Bei der Suche nach Beobachtungen und Pressemeldungen über Seehunde im Rhein bin ich immer wieder auf andere Meldungen gestoßen, die von Seehunden tief im Binnenland sprechen. Einige davon sollen hier aufgelistet sein, um das nach wie vor unsystematische Material zu diesem Thema weiter zu ergänzen.
Spree
Ein entkommener Seehund hielt sich 1847 längere Zeit in der Spree bei Berlin auf. Es meldete die „Karlsruher Zeitung“ am 5. September 1847 auf Seite 2:
In der vorigen Woche bei Gelegenheit des Stralauer Volksfestes war nämlich aus einer Thierbude in Stralau ein Seehund aus seinem Käfig entkommen, und den rettenden Wellen der nahen Spree zu geflüchtet. Die harmlosen stummen Bewohner der Spree sind darüber nicht minder in Schrecken und Aufregung, gerathen als unsere Fischer, denen der ungebetene gefräßige Wellengast beträchtlichen Schaden zufügt. Seit neun Tagen spottet nun dieser auch in süßem Wasser sich behaglich fühlende Seehund aller Anstrengungen der auf ihn Jagd machenden Fischer, bald hier, bald dort sich zeigend, aber stets den Netzen entrinnend, die seinen Zähnen Spielwerk zu seyn scheinen. Was unsere Fischer um so besorgter macht, ist, daß das verheerende Thier ein trächtiges Weibchen ist. Welche Aussichten!
Ein gleichlautender Bericht erschien auch im „Baierschen Eilboten“ (1847, Seite 897). Am 17. Oktober 1847 berichteten dann die „Blätter für Scherz und Ernst“ (S. 4):
Der „Berliner Seehund,“ welcher schon so lange durch die deutschen Zeitungen geschwommen, daß er sich bereits an dieses Element zu gewöhnen schien, ist nicht mehr.
Und die „Karlsruher Zeitung“ ergänzt (3. Oktober 1847, S. 3):
Der aus einer Menagerie entsprungene Seehund, der den Berlinern so viel zu reden und zu schaffen gemacht, ist am 23. September von einem Stralauer mit einer Flintenkugel getödtet worden. Als Beweis von der Schnelligkeit dieses Thieres wird angeführt, daß es an einem Tage zwei Meilen hinter Köpenick und in Berlin gesehen worden.
Havel
Laut der „Norddeutschen allgemeinen Zeitung“ vom 5. September 1902 (S. 7):
Aus Rathenow berichtet der „Br. Anz.“: Der hier in der Havel beobachtete Seehund ist bei der auf ihn veranstalteten Jagd dem Häusler Gleinig in Parey a. d. Elbe in die Hände gefallen. Gleinig hatte den verirrten Fremdling durch vier Schüsse getödtet und im Kahne ans Land gebracht. Es ist ein völlig ausgewachsenes Exemplar und hat eine Länge von 1,80 Meter und ein Gewicht von 2,20 Zentner.
Oder
Vom heute polnischen Głogów meldete am 15. November 1881 das „Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung“ in der Abend-Ausgabe:
Glogau, 10. November. (Ein Seehund auf Reisen.) Wie dem „Anzeiger“ berichtet wird, kam ein Seehund, welcher in der Nacht vom 28. zum 29. v. M. [= Oktober] bei Breslau einem Thierbudenbesitzer abhanden gekommen und in die Oder gerathen ist, am 7. November in Glogau angeschwommen, passirte die Oderbrücke und ruhte sich auf einer Sandbank im Hafen aus. Zwei Schiffer, welche das Thier bemerkten, eilten auf einem Kahn herbei. Als aber der Flüchtige dies bemerkte, glitt er wieder in das Wasser, und keine Spur war von ihm zu bemerken.
Weichsel
Die „Fischerei Zeitung: Wochenschrift für die Interessen der gesamte deutschen Binnen-Fischerei“, Band 28, 1925, berichtet auf Seite 15 über „Seehunde in der Weichsel“. Wir lesen über drei Sichtungen, wohl 1924 und 1925:
In Nr. 50 der „Fischerei-Zeitung“ vom 14. Dezember 1924 ist berichtet worden, daß ein Wasserbeamter einmal unterhalb und einmal oberhalb Dirschau einen Seehund in der Weichsel gesichtet und im letzteren Fall den Fischräuber durch eine Kugel getötet habe, ohne ihn zu erbeuten. Jetzt wird abermals gemeldet, daß der Fischer Otto Rapp in Rothebude in der Weichsel einen Seehund im Gewicht von 75 Pfund erlegt habe.
Elblag
Die „Fischerei Zeitung: Wochenschrift für die Interessen der gesamte deutschen Binnen-Fischerei“, Band 28, 1925, erwähnt auf S. 251 einen „Seehund im Elbingfluß“. Elbing liegt heute in Polen und heißt Elblag, den Artikel selbst konnte ich nicht einsehen.
