Puma, man beachte die Zeichnung um die Augen
Lesedauer: etwa 10 Minuten

Europa als Lebensraum großer Katzen?

Europa ist ein dicht besiedelter Kontinent, dessen freie Landflächen zu großen Teilen inzwischen Kulturlandschaften sind. Die großen und dichten Wälder mussten großflächig weichen, um Ackerland und Weideflächen zu schaffen. Alleine in Deutschlands nördlichstem Bundesland Schleswig-Holstein, das ehemals sehr waldreich war und vornehmlich aus Buchenmischwäldern bestand, finden sich heute Nutzwälder, die lediglich 10% der Fläche des Landes ausmachen.[1]

Wald
Buchenmischwälder machen heute weniger als 10% der Landfläche Mitteleuropas aus

Erstaunlicherweise bieten diese, oft zudem noch sehr fragmentierten Landschaften, noch immer einer großen Zahl von Wild ein Zuhause und in den vergangenen zwanzig Jahren konnten sich auch große Beutegreifer wie der Wolf (Canis lupus), der Eurasische Luchs (Lynx lynx) und der Braunbär (Ursis arctos) wieder etablieren oder durchgängig erhalten.[2]

Luchsportrait, das Tier sieht nach rechts
Portrait eines europäischen Luchses

Besonders der Wolf zeigt sich hier als Erfolgsmodell, der eigenständig wieder da einwanderte, wo er bereits lange Zeit durch die übermäßige Bejagung ausgestorben war, und sich weiterhin ausbreitet.

Doch wie würde es anderen, hier seit Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden nicht mehr natürlich vorkommenden Raubkatzen als dem Luchs ergehen? Könnten sie hier überleben und würden sie unerkannt bleiben können?

Jedes Jahr machen Schlagzeilen von Sichtungen großer Raubkatzen (am häufigsten werden Panther (Panthera pardus) oder Pumas (Puma concolor) beschrieben) die Runde, die aus den verschiedensten Ländern gemeldet werden (Siehe Alien Big Cats).

 

Haben entkommene Tiere eine Überlebenschance?

Doch wäre es überhaupt denkbar, dass derartige Tiere eine Überlebenschance in unseren Naturräumen hätten? Würden ein Puma oder ein Panther in unserem Klima, in unserer Landschaft, bei dem hier zur Verfügung stehenden Nahrungsangebot bestehen können?

Diese Frage lässt sich prinzipiell sicherlich mit ja beantworten. Bei beiden Tieren handelt es sich um Generalisten, die in einem großen Spektrum verschiedener Klimata und Landschaftsformen zurechtkommen. Der Puma oder Berglöwe ist vom kühlen Nordamerika bis in die Regenwälder Südamerikas verbreitet und der Leopard (nichts anderes ist der schwarze Panther, obwohl es auch schwarze Jaguare gibt) ist von Afrika über Südasien verbreitet und kommt in Unterarten (Kaukasus- Leopard) sogar heute noch bis an die Grenzen Europas vor.

 

Leopard
Leoparden sind ökologisch sehr flexibel

 

Diese Tiere würden sicherlich auch in unseren Breiten eine Chance haben, mit Klima und Nahrungsangebot zurechtzukommen.

Viel wichtiger ist aber, ob sie hierzu weitestgehend unerkannt in der Lage wären? Neben der dichten Besiedlung und der offenen Kulturlandschaften, findet schließlich auch ein weitläufiges Monitoring der Tierwelt statt. Zehntausende von Jägern beobachten ihre Jagdreviere von Hochsitzen aus und Wildtierkameras zeigen uns immer wieder Aufnahmen selbst sehr zurückgezogener und „heimlicher“ Tiere wie Luchs oder Goldschakal.

 

Puma im Schnee
Pumas kommen mit fast allen Klimabedingungen zurecht

 

Um diese Frage zu beantworten, soll ein chronologischer Blick geworfen werden auf Berichte von aus Zoos oder Privathaltung entlaufener Raubkatzen und wie lange diese es schafften, einem Wiedereinfangen zu entgehen.

