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Wenn das herausragende Organ der britischen Qualitätspresse, die Sun etwas meldet, muss ja was dran sein. Irgendwas wird auch immer dran sein, sonst würde sich selbst die Sun nicht trauen, etwas zu melden. Doch eine Meerjungfrau ist mehr als ungewöhnlich, lest selbst:

 

Am 29. November meldet das Boulevardblatt, dass ein Mann beim Gassi-Gehen mit seinem Hund die zerbrechlichen Reste eines Skelettes einer Meerjungfrau gefunden hat. Sie sehen auf den ersten Blick wie ein Stück menschlicher Wirbelsäule mit einem rudimentären Fischschwanz am Ende aus. Ben Landricombe, 38 hat die Knochen in einer Brandungsnische bei Jennycliff Beach, Plymouth, Devon gefunden. Wie in solchen Fällen üblich zeigte Landricombe seinen Fund zunächst den Nachbarn und dann im Dorf herum. Niemand konnte so wirklich etwas damit anfangen. Viele behaupteten scherzhaft, es sei wohl der Rest einer Meerjungfrau.

 

Der Faktencheck

Die Location

 

Der Ortscheck ist meist einfach. Jennycliff Beach bei Plymouth existiert, sofern man google glauben darf. Kleine Brandungsnischen zwischen den Felsen der Steilküste, die man als „cove“ bezeichnen kann, gibt es hier zuhauf.

Der Fund selbst

Der Fund selbst ist höchst merkwürdig. Landricombe hat mehrere zusammenhängende Wirbel gefunden, an sich nichts ungewöhnliches, da die Bandscheiben und Bänder auch nach dem Tod noch stabil bleiben und sich erst im fortgeschrittenen Zerfall auflösen. Da sie aus dem unteren Rückenbereich zu stammen scheinen, fehlen ihnen auch die Rippen. Merkwürdig ist das Ende, das sich zunächst schaufelförmig erweitert und dann wie abgeschnitten wirkt, jedoch eine offenbar bewegliche Membran am Ende trägt. Die Form suggeriert einen Fischschwanz.
Hinzu kommt eine Art abgebrochener Dornfortsatz, der keinen direkten Zusammenhang mit dem Skelettrest zu haben scheint.

 

Die Meerjungfrau der Sun
Ben Landricombe präsentiert stolz seinen „Fund“ dem Fotografen (Credit: Wayne Perry – Commissioned by the Sun)

 

Landricombe präsentiert seinen Fund immer von der selben Seite, egal ob er ihn am „Kopfende“ oder am „Schwanzende“ hochhält oder auf den Boden legt. Das ist bereits verdächtig, ähnlich wie bei einem Zauberkünstler, der niemals erlaubt, dass jemand seinen Tisch von hinten sieht.

Hinzu kommt, dass das schaufelartige Element am Schwanzende oben und unten wie abgeschnitten wirkt. Apropos schaufelartig, „Schäufele“ wars, woran mich der Knochen erinnert: an das schaufelartig verbreitete Schulterblatt, z.B. vom Schwein oder Lamm. Das hat natürlich am Ende der Wirbelsäule so gar nichts zu suchen.

 

Fischschwanz-Skelett
Anatomie der Knochen des Knochenfisch-Schwanzes (Bild: NfK, abgewandelt nach Danvasilis)

 

Ein schneller Gegencheck noch einmal mit Wirbeltieren, die eine Schwanzflosse oder Fluke tragen: Bei Walen läuft das Schwanzskelett in immer kleiner werdenden Wirbeln aus. Die Fluke hat keine verknöcherte Unterstützung nötig. Bei Knochenfischen endet die Wirbelsäule in der Schwanzwurzel, aus der Hippuralknochen und die Flossenstrahlen hervorgehen. Hier ist ebenfalls keine dreieckige Platte vorhanden.

Zwergwal-Skelett
Skelett eines atlantischen Zwergwals. Deutlich sichtbar: Der Schwanz endet spitz, ohne Knochen, die die Fluke stützen.

