Es geht durch alle Medien: Nach Zeugenaussagen wurde ein Löwe bei Berlin gesichtet, wie er ein Wildschwein jagt.
Die Behörden warnen, sogar über die WarnApp NINA. Die Bewohner der umliegenden Gebiete sollen nach Möglichkeit zuhause bleiben.
In den nächsten Minuten erscheint hier ein Live-Blog, der im Laufe des Tages und ggf. der nächsten Tage immer wieder aktualisiert wird. Wir bemühen uns, das Material zu sammeln, was die Medien zur Verfügung stellen und euch umfassend zu informieren.
Die Ausgangslage:
Donnerstag, 20.07.2023 – 0:58
Die Behörden warnen über die Warn-App NINA vor einer freilaufenden Raubkatze im Gebiet Kleinmachnow, Stahnsdorf und Teltow, im Süden von Berlin.
Als Handlungsempfehlung wird unter anderem herausgegeben, das betroffene Gebiet zu meiden, im Haus zu bleiben und Haus- und Nutztiere nicht raus zu lassen.
Diese Meldung wird um 4:26 Uhr aktualisiert, ohne dass wesentliche Informationen ergänzt werden.
Das betroffene Gebiet:
Der Düppeler Forst, der erste Sichtungsort, liegt zwischen Potsdam im Westen und Stahnsdorf bzw. Kleinmachnow im Osten. Weitere Sichtungen erfolgten offenbar östlich davon.
Wie es weiter ging:
Donnerstag, 20.07.2023, In der Nacht
- Die Polizei warnt vor einem „freilaufenden, gefährlichen Wildtier“, möglicherweise eine Löwin.
- Die Berliner Feuerwehr warnt vor „vermutlich einer Löwin“.
Polizeisprecher Daniel Kiep sagte dem rbb:
„Gegen Mitternacht kam bei uns die Meldung rein, die wir uns alle nicht vorstellen konnten. Da haben zwei Passanten ein Tier gesehen, das einem anderen nachrennt. Das eine war ein Wildschwein und das andere war offensichtlich eine Raubkatze, eine Löwin. Die beiden Herren haben auch ein Handyvideo aufgenommen und auch erfahrene Polizisten mussten bestätigen, es handelt sich wahrscheinlich um eine Löwin.“
- kurz nach Mitternacht: Der Nutzer @lqzze1 dreht ein kurzes Video, das mutmaßlich die entlaufene Großkatze zeigt. Es wurde offenbar aus einem Auto aufgenommen, im Richard-Strauss-Weg in Kleinmachnow.
- 2:12 Uhr: Das Video erscheint bei Twitter.
- bis 6:00 Uhr: Mehrere Beobachter melden weitere Sichtungen des mutmaßlichen Löwen aus den Orten Kleinmachnow, Teltow und Stahnsdorf.
- 6:07 Uhr: Die Polizei erweitert das Suchgebiet im Süden Berlins weiter nach Osten. Nun sind auch die Ortsteile Zehlendorf, Steglitz, Marienfelde und Tempelhof bis an den Rand des Flughafens BER eingeschlossen.
- 6:25 Uhr: Bei t-online bestätigt ein Polizeisprecher, dass die Polizei davon ausgeht, dass tatsächlich eine Löwin beobachtet wurde.
- 7:23 Uhr: Die Polizei meldet: „Das Tier wurde noch NICHT gefunden!“. Wer das Tier sieht, soll den Notruf 110 wählen.
- 7:53 Uhr: Die Bild-Zeitung zitiert den Tierarzt Fred Willizkat mit den Worten „Löwen sind nicht hungrig, aber unberechenbar. Ein Löwe kann auf alles losgehen, was er nicht kennt und was ihm Angst macht.“ Jeder Leser hier möge diese Aussage selbst bewerten.
Donnerstag, 20.7.2023, morgens
- 9:00 Uhr: Die Gemeinde Kleinmachnow reagiert auf die Suche nach der Löwin, hält aber beispielsweise die Kitas offen, jedoch deren Türen und Fenster geschlossen. Die Kinder dürfen nicht raus, Erwachsene sollen es nicht. Den Markthändlern empfiehlt die Gemeinde, die Stände nicht aufzubauen. Das Rathaus bleibt offen.
