Eine Megalodon-GebissrekonstruktionSo rekonstruierte Bashford Dean 1909 einen Megalodon-Kiefer for das American Museum of Natural History. Damals nahm er die größten verfügbaren Zähne und davon deutlich zu viele. Hierdurch ist der Kiefer viel zu groß ausgefallen. Moderne Rekonstruktionen sind mindestens ein Drittel kleiner.
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Gerüchte in der Kryptozoologie

„Ich habe mal gelesen…“ so beginnen viele Diskussionen über Kryptozoologie und enden dann oft wirr. In unregelmäßigen Abständen werden wir uns mit solchen Aussagen befassen und die Hintergründe beleuchten. So können wir hoffentlich klarstellen, was wirklich hinter einem „Ich habe mal gelesen… “ steht.

 

„Ich habe gelesen, dass ein Megalodon-Zahn auf 1000 Jahre geschätzt wurde.“

Diese Aussage ist mir vor einigen Tagen in unserer Facebook-Gruppe über den Weg gelaufen. Der unter Pseudonym schreibende FB-Teilnehmer konnte sogar die Quelle nennen: Frank Schätzings „Nachrichten aus einem unbekannten Universum: Eine Zeitreise durch die Meere“. Ich habe nichts gegen Herrn Schätzing, im Gegenteil: Sein „Der Schwarm“ war ein toller Roman, den ich als Biologe ohne größere Kopfschmerzen lesen konnte. Das oben zitierte Sachbuch habe ich genauso gerne gelesen, mit sehr viel Freude.

 

Megalodon
Darstellung des Megalodon durch einen Paläoartist nach modernen Erkenntnissen.

 

Doch eines sind beide Bücher nicht: Fachbücher. In einem Roman hat der Autor absolute Freiheit, seine Welt so zu gestalten, wie er möchte. In Sachbüchern sollte er wissentlich nichts sachlich falsches postulieren (das passiert leider oft), darf aber auch auf Gerüchte, „Ich habe mal gehört“ und ungewöhnliche Ideen eingehen – oft ist es das, was ein Sachbuch spannend macht. Zu wissenschaftlicher Objektivität ist er nicht verpflichtet.
Genau vor diesem Hintergrund ist der Satz mit dem Megalodon-Zahn zu verstehen. Aufgrund der Popularität dieses mächtigen Hais auch außerhalb der Zoologie trifft er natürlich auf fruchtbaren Boden.

 

Eine Megalodon-Gebissrekonstruktion
So rekonstruierte Bashford Dean 1909 einen Megalodon-Kiefer

Kasten: Der Großzahnhai Otodus megalodon

Der Großzahnhai ist eine der größten oder sogar die größte Haiart der Erdgeschichte. Sie entstand im späten Eozän aus kleineren Vorfahren und starb im Miozän vor etwa 2,8 Millionen Jahren aus. Bekannt ist sie durch Fossilien ihrer markanten Zähne, deren Kanten bis zu 18 cm Länge erreichen können.

 

Der Megalodon stand in der Familie der Großzahnhaie (Otodontidae), die Gattungszugehörigkeit war lange umstritten. Heute ordnet man ihn der Gattung Otodus zu, wo er als letzter und extremer Vertreter gilt. Von den heute lebenden Haien sind möglicherweise die Sandtigerhaie Carcharias taurus am nächsten mit ihm verwandt. Aufgrund vermuteter Ähnlichkeit in der Lebensweise wird bei Rekonstruktionen oft der Weiße Hai (Carcharodon carcharias) als Vorbild genutzt.

 

Siehe: Dossier Megalodon

 

Doch wie kann man das Alter eines Megalodon-Zahns überhaupt bestimmen?

 

Die Radiocarbon-Methode

Die Radiocarbon-Methode ist auch als „C14-Methode“ bekannt*. Sie ist als Methode der Altersbestimmung vor allem aus der Archäologie geläufig und für eher junge Funde geeignet. Sie basiert darauf, dass natürlich vorkommender Kohlenstoff hauptsächlich aus dem Isotop 12C besteht und sehr geringe, aber (nahezu) konstante Anteile des Isotops 14C hat. Diese werden von Organismen nicht unterschieden und diskriminierungsfrei in alle Moleküle und damit in Gewebe eingebaut. Ein lebender Organismus hat also den selben Anteil an 14C, wie er außerhalb des Organismus vorliegt.

