Was ist Kryptozoologie?

Halsbandsittich am FeederLesedauer: etwa 17 Minuten

 

Kryptozoologie bearbeitet ein Themenfeld, das zwischen der klassischen Zoologie und der Mythologie liegt, sie bedient sich dabei Elementen der Naturwissenschaften, vor allem der Biologie, der Biochemie und der Paläontologie ebenso wie Elementen der Geisteswissenschaften, wie Mythologie, Völkerkunde und Psychologie.

Die fünf Themenfelder moderner Kryptozoologie sind:

 

Tiere, die Einheimischen bekannt sind, der Wissenschaft jedoch nicht.

Okapi
Einheimische berichteten Briten und Belgiern von Okapis, lange bevor sie „entdeckt“ wurden. Hier ein Okapi im Zoo

 

Dies ist ein sehr klassisches Feld der Zoologie, alle großen Zoologen haben bei der Suche nach unbekannten Tieren auf das Wissen Einheimischer zurückgegriffen.

Dieses Vorgehen findet auch heute noch regelmäßig statt. Viele der wenigen größeren Tiere, die heute noch entdeckt werden, finden Wissenschaftler auf Märkten oder werden im Gespräch von Einheimischen erwähnt.

 

Tiere, die an Orten vorkommen, an denen man sie nicht erwartet

Diese Tiere werden in der Kryptozoologie als „out-of-place-animals“ bezeichnet. Es gibt zahlreiche Gründe, warum Tiere an Orten vorkommen, an denen sie eigentlich nicht erwartet werden. In vielen Fällen hat der Mensch seine Hand im Spiel, aber lange nicht überall.

 

Mollymauk
Dieser Schwarzbrauen-Albatros oder Mollymauk wurde von der Südhalbkugel in den Norden verdriftet, wo die Art sonst nicht vorkommt.

 

Vögel

Vögel

Klassische „out-of-place-animals“ sind Irrgäste, wie man sie meist bei fliegenden oder schwimmenden Tieren kennt. Vögel oder auch Insekten, die von einem Sturm verdriftet werden, finden Beobachter in vielen Teilen der Welt. Gerade auf vorgelagerten Inseln wie Irland oder den Britischen Inseln landen immer wieder Vögel, die vom Wind aus Nordamerika verweht wurden.
Ein unter Ornithologen bekanntes Beispiel ist ein Schwarzbrauen-Albatros (Thalassarche melanophris), der aus unbekannten Gründen auf die Nordhalbkugel der Erde gelangte. Normalerweise lebt diese Art ausschließlich auf der Südhalbkugel. Als dynamische Segelflieger benötigen Albatrosse Wind. Sie sind nicht in der Lage, die Kalmen, eine windstille Zone nördlich und südlich des Äquators zu überqueren. Seit 2014 hält sich ein Einzeltier regelmäßig im Frühjahr und Sommer an der Nordsee auf, es gibt zahlreiche Beobachtungen von der britischen Ostküste, von Helgoland und aus Dänemark.

Aber auch über Land ist eine Irrwanderung möglich. Aus Sibirien treffen im Herbst mehr oder weniger regelmäßig einzelne Individuen von Zugvögel in Europa ein, die hier nicht vorkommen. Wissenschaftler haben mehrere tausend Meldungen zwischen 1836 und 1991 untersucht, dabei 38 Arten festgestellt, von denen einzelne Tiere nach Europa gelangen. Dabei fanden sie heraus, dass die Entfernung zwischen den Brutgebieten in Sibirien und dem irrtümlichen Aufenthaltsbereich in Europa so groß ist, wie zwischen den Brutgebieten und den arttypischen Winterquartieren in Südasien. Offenbar gibt es hier gelegentlich eine Fehlsteuerung in der angeborenen Zugsteuerung. Besonders häufig trat dies beim  Balkanlaubsänger (Phylloscopus orientalis), Dunkellaubsänger (Phylloscopus fuscatus), Bartlaubsänger (Phylloscopus schwarzi), Goldhähnchen-Laubsänger (Phylloscopus proregulus), Gelbbrauen-Laubsänger (Phylloscopus inornatus) auf.