- 9:22 Uhr: Eine Sprecherin des Landkreises Potsdam-Mittelmark bestätigt, dass eine Tierärztin und zwei Jäger mit Jagdgewehren vor Ort sind. Erst wenn man das Tier findet und einige Zeit beobachten kann, können die Leute vor Ort entscheiden, ob eine Betäubung möglich ist.
- 9:30 Uhr: Die ersten kritischen Stimmen werden laut.
Zirkusbesitzer Michel Rogall (Zirkus Rogall) hält das Tier auf dem Video nicht für einen Löwen. Er glaubt, es handele sich um einen kaukasischen Bärenhund.
- Mehrere Experten melden sich zu Wort, unter anderem zoologische Leiter und Raubtierkuratoren von Zoos, eine ehemalige Dompteurin und ein Löwenexperte von Senckenberg. Allgemein ist die Meinung, dass die Bilder des Videos zu schlecht sind, um sicher einen Löwen zu identifizieren.
- 11:30 Uhr: Die Polizei setzt zur Suche nach der Löwin Drohnen ein. Der Sprecher der Polizeidirektion Brandenburg-West, Daniel Keip sagte dem Focus, dass die Polizei derzeit Sichtungen überprüft und mehrere Waldstücke absucht. Dabei kann es zu kurzfristigen Absperrungen auch in der Nähe von Wohngebieten kommen.
- 11:35 Uhr: Der Bürgermeister von Kleinmachnow, Michael Grubert, tritt vor die Presse. Er ruft die Bürger auf, zuhause zu bleiben: „Ich würde nicht joggen“, gab er ein Beispiel. Auch Kinder sollten nicht mit dem Rad rausfahren, generell gehe er aber davon aus, dass keine direkte Gefahr herrsche und die Polizei die Lage im Griff habe. Nach seinen Informationen soll die mutmaßliche Löwin nach Möglichkeit betäubt werden, nur im äußersten Notfall soll geschossen werden.
Kasten: Welche Gefahr geht von einem Löwen aus?Welche tatsächliche Gefahr von einem ausgebrochenen Löwen ausgeht, ist schwer einzuschätzen. Er ist ein sehr großes Raubtier und physisch jedem Menschen überlegen. Daher ist die Frage nicht, was er verursachen kann, sondern was der Löwe will. Sein Gehege ist jedem Zoo-Löwen intensiv bekannt. Er kennt jeden Quadratzentimeter, weiß, welche Geräusche und Gerüche von außen herein kommen, weiß, welches Geräusch was bedeutet. Und er ist diese Sicherheit gewöhnt. Entkommt so ein Tier, gelangt es in unbekannte Umgebung. Ein freilebendes Tier wäre dies gewohnt, für ein Zootier ist neues Land großer Stress. Daher ist davon auszugehen, dass ein Zoo-Löwe in einer solchen Situation zunächst versucht, in bekanntes Terrain zurück zu kehren. Klappt das nicht, wird er einen Rückzugsort suchen und in der Folge das Gebiet darum erkunden. Fehlt ein solcher Rückzugsort, kann ein Löwe weit wandern. Er wird Störungen wie den Kontakt mit Menschen vermeiden. Sollte sich das nicht vermeiden lassen, wird er aggressiv reagieren.
Mensch ist keine BeuteEs ist eher unwahrscheinlich, dass ein Zoo-Löwe einen erwachsenen Menschen als Beute annehmen würde. Es gibt im Umfeld wesentlich einfacher zu erbeutende Tiere, von unseren Wildtieren bis zum Haushund und natürlich Nutztiere wie Schafe und Ziegen.
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Donnerstag, 20.07.2023 – Pressekonferenz
Die Gemeinde Kleinmachnow hat um 13 Uhr zu einer Pressekonferenz geladen. Dabei wurde folgendes bekannt:
- Ein Polizeibeamter hat den Löwen in der Nacht gesehen, nachdem das Video aufgenommen wurde.
- An der Stelle der Aufnahme des Videos haben Polizisten und Amtsveterinäre keine Blutspuren gefunden. Es habe zwar eine Spurenlage gegeben, teilt die Brandenburgische Polizeidirektion West mit, ein Wildschwein sei allerdings nicht gefunden worden. Es gibt auch keine Berichte über (weitere) Risse.
