Auswertung des Cordier’schen Berichts nach Gregory Forth
Cordier ist einer der wenigen Europäer, die halbwegs detaillierte Berichte über Kikomba bzw. Kakundakari überlieferten. Ein weiterer ist der belgische Herpetologe Paul Leloup, der seine Erkenntnisse zu diesem Thema allerdings nie selbst veröffentlichte, sondern sie lediglich Kollegen und Wissenschaftlern als Quelle überließ.
Es dürfte auch insgesamt sehr schwer fallen, von Europa aus weitere Berichte über die Kryptide herauszufinden: Schließlich existiert noch nicht einmal ein einheitlicher Name, unter dem man nach ihnen suchen könnte. Sie schlicht als „wildmen“ zu bezeichnen, wäre ebenfalls nicht zielführend. So betitelten die europäischen Kolonialherren nämlich teils auch die einheimische Bevölkerung.
Daher sollten die durch Cordier überlieferten Informationen desto genauer betrachtet und interpretiert werden. Der Anthropologe Gregory Forth hat hierzu einen Versuch unternommen:
Wie Forth den Bericht interpretiert
Im Wesentlichen fasst auch Forth zunächst den Bericht Cordiers zusammen. Er fügt dem allerdings noch ein Detail hinzu, das der Tierfänger nicht explizit erwähnt: Nicht nur das Fell, sondern auch die Haut des Kikomba sind demnach ganz schwarz.
Forth ist sich sicher, dass es sich beim Kikomba entweder um einen fehlidentifizierten Schimpansen, Bonobo oder einen Gorilla handeln muss. Diesen konservativen Ansatz begründet er stichhaltig:
Das Aussehen des Kikomba ist stark affenartig. Es gibt der Beschreibung nach keinen Grund, anzunehmen, dass dieses Kryptid ein menschliches Wesen darstellen soll.
Auch die Verhaltensweisen dieses Wesens bezeichnet er als weitgehend konsistent mit denen der bekannten Menschenaffen: So stellt der Gebrauch von Stöcken als Werkzeug keine Seltenheit dar. Der zweibeinige Gang ist laut Forth vor allem dann stellenweise zu beobachten, wenn die Affen einen Gegenstand in den Händen halten. Auch kann die Angriffslust des Kikomba als Territorialverhalten gewertet werden.
Als wahrscheinlichster Kandidat unter Schimpanse, Bonobo und Gorilla erscheint dem Anthropologen der letztere: Sein Verbreitungsgebiet überschneidet sich demnach am stärksten mit dem Sichtungsgebiet des Kikomba. Auch ist das Gesicht des Gorillas schwarz und er ist dem Kikomba im Körperbau ähnlich.
Alternativ kann man den Kikomba Forth zufolge auch mit dem Bili-Affen identifizieren: Dessen Erscheinungsbild würde schließlich auch dem Kikomba entsprechen. Darüber hinaus liegt der Bili-Wald in relativer Nähe zu den Sichtungsorten des Kikomba.
Eine kritische Auseinandersetzung mit den Argumenten Forths
Die Aussagen Forths sind zunächst einmal plausibel: Der Bonobo scheidet aufgrund seiner geringen Körpergröße von vorne herein aus. Es bleiben also noch Gorilla und Schimpanse. Unter den ostafrikanischen Schimpansen stellen wiederum die Biliaffen aufgrund ihrer kräftigeren Statur den wahrscheinlichsten Kandidaten dar.
Auch, dass das Tragen von Gegenständen bei Menschenaffen einen kurzfristig zweibeinigen Gang begünstigt, klingt realistisch. Dem ist jedoch hinzuzufügen, dass dies nicht zwangsweise der einzige Grund dafür sein muss, warum der Kikomba niemals auf allen Vieren beobachtet wurde: Fast alle Zeugen berichteten davon, dass sie von diesem Affen angriffen wurden. Das Aufrichten auf die Hinterbeine stellt ein typisches Drohverhalten dar, welches vor einem Angriff zur Schau gestellt wird.
Warum aber Forth den Gorilla gegenüber dem Schimpansen favorisiert, ist nicht unbedingt nachvollziehbar. Es weichen nämlich etliche Verhaltensweisen des Kikomba von denen des Gorillas ab. So besteigt der Kikomba etwa häufig Bäume, wozu zumindest männliche Gorillas eher nicht in der Lage sind.
Es ist davon auszugehen, dass Forth sein Urteil primär an der angeblich beeindruckenden Größe des Kikomba, seinem schwarzen Gesicht und seiner vegetarischen Ernährungsweise festmacht.
