Die Landschaft um Waldalgesheim. (Foto: Ulrich Magin)Die Landschaft um Waldalgesheim. (Foto: Ulrich Magin)
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Regen von Lebewesen, oft als Insektenregen bezeichnet, gehören zu den ältesten „unnatürlichen“ Naturphänomenen, die wir kennen. Schon die Bibel erwähnt den Regen der Wachteln und den Fall des essbaren Mannas während des Exodus, und die fortianische Literatur ist voll weiterer Beispiele für diesen Insektenregen. Ich habe allein in meinen Büchern Dutzende dieser Vorfälle besprochen.

 

Mehr noch: Dreimal war ich selbst Zeuge eines solchen Ereignisses. Zwei davon habe ich festgehalten, einmal in einem Zeitschriftenartikel und einmal in einer E-Mail, so dass ich in diesen Fällen auf relativ vorfallsnahe Berichte zurückgreifen kann.

 

Drei eigene Beobachtungen

Oban (Schottland), 1984

Oban
Der Hafen von Oban an der schottischen Westküste

 

 

Das erste Mal regnete es während eines Urlaubs in Oban an der Westküste Schottland winzige krebs- oder insektenartige Tiere auf mich. Ich ging im Sommer 1984 mit meiner Schwester an der Promenade entlang in Richtung der Jugendherberge. Das Wetter war böig und es fiel Nieselregen. Die Wellen des Meeres klatschten gegen die Hafenmauer und spritzten sehr hoch. Plötzlich fielen im Nieselregen Dutzender kleiner, krebsartiger Tierchen – vielleicht vier oder fünf Millimeter lang – auf uns herab. Sie prallten auf uns und sprangen dann in einem enormen Satz ins Meer. Erst später dämmerte es mir, dass das nicht nur ungewöhnlich, sondern sehr ungewöhnlich gewesen war. Möglicherweise kamen diese kleinen Tiere aus dem Meer und wurden mit der Gischt in die Luft geschleudert, um dann auf uns zu fallen (vgl. Magin 1993).

 

Trockene Regenwürmer auf dem Balkon, kein direkter Insektenregen, aber knapp
Die trockenen Regenwürmer auf den Platten des Balkons. (Foto: Ulrich Magin)

 

 

Leinfelden-Echterdingen – Musberg, 2012

Der zweite Fall liegt viel näher an heute und ereignete sich in Musberg, einem Ortsteil von Leinfelden-Echterdingen bei Stuttgart. Wir wohnten im dritten Stock eines Wohnblocks. Der Balkon ging nach Süden und wurde vom Boden des Balkons über uns überdacht. In einer Ecke stand ein großer Blumentopf, der von uns nicht genutzt und gegossen wurde.

 

Am 6. November 2012 hatte es bereits seit drei Tagen jede Nacht wie aus Kübeln geschüttet. Und an jedem Morgen fanden wir auf unserem Balkon ein halbes Dutzend Regenwürmer (alle tot und innerhalb von Stunden zu dürren dunklen Schatten ihres früheren Daseins verdorrt). Möglicherweise stammten sie aus dem Pflanzkübel und waren aufgrund des Regens herausgekrochen und vom Wind auf den Balkon geblasen worden. Allerdings: Damals war der Pflanztrog seit mindestens sieben Jahren ungenutzt – überleben Regenwürmer so lange Zeit ohne Zufuhr pflanzlichem Materials und Wassers? Ich nahm ein paar Fotos auf, nur um sicherzugehen, aber die Wiederholung des Phänomens deutet wohl auf einen irdischeren Ursprung hin.

 

Malsch, 1997 oder 1998

Ein weiteres Phänomen, bei dem ich ebenfalls nichts vom Himmel fallen sah, beobachtete ich ganz früh im Jahr 1997 oder 1998. Ich war bei kaltem Wetter und geschlossener, gefrorener Schneedecke unterwegs im Wald bei Malsch nahe Karlsruhe und fand mehrere Quadratmeter übersät mit kleinen Insekten (ich erinnere mich, dass es geflügelte Ameisen waren, bin mir aber nicht sicher).

