In Leipzig wurden im letzten Jahrhundert immer wieder Ungeheuer des Meeres ausgestellt – ein Begriff, der damals auch Seehunde bezeichnete. Einer machte Karriere als Schauobjekt. Zunächst meldete das „Leipziger Tageblatt und Anzeiger“ am 10. Oktober 1858 auf S. 1 über einen Rummel in der Stadt:
„Außerdem finden wir auf dem Fleischerplatz […] ein nacktes Pferd. An der neuen Bürgerschule finden wir außerdem noch eine Sammlung guter Stereoskopen, einen gemeinen Seehund unter dem Namen Meerweib, und gegenüber unter dem Namen ‚großes Seeungeheuer‘ ebenfalls einen gemeinen Seehund, jenes famose Thier, das eine Reise nach Lindenau gemacht, dort aber angeschossen, dann in Netzen gefangen und endlich glücklich zurückgebracht wurde. Mit diesem Seehunde wird zugleich eine Sammlung von Affen und Raubtieren gezeigt.“
Lindenau ist ein Stadtteil von Leipzig, aber über die dort erfolgte Jagd auf einen ausgebüxten Seehund konnte ich leider keinen Zeitungsbericht auftreiben. Allerdings einen Folgeartikel, eine Anzeige in der Ausgabe des „Leipziger Tageblatt und Anzeiger“ vom 16. Oktober 1858 (Seite 15):
„Es hat sich da- Gerücht verbreitet, daß sich das Seeungeheuer, welches in Lindenau geschossen und verwundet wurde, nicht mehr lebend befände; es ist jedoch lebend und bis Sonntag auf dem Wagenplatz an der 2. Bürgerschule gegen 1 Ngr. Entree zur Schau gestellt. Für den mir gütigst geschenkten Besuch sage herzlichen Dank mit der Bitte, mich bis dahin noch recht zahlreich zu beehren. Ergebenst J. G. Volkmann“
Ein „Ngr.“, das verrät Wikipedia, war ein Neugroschen: „Der Neugroschen (Abkürzung Ngr.) ist eine von 1841 bis 1873 geprägte sächsische Scheidemünze mit der Aufschrift ‚Neugroschen‘“.
Die antiquierte Sprache und der untertänige Gestus klingen heute wie aus fernsten Zeiten. Auch würde heute wohl kein Jahrmarkt mehr lebende Seehunde ausstellen. Damals aber, vor den großen Zoos und Tierdokus, waren Tiere – lebend oder ausgestopft – Publikumsmagneten.
Das war noch fast ein halbes Jahrhundert später so. Das „Leipziger Tageblatt und Anzeiger“ wusste am Sonntag, dem 10. November 1895 auf Seite 31 zu berichten:
„Im Nebenzimmer des Restaurants ‚Goldene Kugel‘, Parkstraße 1, besichtigten wir heute, besonderer Einladung folgend, das dort für einige Tage ausgestellte See-Ungeheuer, ‚Fisch-Mensch‘ genannt. Das Thier ist von außerordentlicher Größe und ähnelt, obgleich befloßt [Floßfedern war das alte Wort für Flosse], sehr der menschlichen Gestalt; es wurde im Jahre 1888 von Eingeborenen an der afrikanischen Küste gefangen und über Zanzibar, Port Said und Konstantinopel nach Europa gebracht. Ueberall, wo es gezeigt wurde, hat das Thier Interesse erweckt; auch hier wird es voraussichtlich von zahlreichen Besuchern in Augenschein genommen werden.“
Es wird sich wohl um einen Dugong gehandelt haben, allerdings ist die Aufzählung exotischer Orte in der als Meldung getarnten Anzeige so stark, dass man auch annehmen kann, dass sich ein etwas gewöhnlicheres Meerestier hinter der Meldung verbarg, das der Text exotischer machen sollte.