Kleinere Ungereimtheiten in Forths Argumentation
Nur ist schon Forths Ansatz, dass Bonobos und Gorillas über schwarze, Schimpansen aber über helle Gesichter verfügen, nicht grundsätzlich richtig: Dass die Gesichter von Bonobos und Gorillas schwarz sind, stimmt. Dass dagegen das Gesicht des Schimpansen immer weiß ist, ist falsch – das kommt auf die Art an:
Die Haut des westafrikanischen Schimpansen ist tatsächlich hell. Nur liegt die Demokratische Republik Kongo außerhalb seines Verbreitungsgebietes. Dort ist dagegen der ostafrikanische Schimpanse beheimatet, dessen Haut dunkel ist. Eine seiner Unterarten stellt wiederum der Biliaffe dar.
Auch, was die Ernährung desjenigen Tieres betrifft, vertraut Forth seltsamerweise stärker auf die anekdotischen Berichte der Einheimischen. Wissenschaftlichen Erkenntnissen, die er selbst zitiert, misst er in seiner Einschätzung keine so große Bedeutung bei:
So wird immer wieder berichtet, dass der Schrei des Kikomba dem eines Hirschferkels ähnlich ist. Zugleich berichteten die Augenzeugen laut Forth selbst, dass man immer wieder Spuren des Kryptiden in der Nähe von Spuren des Hirschferkels finde. Zuletzt zitiert er noch wissenschaftliche Beobachtungen aus Tansania, laut denen Schimpansen Hirschferkel jagen.
Folglich erscheint es doch sehr wahrscheinlich, dass der Schimpanse, nicht der Gorilla mit dem Kikomba gleichzusetzen ist. Demnach wäre die Annahme, dass der Kikomba (vom Verzehr von Insektenlarven abgesehen) vegetarisch lebe, falsch. Möglicherweise konnten die Augenzeugen das Jagdverhalten des Kikomba-Schimpansen nur noch nicht beobachten.
Eine Frage der Verbreitung
Ob der (Bili-)Schimpanse der wahrscheinlichere Kandidat als der Gorilla ist, ist natürlich auch von deren jeweiligen Verbreitungsgebieten abhängig: je stärker sich diese überschneiden, desto wahrscheinlicher kann man den Kikomba mit der jeweiligen Art gleichsetzen.
Für das Sichtungsgebiet des Kikomba existieren durch die Skizze Cordiers recht präzise Angaben: So liegt es klar weit im Osten der DR Kongo. Was die Nord-Süd-Orientierung betrifft, fällt eine Beschreibung etwas schwerer: Das Verbreitungsgebiet liegt etwa inmitten des Landes mit leichter Tendenz in den Norden.
Wenn Gregory Forth behauptet, dass sich das Sichtungsgebiet klar mit dem Verbreitungsgebiet des (östlichen) Gorillas überschneide, hat er recht. Vergleicht man die entsprechenden Landkarten, liegt das Verbreitungsgebiet der Unterart Gorilla beringi graueri fast schon im Epizentrum der Kikomba-Aktivitäten.
Dasselbe gilt aber auch für das Verbreitungsgebiet des ostafrikanischen Schimpansen (das auch insgesamt deutlich größer ist.) Nun handelt es sich bei diesem aber um die kleinere der beiden Schimpansenarten. Der Kikomba wird dagegen immer wieder als groß und extrem kräftig beschrieben.
Wie nah ist der Bili-Wald?
Größenangaben aus Augenzeugenberichten sind stets mit Vorsicht zu genießen. Auch sollte man nie vergessen, dass selbst ein ganz durchschnittlicher Schimpanse nach menschlichen Maßstäben über unglaubliche Körperkräfte verfügt.
Trotzdem soll an dieser Stelle noch einmal überprüft werden, wie nahe der Bili-Wald denn tatsächlich dem Sichtungsgebiet des Kikomba liegt. Schließlich stellt der Bili-Schimpanse eine Unterart dar, die selbst Primatologen nicht auf Anhieb eindeutig identifizieren konnten. Seine besonders ungewohnte Erscheinung könnte Anlass zu Berichten über den Kikomba geboten haben.
Sucht man in Google Maps nach Bili, folgt bald die Ernüchterung: Die Regien liegt deutlich zu weit nördlich, um Überschneidungen mit dem von Cordier notierten Gebiet zu haben. Dass einzelne Exemplare des Bili-Schimpansen weit aus ihrem eigentlichen Verbreitungsgebiet wandern, kann man nicht völlig ausschließen. Dass diese versprengten Exemplare aber für sämtliche Kikomba-Sichtungen verantwortlich sein sollen, erscheint dagegen eher unwahrscheinlich.