Pregolja
Die „Fischerei Zeitung: Wochenschrift für die Interessen der gesamte deutschen Binnen-Fischerei“, Band 28, 1925, berichtet auf Seite 476 über „Seehunde in Binnengewässern“. Wir lesen:
Erst jetzt wird bekannt, daß im Herbst des vergangenen Jahres von dem Fischereiwächter Hoffmann-Bartenstein in dem von ihm gepachteten Wusensee ein Seehund einwandfrei beobachtet worden und, allerdings ohne Erfolg, verfolgt worden ist. Der Wusensee [evtl. Ozero Pustoye] ist ein mehrere Kilometer oberhalb von Königsberg gelegener See, der als Altwasser des Pregels [heute russisch Pregolja] mit diesem durch einen ziemlich langen Grabenlauf in Verbindung steht. Der Seehund muß, um in diesen See zu gelangen. [Ausschnitt bricht hier ab]
Rhein
Seehunde im Rhein sind keine so große Seltenheit, wie die Presse gern tut. Erneut ist – zum mindesten fünften Mal dieses Jahr – einer aufgetaucht, dieses Mal im Niederrhein bei der niederländischen Gemeinde Wageningen. Wageningen liegt am Nordarm des Rheins im Mündungsdelta, der aber erst etwas stromabwärts Lek genannt wird. Der Ort ist rund 70 Kilometer vom Meer entfernt und etwa 20 Kilometer von der deutschen Grenze bei Emmerich.
Am 4. Juli 2022 beobachteten mehrere Anrainer dort einen Seehund, der in ein Kanu kletterte, und machten Fotos, die sie an Omroep Gelderland sandten. Die von der Presse befragte Marion Barth von Ecomare, der Seehundstation auf Texel, rief die Beobachter dazu auf, den Seehund in Ruhe zu lassen.
„Fassen Sie ihn auf keinen Fall an und nähern Sie sich ihm nicht. Das kann ihn unter Druck bringen. Das ist nicht gut. Seehunde sind Raubtiere, sie können beißen und haben viele Bakterien im Maul.“
Seehunde im Rhein sind laut Marion Barth keine Seltenheit. „Das ist nichts Außergewöhnliches. Sie können gut im Süßwasser schwimmen. Oft sehen wir sie gar nicht.“ Sie vermutet, das Tier sei auf Futtersuche. „Sie schwimmen weite Strecken. Und hier ist nicht weit von der Nordsee und dem Wattenmeer entfernt. Aber es ist nicht ihr natürlicher Lebensraum. Ich denke, der Seehund wird ins Meer zurückkehren.“
Quelle: Loco Media Groep
Bereits im letzten September tauchte ein Seehund in der Waal auf, 2019 bei Maurik im Niederrhein (an der Stelle, in der er zum Lek wird), und 2012 bei Heerewaarden am Zusammenfluss von Waal und Maas.
Quelle: Ebenfalls die Loco Media Groep
Ein Beitrag im neuen „Jahrbuch für Kryptozoologie“ wird siebzig Begegnungen mit Seehunden im Rhein in den letzten 150 Jahren aufführen.
Seine
Auch die großen in Nordsee und Atlantik mündenden Flüsse im Westen Europas haben immer wieder Seehundsbesuch. Am Samstag, den 27. Dezember 1930, meldete das „Jeversche Wochenblatt“:
Ein Seehund in der Seine. T. U. Paris, 24. Dez. Von einer großen Seinebrücke im Zentrum der Stadt bemerkten Fußgänger einen unförmigen schwarzen Gegenstand im Wasser, der sich vom Fluß treiben ließ. Man benachrichtigte die Baupolizei, die ein Motorboot ausschickte. Als das Boot bis auf einige Meter an den Gegenstand herangekommen war, tauchte dieser plötzlich unter, um einige hundert Meter weiter wieder aufzutauchen. Die Beamten konnten jedoch feststellen, daß es sich um einen ausgewachsenen Seehund handelte, der wahrscheinlich einer Menagerie „durchgegangen“ ist.
Themse
Die Themse in London spürt noch Ebbe und Flut, und fast jedes Jahr wird von einem Walbesuch in der britischen Hauptstadt berichtet. Da ist ein Seehund dort nicht ganz so ungewöhnlich. Die „Norddeutsche allgemeine Zeitung“ vermeldet in ihrer Morgen-Ausgabe Norddeutsche allgemeine Zeitung, Morgen-Ausgabe vom Samstag, den 17. November 1883 auf S. 6 kurz und knapp:
(In der Themse) wurde vor einigen Tagen, wie die Londoner „Allg. Corr.“ meldet, oberhalb der Lambeth-Brücke in der Nähe des Parlamentsgebäudes ein Seehund gefangen, der sich aus der Nordsee nach London verirrt hatte.
Trecktief
Zum Abschluss noch etwas biederer Humor. Das „Jeversche Wochenblatt“ wusste Folgendes am 29. Januar 1920 auf Seite 3 zu berichten:
* Uphusen b. Emden, 25. Jan. Der falsche Seehund. Unser Ort hatte gestern einen ungewohnt regen „Fremdenverkehr“. Der von dem Fischer Boß gefangene Seehund lockte all die Menschen nach hier. Sie wollten alle dieses Meerungeheuer, das in dem Briesschen Gasthofe ausgestellt sein sollte, bewundern. Am Ziele ihrer Sehnsucht angelangt, mußten sie jedoch erfahren, daß der „Seehund“ inzwischen „utneiht“ war. Man kam nachher dahinter, daß man sich zwar keinen Bären, aber einen gehörigen „Seehund“ hatte ausbinden lassen. Ein Mann, der den Spitznamen „Seehund“ hat, war in einen Graben gefallen. Aus diesem wurde er wieder herausgezogen und dann zur Wirtschaft gebracht, wo er „ausgestellt“ war. Die Uphuser haben also noch Humor.
Dieser Beitrag erschien ursprünglich am 4. August 2022.