„Die größten Elefanten leben am Nordpol.“ So fassten wir in der Schule im Biologieunterricht die Bergmannsche Regel schmunzelnd zusammen.
Etwas seriöser formuliert besagt sie, nach dem „Spektrum Lexikon der Biologie“:
Die meist nur auf Warmblüter anwendbare Bergmannsche Regel beschreibt die Beobachtung, daß innerhalb einer Art die Individuen von Populationen aus kalten Gebieten größer sind als in den warmen. Bergmann erklärte dies mit den unterschiedlichen Verhältnissen zwischen der Oberfläche und dem Volumen bei kleinen bzw. großen Körpern. Ein großer Körper verliert über seine (in Bezug auf sein Volumen) relativ geringe Oberfläche weniger Wärme als ein kleiner. Entsprechend sind nördlich verbreitete Populationen mancher Säugetiere (z. B. Hirsch, Wildschwein) und Vögel (z. B. Uhu, Gimpel) größer als südliche. Auch bei Beuteltieren, deren Körpertemperatur nicht so unabhängig von der Außentemperatur wie bei Warmblütern ist, zeigt die Bergmannsche Regel Gültigkeit. Da alle Organismen vielfältigen Umweltbedingungen genügen müssen, werden infolge gegenläufiger Anpassungserscheinungen solche regelhaften Phänomene häufig überlagert und folglich unkenntlich. Dies gilt auch für die mit der Bergmannschen Regel in Zusammenhang stehende Allensche Proportionsregel.
Salopp gesagt würde das bedeuten, dass auch die Größenangaben von Bigfoot und Sasquatch steigen, je weiter man in den Norden des nordamerikanischen Kontinents gelangt. Tatsächlich wird gerade das immer wieder behauptet.
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Ich erinnere mich an Meldungen bei GreWi aktuell, die ich allerdings nicht mehr auffinde konnte. Quelle für diese Behauptungen scheint der Bigfoot-Forscher George Gill Anfang der 1980er Jahre gewesen zu sein, der immer wieder angeführt wird. Eine unabhängige Bestätigung steht dabei aus, und selbst das Fachblatt Cryptozoology (Jahrgang 1, 1982, S. 98) der International Society für Cryptozoology wies auf ein großes Problem hin:
George Gill berichtet von einem möglichen „Population Cline …“ der Sasquatch-Körpergrößen, die mit dem Breitengrad korrelieren. Seine Daten zeigen eine zunehmende Größe nach Norden, entsprechend der Bergmannschen Regel, aber die Daten von John Green scheinen dieser Schlussfolgerung zu widersprechen. Zu diesem Punkt werden weitere Untersuchungen empfohlen.
Stets, wenn die angebliche Bestätigung der Bergmannschen Regel in Bigfoot-Berichten angesprochen wird, beziehen sich die Autoren ausschließlich auf George Gill. So schreibt Dale Drinnon am 26. Dezember 2010 auf seinem Blog unter dem Titel: „Sasquatch Data And Bergmann’s Rule“:
George W. Gill lieferte 1980 einen wichtigen Aufsatz über die Bergmannsche Regel, wie sie auf gemeldete Beschreibungen und Fußabdrücke von Sasquatch im äußersten Westen Nordamerikas angewendet wurde. Gills Schätzungen wurden für mehrere Staaten auf unterschiedlichen Breitengraden durchgeführt und umfassten getrennte Tabellen für die gemeldeten Körpergrößen in Sasquatch-Berichten wie auch für die aus den Fußabdrücken ermittelten Körpergrößen.
Gill schätzte, dass die gemeldeten Fußabdrucklängen in Kalifornien zwischen 12 1/2 und 18 Zoll betrugen, mit einem Mittelwert von 15 Zoll. Sie entsprachen den separaten Größenschätzungen von 6 bis 9 Fuß Höhe mit einem Durchschnitt von 7’4 Fuß [7 Fuß 4 Zoll]. In Washington waren die Fußabdrücke 13 1/2 bis 22 Zoll lang und durchschnittlich 17 1/10 Zoll groß. In British Columbia und Westkanada waren die Spuren 15 bis 24 Zoll lang, mit einer durchschnittlichen Länge von 18 1/2 Zoll und einer geschätzten Statur von 7 bis 14 Fuß Höhe, wobei die höchste Schätzung unzuverlässig war und der Mittelwert bei 8’8 [8 Fuß 8 Zoll] lag.
