Die Unruhe um vermeintliche Beutelwolffotos, die im Februar in Tasmanien aufgenommen wurden, hat sich etwas gelegt. Der Präsident der tasmanischen Sektion der Thylacine Awareness Group of Australia (TAGA), Neil Waters hatte behauptet, eine seiner Wildkameras habe drei Fotos von Beutelwölfen gemacht (im Folgenden als Waters-Bilder bezeichnet). Die Fotos waren mehr als fraglich, andere Experten waren der Meinung, dass es sich bei den fotografierten Tieren um völlig andere, häufig vorkommende Beuteltiere handelt.
Einen Teil der Diskussion kann man unter dem folgenden Link nachlesen: „Lebende Beutelwölfe fotografiert?“
Die üblichen Analysen sind schnell und mehr oder weniger gründlich gelaufen, leicht erschwert durch fehlende Bildangaben bzw. Fotos mit Vergleichsmaßstäben (warum vergisst das jeder?). Nahezu jeder, der mit Beutelwölfen und der tasmanischen Wildnis zu tun hat, hat sich zu Wort gemeldet. Nahezu jeder, denn nachdem sich „der Staub gelegt hatte“, fiel auf, dass eine Person kein Statement abgegeben hat: Cameron Campbell.
Cameron Campbells meldet sich (nicht) zu Wort
Einige Tage nach dem schnell Strohfeuer meldete sich Cameron Campbell zu Wort. Der Betreiber der Website „Thylacine Museum“ ist vermutlich einer der vier oder fünf besten Kenner der Beutelwölfe, die es auf der Welt gibt. Doch diese die Waters-Bilder erwähnt er mit keinem Wort, im Gegenteil: Sein Schweigen hierzu ist ohrenbetäubend.
Statt dessen bringt er einen ganz anderen Fall auf die Tagesordnung.
Der Adamsfield-Kadaver
Campbell berichtet von einem Kadaver eines Beutelwolfes. Zwei Männer sollen 1990 oder 1991 nahe der Wüstung Adamsfield in der Adamsfield Conservation Area einen Beutelwolf geschossen haben. Hier ist die sinngemäße Übersetzung seines englischsprachigen Statements:
Ein Beutelwolf war 1990 in der Adamsfield-Region frisch tot gefunden. Möglicherweise wurde er dort illegal getötet. Der Kadaver wurde fotografiert und eines der Fotos zeigt eines der Fußpolster des Tieres.
Zum besseren Verständnis: Die Ortschaft Adamsfield im gleichnamigen Schutzgebiet existiert heute nicht mehr. Goldgräber hatten den Ort 1925 als Florentine gegründet, als jemand im Adams River die Edelmetall-Legierung Osmiridium entdeckte. 1960 schloss die dortige Poststation, der Ort ist heute eine Wüstung oder Geisterstadt.
Die umgebende Adamsfield Conservation Area wird immer wieder als einer der letzten Orte genannt, an denen Beutelwölfe überlebt haben könnten.
Zum Adamsfield-Kadaver beruft sich Campbell auf „Where Light meets Dark“ und den Betreiber Chris.
Zum Adamsfield-Kadaver hat Chris folgendes gesammelt:
- Dieses Foto wurde zwischen 1990 und 1992 von einer unbekannten Person im Museum Victoria aufgenommen.
- Jemand im Museum Victoria nahm einen Beutelwolf-Balg und legte ihn auf das Foto, um die Füße des Balgs mit dem Fuß auf dem Foto zu vergleichen.
- Von diesem Vergleich zwischen dem Museumsexemplar und dem im Feld aufgenommenen Foto wurden mindestens 2 Fotos aufgenommen.
- Diese beiden Fotos erreichten irgendwie Col Bailey, der informiert wurde, dass es sich um Fotos des toten Beutelwolfes in Adamsfield selbst handelte. Er hatte zu diesem Zeitpunkt und auch später keinen Grund, etwas anderes zu glauben.
- Diese beiden Fotos wurden zuerst in einem Dokumentarfilm um 1998 gezeigt. Später hat sie Bailey in einem Buch besprochen und eine Reproduktion der Fotos abgebildet.
- Vor einigen Jahren gelang es Chris mit Hilfe eines Lesers des „Thylacine Museums“, eine Verwirrung aufzudecken. Das Foto, das Col Bailey abbildete zeigte den echten Adamsfield-Kadaver. Die beiden Füße auf den beiden von Bailey gezeigten Fotos gehörten beide zu Museums-Präparaten.
