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Ohne der Presseschau vorgreifen zu wollen: Es gibt wieder Gänsegeier über Deutschland.

 

Gänsegeier gehören zu den größten Greifvögeln, die in Mitteleuropa vorkommen. Sie sind deutlich größer, als Stein- und Seeadler und werden selber nur noch von Mönchs- und Bartgeier übertroffen. In Mitteleuropa sind sie selten geworden, aber keinesfalls völlig verschwunden. Da sie auf regelmäßiges Vorkommen von Aas angewiesen sind – etwas anderes fressen sie selten – können sie sich nur dort halten, wo tote Großtiere nicht sofort entfernt werden. In den meisten Ländern ist das jedoch vorgeschrieben, so dass die Tiere ihrer ökologischen Aufgabe nicht mehr nachkommen können.

Größere Gänsegeier-Vorkommen gibt es in Europa auf dem Balkan, in Griechenland, auf Sardinien, im Süden Frankreichs und vor allem in Spanien. Früher waren sie vor allem dort verbreitet, wo steile Klippen Brutmöglichkeiten für Kolonien, Aufwinde und abgestürzte Tiere lieferten. Legendär, jedoch kaum in der Literatur belegt sind die Gänsegeier des Mittelrheines, die sich bis ins 19. Jahrhundert gehalten haben sollen und regelmäßig bis Bonn zogen.

 

Gänsegeier im Flug
Gänsegeier im Flug

 

Gänsegeier: Weit wandernde Segelflieger

Die Nahrungssuche der Gänsegeier ist nahezu stereotypisch. Sie lassen sich von einem Aufwind in große Höhen tragen und suchen dann im Segelflug den Boden nach unbeweglichen Tieren ab. Dabei bevorzugen sie offene, trockene Landschaften. Sie suchen direkt nach Aas, beobachten Raubtiere und andere aasfressende Vögel, insbesondere benachbart fliegende Artgenossen. So sind sie auch in unübersichtlichem Gelände mit der Suche sehr erfolgreich. So gibt es einen Bericht, nach dem 2013 die Leiche einer in den Pyrenäen abgestürzten Bergsteigerin binnen 2 Stunden nicht nur von zahlreichen Gänsegeiern entdeckt, sondern sogar schon bis auf die Knochen aufgefressen wurde. Ein Rettungshubschrauber konnte die über der Stelle kreisenden Vögel und ihre Spuren im Schnee finden.

Seit etwa 1995 beobachten Vogelkundler, dass Gänsegeier im Sommer vermehrt in Trupps in Mitteleuropa gesichtet werden. 2006 erreichten die ersten Trupps Deutschland, die Zahlen schwanken von Jahr zu Jahr. Die Ursachen werden diskutiert, als wesentlich gilt eine starke Bestandszunahme in Spanien, allerdings auch eine Verschärfung der Regeln für die Beseitigung von Tierkörpern ab 2006. Gegenargumente sind, dass die Einflüge bereits Jahre vor der Verschärfung begannen und sich nur auf die Monate April bis Juli beschränken. Hinzu kommt, dass nicht alle einwandernden Gänsegeier aus Spanien stammen.

 

Gänsegeier auf einem Baum
Bei schlechtem Wetter suchen die Trupps höchstens die nähere Umgebung ab, oft bleiben sie an Ort und Stelle

 

Typisch für die Beobachtungen ist, dass die Tiere auf einmal irgendwo auftauchen, eine Weile vor Ort bleiben, und dann verschwinden. Oft werden sie auf dem Weg zum Beobachtungsort nicht gesichtet, bleiben einige Tage unsichtbar und tauchen danach wieder irgendwo auf.

 

Bemerkenswert ist zudem, dass die Trupps regelmäßig einzelne Mönchsgeier einschließen. Ob es sich hierbei um zufällige Aggregationen handelt – die Tiere sehen sich in der Luft, einer folgt dem Anderen – oder ob sie sich gezielt suchen, ist ebenfalls unklar. Bleiben die beiden Arten längere Zeit zusammen, scheinen die (oder der) Mönchsgeier eine gewisse Führung zu übernehmen. Sie steigen zuerst auf und nehmen als erste eine Suchrichtung auf, der die Gänsegeier folgen.