 

Entlaufene große Raubkatzen in Europa

 

1933: Ein Panther in der Schweiz

Am 12. Oktober 1933 konnte ein Pantherweibchen über das Belüftungssystem aus dem Zürcher Zoo entweichen, nachdem es vom Männchen stark bedrängt und auch verletzt wurde.[3] Es folgen dutzende Zeitungsmeldungen in den kommenden Wochen, die hier nicht alle dezidiert wiedergegeben werden sollen, so dass nur einige Beispiele folgen. Immer wieder kommt es zur Sichtungen und weiterer Spuren. Am 20.10.1933 wird zum Beispiel von einem Jäger berichtet, der das Pantherweibchen in der offenen Graslandschaft des Schweizer Oberlands gesehen haben will,[4] am 22.11.1933 sind es Rissspuren an Rehkadavern im Sagentobel bei Dübendorf nahe Zürich, die als Mahlzeiten des Panthers gedeutet werden.[5]

 

Ein schwarzer Leopard in der Natur (Foto: Dheerajmnanda, CC 4.0)

 

Erst am Januar 1934 kam es dann zum traurigen Ende der Geschichte. Im fast 50 Kilometer von Zürich entfernten Walde, entdeckte ein Mann das Tier in seiner Scheune und erschlägt es.[6]

 

 1960: Ein Löwe bei Cottbus

Wie lange ein in Cottbus entwichener Löwe auf freiem Fuß blieb, von dem das Hamburger Abendblatt „einige Tage“ später berichtete,[7] konnte nicht ermittelt werden.

 

1962: Ein Puma auf Ré

Auf der 150 Quadratkilometer großen Insel Ré, die im Westen Frankreichs liegt und über einen Damm mit dem Festland verbunden ist, entkam 1962 der Puma „Billy“ der Gefangenschaft und blieb vorerst verschwunden. Immer wieder gab es Sichtungsberichte, doch erst nach drei Monaten konnte das Tier zufällig beim Verzehren eines Kaninchens in einer Scheune entdeckt werden. Zwar floh Billy zunächst auf einen Baum, doch konnte er dort mit einem Betäubungsgewehr wieder in die Gefangenschaft überführt werden.[8]

 

Puma in Jütland?
Puma in einem Trockenhabitat wie der Sonora-Wüste

 

1963: Ein Panther in Paris

36 Stunden währte die Freiheit eines aus einem Zirkus entlaufenen jungen Panthers in einem Pariser Vorort, bevor das Tier wieder eingefangen werden konnte.[9]

 

1972: Jaguar in Urberach

Im Hessischen Urberach konnte bei einem Transport am 26.09.1972 ein Jaguar in einen Wald nahe des Flughafens Frankfurt/M flüchten.[10] Zwei Tage später konnte das Tier in dem Wald von einem Pilzsammler entdeckt und dann von der Polizei mit Hilfe eines Spürhundes gestellt werden.[11]

 

1976: Ein Gepard in Ober-Roden

Annähernd 4 Wochen konnte ein entflohener Gepard seine Freiheit genießen, bevor der „aus Notwehr“ von einem Jagdpächter in Ober-Roden in Hessen geschossen wurde. Während Fachleute daran zweifelten, dass das Tier aggressiv war, hat sich der Jäger das Tier als Trophäe herrichten lassen.[12]

 

Gepard
Gepard in einem Zoo – vermutlich würden die Tiere in Europa auch in Freiheit klar kommen

 

1977: Ein Gepard in Harburg

In dem Dorf Otter im Kreis Harburg entlief im Juni 1977 ein 7 Monate junger Gepard aus privater Haltung. Das Tier floh in einen nahegelegenen Wald und wurde da von Suchtrupps und Dorfbewohnern gestellt, konnte jedoch entkommen. Am folgenden Tag gab es bereits Sichtungsmeldungen und Spurenfunde in Königsmoor, einige Kilometer weiter, später gab es Sichtungen in Fintel, südlich von Otter und Königsmoor.[13] Zuletzt berichtet das Hamburger Abendblatt am 20.06.1977, dass man die Spuren des Gepards auf einer Rehfährte in Königsmoor entdeckt habe.[14]

Wann und ob das Tier schlussendlich gestellt werden konnte, ließ sich von mir nicht in Erfahrung bringen.