- Dieses Originalfoto der Füße des Adamsfield-Kadavers ist auf einem der beiden Fotos der Füße der Museumsexemplare zu sehen. Es liegt unter den Präparaten.
- Die Muster der Fußpolster des Adamsfield-Kadavers stimmen mit dem der Museumsexemplare überein und unterscheiden sich speziell von Hund oder Katze. Weiter zeigt es dass sich neben dem Fuß Eukalyptusblätter auf dem Boden liegen – was die Behauptung stützt, dass sie in der Auffindesituation aufgenommen wurden.
- Es gibt keinen Grund, den Ort (Adamsfield, Tasmanien) oder das Datum (1990) anzuzweifeln.
(Anm. TM: Zahlreiche Eukalyptus-Arten sind in Tasmanien nur sehr kleinräumig verbreitet. Möglicherweise könnte ein Spezialist die Eukalyptus-Art bestimmen und somit den Ort verifizieren)
Weiterhin unterstützen folgende Punkte die Annahmen Campbells:
- Nick Mooney schrieb Mitte der 1980er Jahre, er könne belegen, dass Beutelwölfe Gebiete im Nordwesten von Tasmanien bis mindestens 1982 genutzt haben. Diese Belege stehen in einem Bericht über die 2-jährige Regierungssuche, die Teilzeit-Parks Ranger Hans Naardings Sichtung in diesem Gebiet auslöste sowie aus Naardings und einer Reihe anderer Sichtungsberichte, die im Rahmen der Suche bekannt wurden.
- Ein Forschungsbericht aus diesem Jahr zeigt einen umfassenden Blick auf über 1.000 Sichtungsberichte aus Tasmanien von 1910 bis 2019 und wertet das wahrscheinliche Aussterbungsdatum der Art statistisch aus. Dabei identifiziert er auch alle geografischen Refugien, in denen der Beutelwolf voraussichtlich am längsten überlebt hat. Die Schlussfolgerungen des Berichts (…) deuten auf ein Aussterben in den 1990er oder 2000er Jahren hin. Die Adamsfield-Region ist einer der Orte, an denen ein Zufluchtsort für die letzten Überreste der Art vorhergesagt wird. (Chris bezieht sich auf eine Studie, die wir unter „Neues vom Beutelwolf (2021)“ vorgestellt haben. Hinter dem Link steht auch mehr zum Inhalt)
Eine vollständigere Analyse liefert Chris auf seiner Website, zeigt dort auch die qualitativ relativ schlechten Fotos. Es handelt sich ausschließlich um Kopien der 2. oder höherer Generation, also ein Foto eines Fotos oder Druckes.
Chris zieht nach sorgfältiger Analyse der Fußsohlenmuster den Schluss, dass der Adamsfield-Kadaver „jenseits vernünftiger Zweifel“ ein Beutelwolf ist. Das Foto seit 1990 oder 1991 in der Nähe von Adamsfield aufgenommen.
Darüber hinaus bezieht er sich auf den „Coomber evidence“ (Coomber Beweis), dass 1990 oder 1991 mindestens ein weiterer Beutelwolf in Tasmanien starb, und möglicherweise sogar ein dritter.
Die Verschwörungstheorie
ein Kommentar von Tobias Möser
Wenn sich Cameron Campbell zu einem aktuellen Beutelwolf-Thema nicht zu Wort meldet, dann hat sein Schweigen seinen Sinn. Ganz klar: er hatte den Braten gerochen und die Fotos schnell als das identifiziert, was sie sind: Keine Beweise für das Überleben von Beutelwölfen.
Bemerkenswert an der Sache erscheint mir aber, dass er die Aufmerksamkeit schnell von den Waters Fotos weg und auf einen etwa 30 Jahre alten Vorfall hin lenkt. Warum tut Campbell das? Die ganzen Umstände um den Adamsfield-Kadaver und die Umstände der Untersuchung im Victoria Museum (siehe unten) wirken sehr geheimnisvoll.
Genauer betrachtet zeigen die Vorgänge einen nahezu archetypischen Topos der Kryptozoologie: Irgendwo findet jemand einen Kadaver oder Teile davon. Statt die Behörden zu informieren, sichert er die Überreste selber. Einige Zeit später zeigt er diese in einem Museum. Eine ungenannte Person (oder jemand, der sich an den Vorgang nicht erinnern kann) begutachtet sie oder – wie hier – vergleicht sie mit Sammlungsobjekten. Dabei entstehen möglicherweise Fotos, jedenfalls wird belegt, dass der Kadaver „echt“ ist.
