Wenn man eine kurze Websuche nach Parthenogenese, also der Fortpflanzung ohne Partner durchführt, findet man recht schnell fünf Hai- und eine Rochenart. Von Knochenfischen ist in den üblichen Web-Lexika, der Wikipedia und allen, die davon abschreiben, aktuell kaum etwas zu lesen. Einige Arten mit Parthenogenese oder vermuteter Parthenogenese gibt es, aber es sind wenige und nicht bei allen ist das sicher.
Um so überraschter waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Bonn, als sie Buntbarsche der Gattung Benitochromis aus Kamerun in ihren Aquarien hielten. Die Tiere sind nach Angabe der Bonner berüchtigt dafür, so aggressiv zu sein, dass sie nur alleine gehalten werden können.*
Als sich dann einer der alleine gehaltenen Fische fortpflanzte, war die Überraschung groß. „Zunächst dachten wir, es könnte durch eine Außeneinwirkung passiert sein, deshalb achteten wir dann genau darauf, dass es beispielsweise bei Wasserwechsel keine Verunreinigungen gab – und trotzdem passierte es erneut“, schildert Dr. Astrid Böhne, Sektionsleiterin für Vergleichende Genomik am Leibnitz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels die Situation.
Parthenogenese ist mit genetischem Verlust verbunden
Noch ungewöhnlicher war, dass die Nachkommen im Vergleich zum Elterntier einen großen Verlust an genetischer Diversität haben. Die Nachkommen haben häufig nur ein Allel – also unterschiedliche Varianten eines Gens an einer bestimmten Stelle auf einem Chromosom – wobei gewöhnliche Exemplare zwei Allele haben.
Hierfür hatten die Wissenschaftler zwei Erklärungen: Inzucht oder Parthenogenese. Eine Computersimulation schloss jedoch aus, dass Inzucht der Grund für die reduzierte Diversität ist. Also blieb nur Parthenogenese, oder?
Hierbei gehen die meisten parthenogenetischen Wirbeltiere den gleichen genetischen Weg: Sie führen eine „normale“ Meiose, die Keimzellenbildung vor, bei der der Chromosomenbestand der Zellen halbiert wird.
Während bei einer „normalen“ Fortpflanzung die fehlende Hälfte des Genoms durch das der anderen Keimzelle ersetzt wird (das ist die Befruchtung), verdoppelt sich bei einer Parthenogenese das Genom der Keimzelle, so dass alle Gene in der selben Variante vorliegen.
Dies ist aber bei der Benitochromis-Art aus Kamerun nicht der Fall. Statt dessen zeigen die Nachkommen an unterschiedlichen Stellen im Genom Diversität, wo sie parthenogenetisch erzeugte Organismen sie nicht hätten.
Hieraus schließen die Wissenschaftler, dass die Tiere sich selbst befruchtet haben. Dies ist eine unerwartete Nachricht. Bisher ist Selbstbefruchtung nur von einem einzigen anderen Wirbeltier bekannt, dem Marmorierten Bachling Rivulus marmoratus, einem Zahnkärpfling.
Benitochromis nigrodorsalis können ihr Geschlecht wechseln
„Bislang war nicht bekannt, dass Buntbarsche überhaupt ihr Geschlecht wechseln können. Vor uns hat noch niemand eine ganze Genomauflösung der Fische angefertigt und konnte die Fortpflanzung auf diese Art und Weise nachvollziehen. Aus diesem Grund prüfen nun viele Kolleginnen und Kollegen ihre Forschungsobjekte sowie die Fortpflanzungsmechanik neu. Es gibt scheinbar Nichts, was es nicht gibt und Fortpflanzung ist nicht so trivial, wie wir nun sehr lange gedacht haben“, fasst Astrid Böhne zusammen.
Die untersuchte Art Benitochromis nigrodorsalis ist als biparentaler, ovophiler Maulbrüter bekannt.
Noch zu erwähnen ist, dass die Unterfamilie der Chromidotilapini bereits für ihre ausgeprägte Plastizität in der Fortpflanzungsbiologie bekannt sind. Es gibt alle Brutformen, die bei Buntbarschen bekannt sind: Offenbrüter, Höhlenbrüter, larvophile und ovophile Maulbrüter. Innerhalb eines vermuteten Stammbaumes sind beide Arten des Maulbrütens mehrmals entstanden oder befinden sich in der Übergangsphase vom Höhlen- zum Maulbrüter.
Die Biologie des Maulbrütens bei Buntbarschen ist sehr komplex, beide Formen können nicht auseinander evoluiert sein und sind innerhalb der Familie vielfach entstanden.
Quellen
Böhne, A., Thünken, T. et al.: Evidence for selfing in a vertebrate from whole-genom sequencing; Genome Res. 2023. 33:2133-2142;
Pressemitteilung des LIB: https://leibniz-lib.de/2024-01-12-unbefleckte-empfangnis-buntbarsche/
* Nach Informationen der Redaktion ist dies nicht zwingend der Fall. Mir sind mehrere Halter bekannt, die mehrere Benitochromis-Arten in Paaren oder Gruppen halten und zur (normalen) Fortpflanzung bringen können.