Japanische Wissenschaftler um Tadasu K. Yamada haben eine dritte Art der Gattung Berardius beschrieben. Die „neue“ Art Berardius minimus ist aus Berichten bereits bekannt gewesen, traditionelle japanische Walfänger unterscheiden sie schon seit langem von der bekannten nordpazifischen Art. Berardius minimus unterscheidet sich von den beiden anderen Arten durch eine geringere Körpergröße, einen kürzeren Schnabel und ist dunkler gefärbt.
Die Gattung Berardius
Die Gattung Berardius gehört zur Familie der Schnabelwale (Ziphiidae). Innerhalb dieser teilweise recht geheimnisvollen Familie stellt sie mit B. bairdii und B. arnuxii die beiden größten Arten. Sie erreichen regelmäßig Längen um zehn, in Ausnahmefällen sogar 13 m. Sie sind damit nach den Pottwalen die größten Zahnwale.
B. arnuxii lebt zirkumpolar auf der Südhalbkugel, er trifft die Küsten von Neuseeland, Südaustralien, Südafrika und Feuerland sowie der Antarktis. Die Art ist nahezu unerforscht.
Der Baird-Wal (B. bairdii) ist im Nordpazifik weit verbreitet, in Asien vom Südende Japans bis nach Kamtschatka, in Amerika von Alaska bis zur Spitze Niederkaliforniens. Die Tiere leben meist küstenfern in tiefen Gewässern.
Traditionelle Walfänger im Norden Japans unterschieden seit mindestens 200 Jahren zwei Arten der Berardius-Wale. Die einen Tiere wurden als “tsuchi-kujira” (tsuchi vermutl. „Boden, Schlamm“, kujira = Wal) bezeichnet, einen Namen, den der Walforscher Frederick William True mit B. bairdii gleichsetzen konnte. Er konnte den Gebrauch des Namens bis ins frühe 18. Jahrhundert zurückverfolgen, genauso lange wie die Jagd auf diese Tiere.
Die alten Walfänger Hokkaidos kannten noch eine zweite Art von großen Schnabelwalen, die sie als “kuro-tsuchi” bezeichneten (kuro = dunkel, schwarz). Diese ist mit der neu beschriebenen Art identisch. Dennoch ist es lange Zeit nicht zu einer wissenschaftlichen Beschreibung gekommen.
Die Typen
Bei einer Erstbeschreibung wird ein „Holotyp“ hinterlegt, der als „das Tier, das die Art definiert“ gilt: Jedes Tier, das in derselben Art, wie der Holotyp steht, gehört zu dieser Art. Bei B. minimus ist das NSMT-M35131, aus der Sammlung des National Museum of Nature and Science in Tokio. Der Holotyp besteht aus Schädel, Unterkiefer und den meisten Teilen des Skeletts sowie Gewebeproben. Das Tier war am 04. Juni 2008 in einem Zustand fortgeschrittener Verwesung in Kitami, Hokkaido gestrandet.
Von sechs für die Erstbeschreibung berücksichtigten Tieren waren vier geschlechtsreife Männchen, ein nicht geschlechtsreifes Weibchen und ein neugeborenes Weibchen. Alle Tiere strandeten oder trieben tot in den Gewässern der japanischen Nordinsel Hokkaido. Vom neugeborenen Tier ist nur ein abgetrennter Kopf geborgen worden. Die Erstbeschreiber betonen, dass für ihre Untersuchungen keine lebenden Tiere verwendet wurden und keine Tiere sterben mussten.
Wie zeichnet sich Berardius minimus aus?
Berardius minimus unterscheidet sich von seinen Verwandten durch einige einzigartige Merkmale: Der auffällig kleinere Körper adulter Tiere, einen proportional kürzeren Schnabel und die dunklere Körperfarbe, auf der Bisspuren von Cookie-Cutter-Haien zu sehen sind.
Maßtabellen können in der unten verlinkten Erstbeschreibung eingesehen werden.