- Der Löwe wurde nordöstlich von Kleinmachnow zuletzt gesehen. Dort suchen die Behörden weiter mit Wärmebildkameras.
- Bis 13 Uhr ist die Löwin nicht erneut gesichtet worden.
- Es gibt keine Informationen, woher der Löwe stammen könnte.
- Auf Nachfrage wurde bestätigt, dass weder die Stadt Berlin noch das Land Brandenburg Löwen zur Bekämpfung der Wildschwein-Populationen einsetzen. (!!!)
Donnerstag, 20.07.2023 – am Nachmittag
- 13:39 Uhr: Die Polizei meldet eine weitere Sichtung. Das Tier wurde erneut im Süden der Stadt in der Nähe der Grenze nach Brandenburg gesichtet.
- 14:30 Uhr: Die Polizei und das Veterinäramt prüfen in Kleinmachnow weitere Sichtungsmeldungen aus der Bevölkerung.
- 15:30 Uhr: Auch die nächste Meldung kommt von der Polizei. Sie sucht nach dem Tier im Nordwesten von Stahnsdorf, zwischen der Stadtautobahn A 115, dem Stolperweg und dem Staatsforst Dreilinden.
„Wir haben inzwischen weit mehr als eine Hundertschaft der Polizei und Spezialkräfte vor Ort im Einsatz“, sagte der Polizeisprecher Daniel Keip gegenüber dem Focus.
- 16:00 Uhr: Die NfK-Redaktion findet das Video bei Youtube auf dem Account der Bild-Zeitung. Nun liegen Originaldaten vor, die Analyse läuft.
- 16:13 Uhr: Laut WAZ meldet die Polizei, dass sich das Tier auch in Zehlendorf befinden könnte. Später wird öffentlich, dass sich die Meldung auf den Waldfriedhof dort bezieht.
- 16:25 Uhr: Die Polizei bittet die Bevölkerung um Mithilfe: „Wenn Sie wissen, wo das Wildtier gehalten oder sich vor dem aktuellen ‚Ausflug‘ in die Brandenburger und Berliner Natur befand, dann melden Sie sich bitte auf der nächsten Polizeidienststelle oder wählen den Notruf“, twittert ein Sprecher.
- 16:45 Uhr: rbb meldet, dass zwei Feuerwehrleute das Tier in Kleinmachnow gesehen haben. Unklar ist, ob eine gemeinsame oder zwei getrennte Sichtungen stattgefunden haben.
- 17:44 Uhr: Die Polizei twittert, dass die Suche im Umkreis des Waldfriedhofes Zehlendorf beendet ist: „Die Gegend wurde abgesucht. Es fanden sich keine Hinweise oder Spuren, dass das Tier sich dort tatsächlich befunden hat.“
Donnerstag, 20.07.2023 – Am Abend:
- 19:00 Uhr: Die Polizei meldet zwei Einzelsichtungen und eine weitere bestätigte Sichtung im Laufe des Tages. Vermutlich sind darunter auch die Sichtungen, die oben unter 16:45 Uhr aufgeführt sind.
- 19:30 Uhr: Ein Polizist sagt einem Reporter von Focus online: „Die Löwin wurde nur ein paar hundert Meter vor uns Richtung Norden erneut gesehen.“ Der Reporter steht nach eigenen Angaben in der Nähe eines Eckhauses am „Hundeauslaufgebiet Düppel“. Dieses Gebiet ist nur etwa 800 bis 1000 m von der Stelle entfernt, an der der Film gedreht wurde. Beide Punkte verbindet eine geschlossene Bewaldung, die nur durch Nebenstraßen und Fußwege unterbrochen wird.
- Mittlerweile hat tragen viele Polizisten Maschinenpistolen. Die üblichen Polizeipistolen (Walther P6 für die Berliner Polizei sowie SIG Sauer P228 für deren Brandenburger Kollegen und für beide SFP9) verschießen einzelne Patronen des Kalibers 9 x 19 mm und sind damit wenig geeignet, einen Löwen zu stoppen.
- 20:15 Uhr Der Rundfunk Berlin-Brandenburg rbb bringt ein Special mit dem Titel „Wilde Nummer – Löwenjagd in Berlin und Brandenburg“. Die Sendung soll etwa 15 Minuten dauern, der Rest des Programmes verschiebt sich entsprechend.