Goldschakale

Goldschakale

Goldschakal
Ein Goldschakal (Canis aureus) im Zoo. Tauchen die Tiere irgendwo auf, ist dies oft eine Meldung in der Presse wert

Ebenfalls über Land verbreiten sich aktuell Goldschakale (Canis aureus) in Europa. Anders als die verirrten Vögel sind sie aber offenbar gekommen, um zu bleiben. Sie stammen aus Südosten Europas und sind von den Balkanstaaten, über die Türkei, Kleinasien, Indien bis auf die hinterindische Halbinsel weit verbreitet. Ob es sie in geschichtlicher Zeit in Mitteleuropa gab, ist umstritten, denn Goldschakale sind in Europa extrem heimlich. Dazu kommt, dass die Menschen der frühen Neuzeit (vermutlich?) nicht zwischen Goldschakal und Wolf unterschieden, sie wurden unerkannt mit den Wölfen ausgerottet.

1987 tauchte er erstmals in neuerer Zeit in der Steiermark auf, 1998 in Deutschland, 2011 in der Schweiz. Spätestens 2021 hatten die ersten Goldschakale in Deutschland Junge, mittlerweile hat man sie in 10 von 16 Bundesländern beobachtet (bisher nicht in Hamburg, Berlin, Bremen, dem Saarland und Rheinland-Pfalz). Ökologisch füllt der Goldschakal die Lücke zwischen Rotfuchs und Wolf, wird jedoch dort verdrängt, wo Wölfe vorkommen. Häufig töten Wölfe Goldschakale, fressen sie jedoch nicht.

Von Menschen verschleppte Tiere

Von Menschen verschleppte Tiere

Weitere „out-of-place-animals“ sind Tiere, die vom Menschen an Orte verschleppt wurden, an denen sie nicht vorkommen. Dies geschah eigentlich immer, seit der Mensch reiste, was Urmenschen vermutlich regelmäßig taten. Zu den früh in der Geschichte verschleppten Arten gehört unter anderem der Damhirsch. Phönizische Kolonisten sorgten dafür, dass er als Opfertier in den Kolonien bei Karthago, in Spanien und bei Marseille verfügbar war. Insbesondere die Römer führten ihn zwischen dem 1. Jahrhundert vor und dem 3. Jhd. n. Chr. in ihrem gesamten Herrschaftsbereich ein. Ob die heutigen Damhirschvorkommen tatsächlich auf römischen Importen beruhen, ist eine bisher kaum bearbeitete Frage innerhalb der Kryptozoologie.

Wesentlich moderner sind die Vorkommen der Halsbandsittiche (Psittacula krameri) in den Städten am Rhein. 1968 oder 1969 sind einige Tiere bei einem Großhändler für Haustiere in der Kölner Nordstadt entwichen und haben sich auf den Bäumen im und um den Kölner Zoo angesiedelt. Als Gebirgsbewohner kamen sie mit den milden Wintern im Rheinland gut zurecht, im Zoo und bald auch an Futterhäuschen der Stadtbewohner fanden sie ausreichend Nahrung. So konnten sie sich etablieren, und bald auch andere Städte besiedeln. Im Umland von Köln bewohnen sie alle Städte. Man findet sie seit 1973 im Rhein-Neckar-Gebiet, in Wiesbaden, Worms, Mannheim, Ludwigshafen, seit 2012 in Frankfurt am Main, seit 2019 in Münster. Aktuelle Zahlen gibt es nicht, das Bundesamt für Naturschutz geht von 1700 – 2500 Brutpaaren in den Jahren 2011 bis 2016 aus. In Deutschland scheinen sie keinen Einfluss auf andere Vogelpopulationen zu haben, Konkurrenz wird hauptsächlich zu anderen Höhlenbrütern erwartet, sie scheint sich aber nicht auszuwirken.

