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Seeschlangen werden höchst selten fotografiert.

Die riesige Kaulquappe
Die angebliche, riesige Kaulquappe von Robert Le Serrec

Fotos von Meeresungeheuern lassen sich an den Fingern abzählen. Da ist zunächst die riesige Kaulquappe, die Robert Le Serrec im Dezember 1964 in der Stonehaven Bay, Hook Island, Queensland, fotografiert haben will.

 

Dann existieren mehrere Fotos, die eine angebliche Mary F. und der Zauberer Doc Shiels von dem Seeungeheuer Morgawr in der Falmouth Bay gemacht haben wollen wie auch die angeblichen Videoaufnahmen des Ungeheuers, die John Holmes im August 1999 in der Gerrans Bay aufnahm.

Morgawr 1999 by John Holmes

Während die Fotos von Mary F. mit größter Sicherheit mittels einer Glasscheibe und einem darauf befestigten Knetmonster erstellt wurden, hat Holmes wohl einen Meeresvogel vor die Linsen bekommen.

Der Morgawr nach Mary F.

Es gibt sogar einen Film

Im April 2013 will der nordirische Schüler Conall Melarkey ein Monster im Lough Foyle gefilmt haben. Das Video stellte er ins Internet, aber Analysen zeigen, dass das Video nicht in Lough Foyle bei Derry in Nordirland, sondern bei Dublin in der Irischen Republik aufgenommen wurde und dass offenbar Kabel den dort zu sehenden Höcker ziehen. (Granted 2013; Anon. 2013)

 

 

 

Seeschlangen im Moray Firth?

Jetzt hat ein Mann in Schottland auf einem Foto, das er im Moray Firth aufgenommen hat, dem Fjord, der die Mündung des River Ness mit der Nordsee verbindet, im Nachhinein eine Nessie entdeckt.

Leuchtturm Chanonry Point
Leuchtturm am Chanonry Point (Bild: Tobias Möser)

Der 56-jährigen Andrew Brunton, ein Mann aus Fife, der schottischen Region zwischen den Meeresarmen Firth of Tay und Firth of Forth, befand sich am 15. September 2020 am Chanonry Point in Fortrose. Er wollte dort Delfine filmen. Der Chanonry Point, die Spitze einer Landzunge, verengt den Moray Firth auf eine Breite von nur 1,25 Kilometer. Gegenüber liegt die perfekt erhaltene Festungsstadt Fort George. Der Ort mit seinem markanten Leuchtturm ist ganz Schottland als idealer Delfinbeobachtungsplatz berühmt.

 

Bei Chanonry Point wird die Ness-Mündung in eine enge S-Kurve gezwängt. Die starken Gezeitenströmungen sind für Fische attraktiv und ein beliebtes Jagdgebiet für die nördlichste stationäre Population Grosser Tümmler
 

Der pensionierte Vermögensverwalter des Fife Councils erklärte gegenüber dem schottischen Boulevardblatt „The Sun“:

 

 

„Vielleicht ist das Nessie, die aus dem Loch entkommen und die Küste entlang geflüchtet ist. Ich war eigentlich nach Fortrose gefahren, um Delfine am Chanonry Point zu beobachten, aber ich konnte keine finden. Am Tag zuvor war ich am Loch Ness gewesen [in der Ausstellung Loch Ness Experience] und ich denke, einige der Aufnahmen von Nessie ähneln denen, die ich gemacht habe. Ich weiß selbst nicht, was es ist. Wie sollte ich das auch beurteilen?“

 

 

Die Bilder zeigen einen Schwimmer in Vordergrund und dahinter einen etwas längeren Schatten im Wasser, aus dem sich im ersten Drittel eine Art langer, dünner Hals erhebt, wie ein Kormoran, aber deutlich größer.

 

Chanorny Point Nessie
Die „Seeschlange von Chanorny Point“. Foto: Andrew Burton

Ist Nessie geflüchtet?

Offenbar wurde rasch vermutet, die Seeschlange oder die Moray-Firth-Nessie könnte einfach nur ein Schwimmer sein. Andrew Brunton jedenfalls bestreitet in dem Artikel eine solche Deutung, er habe nur einen einzigen Schwimmer bemerkt, nämlich den im Vordergrund – der sei sogar der eigentliche Grund für das Foto gewesen: „Ich bemerkte den Schwimmer, der näher bei mir ist. Er trug einen Neoprenanzug und eine Badekappe. Von ihm wollte ich ein Foto machen. Aber das Objekt weiter hinten im Wasser habe ich nicht bemerkt, ich entdeckte es erst, als ich mir die Bilder betrachtete.“

Er gehe – vielleicht im Scherz – davon aus, dass das Ungeheuer von Loch Ness in die Nordsee „geflüchtet“ sei.