- 20:29 Uhr Die WAZ meldet eine erneute Sichtung im Grenzgebiet zwischen Berlin und Brandenburg, ohne spezifischer zu werden.
- 21:30 Uhr: Der Kronprinzessinnenweg entlang der A115 im Grunewald ist für die Suche und wegen möglicher Gefahr für Radfahrer und Fußgänger gesperrt.
- 21:30 Uhr: Die Berliner Polizei meldet, dass aktuell 220 Beamte im Süden der Hauptstadt im Einsatz sind. Der Einsatz wurde für die Nacht heruntergefahren. Gleichzeitig werden vermehrt Nachtsichtgeräte und Nachtsichtdrohnen genutzt. Aktuell konzentriert sich der Einsatz auf Zehlendorf, wo die möglichen Sichtungen lokalisiert sind. „Wir werden so lange im Einsatz sein, bis das Tier gefunden ist“, sagte die Sprecherin der Berliner Polizei, Ostertag.
- 21:45 Uhr: Redaktionsschluss beim Netzwerk für Kryptozoologie. Wir melden uns morgen früh wieder, falls nachts nichts Bedeutsames passiert. Sollte das der Fall sein, schickt mir bitte eine WhatsApp-Nachricht.
Donnerstag, 20.07.2023, nach Redaktionsschluss
- In der Nacht glaubt irgendjemand, Löwengebrüll gehört zu haben. Die Polizei twittert:
„Unsere Kollegen sind dem zusammen mit einem Veterinärmediziner und dem Stadtjäger nachgegangen. Auch mit Hilfe einer Drohne konnten die Hinweise nicht bestätigt werden“.
Anm. d. Red.: Falls es sich tatsächlich um eine Löwin handelt, würde diese nicht brüllen. - 23:42 Uhr: Die Polizei meldet, dass die „Maßnahmen im Wald“ unterbrochen wurden. Beamte bleiben vor Ort im Einsatz, dazu gibt die Polizei die Warnung heraus:
„Bitte meiden Sie die südlichen Waldgebiete Berlins über die Stadtgrenze hinaus.“
Kasten: Warum die Polizei von einer Löwin ausgehtAuch wenn sich die Hinweise verdichten, dass es sich nicht um eine Großkatze handelt, muss die Polizei bei so etwas vom „schlimmsten anzunehmenden Fall“ ausgehen. Sollte sich hinterher herausstellen, dass es sich nicht um einen Löwen oder Puma gehandelt hat, war der Einsatz unnötig und niemand wurde gefährdet.
Geht die Polizei andersrum davon aus „och, da ist nix, da hat jemand eine Hauskatze durch den Boden einer Schnapsflasche gesehen“ und da rennt tatsächlich ein Löwe rum und jemand kommt zu Schaden, ist das eine Katastrophe – gerade im Sommerloch. |
Erste Hintergründe
- Bisher (Donnerstag, 20.07.2023, 12:00 Uhr) hat noch niemand eine entwichene Großkatze gemeldet.
- Laut Zirkusdirektor Michel Rogall hält kein Zirkus in Deutschland Löwen oder Tiger. Über Pumas in Zoohaltung ist dem NfK nichts bekannt. Diese Tiere wurden im Vergleich zu Löwen und Tigern selten als Zirkustiere gehalten.
- Privathaltungen von Löwen, Tigern, Pumas und anderen Großkatzen sind extrem selten. Sie unterliegen hohen Auflagen, die nicht nur Gehegegröße und -gestaltung, Ausbruchsicherheit und Qualifikation der Halter angehen, sondern erfordern auch regelmäßige Kontrollen durch das Veterinäramt und Konzepte zur Tierbeschäftigung und -gesundheit. In vielen Bundesländern, so auch in Berlin sind private Haltungen dieser Tiere pauschal verboten.
- Im Süden Berlins gibt es keinen Zoo, Tier- oder Wildpark, der Großkatzen hält. Der Zoologische Garten und der Tierpark Friedrichsfelde sind die nächsten Institutionen, die Löwen halten. In beiden Institutionen fehlt kein Löwe, zudem gibt es Konzepte zur Warnung der Bevölkerung, wenn ein solches Tier ausbricht.
