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Es war der 9. April 2019. Unweit des Makalu-Basecamps an der nepalesisch-chinesischen Grenze. Eine Bergsteiger-Expedition der indischen Armee, deren eigentliches Ziel darin bestand, den knapp 8500 Meter hohen Makalu zu erklimmen, stieß im Makalu-Barun-Tal auf eine unerwartete Überraschung.

 

Angebliche Yeti-Spur kreuzt die Spur indischer Soldaten
Das erste Bild der angeblichen Yeti-Spur. Sie verläuft von rechts nach links, von hinten kommen die Fußspuren der Soldaten

 

Zwanzig Tage später, am Montag, den 29. April, wartete die indische Armee mit einem erstaunlichen Tweet auf:

„Am 9. April hat zum ersten Mal hat eine Bergsteiger-Expedition mysteriöse Fussabdrücke des mythischen „Yeti“ mit einer Grösse von 32×15 Inches (81 mal 38 Zentimeter) in der Nähe des Makalu Base Camp gesichtet. Der scheue Schneemensch war bisher im Makalu-Barun Nationalpark nur in der Vergangenheit gesichtet worden.“

Lage des 8485 m hohen Makulu, der fünfthöchste Berg der Welt
 

Der Tweet, den die Armee über Satellitentelefon kommuniziert hatte, enthielt drei Fotos, welche eine Linie einer Spur von „Etwas“ zeigte, das sich den Hügel entlang seinen Weg durch den Schnee bahnte. Auch eine Nahaufnahme des „stiefelartigen“ Abdrucks gab es.

Die „Beweise“ ware von einem 18-köpfigen Team unter der Leitung des Major Manoj Joshi gesammelt worden.

Schneefeld mit kreuzenden Fußspuren: kleine, eng zusammenhängende von rechts und große, weit auseinander stehende von hinten
Ein weiteres Foto der indischen Armee, das die angeblichen Yeti-Fußspuren zeigt

 

zwei hohe, schneebedeckte Berge vor blauem Himmel
die beiden Berge Makalu (im Hintergrund) und Chamlang, in deren Nähe die Fußspuren fotografiert wurden

Spöttische Kommentare im Internet

Doch die Zeiten scheinen vorbei, in denen Bestätigungen von offiziellen Stellen dem Glauben an die Existenz von Krypiden neuen Aufwind gaben. Thema der indischen Tageszeitung Hindustan Times, aber auch der Online-Ausgaben der deutschsprachigen Zeitungen (Faz, Nzz, der Standard, Heute.at) zu dem Fund waren die spöttischen Kommentare der Twitter-Nutzer – auch wenn sich darunter auch der eine oder andere Beitrag befand, der sich um eine Erklärung der Spuren bemühte (zum Beispiel mit Schneeschuhen) – klar überwogen doch der ironische Unterton und virtuelles Gelächter.

Allerdings liess sich die Armee nicht beirren und hielt an ihren Yeti-Spuren fest. Man befinde sich im Besitz „physischer Beweise“ und besässe weiteres Bild- und Videomaterial (Faz vom 30. April 2019).

 

Skepsis der Experten

Doch die Armee bekam schnell auch von offizieller Seite Gegenwind.

Bereits einen Tag nach dem Tweet gab eine Reihe prominenter Stimmen, welche der Yeti-These das Wasser abgruben. Maheshwar Dakal von der Forstverwaltung des Nationalparks bestätigt eine „gesunde Braunbären-Population, aber keinen Beweis aus der Gegend für einen Yeti“ (Hindustan Times vom 30. April 2019)

 

Ein relativ heller Braunbär überquert ein Rinnsal
Sibirischer Braunbär, hier ein relativ helles Exemplar, das der tibetanischen Form ähnelt

 

Dann war da noch die Bemerkung von Dipankar Ghose, dem Direktor des Artenerhaltungs- und Landschaftsprogramms des WWF-India. Auch er spekulierte, angesichts seiner Skepsis über die Existenz eines unentdeckten Tieres solcher Grösse, auf einen Bär als Verursacher der Fussabdrücke. Vor allem die Spuren der Hinterläufe können vom ungeübten Auge schnell für menschenähnliche Spuren gehalten werden. (Hindustan Times vom 30. April 2019)

Zahlreiche Wissenschaftler vom Wildlife Institute of India in Dehradun, die in Nepal, aber nicht im Park gearbeitet haben, kommentierten ebenfalls, dass die Spuren von einem Bären stammen könnten. (Hindustan Times vom 30. April 2019)

Spuren eines Bären im Schnee, die vom Beobachter wegführen
Spur eines Grizzly-Bärs im Schnee. Dieser hat die Hinterpfoten nicht in die Vorderpfoten gesetzt.