 

Diese letzte Erfahrung bringt mich zu einem gut dokumentierten Insektenregen, der sich etwa 200 Jahre früher ereignet hatte: Anfang 1799 kam es in der Umgebung von Stromberg, der ersten Hochebene über der Reinebene bei Bingen, zu einem sehr ungewöhnlichen Naturereignis (Magin 2015). Ausführlich berichtet darüber der Licentiat Brahm in der Zeitschrift „Der Naturforscher“:

 

 

Die Landschaft um Waldalgesheim. (Foto: Ulrich Magin), Ort des Insektenregens
Die Landschaft um Waldalgesheim. (Foto: Ulrich Magin)

 

 

Nachricht von einem vorgeblichen Insectenregen

Von dem Herrn Licentiat Brahm.

Außerordentliche Ursachen bringen außerordentliche Wirkungen hervor; der Winter von dem Jahre 1798 bis 1799 war in Hinsicht auf seine Allgemeinheit, Dauer und Strenge sicher eine der merkwürdigsten und außerordentlichsten Erscheinungen dieses Jahrhunderts. Mehr denn einmal sank in unserer Gegend das Quecksilber des Thermometers tief in die Kugel hinein, verschiedene Menschen erfroren, selbst in der Stadt, da sie über die Straßen gingen, die unbedeckten Theile ihres Körpers: die Nasenspitze, Backen, oder Ohren; dem Hausgeflügel in den Hühnerställen Kämme und Füße, die wie mürber Zunder abfielen; in meinem Schlafzimmer, welches am Abend die Wärme von einer anstoßenden kleinen Schreibstube erhält, gingen alle Gewächse, welche ich dahin geflüchtet hatte, durch Frost zu Grunde; selbst der Rhein, in welchem das Treibeis schon seit einigen Tagen verschwunden war, weil es sich in einer [S. 177] Entfernung von mehreren Meilen oberhalb unserer Stadt bereits festgesetzt hatte, fror in einer einzigen Nacht, gleich einer Pfütze, spiegelglatt zu. Die erste Folge dieser für unsre Gegenden beyspiellosen Kälte zeigte sich bey dem Aufbruche des Maynstroms. – Zwischen dem 24. und 25. Jänner hatte sich Thauwetter eingestellt, worauf am 29. in der Frühe der Aufbruch dieses Stroms erfolgte. Der Rhein, stand damals an unsrer Stadt noch fest, ward aber in kurzer Zeit von dem Schwellwasser des Maynes überströmt, und mit diesem schob sich ein großer Theil des Treibeises über feine Decke hin; indeß der andere, der sich über dieselbe nicht erheben konnte, von dem Ausflusse des Stromes an, bis auf einige Stunden aufwärts, auf dem Grunde sich festsetzte, und übereinander thürmte. Die Folge hiervon war, daß das angeschwollene und gehemmte Gewässer bey Rüsselsheim zur Seite in das flache Darmstädter Land ausbrach, sich queer durch dasselbe ein neues Bett bahnte, und ober Giesheim in den Rhein ergoß. Das Rheineis war schon seit einigen Wochen verschwunden, während dem die neue Richtung des Mayns noch immer die nämlich blieb, so daß man fast die Rückkehr des Stroms in sein altes Bett zu bezweifeln anfing, die aber dennoch einige Zeit hernach erfolgte.

Bingen, Rhein, Wald und Burg Ehrenfels
Der Wald hinter Bingen und Rüdesheim mit Burg Ehrenfels heute

 