Das Erscheinungsbild von Berardius minimus
Insgesamt wirkt B. minimus typisch für mittelgroße bis große Schnabelwale, es gibt jedoch zahlreiche Detailunterschiede. Relativ kleine Flipper, eine kleine, bei 70% der Körperlänge liegende Fluke und die nicht gekerbte Schwanzflosse sind arttypisch. Das längste bisher bekannte Exemplar erreichte 6,9 m Körperlänge, der Körper ist spindelförmiger als bei den anderen Berardius-Arten. Der Schnabel ist mit etwa 4% der Körperlänge vergleichsweise kurz, das kann jedoch auch bei den anderen Berardius-Arten auftreten.
Anders als die anderen Berardius-Arten ist der Körper schwarz, das Rostrum trägt ein fahles Weiß bis Hellgrau. B. bairdii wird als schiefergrau beschrieben, wobei der hellere Ton durch ein dichtes Netz von Narben hervorgerufen wird, die man in der Regel auf „intraspezifische Auseinandersetzungen“ zurückführt. Berardinus arnuxii wird als schwarz bis hellgrau beschrieben.
B. minimus ist dunkler, als bairdii und ihm fehlt ein heller Fleck am Bauch. Zumindest bei subadulten und adulten B. minimus findet man regelmäßig Narben von Cookie-Cutter-Haien. Wie adulte Weibchen aussehen, ist unbekannt.
Anders als bei den anderen Berardius-Arten wirkt der Kopf bei B. minimus nicht ungewöhnlich klein.
Die untersuchten Männchen waren zwischen 6,3 und 6,9 m lang, das unreife Weibchen war mit 6,21 m nur unwesentlich kleiner. Wie alle Berardius-Arten hat B. minimus zwei Zahnpaare auf der Spitze des Unterkiefers. Die vorderen Zähne sind hierbei deutlich größer als die hinteren.
Das Skelett
Das Skelett ist -kurz beschrieben- schnabelwaltypisch. Die Knochen sind ziemlich grobporig, sie schwimmen im Prozesswasser, sobald das innenliegende Weichgewebe entfernt wurde. Für die Anatomie-Spezialisten unter den Lesern haben wir sogar die Wirbel-Formel: C. 7, Th. 10, L. 10, Ca. 19, also total 46 Wirbel. Wie bei vielen Walen sind die Halswirbel C1–C3 verwachsen. L4 und L5 sind die größten Wirbel. Die Tiere haben zehn Rippenpaare.
Genetische Untersuchung
Zur genetischen Untersuchung kann man für die Fachleute eine unglaubliche Menge erzählen, womit man die nicht-Vollprofis vermutlich nicht mehr erreicht. Ich gehe deswegen nur auf die Grundmethodik ein und stelle die Ergebnisse vor:
Die Erstbeschreiber nutzten die Nukleotid-Sequenz-Variationsmethode, bei der eine bekannte Nukleotidsequenz sequenziert wird. Anhand der Unterschiede der individuellen Sequenzen kann man dann feststellen, wie groß der Unterschied zwischen den Individuen ist. Hierzu haben sie acht Gewebeproben von B. minimus, sieben Gewebeproben von B. bairdii und zwei von B. arnuxii untersucht. Die aus mathematischen Gründen notwendige Außengruppe bildete der Longmann-Schnabelwal Indopacetus pacificus mit einer Probe.
Untersucht wurde die 879 Basenpaare lange Sequenz der mitochondrialen Kontrollregion. Sie ist die längste, nicht codierende Sequenz in der mitochondrialen DNA und trägt zwei hypervariable Regionen. Damit ist sie die variabelste Sequenz im Mitochondrium und kann somit auch für Unterschiede nahe verwandter Individuen genutzt werden.