 

Die seltsame Wortwahl, der Zeuge habe nur den Schwimmer in seiner Nähe beobachtet, so als habe er gesehen, dass ein zweiter weiter weg von ihm schwamm, deutet darauf hin, dass er auch das zweite Objekt für einen Schwimmer hielt. Vielleicht aber hat er den Schatten tatsächlich erst auf den Fotos bemerkt und hat dann, weil er am Tag zuvor eine Nessie-Ausstellung besuchte hatte und weil der Moray Forth die natürliche Fortsetzung des Loch Ness ist, tatsächlich gemutmaßt, er habe eine Seeschlange fotografiert. Vielleicht wusste er, dass der angebliche Nessie-Schatten ein Schwimmer war, aber die zufällige Position des Schwimmers auf dem Foto verlockte ihm, eine passende Nessie-Geschichte zu erfinden.

Oder doch „nur“ ein Schwimmer?

Jedenfalls bin ich sicher, dass es sich bei der Seeschlange um einen Menschen handelt, der parallel zum ersten Schwimmer unterwegs ist. Dass ein auf der Seite liegender, nach rechts schwimmender Mensch mit dem linken erhobenen Arm wie eine kleine Nessie wirkt, habe ich selbst schon am Comer See beobachten können (umgekehrt geht es natürlich auch!).

Wie leicht sich eine Seeschlangenillusion mit einer erhobenen Hand erzeugen lässt, zeigt eine Fotomontage, die Markus Hemmler und Alexander Blumtritt vor Jahren anfertigten. Es handelt sich um einen Arm im Loch Ness – und das Bild ähnelt frappant anderen Aufnahmen von Nessie.

 

Fotomontage mir Schwimmer. Verwechslungsgefahr mit Seeschlangen?
Fotomontage von Nessie. Hintergrund: Loch Ness, Arm Markus Hemmler

 

Mit einer Hand, in ein Foto vom Loch Ness kopiert, stellten Alexander Blumtritt und Markus Hemmler das berühmte Chirurgenfoto vom Loch Ness aus dem Jahr 1934 nach. (Foto: Alexander Blumtritt und Markus Hemmler)

 

Schließlich ergab bereits eine oberflächliche Google-Suche ein fast identisches Foto eines Schwimmers (allerdings in einem Becken).

Der arm des schwimmers scheint seeschlangen ähnlich
Ein Schwimmer im Pool

Fazit: Endlich einmal ein glaubwürdiges Foto einer langhalsigen Seeschlange wäre zu schön gewesen. Dieses, so fürchte ich, ist es nicht.


Anm. d. Redaktion: Das Netzwerk Kryptozoologie hat natürlich auch Verbindungen nach Schottland, die schon mehr als einmal nützlich waren. Einer unserer Kontakte ist ortskundig und lebt etwa 20 km von Chanorny Point entfernt. Sie ist der Meinung, dass die Aufnahme etwa eine Meile außerhalb bei Rosemarkie Beach entstanden ist.
Dieser Ort ist wesentlich ungefährlicher für Schwimmer, als die Meerenge bei Chanorny Point und die Sicht auf die Festung Fort George auf der anderen Seite stimmt eher.

Im Bereich zwischen Rosemarkie Beach und Chanorny Point  müssen die aus der Nordsee in den Ness einwandernden Lachse durch eine strömungsreiche Engstelle. Daher sind hier häufig Meeressäuger unterwegs: Seehunde sieht man eigentlich immer, Kegelrobben und große Tümmler sehr häufig, gelegentlich wagen sich sogar Orcas in die flachen Abschnitte.


Literatur

Anon. (2013): Did student film a ‘monster’ in Lough Foyle? Belfast Telegraph, 1. Mai 2013. https://www.belfasttelegraph.co.uk/news/northern-ireland/did-student-film-a-monster-in-lough-foyle-29235157.html

Ganted, Gloria (2013): Sea monster in Ireland 2013. https://www.youtube.com/watch?v=cqh5rM7cI2I

Walker, Alice (2020): ‘ESCAPED’ Loch Ness Monster: Baffled Fife man reckons Nessie ‘could’ve escaped’ after strange sighting. The Sun, 18. September 2020

 

Dank

Mein Dank geht an Andreas Trottmann, der mich auf diese Meldung aufmerksam gemacht hat, und an Markus Hemmler und Alexander Blumtritt für die Bereitstellung ihres Fotos.

Anmerkung der Redaktion

Dieser Artikel wurde ursprünglich am 17. Dezember 2020 veröffentlicht. Im Rahmen des Website-Umbaus seit 4/2024 erscheint er heute erneut, minimal überarbeitet.

 

Von Ulrich Magin

Ulrich Magin (geb. 1962) beschäftigt sich seit seiner Kindheit mit Kryptozoologie, insbesondere mit Ungeheuern in Seen und im Meer. Er ist Mitarbeiter mehrerer fortianischer Magazine, darunter der „Fortean Times“ und Autor verschiedener Bücher, die sich u.a. mit Kryptozoologie befassen: Magischer Mittelrhein, Geheimnisse des Saarlandes, Pfälzer Mysterien und jüngst Magische Mosel.