In der Nacht von dem 29. den 30. Jänner stellte sich die Kälte, wiewohl in minderer Stärke, als vorher, wieder ein, und wechselte bis [S. 178] in die erste Hälfte des Hornungs, unter Regen und Schnee, mit Thauwetter ab, unter dieser Zeit entstand auf einmal das Gerücht, daß in der Gegend von Dachsweiler, Stromberg, und im Walde bei Bingen, eine ungeheure Menge lebender Raupen und Würmer und anderer Insekten mit dem Regen und Schnee herabgefallen sey, und auf letzterem herumlaufe. Die Landleute jener Gegenden brachten ganze Schachteln voll, von diesen, nach ihrer Meinung aus den Wolken herabgekommenen Wunderthieren, nach der Stadt,, wo jedermann sich hindrängte, sie in Augenschein zu nehmen, und, wo möglich, zum Besitze einiger zu kommen, welche letzte Gunst aber nur wenigen gewährtet wart. Der Aberglaube, immer beschäfftigt, aus jeder ungewohnten Erscheinung eine Ankündigung der Strafgerichte des guten Gottes zu enträthseln, war auch hier nicht müßig, in diesem Vorfalle die untrügliche Vorbedeutung von Pestilenz und Hungersnoth, und aller Schrecknisse eines neuen Krieges, aufzufinden, den der alles vergrößernde Ruf, durch mancherley hinzu gedichtete abenteurliche Umstände, treulich unterstützte. Es kostete daher viele Mühe, das Wahre von dem Falschen zu sonderen, und sich einen treuen, unverfälschten Aufschluß der wunderbaren Sage zu verschaffen. Nach mancherley Versuchen gelang es mir endlich, einiges hierüber zu erhalten, welches ich in den eignen Worten der Erzähler in folgenden Beylagen hier mittheilen will:

 

 

A.

Bingen, den 15ten Febr. 1799.P.P.

Von der Begebenheit, so am Montage in unserer Gegend vorfiel, werden Sie schon gehört haben.

Es war am 12. dieses, daß ein sehr starker Schnee fiel; gegen Mittag veränderte sich das Wetter, und war mit Schnee und Regen vermischt; während diesem regnete es auf dem ganzen Hundsrück, und bis auf Waldalgesheim, eine Stunde von hier, und in dem Binger-Wald eine solche-Menge von Ungeziefer, welche alle lebten, und die Leute, so auf dem Felde und im Walde waren, zwangen, davon zu laufen. Es bestand erstlich in einer außerordentlichen Menge von Raupen, welche theils weiß, grau, roch, gelb und schwarz waren; nebst diesen regnete es Würmer von 3 bis 4 Zollen lang, Schnecken oder Mücken, so einen Zoll lang waren, Heuschrecken, und fliegende große Ameisen, nebst großen grünen und schwarzen Spinnen. Ich ging gestern Nachmittags hinter das Jägerhaus, und fand allda noch den Boden schwarz voll Raupen, Spinnen. Heuschrecken und dergleichen, welche alle, da ich sie nach Haus brachte, lebend wurden; dies Ungeziefer frißt nichts, und sie verzehren sich selbst einander. Ich wollte Ihnen gern von jeder Sorte schicken, sie sind aber gar zu heikel. Zur Probe folgen hier sechs Stücke von den kleinsten Raupen, [S. 180] welche ich auf dem Ofen gedörrt habe; Sie werden finden, daß es keine Raupen sind, sondern eine Art der sogenannten Ohrenschlingen (Forsicula)[1]. So habe ich eine Sorte, welche drey Zolle lang ist, aber alle sind von dieser Art, und was das Sonderbarste ist, so wurde es gleich darauf wieder so kalt, daß man glaubte, sie wären alle erfroren. Diejenigen, die ich habe, habe ich aus dem Eis mit dem Messer herausgebracht, und sobald ich sie in die Stube brachte, fingen sie an zu leben, da ich gewiß glaubte, weil sie schon drey Tage auf dem Felde lagen, sie wären alle erfroren. Die Leute, die auf dem Felde waren, konnten sich nicht erwehren, indem sie denselben unter die Kleider und in Mund, Nase und Ohren krochen. Dieses ist also etwas Sonderbares in diesem kalten Winter etc.

Caspar Litzendorf.

 

 

B.

Bingen, den 13ten Febr. 1799.

P.P.

Gestern Abend erhielt ich Dero Werthes. Dasjenige, so ich gesammelt habe, bestand in siebenerley, als:

1) die Art von denjenigen, so ich Ihnen zugeschickt habe;

[S. 181] 2) eine Art Käferwurm, schwarz von Farbe, 2 bis 3 Zolle groß;

3) eine Heuschrecke, grün;

4) eine große Ameisenfliege, gelb;

5) eine große Wasserspinne, grün:

6) eine kleine Puppe, so noch nicht verwandelt war, grau, mit einem weißen Streife auf dem Rücken;

7) schwarze Erdflöhe[2] .