 

 

Anzahl der Geierbeobachtungen in Deutschland
Anzahl der Geier-Einflüge in Deutschland. Stand 03.07.2020

Aktuelle Situation

Neben mehr oder weniger „normalen“ Gänsegeier-Sichtungen in den Alpen sind zur Zeit auch wieder Gänse- und andere Geier im Flachland unterwegs. Die erste Sichtung des Jahres in Deutschland erfolgte am 11. Mai im Kreis Schwäbisch Hall. Spätere Sichtungen von Einzeltieren und Gruppen bis 10 Individuen gab es in Ostalbkreis, dem Rems-Murr-Kreis, den Kreisen Emmendingen, Germersheim, Westerwald, Neckarsteinbach und Warendorf. Größere Zahlen von Gänsegeiern tauchten in Deutschland erst nach dem 8. Juni auf, an beiden Vortagen war der Trupp in Belgien:

  • 7. Juni: gegen Abend überfliegen etwa 40 Gänsegeier Avelgem in Belgien
  • 8. Juni: Mittags werden kurz hintereinander zuerst 16, dann 4 Tiere in Heverlee – Egenhoven, weitere in Bodegnée (2), Esneux (5) und Spa (2), alle in Belgien, gesichtet
  • 9. Juni: 18 Tiere in Friesland bei Jever
  • 10. Juni: Die Tiere rasten am selben Ort wie am Vortag, bis zu 53 Vögel werden gezählt. . Dem Trupp hat sich ein Mönchsgeier angeschlossen. Er ist beringt und damit identifizierbar. Der Vogel stammt aus einer selbsterhaltenden Population in Frankreich, er wurde am 2. Juni 2023 im Nest nahe Millau (Aveyron, Grands-Causses) beringt.
  • 11. Juni: der Trupp wird kleiner, mittags sind noch etwa 25 Tiere vor Ort, auch der Mönchsgeier wird noch registriert.
  • bisher keine Beobachtung nach dem 11. Juni für den „norddeutschen Trupp“ in Deutschland.
  • Seit dem 13. Juni tauchen in den Niederlanden regelmäßig Einzeltiere auf. Die Beobachtungen konzentrieren sich in einem Dreieck zwischen Rotterdam, Antwerpen und der Nordsee.
  • 19. Juni: Ein Einzeltier wird bei Braibant in Südost-Belgien beobachtet.

 

 

Eine zweite Aggregation meldet ornitho.de aus dem Westerwald, genauer Kreis Altenkirchen, etwa um den 9. Juni. Die Geheimniskrämer haben jedoch keine weiteren Angaben dazu veröffentlicht, so dass die Beobachtung als unbestätigt gelten muss.

Ergänzend dazu meldet ornitho weitere Beobachtungen aus dem Umkreis von Heidelberg (3 – 8 Individuen) und dem Westerwald, diesmal aus dem Koblenz-Mayen-Kreis (mehrmals bis 3 Individuen), um den 20.6., weitere Einzelbeobachtungen von der dänischen Grenze, dem südwestlichen Meck-Pom, der Röhn und der schwäbischen Alb. Die meisten Beobachtungen kommen aus den Hochalpen am Königssee und Garmisch-Partenkirchen.

Erste Beobachtungen aus den Niederlanden kommen bereits vom 18.5., seit dem gibt es mehr oder weniger konstant Beobachtungen von Einzeltieren bis einschließlich heute, 15.6.

 

Die Besucher in Friesland wurden sogar in der Lokalpresse erwähnt: Link zur NWZ

 

Wir bleiben am Ball.

Update am 21. Juni, 14:30 Uhr

Von Tobias Möser

Tobias Möser hat Biologie, Geologie und Wirtschaftswissenschaften studiert. Schon als Kind war er vor allem an großen Tieren, Dinosauriern, später Walen interessiert. Mit der Kryptozoologie kam er erst 2003 in näheren Kontakt. Seit dieser Zeit hat er sich vor allem mit den Wasserbewohnern und dem nordamerikanischen Sasquatch befasst. Sein heutiger Schwerpunkt ist neben der Entstehung und Tradierung von Legenden immer noch die Entdeckung „neuer“, unbekannter Arten. 2019 hat er diese Website aufgebaut und leitet seit dem die Redaktion.