Halsbandsittich am Feeder
In der Umgebung von Köln kein so ungewöhnlicher Anblick: Ein Halsbandsittich am Futterspender

Andere Exoten in Deutschland sind Großen Nandus (Rhea americana), die im Jahr 2000 aus einer Freilandhaltung in Schleswig-Holstein entkamen und sich in der Niederung der Wakenitz an der Grenze zu Mecklenburg etablieren konnten. Bereits 2001 gab es einen erfolgreichen Brutversuch, seit dem steigt die Zahl der Tiere langsam an. Das Wetter scheint ein wichtiger Regulationsfaktor zu sein, der kalte Winter 2017/18 reduzierte die Zahl der Tiere deutlich, im folgenden, warmen und trockenen Sommer wurden viele Jungtiere groß. Mittlerweile ist die Population eine kleine Touristenattraktion geworden. Bauern, die Ernteschäden befürchten, haben eine Begrenzung der Population durch Anbohren der Eier, aber auch Bejagung auf 300 Tiere durchgesetzt.

Großkatzen in Großbritannien und anderen europäischen Ländern

British Big Cats (BBC)

Ein Teil eines Hirschskelettes liegt auf einem Weg
Skelettierter Hirschkadaver als potenzieller Hinweis auf eine Großkatze in Cornwall. Foto: Cornwall Live

Wesentlich geheimnisvoller in diesem Bereich sind die Bristish Big Cats, freilebende Großkatzen in Großbritannien. Immer wieder werden vor allem in den Grafschaften westlich von London Tiere beobachtet, die als Schwarzer Panther, Puma oder Leopard beschrieben werden. Gelegentlich finden sich Kadaver von Hirschen, seltener Schafe, die einem solchen Tier zum Opfer gefallen sind.  Man hat auch einzelne Tiere gefangen, unter anderem einen Puma in Schottland.  In einer Haarprobe, die Kryptozoologen aus einem Stacheldrahtzaun nahe einer Schafweide gewonnen haben, konnte Leoparden-DNA nachgewiesen werden. Auch andere Spuren wie Kratzplätze und Fußabdrücke sollen immer wieder auftauchen, oft ist die Bestimmung oder Herkunft zweifelhaft.

Im diesem Rahmen gibt es immer mal wieder Menschen, die behaupten, vor vielen Jahren an der und der Stelle die und die Großkatze ausgewildert zu haben. Häufig wird als Hintergrund ein Gesetz von 1976 genannt. Dieser „Dangerous Wild Animals Act“ verbot die bisher ohne Auflagen erlaubte Haltung von Großkatzen faktisch, so dass viele Großkatzenhalter diese Tiere in die wohl strukturierte Wildnis des Vereinigten Königreichs entlassen haben sollen.
Da bisher keine Population von Großkatzen auf den Inseln nachgewiesen werden konnte, ist diese und andere Theorien nicht zu belegen.

Gefangenschaftsflüchtlinge unter den Großkatzen

Geflüchtete Großkatzen

Schwarzer Panther vor dem Fenster einer Dachwohnung
2018 entkam ein schwarzer Leopard aus einer Dachwohnung im Norden Frankreichs.

Weniger geheimnisvoll sind Berichte von einzelnen, ausgebrochenen Tieren. Diese werden meist schnell wieder eingefangen und können keine Populationen aufbauen, falls sie überhaupt existieren. Hierzu zählt unter anderem der Schwarze Panther von Armentières, der Panther von Granada oder der Löwe von Kleinmachnow.

 

Tiere, die man für ausgestorben hält, dies aber nicht sind

Klassisch für diese Gruppe der Kryptide sind Taxa, die fossil bekannt sind und bei denen Wissenschaftler davon ausgingen, dass diese Gruppe vor langer Zeit ausgestorben ist. Gibt es aus solchen Gruppen einzelne Überlebende, die ihre Verwandten um erdgeschichtlich längere Zeit überlebt haben, spricht man von Lazarus-Taxa.

Quastenflosser vor Südafrika
Quastenflosser vor Pumula, Südafrika. Foto: Bruce Henderson

 

Ein bekanntes Beispiel hier ist der Quastenflosser. Die Quastenflosser oder Hohlstachlerartige (Coelacanthiformes) entwickelte sich vor etwa 409 Millionen Jahre im Unterdevon, die letzten Fossilien waren aus der späten Oberkreide vor etwa 70 Millionen Jahren bekannt. Bis zur Wiederentdeckung des Komoren-Quastenflossers Latimeria chalumnae 1938 und der Mandao-Quastenflossers Latimeria menadoensis 1997 galt die Ordnung als im Erdmittelalter ausgestorben.