Alle diese Insekten habe ich in Spiritus gelegt, und solche dem alten Hrn. Manera in Verwahrung gegeben, und wenn es sich thun läßt, so wird sie Ihnen meine Frau nächsten Freytag mit nach Mainz bringen. Jedoch ist jede Sorte apart in einem Gläschen aufbewahrt. Damit Sie auch sehen können, wie es unterschiedlich regnete, so folgen hier zwey Copieen von Attestaten; das eine ist von der Gegend hinter Stromberg, das andere von hier bis Stromberg.

Caspar -Litzendorf.

 

Engerlinge
Engerlinge

 

C.

Copia.

Den 11. Febr. 1799 ging ich Endesunterschriebener mit vier andern Männern von Dachsweiler nach Stromberg, allwo ich unterwegs dreyerley Arten von Raupen mit dem Schnee fallend [S. 182] bemerkte, auch zweyerley Spinnen fand; die erste Gattung betreffend, waren selbige dunkelbraun – braune mit weißen Streifen auf dem Rücken, und weiße mit braunen Köpfen. Die zweyte Art waren braune und dunkelgrüne; auch sahen wir Würmer von ungewöhnlicher Größe, braun von Farbe, mit dem Schnee fallend herumkriechen.

Rupertus Woll

parochus.

 

 

D.

Copis

Den 11. Febr. 1799 fiel in hiesiger Gegend des Morgens bis Nachmittags ein sehr starker Schnee, allwo Leute von Dorsheim, Waldlauberheim und Dörenbach Geschäfte halber hierher nach Stromberg kamen, sagend, daß sie allerley Insecten mit dem Schnee fallend herumkriechend gesehen; alsbald gingen verschiedene hiesige Einwohner in die Gärten und Feldungen, und fanden solches gegründet; der Schullehrer Flach, von hier, ging auf dem sogenannten Salzacker, und fand auf dem Schnee herumkriechen braunschwarze kleine Raupen mit sechs Füßen und vier Ohrhörnern, deren Füße nicht unähnlich, doch weit kürzer als der sogenannten Kellerassel; ferner eine Art von den sogenannten Ohrenschlingen; weiters eine kleine Art der sogenannten Pothammel oder [S. 183] Rheinschnake[3], auch Ameisen, Mücken vorstellende Insecten; alle diese auf dem Schnee gesammelte herumkriechende Thierchen habe ich in einem Glase verwahrt, und sie des andern Tags nach Coblenz an die Centralverwaltung geschickt.

Kollmann.

Man muß bemerken, daß dieses zu Stromberg bey dem Cantonsgericht zu Protokoll genommen worden, von woher ich diese Copien erhielt.

 

Litzendorf.

 

E.

P.P.

Eine außerordentliche Naturbegebenheit in unsrer Gegend hat uns seit einigen Tagen in eine zweifelnde Lage von Muthmaßungen, Prophezeyungen u. s. w. versetzt. Ihnen, einem Sachkundigen und Liebhaber, will ich eine Probe von diesen Seltenheiten schicken und bitte dagegen um Ihre Meinung und Rath. Die Begebenheit ist so außerordentlich, als daß sie nicht auffallen sollte. Ich stehe nicht gern unter dem Pöbel, der Krieg und Hungersnoth voraussieht, doch weiß ich mich aber nicht auf eine schickliche Art heraus zu winden. Diese Seltenheiten sind auf unserm Ebenthal gestern gefunden worden. Man findet sie jetzt noch häufig über und unter dem Schnee laufen.

 

Auf dem Hundsrücken, Stromberg Waldalgesheim, Schweppenhausen, ist das Spectakel [S. 184] noch fürchterlicher gewesen; Leute, die wirklich zu Protokoll vernommen wurden, sagen aus, daß es dergleichen Insekten so häufig geregnet, daß sie sich nicht hätten erhalten können, sie wären ihnen in Mund und Ohren gelaufen. Natürlich werden immer Vergrößerungen gemacht, auch das Regnen will mir nicht in den-Kopf.

Die schwarzen kleinen sind am häufigsten, und öfters zwey Zolle lang; sonst ist es wie eine wahre Insectensammlung anzusehen.

Ein kleines schwarzes, mit einem Fühlhorn, ist verloren gegangen; es war ganz schwarz, und fast gestaltet wie eine Grille.[4].