- In der Nähe der Sichtungsorte (bisher ist ja nur der Düppeler Forst bekannt), gibt es mehrere kleinere Tierhaltungen. Bis auf den Tierpark Luckenwalde hält niemand von denen größere Katzen. In Luckenwalde lebt ein Luchs-Paar.
- Der Focus meldet unter Berufung auf das Landesumweltamt Brandenburg, dass im Bundesland 23 Löwen gemeldet sind, das schließt Zoos, Zirkusse und Privathaltungen ein. Nur drei Zoos in Brandenburg halten Löwen: Sieversdorf-Hohenofen, Eberswalde und Müncheberg. Über die genaue Zahl der Löwen in diesen Zoos konnte ich auf die Schnelle nichts herausfinden, es sind jedoch in der Summe mindestens sechs, vermutlich nicht mehr als neun Tiere. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass mindestens 14 Löwen in Brandenburg in privater Hand gehalten werden.
Lang ersehnt: Unsere Analyse
Eine Analyse des nur wenige Sekunden langen Videos ist erstaunlich einfach. Das Tier steht nahezu rechtwinkelig zur Kamera und wird nur halb von Gebüsch verdeckt. Andere kryptozoologische Medien sind da zum Teil deutlich schlechter.
Ein echter Größenvergleich ist nicht möglich. Es gibt keine Markierung im gefilmten Bereich, die eine solche ermöglicht. Wie üblich ist auch niemand nach dem Filmen hingegangen und hat die Stelle bei Tageslicht noch einmal untersucht.
Ich arbeite hier mit zwei Screenshots des Videos, um auf zwei anatomische Merkmale aufmerksam zu machen, die deutlich gegen einen Löwen sprechen. Da auf den Standbildern deutlich weniger zu erkennen ist, als auf dem Video, empfehle ich dringend, sich den Clip einmal selbst anzusehen. Leider ist er weitgehend von den üblichen Videoportalen verschwunden.
Los geht’s:
Auf dem Video ist die Länge des Schwanzes gut erkennbar, denn das Tier bewegt ihn deutlich sichtbar. Er endet irgendwo auf der Höhe der Oberschenkel, maximal geht er bis zum Knie (B). Löwenschwänze reichen jedoch mindestens bis zum Boden.
Da der Schwanz des Video-Tieres in einer dunklen Quaste endet, kann es auch kein – wie auch immer – verkürzter Löwenschwanz sein. Löwenschwänze haben auch eine Quaste, aber mindestens 50 cm weiter hinten / unten.
Ein ähnliches Tier mit kurzem Schwanz ist der europäische Luchs.
Beispielbild für einen Löwen mit sichtbarem Schwanz:
Hier ist bereits rot die Rückenlinie eines Löwen markiert. Typisch für Großkatzen ist die zwischen Schultern und Hüfte durchhängende Linie. Diese zeigt sich auch dann, wenn das Tier mit den Vorderbeinen herunter geht, hier am Beispiel eines Pumas.
Selbst eine kauernde Großkatze zeigt einen konkaven Rücken, nur in wenigen Situationen macht sie eine Art Katzenbuckel. Diesen macht das Tier sehr deutlich, sogar in der Bewegung, wie dieses Bild zeigt:
Ein Löwe oder ein Puma sind damit bereits ausgeschlossen. Es gibt Stimmen, nach denen es sich um einen Hund oder Wolf, einen Hirsch oder ein Wildschwein handeln soll.
Einige Mitglieder des Netzwerkes meinen unisono, dass es sich um eines der berühmten Berliner Stadt-Wildschweine gehandelt hat. Eine längere Diskussion mit Markus Bühler hat mich davon überzeugt: Die Schwanzlänge passt. Die „Löwin“ zeigt die schnellen, etwas linkisch wirkenden Bewegungen eines Schweines, nicht die geschmeidigen Aktionen einer Katze. Die Farbe entspricht dem Sommerfell eines Wildschweins sehr gut, ebenso der Rundrücken.
Darren Naish vom Blog Tetzoo ist der gleichen Meinung. In seinem Beitrag hat er eine positive Identifikation durchgeführt: Link zu Tetzoo
Freitag, 21.07.2023, am Vormittag
- 6:50 Uhr: Die Suche wird intensiviert. Neben 120 ausgeruhten Polizistinnen und Polizisten kommen auch professionelle Tierspurensucher zum Einsatz. Ab 7 Uhr soll der Wald im Hundeauslaufgebiet fortgesetzt werden.
