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Von der einzigen wildlebenden Nandu-Population in Europa

Im östlichen und südöstlichen Südamerika lebt in Herden in den Grassteppen der Große Nandu (Rhea americana). Der Nandu ist ein flugunfähiger Laufvogel, der eine Größe von bis 1,5 Metern erlangen kann, bei einem Maximalgewicht von 30 Kilogramm (Vgl. Ambrose, Beatty et. al. 2016, S. 121).

 

Nandu
Der erste Erfolg, ein Nandu auf einem fast kahlen Feld.

 

In Europa kamen Nandus bis vor wenigen Jahrzehnten nur in Gefangenschaft als Zoo- oder Nutztiere vor. Doch das änderte sich im Jahr 2000. Aus einer Zucht bei Lübeck in Schleswig-Holstein ausgebüxt, siedelten die Tiere sich in der Umgebung an und konnten sich zunehmend vermehren.

Gefangenschaftsflüchtlinge fanden optimale Bedingungen

Tatsächlich finden Nandus in der Agrarlandschaft Mecklenburg-Vorpommerns nahezu ideale Lebensbedingungen. Die Felder dienen ihnen sowohl als Lebensraum als auch als Futterquelle. Die im Zuge des Klimawandels immer milder werdenden Winter sorgen dafür, dass die Population stabil bleibt. Für die Landwirtschaft haben die Tiere sich als Problem erwiesen, da sie für Schaden in den Raps- und Maisfeldern verantwortlich gemacht werden und in unseren Gefilde keine natürlichen Feinde haben.

 

 

Gegenwärtig haben Naturschützer 247 Tiere zählen können. Das bedeutet einen Rückgang um 30% im Vergleich zum Vorjahr. Die ortsansässigen Landwirte bezweifeln diesen Rückgang. Die jetzt erlaubte Bejagung habe dazu geführt, dass die Tiere sich besser verstecken und sich auf größere Bereiche verteilen, so die Einschätzung vor Ort (o. A. 2020).

Ein tolles Ziel für eine kryptozoologische Exkursion

Wer selbst also diese exotischen Neozoen in ihrer neuen Heimat beobachten möchte, hat gute Chancen und sollte das Biosphärenreservat Schaalsee an der Schleswig-Holsteinisch-Mecklenburg-Vorpommerschen Grenze ansteuern. Oft kann man die Tiere von den Feldwegen und Landstraßen aus gut zu beobachten und fotografieren. Wenn die Felder gerade abgemäht wurden, kann man sie oft schon von Weitem sehen, wie der Autor bei einer Exkursion im Sommer 2020 selbst erleben durfte.

Nandu
Vielleicht wars doch zu dicht? Der Nandu hält seinen Sicherheitsabstand

An verschiedenen Stellen rund um den Schaalsee kann man immer wieder Einzeltiere und kleine Gruppen beobachten. Die Tiere ergreifen erst dann die (gemächliche) Flucht, wenn man ihnen etwas übermütig doch zu sehr aufs Gefieder rückt.

Nandus ruhen auf einem Feld
Etwas weiter entfernt ruht eine Nandu-Familie unter den wachsamen Augen eines großen Hahns

Auch über die Nandu-Beobachtung hinaus sei Naturfreunden ein Ausflug oder eine Reise empfohlen. Schöne Landschaften und allerhand Gelegenheit zur Beobachtung von Füchsen, Damwild und allerhand Vögeln inklusive des Seeadlers sind hier möglich.


 

Gedanken der Redaktion

Wir veröffentlichen diesen Artikel von 2021 erneut, da wir die großen, freilaufenden Vögel nach wie vor sehr interessant finden.

Nandus verursachen unbestreitbar Schäden an Raps und Weizen. Sie fressen die frischen Haupttriebe mit den Knospenanlagen von Rapspflanzen, so dass diese sich nicht entwickeln können. Ebenso fressen sie Weizen insbesondere während der Milchreife – auch dies reduziert die Erträge. In welchen Größenordnungen die Landwirte davon betroffen sind, wird nie veröffentlicht. So ist es schwer abzuschätzen, ob hier wegen weniger Dutzend oder tausenden von Euros gejammert wird. Der steile Anstieg der Population zwischen 2016 und 2018 ließ aufhorchen.

Erste Versuche mit Elektrozäunen und Vogelscheuchen waren erfolglos, auch der Versuch, die Nandus mit Gülle zu vergrämen, scheiterte. Der Vorschlag, für Nandus weniger attraktive Feldfrüchte anzubauen, wurde nur teilweise realisiert. In den Jahren 2018 und 2019 wurden von ca. 260 gefundenen Eiern 207 so manipuliert, dass sie nicht schlüpfen. 2019 erteilte Landwirtschaftsminister Backhaus (SPD) aus Mecklenburg-Vorpommern eine Abschussgenehmigung für je 10 Hähne an zwei lokale Bauern. Sie erschossen insgesamt 17 Tiere.