Einwurf:

Theoretisch könnte eine Meerjungfrau natürlich über evolutionäre Sonderbildungen verfügen, z.B. einen dreieckigen Knochen an der Schwanzwurzel. Dieser müsste dann aber, aufgrund der erwarteten Auf-und Abbewegung des Schwanzes (ich nehme hier Arielle, die Meerjungfrau als Referenz) jedoch symmetrisch sein müsste. Der Knochen an Landricombe’s Fund ist jedoch nicht symmetrisch, sondern klar in eine Richtung orientiert. Hinzu kommt die alles andere als physiologische, gerade Schnittkante.

 

Der Finder

Über den Finder Ben Landricombe wird in dem Artikel nicht viel erzählt. Die Sun gibt sein Alter mit 38 an, er arbeitet als Hausmeister für das britische Verteidigungsministerium und verfügt offenbar über einen Hund, denn die Sun bezeichnet ihn als „Dog Walker“. Sein äußeres Erscheinungsbild und die Art, sich mit Base-Cab und Queen-T-Shirt zu präsentieren, passt hierzu.

Fachmann für Grenzerfahrungen?

Soweit so gut. Gibt man den Namen in eine Suchmaschine ein, wird es spannend: Ben Landricombe ist offenbar Fachmann für natürliche und nicht-natürliche Phänomene. Die „Meerjungfrau“ ist nicht sein erster Fund dieser Art.

  • Am 13. Juli 2020 war er zum Campen im 70 km nördlich von Plymouth gelegenen Maddon. Er hörte ein seltsames Geräusch und ging mit seinem Hund vor die Tür. Dort fand er in einem Wald eine Ufo-Absturzstelle. Das Ufo fehlte. CornwallLive berichtete.
  • Am 6. Januar 2018 fotografierte er einen geheimen Surfplatz im Plymouth Sound und wurde in Folge dessen bedroht. Sein Pick-Up wurde besprayt und die Reifen zerstochen. Schon damals berichtete CornwallLive. Später nutzte er das Graffito als Schriftzug für Aufkleber und T-Shirts, die er verkaufte.
  • Am 21. September 2015 berichtete der Mirror über seine Entdeckung. Damals war er als Straßenfeger unterwegs und musste flüchten, als er von einer „fürchterlichen neuen Sorte“ riesiger Ratten angegriffen wurde. Er gab an, von einer Gruppe ein Fuß (ca. 30 cm) langer Ratten angegriffen worden zu sein. Als Beweis hält er eine tote, jedoch deutlich kleinere Ratte mit einem Müllgreifer in die Kamera. Der Mirror machte damals aus einer Ratte einen Elefanten.

Man kann also davon ausgehen, dass Ben Landricombe tja, mhm, sagen wir mal: den Medienrummel gewöhnt ist und sich davon Geld oder Anerkennung oder beides erwartet. Nachdem er für seinen Ufo-Crash keine physischen Beweise vorlegen konnte, die über die Folgen einer lokalen Windhose hinausgehen, musste etwas handfesteres her. Da lag es nahe, aus einem Stück Wirbelsäule und einem Schulterblatt den Schwanz einer Meerjungfrau zusammen zu bauen.

 

Doch auch die Sun war vorsichtig und hat dann jemanden befragt, der sich mit alten Knochen auskennt. Dr. James Morris, Senior Lecturer für Archäologie an der Uni von Central Lancastashire diktiert dem Redakteur: „Ich würde sagen, es ist entweder ein Schaf, eine Ziege oder ein Reh.“

 

Meerjungfrau?
Meerjungfrauen werden weiterhin rätselhaft bleiben

Der Artikel erschien erstmals am 5. Dezember 2020 und nun erneut im Rahmen des Relaunches.

Von Tobias Möser

Tobias Möser hat Biologie, Geologie und Wirtschaftswissenschaften studiert. Schon als Kind war er vor allem an großen Tieren, Dinosauriern, später Walen interessiert. Mit der Kryptozoologie kam er erst 2003 in näheren Kontakt. Seit dieser Zeit hat er sich vor allem mit den Wasserbewohnern und dem nordamerikanischen Sasquatch befasst. Sein heutiger Schwerpunkt ist neben der Entstehung und Tradierung von Legenden immer noch die Entdeckung „neuer“, unbekannter Arten. 2019 hat er diese Website aufgebaut und leitet seit dem die Redaktion.