Folglich muss die These angepasst werden: Dass der Kikomba ein Schimpanse ist, bleibt weiterhin wahrscheinlich. Ein Bili-Affe ist er aber höchstwahrscheinlich nicht.
Überlegungen zum Kikomba-Fußabdruck
Neben den Berichten der Einheimischen kann eventuell noch der durch Cordier beschriebene Fußabdruck für die Artzuordnung herangezogen werden.
Eine detailarme Schilderung
Leider widmet Cordier der Beschreibung des Abdrucks nur zwei Sätze. Auch eine Fotografie konnte er aufgrund des zufällig hereinbrechenden Starkregens nicht anfertigen. Möglichst wortgenau ins Deutsch übersetzt lautet seine Beschreibung:
„Oberflächlich ähnelte [der Abdruck] dem eines Menschen, aber er war nicht länger als 20 cm und sehr breit. Er hatte auch die Besonderheit, dass der zweite Zeh den großen Zeh an Länge übertraf“
Cordier (1963)
Der „übertroffene“ Zeh
Die Formulierung im zweiten Satz ist äußerst schwer zu deuten: Das französische Verb „dépasser“ hat je nach Satzkonstruktion mehrere Bedeutungen. Grammatikalisch betrachtet kommt nur „dépasser qn/qc de qc“ („jemanden/etwas an etwas übertreffen“).
So viel zur Sprachanalyse – nun stellt sich aber die Frage, wie der derartig beschriebene Fußabdruck nur in natura ausgesehen haben mag:
Der erste Gedanke wäre, dass der zweite (normalerweise kleinere Zeh) als Gliedmaße größer war, als der Große Zeh. Aber welches Tier mit annähernd menschlichen Fußabdrücken sollte anatomisch so seltsam gebaut sein?
So erscheint es weitaus wahrscheinlicher, dass nicht die Länge der Zehenglieder selbst gemeint ist, sondern ihre Positionierung am Fuß: Geht man von einem (nicht-menschlichen) Menschenaffen als Urheber des Fußabdruckes, verfügt dieser über einen daumenartigen Greif-Zeh anstelle des weit weniger nützlichen großen Zehs des Menschen. Dieser ist leicht seitlich am Fuß zurückversetzt, sodass die übrigen Zehen „vor“ ihm enden.
Davon soll im Folgenden ausgegangen werden:
Die Artfrage
Nun gilt es nur noch festzustellen, welche Menschenaffenart wahrscheinlichster Urheber des Fußabdrucks war.
Der Bonobo scheidet als Urheber aus, da sein Verbreitungsgebiet deutlich außerhalb der durch Cordier beschriebenen Region liegt.
Die einzige weitere Information zur Identifikation des Abdrucks besteht in der Länge des Abdrucks, welche 20 cm betrug.
Zum Vergleich wurden die Websites zweier Fachgeschäfte für Naturkunde herangezogen. Dort gibt es Abgüsse von Gorilla- bzw. Schimpansen-Füßen zu kaufen und auch Längenangaben zu den jeweiligen Artikeln machen die Händler.
So hat der vorliegende Schimpansen-Fuß eine Länge von 26 cm, die Länge des Gorilla-Fußes beträgt 12 ½ Zoll (ca. 31,75 cm). Beide Abgüsse stammen von männlichen Tieren, einem Flachlandgorilla und einem Gemeinen Schimpansen unbekannter Unterart. Die Zehen sind jeweils nicht sehr stark angewinkelt, aber auch nicht völlig durchgestreckt.
Man muss natürlich berücksichtigen, dass der Urheber des cordierschen Fußabdrucks nicht zwingend männlichen Geschlechts gewesen sein muss. Die Weibchen von Gorilla wie auch Schimpanse sind durchschnittlich kleiner, als ihre männlichen Artgenossen. Auch gibt es Größenunterschiede zwischen den verschiedenen Populationen.
Dennoch erscheint es sehr unwahrscheinlich, dass der Abdruck von einem Gorilla stammte. Cordier hatte Gelegenheit, sich direkt neben den Abdruck zu stellen und gibt die Größe dennoch nur mit etwa 20cm an. Wieso er ihn um ca. die Hälfte unterschätzt haben sollte, ist nicht nachvollziehbar.
Auch dieses Detail deutet also tendenziell darauf hin, dass der Kikomba mit dem ostafrikanischen Schimpansen gleichzusetzen ist.
Dieser Artikel hat 4 Teile:
-
- Die Ausgangslage wird in Teil 1 dargestellt
- Teil 2 beschreibt den Kikomba
- Teil 3 befasst sich mit dem Kakundakari
- Der 4. und letzte Teil vertieft den Kakundakari