J.; Tucker, M. B. (1783). A General Synopsis of Birds. Vol. 2. London. p. 642. doi:10.5962/bhl.title.49894.

van Grouw, H. (2014). „The Spotted Green Pigeon Caloenas maculata: as dead as a Dodo, but what else do we know about it?“. Bulletin of the British Ornithologists‘ Club. 134 (4): 291–301.

Raust, P. (2020). „On the possible vernacular name and origin of the extinct Spotted Green Pigeon Caloenas maculata“. Bulletin of the British Ornithologists‘ Club. 140 (1): 3.

 

 

Von Tobias Möser

Tobias Möser hat Biologie, Geologie und Wirtschaftswissenschaften studiert. Schon als Kind war er vor allem an großen Tieren, Dinosauriern, später Walen interessiert. Mit der Kryptozoologie kam er erst 2003 in näheren Kontakt. Seit dieser Zeit hat er sich vor allem mit den Wasserbewohnern und dem nordamerikanischen Sasquatch befasst. Sein heutiger Schwerpunkt ist neben der Entstehung und Tradierung von Legenden immer noch die Entdeckung „neuer“, unbekannter Arten. 2019 hat er diese Website aufgebaut und leitet seit dem die Redaktion.