Nepals Widerspruch

Schliesslich meldete sich auch noch der Sprecher von Nepals Armee, Brigadegeneral Bigyan Dev Pandey im zu Wort. In Referenz auf den nepalesischen Verbindungsoffizier, der die Expedition begleitet hatte, widersprach er der Behauptung der indischen Armee: solche Fussabdrücke fänden sich häufig in der Region und liessen sich einem Bären zuordnen (Hindustan Times vom 2. Mai 2019)

 

Diese Erklärung wurde auch von lokalen Trägern vertreten, welche die Expedition begleitetet hatten. (Hindustan Times vom 2. Mai 2019)

Vier Tage später, am Freitag den 3. Mai 2019, erklärte Pandey, dass Mitarbeiter des nepalesischen Verbindungsbüros die Stelle erneut aufgesucht hatten: aber es waren keine Spuren mehr da (Heute.at vom 3. Mai 2019)

Die „Glaubwürdigkeit“ der indischen Armee

So stimmen die konsultierten Zeitung weitgehend darin überein, dass sich die indische Armee mit dieser Meldung wohl weniger zum „Helden“, als zum Gespött gemacht hatte. Die Neue Züricher Zeitung (NZZ) ging sogar soweit, diese Fehlmeldungen in einen weiteren politischen Kontext einzubetten. Schließlich habe die indische Armee generell mit der Glaubwürdigkeit zu kämpfen.

In einem „Geplänkel“ mit Pakistan soll beispielsweise ein F-16-Jet des Gegners abgeschossen worden sein – das amerikanische Militär, das von der empörten pakistanischen Armee zur Besichtigung der Inventur eingeladen wurde, konnte jedoch keine Lücken feststellen. Auch wurden bei einem angeblichen Angriff auf ein „Terroristenlager“ allem Anschein nach keine Kämpfer getötet, sondern allerhöchstens der Baumstand der benachbarten Republik dezimiert. (NZZ vom 6. Mai 2019)

Hinterpfote eines liegenden Braunbären
Der Hinterfuß eines Braunbären wirkt auf den ersten Blick erstaunlich menschlich

Des Rätsels Lösung?

Doch nicht nur Wissenschaftler und Verwaltungsbeamte aus der Region, auch Forscher mit einer befürwortenden Haltung, sprachen sich gegenüber den Yeti-Spuren skeptisch aus. Dr. Jeffrey Meldrum von der Idaho State University, der für die Existenx von Bigfoot einsteht, sprach mit Andreas Müller von Grenzwissenschaft-Aktuell.de (GreWI) über die vermeintlichen Yeti-Spuren aus Nepal:

„Tatsächlich sehen diese Abdrücke eher wie das Schrittmuster eines galoppierenden Vierfüßers aus. Ich vermute, dass es sich um die Spur eines laufenden Bären handelt.“ (GreWI vom 1. Mai 2019)

Der „stiefelartige“ Eindruck ergibt sich aus dem Laufschema des Bären: Dabei bildet die rechte Vordertatze, welche zuerst aufgesetzt wird, den hinteren „Absatz“ der Spur. Die linke Vordertazte und beiden Hintertatzen liegen, – dem Gehschema des Bären folgend – ziemlich nah beieinander und können im Schnee zu einer Fläche verschmelzen. So entsteht schließlich der Abdruck eines „Primatenfusses“.

Ein Yak auf einer kargen Weide vor schneebedeckten Bergen
Yaks sind die häufigsten Großtiere des Himalayas und mussten oft als Erklärung für Yeti-Sichtungen herhalten

The legend goes on..

Wenn man das Thema „Yeti“ in der Presse in den letzten Jahren ein kleinwenig verfolgt hat, so bekam man den Eindruck, als würde sich der Mythos von einem affenähnlichen Wesen hin zu einer unbekannten Bären-Spezies verlagern. Grund dafür war auch eine Reihe von – mitunter auch wieder in den aktuellen Berichten zitierten – Studien von DNA-Analysen angeblicher Yeti-Haare. Allerdings waren die Ergebnisse im Endeffekt weit weniger spektakulär, als ursprünglich bekannt gegeben. Dennoch wurde dadurch die Diskussion über die Abstammungen der Braunbärenunterarten im Himalaya und ihrer Verwandtschaftslinien wieder etwas angeregt.