 

Weitere Lazarus-Taxa

Solche langen Lazarus-Zeiträume sind sehr selten, schon wenige Millionen Jahre kommen kaum vor. Tatsächlich hat die Zoologie nur eine Handvoll Arten zu bieten, die als „echte“ Lazarus-Taxa gelten:

  • Noch länger als bei den Quastenflossern ist der Lazarus-Zeitraum bei der Gruppe der Monoplacophora, der „Einschaler“, die neben den Schnecken eine eigene Tierklasse der Mollusken bilden. Gehäuse der Tiere findet man fossil zwischen dem Kambrium und dem Devon, sie wurden zunächst den Schnecken zugeordnet, bevor man sie in den letzten Jahrzehnten immer weiter von diesen entfernte. Die Gruppe galt als 375 Millionen Jahre ausgestorben, bis man 1952 in 3750 m Tiefe vor Costa Rica wieder entdeckte.
  • Die Laotische Felsenratte (Laonastes aenigmamus) ist unter den Säugetieren wohl die Art mit der größten „fossilen Lücke“. Ihre letzten, fossil bekannten Verwandten aus der Nagetier-Familie Diatomyidae stammen aus dem frühen Oligozän oder späten Miozän, zwischen 32 und 11 Millionen Jahren.
  • Der Zwergglattwal (Caperea marginata) ist nicht nur der kleinste aller Bartenwale. Er erreicht nur knapp 6,5 m Länge und gilt als selten und heimlich. Die Art lebt in den kaltgemäßigten Meeren der Südhalbkugel, schließt sich gerne zu kleinen Gruppen zusammen und filtert wie alle Bartenwale Kleinstorganismen aus dem Wasser. Neuere Filmaufnahmen zeigen gesunde, aktive Zwergglattwale in so flachem Wasser, dass Menschen neben ihnen stehen können. Die Art gilt seit 2012 als letzter Überlebender einer Walfamilie Cetotheriidae, deren andere Vertreter im frühen Pliozän vor 4 bis 5 Millionen Jahren ausstarben.
  • Das Chaco-Pekari (Catagonus wagneri) ist quasi ein zweifaches Kryptid. Westlichen Wissenschaftlern war die Art zunächst durch Fossilien aus dem unteren und mittleren Pleistozän Argentiniens (ca. 2,5 Mio bis 20.000 Jahre) bekannt, die 1930 ausgegraben wurden, während Einheimische in Paraguay und Bolivien dieses Nabelschwein regelmäßig jag(t)en. Erst 1975 erkannten Wissenschaftler, dass die fossile und rezente Art identisch waren. Es ist gut möglich, dass die Ausgräber 1930 abends die selbe Art aßen, die sie tagsüber ausgegraben hatten – ohne es zu merken.
  • Die Lexika zählen noch etwa drei bis acht weitere Tiere oder Tiergruppen auf, deren Lazarus-Zeitraum mindestens das Quartär, also 2,6 Millionen Jahre umfasst. Auch einige Pflanzenarten bilden Lazarus-Taxa. Die bekannteste ist wohl die Wollemi-Kiefer, die aus Fossilien zwischen 90 und 2 Millionen Jahre vor heute bekannt war und 1994 im Wollemi-Nationalpark in Australien wieder entdeckt wurde. Sie wird häufiger als Samen oder Topfpflanze unter dem ungenauen Namen „Urwelt-Baum“ gehandelt.

Wesentlich häufiger sind eigentlich rezente Arten, die vor kurzem ausgestorben sind und einige Zeit später wieder entdeckt werden. Dieser Wiederentdeckungs-Zeitraum betrifft oft nur wenige Jahre, ist also erdgeschichtlich eher unbedeutend. Hier ist oft die Definition des Aussterbens sehr wichtig. Die IUCN (International Union for Conservation of Nature, der Dachverband zahlreicher Regierungs- und nichtregierungs- Naturschutzorganisationen) definiert eine Art seit 2020 wie folgt als ausgestorben:

„Ein Taxon ist ausgestorben, wenn es keinen vernünftigen Zweifel daran gibt, dass das letzte Individuum gestorben ist. Ein Taxon gilt als ausgestorben, wenn gründliche Untersuchungen in bekannten und/oder vermuteten Habitaten während geeigneter Zeiten (täglich, saisonal, jährlich) in seinem historischen Verbreitungsgebiet kein Individuum haben nachweisen können. Die Untersuchungen sollten sich über ein Zeitfenster erstrecken, das dem Lebenszyklus und der Lebensweise des Taxons entspricht.“

Praktisch wurde vorher meist ein Zeitraum von 50 Jahren nach der letzten sicheren Beobachtung oder dem letzten sicher gefundenen Exemplar angenommen. Bei kleinen Arten mit entsprechend kurzen Lebenszyklen ist dieser Zeitraum durch die neue Definition deutlich verkürzt worden.
So kommt es vor, dass zahlreiche Arten als ausgestorben gelten, die von der letzten Such-Expedition einfach nicht gefunden wurden. Dies tritt wesentlich häufiger auf, als bei erdgeschichtlich ausgestorbenen Taxa. Eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2011 führt mindestens mindestens 351 Arten (103 Arten von Säugetieren, 144 Vogelarten und 104 Amphibienarten) an, die als ausgestorben galten und in den vergangenen 122 Jahren wieder entdeckt wurden. Wir von der Redaktion des Netzwerkes für Kryptozoologie erhalten mehrere Meldungen im Jahr, dass wieder eine verschollene oder ausgestorben geglaubte Art nachgewiesen wurde, die Zahl von 351 sollte sich also seit 2011 deutlich erhöht haben. Dieselbe Arbeit legt im Durchschnitt 60 Jahre zwischen die Meldung „ist ausgestorben“ und „wie haben sie wieder gefunden“.

 

In den letzten Monaten hatten wir hier unter anderem den Attenborough-Schnabeligel und die Bayerische Kurzohrmaus. Insbesondere Vögel sind hier von starkem, auch populärwissenschaftlichen Interesse. Das Projekt „Search for lost Birds“ der American Bird Conservacy hat sich die Wiederentdeckung lange verschollener Vogelarten auf die Fahne geschrieben und dabei auch einige Erfolge erzielt hat. Entsprechend populärer Verbrecher-Fahndungslisten hat sie eine Liste mit zehn Vogelarten herausgebracht, die seit zehn Jahren nicht mehr qualifiziert beobachtet wurden, aber möglicherweise noch existieren.
Unter anderem enthält diese Liste die Himalaya-Wachtel, die 1877 das letzte Mal gesehen wurde und in unserem diesjährigen Kalender „Ausgestorbene Tiere“ aufgeführt wird. Auf dieser (also der NfK-Webseite) wird sie im Oktober als Tier des Monats auftauchen. Andere Vögel haben kürzere Fristen, wobei hier die letzten Sichtungen teilweise unklar sind.

Die Organisation re:wild gibt die „top most wanted lost species list“, die Liste der am meisten gesuchten verlorenen Arten der Welt heraus. Sie umfasst mehr Arten, einige davon wurden vor Kurzem wieder entdeckt, u.a. der Attenborough-Schnabeligel.

 

 

Tiere, die historisch belegt sind, aber heute nicht identifizierbar sind

Ein Tier, das in der Vergangenheit bekannt war, muss heute nicht unbedingt bekannt sein. Dies klingt zunächst merkwürdig, kommt aber öfter vor, als man denkt. In Mitteleuropa gibt es mehrere Tierarten und Zuchtformen vom Haustieren, die völlig in Vergessenheit geraten waren. Dazu kommen Verwechslungen oder Fehler bei der Zusammenfassung, wenn man glaubt, dass die Menschen früherer Zeiten eine einzelne Art mit mehreren Begriffen geführt haben – oder anders herum.

Der Schopf-Ibis

Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit lebte im östlichen Mittel- und Südosteuropa Schopfibis. Er war im Balkan über Ungarn, Italien, Österreich, Schweiz, Süddeutschland, Nordafrika und den Nahen Osten, möglicherweise noch weiter verbreitet. Durch archäologische Knochenfunde ist er gut belegt, ebenso findet man ihn in der Literatur als Jagdwild und Delikatesse. Da im 17. Jahrhundert quasi spurlos verschwand, galt er zeitweilig sogar als Fabeltier oder Erfindung, obwohl kein Geringerer als Conrad Gessner ihn schon 1557 beschrieb und zeichnete. 