Bei der nächtlichen Suche wurden hauptsächlich technische Hilfsmittel wie Nachtsichtgeräte und Drohnen eingesetzt. „Wir beobachten die Wälder, wir gehen aber nicht mehr in sie hinein“, sagte ein Sprecher der Polizei der dpa in der Nacht. - 8:30 Uhr: Der Wildtierexperte der Berliner Senatsumweltverwaltung Derk Ehlert sagte dem RBB-Inforadio, dass er auf dem Video nur zwei Wildschweine erkenne.
- „Ich glaube aber natürlich den Zeugen, den Kollegen von der Polizei in Berlin, die ein derartiges Tier auch real gesehen haben“, ergänzt er. „Grundsätzlich kann ein Löwe nicht einfach weg sein, auch so eine Löwin nicht. Sie hinterlässt Spuren“, und weiter: „Es ist schon sehr auffällig, dass an der Stelle, wo das Tier gesehen und gefilmt wurde, nicht mal ein Trittsiegel zu sehen ist.“
- 10:00 Uhr: Die Polizei überprüft die Halter von Löwen in Brandenburg. Das Landesamt für Umwelt teilte der Polizei und den Medien mit, dass im Land 23 Löwen aus drei Zirkusunternehmen, zwei Zoos und einer privaten Haltung gemeldet sind.
Anm. d. Red.: Dies deckt sich nur teilweise mit früheren Meldungen. Dort wurde gesagt, dass kein Zirkus in Deutschland mehr Löwen hält. Ebenso haben wir drei Zoos in Brandenburg mit Löwen identifiziert. - 10:10 Uhr: Die Hinweise auf Löwengebrüll haben sich als Scherz herausgestellt. Jugendliche hatten dies von einem Handy über einen Lautsprecher abgespielt.
- 11:17 Uhr: Die WAZ zitiert Darren Naish: „In diesem Fall ist der Löwe auf jeden Fall kein Löwe“, erklärt der Forscher in seinem Blog „Tetrapod Zoology“.
- 11:21 Uhr: Sichtung am Panzerdenkmal in Kleinmachnow. Eine Reporterin von RTL berichtet, dass die Polizei dorthin auf dem Weg sei und eine angespannte Stimmung herrsche.
- 11:45 Uhr: Es gibt das Gerücht, dass auf Berliner Gebiet „etwas gefunden“ worden sei. Auf Nachfrage verneint dies einer der Löwenjäger. Er reist wieder ab.
- 12:06 Uhr: Die Stadt Kleinmachnow hat die für das Wochenende geplanten Open-Air-Veranstaltungen nach innen verlegt. Betroffen sind der Kinosommer und ein Konzert. Sie finden nun im Rathaussaal statt.
Freitag, 21.07.2023, am Mittag – Die Katze ist aus dem Sack!
- 12:00 Uhr: Die Polizei ist wieder im normalen Dienst. Videoanalysen haben gezeigt, dass es sich bei dem „Berliner Löwen“ auf dem Video um ein Wildschwein handelte.
- Dem entsprechend veröffentlichte die Gemeinde Kleinmachnow auch, dass sich eine erneute Sichtung als falsch erwiesen hat: „Es wurde aber eine sehr entspannte Bache mit Ferkeln dort aufgeschreckt.“
- 13:00 Uhr: Kleinmachnows Bürgermeister Michael Grubert spricht zur Presse. Er präsentiert Ergebnisse der Software Cybertracker und zitiert zwei weitere Bildauswertungen:
„Der Schluss geht dahin, dass zwei unabhängige Koryphäen auf dem Gebiet gesagt haben, dass es sich nicht um eine Löwin oder ein Wildtier handelt, sondern es gibt Anhaltspunkte, dass das Tier auf dem Bild gen Wildschwein tendiert.“ Dabei stellt er klar: „Es gibt keinen ernstzunehmenden Hinweis auf ein anderes Tier außer Wildschwein.“
- Grubert zeigt Bilder, auf denen er das Verhalten des Schwanzes und die Haltung des Rückens auf dem Video mit einer Katze und einem Wildschwein vergleicht. Dabei nutzt er (zufällig?) das selbe Puma-Bild wie wir in unserer Analyse.