 

14C ist schwach radioaktiv (Keine Sorge, bei den „Mengen“, die in natürlichem Kohlenstoff vorkommen, besteht keine Gefahr einer Strahlenvergiftung) und zerfällt mit einer Halbwertszeit von 5730 Jahren. Das bedeutet: Nehme ich einen Körper aus natürlichem Kohlenstoff, hat er heute einen Anteil von n 14C-Atomen, nach 5730 Jahren ist die Zahl auf 0,5 n 14C-Atome gefallen. Nach weiteren 5730 Jahren auf 0,25 n 14C-Atome usw. Der Anteil ist mit modernen Verfahren einfach messbar und gibt schnell brauchbare Ergebnisse.

 

Grenzen der Radiocarbon-Methode

Nach etwa neun bis zehn Halbwertszeiten werden die Mengen an 14C in einer Probe zu gering, um sie genau ausmessen zu können. Das beschränkt die Methode auf ein Probenalter bis maximal etwa 50.000 Jahre. Ergebnisse, die sich der Hälfte dieses Alters nähern oder sie überschreiten, werden immer „unschärfer“: Die Abweichung steigt.

Der 14C-Anteil in der Atmosphäre schwankt

Ein weiterer Punkt kommt hinzu: Anders als bis vor Kurzem angenommen, ist der 14C-Gehalt in der Erdatmosphäre nicht immer konstant geblieben. Er hat im Laufe der Zeit geringfügig, aber relevant geschwankt. Hierbei spielen drei bis vier geschichtliche Faktoren eine Rolle:

  • Die Modulation der kosmischen Strahlung durch die Sonnenaktivität. Die kosmische Strahlung ist wesentlich für die Entstehung von 14C verantwortlich. Sinkt oder steigt sie, ändert sich die Menge des produzierten Radiocarbons.
  • Die Veränderung des geomagnetischen Dipolfeldes kann die Durchdringungstiefe der kosmischen Strahlung deutlich verändern. Da sich die geomagnetischen Eigenschaften der Erde nur sehr langsam wandeln, spielt sie erst auf Zeitskalen größer als hundert Jahre eine Rolle.
  • Der Kohlenstoffaustausch zwischen unterschiedlichen irdischen Kohlenstoffreservoirs und der Atmosphäre zur Schwankung des atmosphärischen 14C/12C-Verhältnisses bei: Gelangt viel „alter“ (also 14C-freier) Kohlenstoff, z.B. durch Verbrennung fossiler Kohlenstoffverbindungen, Rücklösung von Kalklagern etc. in die Atmosphäre, sinkt der Anteil von 14C.
  • Gelegentlich wird noch die Strahlung von Supernovae oder anderen Strahlenereignissen im Weltraum diskutiert. Hierbei handelt es sich um Einzelfälle.
  • Zuletzt ist auch die Nutzung der Atomkraft etwa ab 1945 relevant. Durch die freigesetzte Strahlung und andere Isotope haben eine Messung so neuer Proben de facto sinnlos gemacht.

 

AKW Brockdorf
Die Nutzung der Atomkraft hat das Verhältnis von C12 und C14 verschoben. So ist die C14 Methode für Proben von nach 1945 nicht anwendbar. (Foto: AKW Brockdorf)

Fehlerquellen

Wie bei jeder Methode gibt es auch bei der Radiocarbonmethode zahlreiche Faktoren, die eine korrekte Messung beeinflussen können. Um sie zu minimieren, nehmen die Techniker meist mehrere Proben und arbeiten sie getrennt von einander auf, um sie einzeln zu messen.

Die Technik und auch die Ausbildung der Mitarbeiter für eine Radiocarbon-Untersuchung ist teuer. Daher sehen viele spezialisierte Labors zu, Geräte und Personal möglichst auszulasten. Das führt zu einer starken Routine und gutem Training der Labormitarbeiter, was die Fehlerquellen bei der Reinigung und Aufarbeitung von Proben minimiert. Tatsächlich ist es so, dass hierbei in den Labors quasi keine Fehler passieren.

 

Laborarbeit
Arbeit mit zahlreichen Proben – bei Routineuntersuchungen wie der 14C-Probe machen moderne Labors nahezu keine Fehler mehr.