Waldrapp
Der Waldrapp ist mit dem mittelalterlichen Schopfibis identisch

Erst Walter Rothschild, Ernst Hartert und Otto Kleinschmidt konnten 1897 zweifelsfrei nachwiesen, dass der 1627 in Deutschland ausgestorbene und später im Nahen Osten und Nordafrika (wieder) entdeckte Waldrapp mit dem deutschen Schopfibis identisch ist.

 

Heute ist die Art eher durch spektakuläre Wiederansiedlungsprojekte bekannt. Waldrappe sind in Europa Zugvögel, die zwingend südlich der Alpen überwintern. Die Zugroute wird jedoch nicht genetisch vererbt, Jungtiere folgen einfach ihren Eltern und lernen sie dadurch. Da alle wandernden Populationen ausgestorben waren, nutzen Wissenschaftler langsam fliegende Ultraleichtflugzeuge, um Jungtieren Wanderrouten beizubringen.

Der Rohrwolf

Eine weitaus weniger gut bekannte Art aus Mittel- und Osteuropa ist der Rohrwolf. Tatsächlich ist diese Tierart vor allem durch das gleichnamige Salzburger Adelsgeschlecht bekannt, über reale Rohrwölfe ist nahezu nichts bekannt. Das Verbreitungsgebiet dieser Tierart scheint außerhalb Europas gelegen zu haben, so wird berichtet, dass sie unter anderem osmanischen Heeren von Südosten aus gefolgt sind. Die Osmanen selber haben die verhassten Tiere als „Biowaffe“ genutzt und sie unter anderem auf Heerlager und in die Natur der Gegenden entlassen, die Widerstand leisteten. Wieviel Absicht dahinter stand oder ob die Tiere durch die osmanischen Heere erst auffielen, lässt sich heute kaum klären.

Diese vor allem in Österreich-Ungarn als Rohrwolf bezeichneten Tiere lebten bevorzugt in den Niederungen und Flachländern, häufig am Wasser und in den ausgedehnten Reedflächen an den Steppenseen (Neusiedlersee, Plattensee, Zicksee u.a.), was ihnen vermutlich zu ihrem Namen verhalf.

Goldschakal
Der Goldschakal liegt in der Größe zwischen Wolf und Fuchs

Lange Zeit ging man davon aus, dass es sich beim Rohrwolf entweder um Grauwölfe handelte, die ungewöhnliche Lebensräume aufgesucht haben oder um Paria-Hunde, auch wenn einige Untersuchungen im 18. und 19. Jahrhundert anderes vermuten lassen. Hier kommt ein „Neubürger“ Europas ins Spiel, der Goldschakal. Die Art war in historischer Zeit auf dem Balkan und in den Flachländern Ungarns beheimatet und wurde mit dem Wolf verdrängt. Man kannte zwar die Unterschiede zwischen Wolf und Goldschakal, aber es war oft nicht wichtig, welche der beiden Arten auftrat und bekämpft wurde. Da Wölfe ebenso wenig wie Menschen Goldschakale in ihren Revieren dulden, wurden Goldschakale extrem heimlich. Auch dort, wo sie heute vorkommen, fallen sie kaum je auf, auch wenn sie lange in relativer Nähe zum Menschen leben. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Art heimlich wieder Südost-Europa besiedelt hat, ohne dass dies groß bemerkt wurde.

Der Küchenhund – ein verschwundenes Haustier

Weitere Tiere, die in früheren Zeiten bekannt waren, heute aber in Vergessenheit geraten sind, sind Haustiere gewesen. Verschwunden und nicht wieder aufgetaucht ist der Küchenhund, englisch Turnspin dog. Küchenhunde waren häufig in kleine Laufräder gesperrt, die Drehspieße für Bratspieße in Bewegung versetzten. Dies war eine schwere Arbeit, die Mut erforderte (oft waren die Laufräder direkt am Feuer), jedoch mussten die Tiere gehorsam sein, denn ein Biss in den von ihnen gedrehten Braten war wohl ein Todesurteil. Turnspins waren kräftige Hunde, die an Corgies erinnerten, mit einer Schulterhöhe von 35 bis 40 cm und einem Gewicht von 10 bis 15 kg.