Er erklärt, dass es deswegen „keine akute Gefährdungslage“ gebe. Die Polizei bleibe aufmerksam, aber der Einsatz geht auf das gewohnte, wachsame Niveau zurück. - Grubert verweist auf Kot- und Haarproben, die „augenscheinlich nicht von einem Wildtier“ sind. Es gebe keine Bestätigung, dass der Berliner Löwe überhaupt existiert. „Alle sagen: Es handelt sich nicht um eine Löwin. Eine Hand würde ich aufs Feuer legen“, so Grubert weiter.
(Anm. d. Red.: Wenn es ein Löwe gewesen wäre, stammte er aus privater Handlung, möglicherweise generationenlanger Gehegehaltung und Hands-on-Pflege. Ein Wildschwein dagegen läuft frei herum. Was ist da das „Wildtier“?) - Gleichzeitig verteidigt Grubert die Arbeit der Polizei: „Es ist etwas Ungewöhnliches gesehen worden. Wir reden nicht von einem Fake. (…) Es gab um 5 Uhr morgens irgendwas, das war da. Ich war überrascht, wie hell das Wildschwein war. Das war hellgrau. Und ich habe schon einige Wildschweine gesehen. Das hat gerechtfertigt, dass wir das machen. Stellen Sie sich vor, dass es andersherum wäre.“
- 14:40 Uhr: Nur eine Formalie, aber eine deutliche: Die Behörden heben die Warnung vor einer „freilaufenden Raubkatze“ auf. Damit ist der Berliner Löwe offiziell nicht existent.
Der „Berliner Löwe“, Freitag, 21.07.2023, am Nachmittag
- Spätestens seit der 13-Uhr Pressekonferenz wird das Netz mit Häme überschüttet. Mems zum Berliner Löwen schießen wie Pilze aus dem Boden.
- Das Institut für Tierpathologie in Berlin untersucht Haare, die an einem Baum gesammelt wurden und vom gesuchten Tier stammen sollen. „Anhand dieser Haare werden wir ziemlich sicher rausbekommen, was das für ein Tier war, welches die Haare dort hinterlassen hat“, sagte der Institutsdirektor Achim Gruber der Deutschen-Presse-Agentur.
- 14:00 Uhr: Grubert sagt: „Nach allem menschlichen Ermessen gehen wir davon aus, dass es keine Löwin ist.“ Der Focus schreibt hierzu: “Es habe mit Hilfe einer Organisation einen Vergleich der Videoaufnahmen mit dem Körperbau einer Löwin gegeben. Zwei Experten hätten dann unabhängig voneinander gesagt, dass auf dem Handyvideo keine Löwin zu sehen sei. Zum Beispiel habe der Verlauf des Rückens des im Video abgebildeten Tieres Erkenntnisse dazu gebracht.“
„Es gibt nicht einen Hinweis, der zu irgendeiner Annahme geführt hat, es könnte sich um eine Löwin handeln oder eine Wildkatze, eine große“, schließt Grubert den Fall ab.
Erste Bilanz der Berliner Polizei
- 16:35 Uhr: Die Berliner Polizei zieht Bilanz. Im Schnitt waren rund 200 Polizisten an dem Einsatz durchgehend beteiligt. Neben Drohnen waren auch Spürhunde und Hubschrauber beteiligt. Berlins Polizeisprecherin Beate Ostertag antwortete auf die Frage nach den Kosten:
„Es gab Hinweise auf eine akute Gefahrenlage“, sagte Ostertag. Die Polizei sei „im Rahmen des gesetzlichen Auftrages zur Gefahrenabwehr“ und in Amtshilfe für das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf aktiv gewesen.
- 16:45 Uhr: Auch das angeblich gerissen Wildschwein ist nicht auffindbar. Die Pressesprecherin der Gemeinde Kleinmachnow sagte zu Focus-online: „Die Nachricht über das gerissene Wildschwein geht auf Berichte zurück, dass das Tier, das, wie sich nun herausstellt, fälschlicherweise keine Löwin ist, angeblich einem anderen Tier nachgelaufen sein soll, bevor es im Busch verschwand.“ Es gibt keine Hinweise auf gerissenes Wild.