Übrigens sollte es mich sehr freuen, wenn ich Ihnen einen Dienst dadurch erzeige; in dieser Hoffnung und Ueberzeugung bin ich Ew. etc.

Rüdesheim, den 18ten Febr. 1799.

ergebenster Diener

Joh. Müller.

Landschaft Hunsrück im Winter
Winterlandschaft im Hunsrück heute

 

Aehnliche Nachrichten erhielt ich theils mündlich, theils schriftlich aus den übrigen Gegenden des Rheingaus, aus der Bergstraße, von Offenbach etc., die ich aber übergehe, weil sie im Wesentlichen mit dem hier mitgetheilten völlig übereinstimmen; nur zeigten sich die erschienenen Insecten [S. 185] an den verschiedensten Stellen entweder in stärkerer oder minderer Anzahl; diejenigen Arten, welche ich nebst den bereits genannten hierbey zu sehen und zu bestimmen Gelegenheit hatte, waren folgende: Cerabus nicricornus und parumpunctatus [beides Glasflügelwanzen], Silpha atrata [Aaskäfer], Coccinella 12-punctata [Marienkäfer], Acrydium subulatum [eine Dornschrecke], Forficula auricularia [Gemeiner Ohrwurm], Oniseus asellus [Mauerassel]; und Raupen der Noctua pronuba [Hausmutter, ein Nachtfalter] und C. nigrum [C-Eule, ein Nachtfalter]; auch will man Bienen, Raupentödter (Ichneum.) und Wespen gefunden haben; allein ich konnte keine zu Gesicht bekommen. Nun weiß jedermann, wer nur eine mäßige Erfahrung im Insectensammeln hat, daß man diese Geschöpfe theils in ihrem vollkommenen Zustande, theils im Larven- oder Puppenstande, den ganzen Winter hindurch antreffen kann, wenn man nur Kenntniß von ihren Schlupfwinkeln hat; man weiß, daß einige sogar mitten in der kalten Jahreszeit an heiteren Tagen, so lange die Sonne scheint, hervorkommen, und in der Luft umher schwärmen, worunter vorzüglich die Tipula regulationis [Schnaken], die Scarabäen inquinatus und prodromus, verschiedene Arten der Sphäridien, nebst der Musca rudis und vomitoria [Fliegen] etc. gehören. Es ist daher etwas ganz gewöhnliches, wenn man schon im Februar, auch wol noch früher, Raupen und Käfer unter Steinen, Baumrinden, Moos u. d. gl. antrifft, oder gar außerhalb dieser Schlupfwinkel gewahr wird. Die erzählte diesjährige Erscheinung verdient daher lediglich in Rücksicht auf die ungewöhnliche Menge der hervorgekommenen Insecten, und auf ihre [S. 186] ihre Einschränkung in gewisse Gegenden, die Aufmerksamkeit des Naturforschers; nur über diese zwey Gegenstände will ich daher meine Gedanken hier beyfügen, welche, wenn sie die Sache auch nicht erschöpfen sollten, vielleicht einen geübteren Naturforscher bewegen, uns mit einer gründlichen Erklärung zu beschenken.

 

Es ist bekannt, daß bey weitem der geringste Theil der Insectenarten als Embryonen (nämlich in den Eyern) überwintern; die Arten der Schmetterlingen bringen denselben größtentheils in der Puppe, oder als Raupen zu, die übrigen Insectenklassen hingegen theils als Larven, theils in dem vollendeten Zustande; sobald die rauhe Jahreszeit beginnt, beziehen diese Thiere ihre Winterwohnungen, wozu sie breitblätterige Gewächse, z.B. das Wollkraut, die Klette, die große Wegdiestel (Onopordon acanthium), Steine, Mose u s. w. aufsuchen, unter denen sie sich in der Erde verbergen; einige, welche weniger zärtlich sind, z.B. die Raupe der Bomb. fuliginosa, [vermutlich ist hier der Zimtbär gemeint] bleiben an der Oberfläche, und verstecken sich in den ersten den besten Schlupfwinkel, der sich ihnen darbietet, zwischen ausgedörrten und zusammengerollten Blättern, Lumpen u. d. gl.; doch werden hierzu immer jene Stellen sorgfältig ausgewählt, welche vor den schneidenden Nord- und Ostwinden geschützt sind[5].