Als die Laufräder durch Elektromotoren ersetzt wurden, verschwanden die Turnspins aus den Küchen. Da sie nur über geringes Prestige verfügten und offenbar auch beim Personal nicht sehr beliebt waren, wurden sie nicht weiter gezüchtet. Unklar ist jedoch, wie weit sie in anderen Hunderassen weiter leben.

 

 

Mythen über Tiere und Tierwesen, ihre Entstehung, Entwicklung, Verbreitung und Interpretation

Die Kryptozoologie befasst sich auch mit Mythen um tierisches Verhalten und andere ungewöhnliche Ereignisse. Es gibt in alten Geschichten und neuen Erzählungen, insbesondere „urban Legends“ und Internet-Erzählungen Vieles, was im Rahmen der Kryptozoologie aufgeklärt werden sollte.

  • In Kinderbüchern wird oft dargestellt, dass Igel Äpfel auf ihrem Rücken herumtragen. Das sieht niedlich aus, aber steckt da wenigstens ein Quäntchen Wahrheit drin? Machen sich Igel überhaupt irgend etwas aus Äpfeln? Sammeln sie Vorräte?
  • Früher, auch in alten Stichen wurde dargestellt, wie Ratten Eier klauen sollten: Dabei legte sich eine Ratte auf den Bauch, hielt das Ei mit vier Pfoten fest, während eine andere Ratte sie am Schwanz in den Bau zog. Sind Ratten dazu in der Lage?
  • Myasis, in der Haut lebende Fliegenlarven ist an sich schon etwas Ekelerregendes. Doch wie sieht es aus mit Tropenurlaubern, die in einer Hautbeule, typischerweise am Kopf ein Spinnennest voller Jungspinnen entdeckten?
  • Die diebische Elster, also die Tatsache, dass Rabenvögel eine Vorliebe für glitzernde Dinge haben und sie deswegen „stehlen“, ist eine reine Legende, oder?

 

Literarische oder filmische Tiere, die ein dynamisches „Eigenleben“ bekommen haben

Gelegentlich kommt es vor, dass erfundene oder literarisch frei überformte Tiere ein nicht nur literarisches Eigenleben entwickeln. Einige davon wurden Objekte der Kryptozoologie

  • Das Monster von Loch Ness, Nessie, ist eine Erfindung eines einzelnen Journalisten. Unser Autor Ulrich Magin hat sich ausführlich mit der Entstehung dieses Kryptids befasst und konnte so den Prozess von der Idee bis zum etablierten Erzählungsmotiv darstellen.
  • Ganz ähnlich ist das Kryptid Chupacabra entstanden. Die ersten Berichte stammten 1995 aus Puerto Rico, wo zunächst nur von toten, angeblich blutleeren Kleintieren berichtet wurde. Hieraus entwickelte sich die Sage von einem „Ziegenvampir“ oder Ziegensauger, was Chupacabra auf Deutsch heißt. Bald machte sich diese Sage in ganz Lateinamerika breit, es gibt Berichte aus Südkalifornien und Texas. Hatte der Chupacabra anfangs keine besondere Gestalt, wurde er bald als haarloses, auf den Hinterbeinen stehendes Känguru mit roten Augen und einem Kamm aus Stacheln beschrieben. Heute hat sich ein Aussehen als haarloser Hund oder Fuchs durchgesetzt, auch durch Fotos von stark von Räude befallenen Tieren in diesem Gebiet.
  • Gelegentlich werden gefakte Meldungen und vermeintliche Fotos von literarisch verwendeten Tieren verwendet, um für die Neuerscheinung von Büchern, Filmen oder Fernsehserien zu werben.

 


IUCN Red List Categories and Criteria, Version 3.0, S. 14.

 

Brett R. Scheffers, Ding Li Yong, J. Berton C. Harris, Xingli Giam, Navjot S. Sodhi: The World’s Rediscovered Species: Back from the Brink? In: PLoS ONE. Band 6, Nr. 7, 2011, S. e22531, doi:10.1371/journal.pone.0022531 (8 Seiten (als PDF), Erste Online-Veröffentlichung am 27. Juli 2011).