- Kot- und Haarproben sind am Freitagmorgen ins Leibniz-Institut nach Berlin gegangen. Die Analyse hiervon soll Samstagvormittag vorliegen.
- Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) meldet sich zu Wort. Der Bundesvorsitzende Jochen Kopelke sagte: „Es ist völlig klar, dass die Polizei Hilfe leistet, wenn es zu einer gefährlichen Situation aufgrund eines entflohenen Wildtieres kommt.“
- 19:32 Uhr: Der Urheber des Videoclips, der die ganze Aktion ausgelöst hat, meldet sich zu Wort. Der 19-jährige Nico M. aus Kleinmachnow sagt gegenüber t-online, dass er sich nicht vorstellen könne, ein Wildschwein statt einer Löwin gefilmt zu haben.
Danach und in Ruhe: Die Analyse
Eineinhalb Tage hielt eine vermeintliche Löwin Berlin und die nun wesentlich berühmtere Nachbargemeinde Kleinmachnow in Atem. Ein Video zeigt ein Tier im Scheinwerferlicht zwischen Büschen. Irgendwer glaubte, eine Löwin erkannt zu haben. Am vergangenen Donnerstag, kurz nach Mitternacht, warnte die Polizei die Bevölkerung – und ein Einsatz von mehr als 200 Polizistinnen und Polizisten begann.
Die Befragung von Fachleuten brachte bereits mehr als nur erste Zweifel. Eine tiefergehende Bildanalyse, wie sie Darren Naish und wir geliefert haben, zeigte deutlich auf, dass es sich hier keineswegs um einen Löwen handelt. Statt dessen wurde ein Wildschwein als Objekt des Videos, der Furcht oder später auch des Humors genannt.
Natürlich blieb die Löwenjagd im Süden der Hauptstadt erfolglos.
Daraufhin brach die Polizei am Freitagmittag den Einsatz ab, es gab keinen Grund mehr, von einer Gefahrenlage auszugehen. Um die letzten Zweifel auszuräumen, wurden Kot- und Gewebeproben zur wissenschaftlichen Analyse versandt.
Nachdem sich die Wogen geglättet hatten, gab es keinen Grund mehr, diese Analysen zu beschleunigen, so dass die Ergebnisse erst heute und nicht wie zunächst geplant, am Samstag vorliegen.
Die Analyse-Ergebnisse
Das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung untersuchte eine Kotprobe. In einem Vorabbericht heißt es, dass sie von einem Pflanzenfresser stammt.
Die Gemeindesprecherin von Kleinmachnow gab zur Haarprobe bekannt: Das analysierte Haar hat „eine Grundsteifigkeit, sprich, es ließ sich nicht verformen, sondern nahm immer wieder seine gebogene Form ein.“ Weiterhin betont der Vorabbericht: „Es hatte außerdem ein zerfasertes Ende und war an seinem Anfang (Hautseite) dunkel (fast schwarz).“ Morphologisch spricht also einiges gegen ein Katzenhaar.
Mikroskopisch sind Katzen- und Schweinehaare gut unterscheidbar:
Die Beschreibung der Haare habe ich vom Federal Buero of Investigation (FBI), das auch die Bilder stellt.
Am Dienstag, 25.07.23 war die DNA-Analyse abgeschlossen. Die Gemeinde Kleinmachnow schreibt dazu am darauf folgenden Tag auf ihrer Website:
Bereits gestern stand fest, dass die über den Kot extrahierten DNA-Fragmente zu 100 Prozent von einem Wildschwein stammen. Heute liegt auch das Ergebnis der Haaranalyse vor, und der DNA-Abgleich bestätigt die bereits vorliegende mikroskopische Untersuchung, wie uns die amtliche Tierärztin des Veterinäramts Potsdam-Mittelmark heute mitteilte. Somit ist auch das Haar eindeutig einem Wildschwein zuzuordnen.
Da DNA ja das Zauberwort ist, mit dem man auch den letzten Kritiker überzeugen kann, sollte die Sache nun auch bei den wenigen verbliebenen Verschwörungstheoretikern vom Tisch sein. Obwohl: Wer sagt, dass sie das richtige Haar und den richtigen Kothaufen untersucht haben?