 

2009/2010: Ein Panther auf Europareise?

Ende August 2009 konnte ein Panther aus einem Zoo im französischen Amnéville entkommen und streifte die folgenden Wochen im französisch-belgischen Grenzgebiet umher, bevor es auch zu Sichtungen in Luxemburg kam.[15] Im Oktober 2010 kam es zu Sichtungen eines Panthers in der Gegend um Trier und es wurde gemutmaßt, es handle sich hierbei um das in Frankreich entflohene Tier. Es wurde eine Erlaubnis zum Abschuss des Tieres erteilt, doch ausfindig gemacht werden konnte es nicht und so blieb der Panther in der Folge verschwunden.[16]

 

2019: Ein Panther auf den Dächern von Armentières

Im September 2019 machten spektakuläre Fotos eines Panthers auf den Dächern der nordfranzösischen Stadt Armentières. Das Tier verschaffte sich Zugang zu einer Wohnung im zweiten Stock und konnte dort von den Behörden betäubt werden. Das Jungtier war einem privaten Halter entkommen, wie das NfK berichtete.[17]

 

Schwarzer Panther vor dem Fenster einer Dachwohnung
2019 entkam ein schwarzer Leopard aus einer Dachwohnung im Norden Frankreichs.

 

Out-of-Place Raubkatzen in Europa?

Entlaufene große Raubkatzen werden in der Regel also nach kurzer Zeit von lediglich wenigen Tagen wieder eingefangen. Das verwundert kaum. Die Tiere sind in der Regel jung, unerfahren, nur an Gefangenschaft gewöhnt, verängstigt und zunächst orientierungslos. Nicht zu vergessen ist der große Aufwand der betrieben wird, diesen nachweislich entlaufenen Exoten nachzuspüren und sie wieder in Gefangenschaft zu überführen.

Einzelne Exemplare schaffen es aber tatsächlich, in unseren Kulturlandschaften wochen- und monatelang unterzutauchen. In einigen ganz wenigen Fällen tauchen sie sogar komplett unter und werden nie wiedergefunden. Offen bleibt hierbei die Frage, ob sie in der Freiheit verenden, heimlich geschossen werden oder ob es diesen Einzeltieren tatsächlich gelingt, ein unbemerktes Leben irgendwo in der Reliktnatur Europas zu verbringen.

 

Felicity war ein out-of-place-animal, das 1980 in Schottland gefangen wurde. Dermoplastik im Museum Inverness, Schottland

 

Aus dem vereinigten Königreich, einem der Hauptzentren für Sichtungen unbekannter großer Katzen, weiß Chris Moiser auch von Fällen entlaufener Tiere zu berichten. Ein 1975 in Kent in England 1972 entlaufener Leopard sei erst neun Monate später geschossen worden, und am 10. Oktober 1980 sei in Inverness-Shire in Schottland ein Puma auf einer Farm in einer Falle gegangen, der ganze zwei Jahre zuvor entlaufen war.[18] Karl Shuker ergänzt zu dem 1972 entlaufenen Leoparden, dass er in einem guten gesundheitlichen Zustand war, sich in den neun Monaten also offenbar gut mit seiner Umgebung arrangieren konnte.[19]

 

Bezogen auf die immer wieder gemeldeten großen Out-of-Place-Katzen lässt sich hieraus der Schluss ziehen, dass diese nicht gänzlich ausgeschlossen werden können, wenngleich der sicherlich überwiegende Teil der Fälle auf Fehldeutungen und stellenweise auch bewussten Schwindel zurückzuführen sein wird und die Bedingungen hierfür durch weit verbreitete Wildtierkameras sicherlich schlechter sind als noch vor wenigen Jahrzehnten.