 

Ein wichtiger Fehler, der vor allem bei Knochen- und Zahnmaterial in kalkhaltigem Süßwasser oder Meerwasser auftritt, ist der Dolomit-Effekt: An der Oberfläche kalkhaltigen Materials kann in mehr oder weniger großem Maße das Mineral Dolomit aus diesem Wasser ausfallen. Dolomit ist ein Karbonat, es enthält also Kohlenstoff. Da gelöste Karbonate in der Regel entstehen, wenn Hydrogenkarbonate mit Kohlendioxid aus der Atmosphäre reagieren, ist diese Ablagerung „rezent“, also jetztzeitlich.

Auch wenn Probenstücke vor der Beprobung mit Säure gereinigt werden, lassen sich diese Dolomit-Ablagerungen nicht vollständig entfernen. Die Folge ist eine Kontamination mit jüngerem Kohlenstoff, eine solche Probe kann erheblich zu jung datiert werden.

Hierzu gibt es noch einen gegenteiligen Effekt, der vor allem bei Meeresorganismen auftreten kann. Sie nehmen einen Teil ihres Kohlenstoffes aus gelöstem Kalk auf, der oft schon tausende von Jahren alt war. Dies kann dazu führen, dass die Proben als zu alt gemessen werden. Insbesondere die beiden gegenteiligen Effekte der Kohlenstoffablagerung durch Kalk kann die Ergebnisse der Radiocarbonmethode bei Meerestieren und Funden aus dem Meer unberechenbar verfälschen. In jedem Fall ist dazu anzuraten, sich nicht auf die 14C-Methode zu verlassen und ergänzende Methoden der Altersbestimmung vorzunehmen.

Die Kalium-Argon-Methoden

Die Kalium-Argon-Methode funktioniert prinzipiell ähnlich. Hier zerfällt das Kalium-Isotop 40K zum Calcium-Isotop 40Ca (89%) oder zum Argon-Isotop 40Ar (11% aller Zerfälle). Die Halbwertszeit von 40K liegt bei 1,28 Milliarden Jahren und damit deutlich höher als bei 14C. Dies ermöglicht eine relativ verlässliche Altersbestimmung von Fossilien, unter gewissen Umständen:

Damit die Kalium-Argon-Methode funktioniert, muss die Uhr „zurückgesetzt“ worden sein. Sie ist daher nur bei Gesteinen anwendbar, die aus einer Schmelze kristallisieren. Das sind Vulkanite und Plutonite, also Gesteine, in denen normalerweise keine Fossilien vorkommen. Hier gibt es aber Sonderformen, beispielsweise wenn ein Vulkan wie in Pompeji große Mengen Asche auswirft und diese die Lebewesen bedeckt.

Bei Sedimentgesteinen, in denen die meisten Fossilien zu finden sind, ist sie nicht oder nur indirekt anwendbar.

 

Nordpolar-region
Die Nordpolar-Region der Erde auf einem alten Globus

Paläomagnetismus und Polwanderung

Es gibt eine weitere, geologische, jedoch nicht nukleare Methode, eine Altersbestimmung zu präzisieren. Die Bestimmung des magnetischen Nordpols zum Zeitpunkt der Einbettung. Sie liefert keine alleinstehenden Daten, warum wird unten beschrieben. Ihre Daten können aber eine 14C-Datierung deutlich präzisieren.

Die Theorie dahinter

Der arktische Magnetpol ist nicht mit dem geographischen Nordpol identisch, sondern liegt derzeit bei etwa 86°N und 170°O. Dazu kommt, dass er sich ständig bewegt. Dies hat Auswirkungen auf die Sedimentation von Gesteinen:

Viele Sedimentgesteine enthalten winzige, magnetische Partikel. Während der Sedimentation richten sie sich nach dem arktischen Magnetpol aus (der auf der Nordhalbkugel der magnetische Südpol ist) aus, wie eine winzige Kompassnadel. Da sie aber im Gestein fixiert werden, können sie sich nicht weiter bewegen. Sie zeigen also auf die Lage des arktischen Magnetpols zum Zeitpunkt der Gesteinsentstehung. Wenn Forscher Proben zur Altersbestimmung nehmen, notieren sie auf dem Probengefäß oder auf dem Stein direkt, wo der Kompassnadel zum Zeitpunkt der Probennahme hindeutete.