Tibetanisch wirkende Gebäude im Tal zwischen teilweise mit Schnee bedeckten Bergen
Der Himalaya und noch mehr das tibetanische Hochland gelten bei uns als geheimnisvolle Orte transzendentaler Weisheit.

Mit der Meldung der indischen Armee jedoch kommt der westliche Yeti-Mythos wieder „back to the roots“ – der Spekulation nach handelte es sich beim Yeti um einen affenähnlichen, möglicherweise eng mit dem Menschen verwandten Primaten, der sich bis heute von den neugierigen Blicken der Forscher in den oberen Berghängen des Himalaya verstecken konnte. Interessant ist in diesem Zusammenhang in der Tat das Insistieren der indischen Armee in der Echtheit „ihrer“ Yeti-Spuren, ja überhaupt ihre Meldung. Sie zeigt also, dass der Mythos in den Köpfen der Menschen noch immer vorhanden ist, – selbst wenn lokale Naturschützer bei der Landbevölkerung seinen allmählichen Übergang in das zoologische Wesen Bär beteuern.

Staubige Straße durch eine Schotterlandschaft ohne jegliches Grün, Gebetsfahnen sind über sie gespannt, einige Menschen mit Rucksäcken gehen auf ihr
Die schroffe Landschaft gilt als gleichermaßen geeignet, Survival zu trainieren und den Geist zu reinigen (Straße zum Mount Everest)

So ist diese Meldung vielleicht nicht aus biologischer, so doch aus folkloristischer Perspektive durchaus erstaunlich.

Der klassische Yeti ist also nicht tot – aller genetischen Erklärungsmassnahmen zum Trotz. So ist wohl auch in Zukunft mit Meldungen vom sagenumwobenen Schneemenschen zu rechnen. Stellt sich die Frage, an welches Wesen einer der ironischen Twitter-Kommentatoren denken würde, sollte er in einer abgelegenen Bergregion auf ausgeschmolzene Bärenspuren stoßen..?

Drei gut gelaunte nepalesische Rentner
Was wohl die Einheimischen davon halten? Die transzendentale Weisheit hält sie vermutlich davon ab, es offen zu sagen…

Zum Weiterlesen:

Faz vom 30. April 2019: https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/tiere/spott-fuer-indiens-armee-nach-entdeckung-von-angeblichen-yeti-spuren-16164945.html

GreWi vom 1. Mai 2019: https://www.grenzwissenschaft-aktuell.de/bigfoot-experte-erklaert-die-von-der-indischen-armee-entdeckten-yeti-fussspuren20190501/

Hindustan Times vom 30. April 2019: https://www.hindustantimes.com/india-news/no-proof-to-back-army-s-yeti-footprints-claim-say-experts/story-tIb5ucZTBJ6RCPnnXxOh3M.html

Hindustan Times vom 2. Mai 2019: https://www.hindustantimes.com/india-news/not-yeti-a-bear-s-footprint-nepal-to-indian-army/story-FhcXvVJ7qV8EwsDcrirt8H.html

Heute.at vom 3. Mai 2019: https://www.heute.at/timeout/virale_videos/story/Indische-Armee-will-Yeti-Spuren-entdeckt-haben-Nepal-widerspricht-Malaku-47237879

NZZ vom 6. Mai 2019: https://www.nzz.ch/international/indische-armee-auf-den-spuren-von-yetis-jets-und-jihadisten-ld.1479571


Dieser Beitrag erschien das erste Mal am 31. Juli 2019 und wurde im Rahmen das Relaunches erneut veröffentlicht

Von Peter Ehret

Peter Ehret ist studierter Politikwissenschaftler und Rechtsphilosoph. Praktisch sein ganzes Leben ist Zoologie im Allgemeinen sein wichtigstes Hobby. Seit dem Jahr 2000 befasst er sich mit Kryptozoologie. Themenschwerpunkt seines kryptozoologischen Interesses sind die Rückwirkungen von konventionellen Tierbeobachtungen auf Legendenbildung. Seit 2012 lebt und arbeitet er als Deutschlehrer in Spanien.