Quellen

 

Borkenhagen, Peter: Die Säugetiere Schleswig-Holsteins. Husum: Husum Druck 2011

Masuhr, Bernd: 100 Bürger kreisten den Gepard ein – doch er konnte entkommen. In: Hamburger Abendblatt 16.06.1977

Moiser, Chris: Mystery Cats of Devon and Cornwall. Launceston: Bossiney Books 2005

Möser, Tobias: Der Panther von Armentières. Auf: https://netzwerk-kryptozoologie.de/panther_frankreich/ 01.10.2019, gesichtet am 10.03.2021

A.: Gesichteter Panther zum Abschuss freigegeben. In: Elmshorner Nachrichten 21.10.2010 (1)

A.: Streunender Panther soll getötet werden. In: Holsteinischer Courier 21.10.2010 (2)

A.: Raubkatze schleicht durch Luxemburg. In: Elmshorner Nachrichten 27.10.2009

A.: Hamburger Rundblick. In: Hamburger Abendblatt 20.06.1977

A.: Jaguar ausgebrochen. In: Neues Deutschland 28.09.1972 (1)

A.: Jagdpächter erschoß den Gepard. In: Hamburger Abendblatt 13.01.1976

A.: Hund fand Jaguar. In: Berliner Zeitung 29.09.1972 (2)

A.: Schwarzer Panther hielt Pariser Vorort in Atem. Nach 36stündiger Jagd im Hof einer Mädchenschule wieder eingefangen. In: Passauer Neue Presse 29.04.1963

A.: Puma wieder eingefangen. In: Passauer Neue Presse 02.11.1962

A.: Löwenjagd bei Kottbus. In: Hamburger Abendblatt 12./13.11.1960

A.: Das Ende des schwarzen Panthers als Sonntagspfeffer auf dem Bauerntisch! In: Neue Züricher Zeitung 17.01.1934

A.: Wo ist das schwarze Panther-Weibchen? In: Neue Züricher Nachrichten 13.10.1933 (1)

A.: Spuren des Panthers? In: Neue Züricher Zeitung 20.10.1933 (2)

A.: Der Panther lebt. In: Neue Züricher Zeitung 22.11.1933 (3)

Shuker, Karl P. N.: Mystery Cats of the world. From Blue Tigers to Exmoor Beasts. London: Robert Hale 1989


Verweise

[1] Vgl. Borkenhagen 2011, S. 16

[2] Bei Luchs und Bär besteht das Problem, vieler, oft kleiner und verinselter Populationen, die oft aus Wiederansiedlungsprojekten stammen

[3] Vgl. o. A. 1933 (1)

[4] Vgl. o. A. 1933 (2)

[5] Vgl. o. A. 1933 (3)

[6] Vgl. o. A. 1934

[7] Vgl. o. A. 1960

[8] Vgl. o. A. 1962

[9] Vgl. o. A. 1963

[10] Vgl. o. A. 1972 (1)

[11] Vgl. o. A. 1972 (2)

[12] Vgl. o. A. 1976

[13] Vgl. Masuhr 1977

[14] Vgl. o. A. 1977

[15] Vgl. o. A. 2009

[16] Vgl. o. A. 2010 (1) & (2)

[17] Vgl. Möser 2019

[18] Vgl. Moiser 2005, S. 10

[19] Vgl. Shuker 1989, S. 58

Von André Kramer

André Kramer ist Sozialpädadoge und leitet eine sozialpsychiatrische Einrichtung in Norddeutschland. Er beschäftigt sich bereits seit den 90er Jahren mit der Kryptozoologie und weiteren anomalistischen Themen.