Im Labor kann man dann messen, in welche Richtung die magnetischen Partikel orientiert sind. Mittels des Ortes der Probe und der Abweichung der Magnet-Orientierung kann man dann berechnen, wo der arktische Magnetpol zum Zeitpunkt der Sedimentation lag.

Da bekannt ist, wann sich der arktische Magnetpol wo befand, kann man innerhalb des Rahmens, die beispielsweise eine 14C-Datierung herausgibt, präzisieren, wann das Gestein abgelagert wurde.

 

Wanderung des Magnetpols
Wanderung des arktischen Magnetpols in den letzten Jahren (Quelle: NOAA)

 

Soweit der einfache Teil. Nun kommt aber die Kontinentalbewegung und ggf. die Erosion als weiterer Faktor hinzu. Erstere ist mittlerweile gut erforscht und kann bei der Datierung bereits berücksichtigt werden. Die Erosion eines Gesteins kann jedoch die Lage einer Probe nicht nachvollziehbar beeinflussen, so dass nur Proben aus nicht erodiertem Gestein geeignet sind.

„Ich habe gelesen, dass ein Megalodon-Zahn auf 1000 Jahre geschätzt wurde.“

Wie kommt es dann zu solchen Fehleinschätzungen?

Die häufigsten fossilen Überlieferungen des Megalodon sind fossile Zähne. Sie sind häufige Fossilien, die aufgrund ihrer spektakulären Größe auch kommerziell gehandelt werden. So sind sie ziemlich bekannt.

Zahlreiche dieser Zähne sind durch Einlagerung von Mangan während der Diagenese (des Prozesses der Fossilwerdung) schwarz verfärbt und wirken so sehr alt. Dies trifft vor allem auf die Zähne aus den Morgan River-Ablagerungen in South Carolina zu. Sie werden regelmäßig im Handel mit Altersangaben zwischen 3 und 7 Millionen Jahren angeboten.

 

Megalodon-Zahn aus South Carolina
Megalodon-Zahn aus den Morgan-River-Ablagerungen in South Carolina, USA; Foto: Gery Parent

 

Dem stehen fossile Zähne von anderen Fundorten gegenüber, die helle, teilweise natürlich wirkende Farben aufweisen. Sie wirken im Vergleich zu den Morgan-River-Zähnen sehr jung, obwohl sie teilweise älter sind. Dies könnte zu Fehleinschätzungen des Alters geführt haben.

 

Megalodon-Zahn
Megalodon-Zahn aus einer anderen Fundstelle im nahen North Carolina; Foto: Tom Lee, Taiwan

 

 

Der Rest ist eine Überlieferung nach dem Stille-Post-Prinzip, der „sehr junge Zahn“ wurde noch jünger, vielleicht ging eine Null und später noch eine Null verloren oder aus Millionen wurden Tausend Jahre? Was zwischen einer fachlichen Einschätzung und dem Hörensagen, das Frank Schätzings Ohr erreicht hat, passierte, ist nicht nachvollziehbar. Fakt ist, dass die letzten Megalodon-Zähne etwa zu der Zeit überliefert werden, als sich der Isthmus von Panama schloss, vor 2,76 Millionen Jahren.

 


*Streng genommen ist die Bezeichnung C14 falsch. Sie deutet eine Kette aus 14 Kohlenstoffatomen an. Will man das schwach radioaktive Isotop bezeichnen, wäre korrekt, vor dem C eine kleine 14 hochgestellt und da drunter eine kleine 6 zu schreiben. Dies bedeutet, dass hier ein Kohlenstoff-Atom vorliegt, das 14 Kernteilchen hat, jedoch mit 6 Protonen. Folglich hat es 8 Neutronen und damit 2 Neutronen „zu viel“, um stabil zu sein.

Von Tobias Möser

Tobias Möser hat Biologie, Geologie und Wirtschaftswissenschaften studiert. Schon als Kind war er vor allem an großen Tieren, Dinosauriern, später Walen interessiert. Mit der Kryptozoologie kam er erst 2003 in näheren Kontakt. Seit dieser Zeit hat er sich vor allem mit den Wasserbewohnern und dem nordamerikanischen Sasquatch befasst. Sein heutiger Schwerpunkt ist neben der Entstehung und Tradierung von Legenden immer noch die Entdeckung „neuer“, unbekannter Arten. 2019 hat er diese Website aufgebaut und leitet seit dem die Redaktion.