 

[S. 187] Die Versammlung ist daher am solchen Oertern immer sehr zahlreich, da alles dahin zusammenströmt, und je weniger eine Gegend derselben aufzuweisen hat, desto gedrängter muß nothwendigerweise die Menge daselbst sich anhäufen; deswegen ist es für den Naturforscher, welcher diese Thiere in ihrem Winteraufenthalte aufspüren will, eine längst bekannte Regel, daß er seine Nachforschungen niemals gegen Norden und Osten, sondern immer nach der Süd- und Westseite zu, anstelle, besonders an Stellen, wo die rauhen Winde übergehn, und im Frühlinge die belebenden Strahlen der Sonne ungehindert hinwirken können. – Nun weiß ich freylich nicht, ob die Gegenden von Stromberg, Dachsweiler etc. aller dieser Vortheile genießen; allein ich müßte mich sehr irren, wenn es nicht wäre, besonders wo sich das nämliche Phänomen zu gleicher Zeit, wie wir oben bey E. gesehen haben, auch bei Rüdesheim, und zwar in dem sogenannten Ebenthale gezeigt hat, einer Gegend, welche alle die erwähnten Eigenschaften in einem hohen Grade besitzt. Hieraus läßt sich also die Menge der diesjährigen Insecten in den gedachten Gegenden leicht erklären, besonders wenn man zurückdenkt, wie außerordentlich günstig der verflossene Sommer für die Vermehrung aller Gattungen dieser Thiere gewesen ist, welche ihr durch die Erfahrung sattsam erprobtes Vorgefühl der Stärke des herannahenden Winters (man erinnere sich hier an Quatremers Beobachtungen über die Spinnen,) zu tausenden nach [S. 188] jenen Gegenden hinziehen mußten, die ihnen Schutz gegen die Strenge des Frostes gewährten.

 

Was die Umstände ihrer Erscheinung betrifft, so muß man nicht vergessen zu bemerken, daß schon einige Wochen vor diesem Phänomen die Kalte unterbrochen mit Thauwetter abgewechselt habe; selbst an den kalten Tagen schien die Sonne ziemlich warm; an den gelinden schmolz der Schnee, das erwärmte Schneewasser thaute die Erde auf, drang in dieselbe ein- und theilte ihr eine gelindere Temperatur mit; die Wärme mußte unter diesen Umständen auf die darin verborgenen organischen Körper um so wirksamer seyn, sie erweckte also die Insecten aus ihrem Todtenschlafe, allein das Wasser nöthigte sie auch zugleich ihre Schlupfwinkel zu verlassen, und sich an die Oberfläche der Erde heraus zu flüchten; hier empfing sie die erstarrende Kälte, sie krochen kraftlos auf dem Schnee umher, auf dem sie keinen festen Fuß fassen konnten; leicht möglich also, daß der Wind mehrere von ihnen mit demselben auffaßte und umherstreute, wobey vielen noch sogar ihre Flügel zu statten kamen; sie konnten aber unter diesen Umständen ihre Reise nicht weit fortsetzen, sondern blieben bald, wie alle Erzählungen übereinstimmten, erstarrt liegen.

 

Hierdurch wäre also nach meinem Bedünken das gantze Räthsel so ziemlich natürlich gelöst; denn daß diese Thiere mit dem Schnee und Regen aus den Wolken gefallen seyn, wird wol niemand im Ernste glauben, und eben so wenig durch die unter [S. 189] C und D mitgetheilten Zeugnisse für erwiesen achten; denn erstens sind schon die schwankenden und unbestimmten Aeußerungen der Attestanten, daß sie nemlich die Insecten mit dem Schnee fallend haben herumkriechen gesehn, verdächtig; zweytens mußten diese Leute wol auf den Glauben des Herabschneyens verfallen, da sie die ungewohnte Erscheinung sich nicht anders erklären konnten, sie nahmen daher ihre Muthmaßungen für Gewißheit, und theilten sie als solche mit; wären auch drittens die Thiere wirklich aus der Luft herabgekommen, so hätten doch gewiß einige den Beobachtern auf die Köpfe, auf Dächer u. s. w. fallen müssen, wovon jedoch kein Beyspiel vorhanden ist; im Gegentheile sagen die Nachrichten (man sehe die Beylage A.) daß sie den Leuten an die Kleider und unter dieselben gekrochen, folglich von unten herauf gekommen seyen; wiewohl auch nach demjenigen, was ich oben von dem Winde gesagt habe, manches Insect wol mit dem Schnee herabfallend hätte bemerkt werden können.