Zwischen den Individuen von B. minimus war der Unterschied erwartbar klein, es gab fünf verschiedene Formen (bei 8 Tieren) mit einem bis vier Basenpaaren Unterschied. Zu B. bairdii lag der Unterschied bei 18–22, während zu B. arnuxii schon 25–29 Unterschiede bestanden. Daraus ergibt sich folgendes Bild: Die beiden Arten B. bairdii und arnuxii bilden ein Schwestergruppenverhältnis. Diese Gruppe steht wiederum als Schwestergruppe B. minimus entgegen. Oder anders ausgedrückt: B. minimus hat sich zuerst von einem gemeinsamen Vorfahren getrennt, dann erst haben B. bairdii und arnuxii eigene Arten gebildet.
Verbreitung
Bisher stammen alle Funde von B. minimus entweder von der Nordküste Hokkaidos oder aus den Gewässern der Aleuten Alaskas. Aufgrund der Seltenheit und möglichen Verwechslungen mit anderen Schnabelwalen sind weitere Beobachtungen nur mit Vorsicht zu genießen.
Kryptozoologisches
In der Zusammenfassung beziehen sich die Erstbeschreiber auf Kasuya, der das traditionelle Wissen der Hokkaido-Walfänger gesammelt hat. Sie kennen zwei Typen von „tsuchi-kujira“: den gewöhnlichen “tsuchi-kujira” Berardius bairdii und den dunkleren und kleineren “kuro-tsuchi” „Schwarzer Baird’s Schnabelwal“ oder “karasu” („Krähe“). Unklar ist, ob die Walfänger “kuro-tsuchi” und “karasu” für dieselben Wale benutzen, oder ob jeder Begriff eine andere Population beschreibt.
Die in dieser Arbeit neu beschriebene Art B. minimus entspricht dem “kuro-tsuchi”.
Wenn “karasu” als weitere Population existiert, könnte es sich um eine unbekannte Art oder eine der Mesoplodon-Arten handeln, die bei Hokkaido vorkommen (entweder M. stejnegeri oder M. carlhubbsi). Dass Mesoplodon-Arten bei Hokkaido vorkommen, ist relative neu. Das erste M. stejnegeri Exemplar wurde 1985 gesammelt, der erste M. carlhubbsi erst 2004. Weder die Walfänger noch die Medien unterscheiden diese beiden Arten bisher.
Kasuya bezieht sich auf Heptner, der eine Hyperoodon-Art im Nordpazifik für möglich hält. Das dort abgebildete Tier ist definitiv kein Berardius, sondern eine etwa 10 m lange Art mit einem Schnabel wie Hyperoodon. Die Erstbeschreiber halten einen out-of-place-Fang von H. ampullatus, des Nördlichen Entenwals für möglich. Sie weisen auf aktuelle Sichtungen von Grauwalen im Mittelmeer und vor Namibia hin und schlagen vor, Wanderungen durch die Nordwestpassage zu untersuchen.
Sogar die deutschsprachige Wikipedia, die sich in Sachen Kryptozoologie sehr bedeckt hält, schreibt im Artikel zum Bairds Schnabelwal am 30.8.2019: „Vom Baird-Wal sind zwei Formen bekannt, eine schiefergraue und eine kleinere, schwarz gefärbte. Vergleiche der mitochondrialen DNA sprechen dafür, dass es sich bei der schwarzen Form um eine weitere Schwarzwalart handeln könnte.“
Literatur
Die Erstbeschreibung: Description of a new species of beaked whale (Berardius) found in the North Pacific
Die im Text zitierten Werke
Heptner, V. G., Chapskii, K. K., Arsen’ev, V. A. & Sokolov, V. E. Mammals of the Soviet Union, Volume II, Part 3: Pinnipeds and toothed whales, Smithsonian Institution Libraries and the National Science Foundation, Washington, DC (1996). (Originally published in Russian by Vysshaya Shkola Publishers, Moscow, 1976). [Anm. d. Redaktion: Kasuya bezieht sich auf die Abbildungen 364 und 366]
Kasuya, T. Small Cetaceans of Japan. Exploitation and Biology. CRC Press, Taylor & Francis, Boca Raton (2017).
Kasuya, T. Conservation biology of small cetaceans around Japan, University of Tokyo Press, Tokyo (in Japanese) (2011).