Vieles ist unklar
Hierbei stellen sich einige Fragen, denen man nachgehen kann. Um welches Museum handelt es sich? Hierbei ist der Betreiber von „Where Light Meets Dark“ ziemlich unspezifisch gewesen. In seinem Artikel schreibt er gar nicht, um welches Museum es sich handelt, in seinem Statement nennt er es Museum Victoria. 1992 gab es kein Museum diesen Namens, erst 1998 entstand es durch Umbenennung. Heute übernimmt das Melbourne Museum den naturwissenschaftlichen und völkerkundlichen Teil. In dieser Form ist es übrigens das größte Museum der südlichen Hemisphäre.
Dass ein großes Naturkundemuseum in Australien Bälge von Beutelwölfen gesammelt hat, ist nicht weiter verwunderlich.
Weiter verwunderlich ist aber der Rest: Wie kommt es, dass jemand an diese unbezahlbaren Sammlungsexemplare heran kommt, sie mit frischtotem Material vergleicht und Fotos macht – und beim Kurator gehen nicht alle Lampen an? Ein frischtoter Beutelwolf, das ist eine Sensation und eine Riesenchance für die Wissenschaft – und die eigene Karriere. Auf einmal ginge alles, was vorher nicht möglich war: DNA-Extraktion aus frischem Erbgut, ein Ort, an dem man suchen kann, möglicherweise sogar Pheromone aus diversen Drüsen, um andere Beutelwölfe anzulocken! Aber was passiert? Nichts!
Wieso keine „saubere“ Museumsarbeit, sondern so eine Mauschelei?
Kann es sein, dass die Fotos im Museum „inoffiziell“ geschossen wurden? War hier ein Museumsmitarbeiter, vielleicht ein Sammlungstechniker oder Präparationsassistent nach Feierabend oder am Wochenende heimlich tätig? Die Qualität der Fotos deutet jedenfalls darauf hin, dass man sie „mal eben“ aus der Hand gemacht hat. Gerade in Sachen Fotografie sind Naturkundemuseen gut ausgerüstet. Wäre dies offizielle Museumsarbeit gewesen, hätte der Kurator einen Fotoplatz hierfür genutzt. Flächenblitze hätten die Füße des Präparates und des Kadavers schattenfrei ausgeleuchtet, so dass Chris‘ Analyse deutlich einfacher wäre.
Warum muss so etwas sein? Wieso wird Kryptozoologie immer wieder durch Herumwurschteln, inoffizielle Arbeit und Heimlichtuerei kompromittiert? Es wäre ein Leichtes gewesen, das Museum Victoria mit einem Anruf um einen Termin beim Kurator für Säugetiere (oder Ähnlich, je nach Arbeitsaufteilung) zu bitten. Jeder Kurator eines Naturkundemuseums wäre bereit, wegen so eines Fundes zwei Überstunden zu riskieren.
Der Besucher – wer immer das war – wäre offiziell Gast des Museums. Der Kurator hätte den Kadaver in Ruhe untersuchen können. Museumsmitarbeiter hätten gute Fotos anfertigen und das Ganze sinnvoll dokumentieren können.
Aber nein, auch dieser mehr als spannende Fall der Kryptozoologie ist kaputt-gemauschelt worden.
Kurz: Wo der Adamsfield-Kadaver verblieb, ist ungeklärt. Wer wann welche Fotos gemacht hat, ist ungeklärt. Die Fotos selber sind nie veröffentlicht worden. So bleiben viele Fragen offen, die man einfach hätte klären können. Warum?
Dieser Artikel wurde am 18. März 2021 das erste Mal auf dieser Website publiziert. Im Rahmen der Website-Überarbeitung wird er heute erneut veröffentlicht.
Links
http://www.wherelightmeetsdark.com.au/examining-the-evidence/tasmanian-tiger-(thylacine)/adamsfield-thylacines/adamsfield-thylacine-identified/
http://www.wherelightmeetsdark.com.au/examining-the-evidence/tasmanian-tiger-(thylacine)/adamsfield-thylacines/
http://naturalworlds.org/thylacine/history/bushmen/bushmen_5.htm
http://naturalworlds.org/thylacine/history/extvssurv/extinction_vs_survival_8.htm
https://www.examiner.com.au/story/2945072/man-on-the-trail-of-the-tasmanian-tiger-video/