 

Wer wird also wol zweifeln, daß es mit dem ganzen Phänomen vollkommen natürlich zugegangen sey, und dasselbe daher keine der außerordentlichen und abenteurlichen Deutungen annehme, mit denen sich manche bangherzige Menschen abängstigten? Selbst der Umstand, daß die Insecten (doch wol nicht alle) einander aufgefressen haben sollen, ist nichts Wunderbares; viele Insectarten sind Mörder, und fallen einander, hauptsächlich in der Gefangenschaft, an; vorzüglich [S. 190] sind die Larven der Cantharis fusca [Gemeiner Weichkäfer] in diesem Puncte bekannt[6]; eben jene schwarze Würmer, deren alle Nachrichten erwähnen; und die sich überall sowohl durch ihre Zudringlichkeit, als durch ihre Menge auszeichneten; sehr natürlich war es also, daß bey denselben, so wie sie in Schachteln in die warme Stube gebracht wurden, mit den erhaltenen Kräften auch ihre angebohrne Freß- und Mordlust erwachte, und daß sie demnach sowohl sich selbst untereinander, als auch andere anfielen und aufzehrten.

Es läßt sich also von dieser Erscheinung nichts weiter sagen, als daß sie eine der außerordentlichen Wirkungen einer außerordentlichen Ursache, nemlich des verflossenen strengen Winters gewesen.“

 

Fazit

Es steht außer Zweifel, dass meine Beobachtungen alle auch konventionell erklärt werden können, selbst wenn sie für mich äußerst ungewöhnlich und verwirrend waren. Ob es sich aber der Autor des Artikels von 1802 nicht zu einfach macht? Letztendlich kann man nur sagen, dass es so gewesen sein könnte, nicht aber, dass es so gewesen sein muss.


Literatur

Brahm, Licentiat: Nachricht von einem vorgeblichen Insectenregen. Der Naturforscher. Verlag J.J. Gebauers Witwe und J.J. Gebauer, 1802, 176–189.

Magin. Ulrich: Astral Travel, UFOs, and High-Jumping Lobsters. Pebbles, vol 1 nr 1, Winter 1993–1994, S. 28–29, 69.

Magin. Ulrich: Magischer Mittelrhein. Rheinbach: Regionalia 2015.

[1] Hier hat der Briefsteller geirrt, denn zu Folge der mir mitgetheilten Proben waren es Larven der Cantharis fusca Linn.

[2] Ich habe diese Sammlung noch nicht zur Einsicht erhalten, und kann demnach über die hier verzeichneten Arten, ausgenommen n. 1., welches die obgedachte Larve der Cantharis fusea war, keinen Aufschluß nach dem System geben.

[3] War Tipula regelationis Linn.

[4] Die diesem Briefe beigefügten Insecten bestanden in folgenden Arten: Aranea saccata, einer Menge Larven der Cantharis fusca, Raupen der Bomb. fuliginosa Linn. und der Noct. leucophata Fabr.

[5] Nur die Tipula regulationis macht hiervon eine Ausnahme, indem sie sich nämlich frey und ohne Bedeckung an jedes Strauchwerk hinhängt.

[6] *) Man sehe Preystiers Verzeichnis böhmischer Insekten, erstes Hundert, S. 63

 

Von Ulrich Magin

Ulrich Magin (geb. 1962) beschäftigt sich seit seiner Kindheit mit Kryptozoologie, insbesondere mit Ungeheuern in Seen und im Meer. Er ist Mitarbeiter mehrerer fortianischer Magazine, darunter der „Fortean Times“ und Autor verschiedener Bücher, die sich u.a. mit Kryptozoologie befassen: Magischer Mittelrhein, Geheimnisse des Saarlandes, Pfälzer Mysterien und jüngst Magische Mosel.