Zwei feuchte Jahre, das Eier-Anbohren und eine mehr oder weniger geregelte Jagd ließ die Population auf 70 Tiere bei der Frühjahrszählung 2024 sinken. Neuere Zahlen liegen der Redaktion nicht vor. Der trockene Frühjahrsbeginn 2025 lässt jedoch eine erfolgreiche Brutsaison erwarten.

Politisch ist (noch?) nicht entschieden, wie es mit der Nandu-Population weiter geht. Sie breitet sich aktuell nach Norden, nördlich der A 20, nach Osten bis nach Groß Rünz und nach Westen nach Schleswig-Holstein aus. Auch wenn von ihnen keine Gefahr für Menschen und Natur ausgeht und „nur“ Schäden in der Landwirtschaft zu erwarten sind, sollte die Population kontrolliert werden. So lange 150 oder auch 500 Nandus in einem mehr oder weniger eng begrenzten Gebiet herumlaufen, sind sie eine Kuriosität. Erfahrungsgemäß zeigen solche Gründerpopulationen am Anfang ein langsames Wachstum, das nach einigen Generationen zusammenbricht oder exponentiell wird (die Trendumkehr 2016 lässt letzteres vermuten).
Anders als bei den Halsbandsittichen in Köln (und anderen Städten) sind die Nandus am Schaalsee nicht durch einen begrenzten Lebensraum in ihrer Ausbreitung beschränkt. Ihnen steht prinzipiell halb Norddeutschland zur Verfügung, da sie überall in Landschaften mit Feldern oder Heide, die von Hecken und Wäldern unterbrochen sind, leben können. Auch wenn ihr Vorkommen kaum Einfluss auf die Ökologie hat, muss die Frage geklärt werden, ob man Nandus als Neozoon in Deutschland großflächig dulden (und nutzen) möchte, ob eine kleine, kontrollierte Population bestehen bleiben soll oder ob auch diese beseitigt werden muss.


Das Biosphärenreservat Schaalsee

Das Biosphärenreservat Schaalsee  ist ein Schutzgebiet im Westen Mecklenburg-Vorpommerns an der Grenze zu Schleswig-Holstein. Von 1952 bis 1990 konnte sich die Natur im Sperrgebiet der innerdeutschen Grenze gut entwickeln. Als eine der letzten staatlichen Handlungen erhob die DDR-Regierung im September 1990 das Mecklenburger Schaalseegebiet zum Nationalpark.

 

Das Schaalseegebiet liegt in einer Moränenlandschaft der Weichseleiszeit, die sich durch sanfte Höhenlagen und wenig wasserhaltige Böden auszeichnet. Hier durchbricht Trave den Baltischen Rücken des Schleswig-Holsteinischen Hügellandes, durchfließt mit dem Schaalsee einen der tiefsten Seen Deutschlands und wendet sich nach Norden.

Zarrentin am Schaalsee
Impression vom Biosphärenzentrum Pahlhuus in Zarrentin am Schaalsee

Zentraler Besuchspunkt ist Zarrentin am Schaalsee, hier gibt es sowohl Übernachtungsmöglichkeiten, wie auch das Informationszentrum zum Biosphärenreservat. Auf 150 m² Fläche bietet das Pahlhuus in der Dauerausstellung Einblicke auf und rund um den Schaalsee. Besucher können sich über die Naturausstattung des Biosphärenreservates und über touristische Angebote informieren, Infomaterial und Wanderkarten erwerben sowie Fahrräder (auch mit Kinderanhänger) ausleihen, um von dort die Rundtour um den Schaalsee zu starten.


Quellen

Ambrose, Jamie; Beatty, Richard et. al.: Tiere der Wildnis. München: Dorling Kindersley 2016

 

o. A.: Frühjahrszählung – In Mecklenburg-Vorpommern leben 247 Nandus. Auf: https://www.nordkurier.de/mecklenburg-vorpommern/in-mecklenburg-vorpommern-leben-247-nandus-0738986504.html 07.04.2020, gesichtet am 28.09.2020

Von André Kramer

André Kramer ist Sozialpädadoge und leitet eine sozialpsychiatrische Einrichtung in Norddeutschland. Er beschäftigt sich bereits seit den 90er Jahren mit der Kryptozoologie und weiteren anomalistischen Themen.