Die kleinsten westkanadischen Sasquatches haben die Größe der durchschnittlichen kalifornischen Sasquatches und die größten kalifornischen Sasquatches haben die gleiche Größe wie die durchschnittlichen westkanadischen Sasquatches. […]
Ich habe ebenfalls eine grobe statistische Untersuchung durchgeführt und kam zu mit Gills vergleichbaren Ergebnissen, und schlussfolgerte, dass die Ergebnisse der Bergmannschen Regel entsprechen. Darüber hinaus sprach Grover Krantz davon, dass der typische Sasquatch in der Gegend von Washington gemeinhin ein Männchen mit einer Körpergröße von 7 Fuß 8 Zoll und einem Gewicht von bis zu 800 Pfund und ein Weibchen mit einer Körpergröße von typischerweise 6 Fuß 6 Zoll und einem Gewicht von 500 Pfund aufweist. Als maximale Größe bezifferte er eine Körpergröße von 10 Fuß und ein Gewicht von 1000 Pfund. Nach Rücksprache mit Bob Titmus gab dieser an, dass er die Zahlen aufgrund seiner Erfahrungen in Südalaska um bis zu 15 % für die Größe und um bis zu 50 % für das Gewicht nach oben korrigieren würde. Krantz fügte hinzu: „Und er könnte wohl recht haben.“
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Demgegenüber stellte John Green (S. 442) 1976 bei einer Analyse der ihm vorliegenden 1350 Augenzeugenberichte fest, dass die größten Bigfoots in Kalifornien und Oregon gesehen wurden, also gerade nicht in Washington und British Columbia. Ginge es um das reine Maß der Fußabdrücke, so stammten die größten aus dem Osten der USA, im Westen werde die größte Durchschnittslänge in Oregon gemessen und die kleinste in British Columbia (Green, S. 443):
Die Reihenfolge ist bei der Größe sowohl des Körpers als auch der Fußabdrücke dieselbe; im Oregon am größten, es folgt Kalifornien, dann Washington, dann British Columbia.
Eine Probe aufs Exempel
Wer hat Recht? George Gill oder John Green? Ich wollte eine Probe aufs Exempel machen und eine Stichprobe untersuchen, die bereits vorgegeben war. Ich wählte die Liste von 1000-Bigfoot-Sichtungen aus Janet und Colin Bords „The Bigfoot Casebook“.
Meinen ursprünglichen Plan, das Jahrzehnt von 1970 bis 1980 zu analysieren, gab ich rasch auf – für diesen Zeitraum listen Janet und Colin Bord mehr als 500 Berichte – zu viel für eine schnelle Auswertung, wenn man sonst noch ein Leben hat.
Ich nahm mir deshalb die beiden Jahrzehnte 1950 bis 1969 vor (insgesamt etwas über 200 Begegnungen), der Einfachheit halber nur die Staaten an der Pazifikküste, von Norden nach Süden: Alaska, British Columbia, Washington, Oregon und Kalifornien. Sollte die Bergmannsche Regel tatsächlich auf Bigfoot zutreffen, dann müssten die höchsten Durchschnittswerte in Alaska, die geringsten in Kalifornien zu finden sein.
Allerdings enthielt die Liste der Bords enttäuschend wenige Größenschätzungen der Augenzeugen – zum Beispiel keine einzige für Alaska. Meine Ergebnisse habe ich auf der folgenden Liste erfasst:
Staat | Zahl der erfassten Berichte* | Größen (ft.) | Durchschnitt (ft.) |
Alaska ![]() |
4 (0) | – | – |
British Columbia ![]() |
45 (15) | 5, 6, 6, 6, 7, 7, 7, 7, 7, 7, 7–9, 8, 8, 8, 10, small, small, tall, big | 7,13 |
Washington![]() |
55 (18) | 5, 6, 7, 7, 7, 7, 7, 7-8, 7–9, 8, 8, 8, 8, 8–9, 8–9, 8–10, 9, 10, tall | 7,69 |
Oregon![]() |
26 (5) | 6, 7, 7–8, 9, 12 | 8,3 |
Kalifornien![]() |
48 (13) | 6, 6, 7,5, 7-8, 8, 8, 8, 8-9, 8-9, 8-9, 9-10, 10, 10-12, huge, giant | 8,23 |
Westküste insges. | 176 (51) | 7,83 |
Bewertung der Daten
Das Ergebnis dieser Stichprobe ist eindeutig und bestätigt die Analysen von John Green: Die größten Bigfoots kommen in Oregon vor, nicht in British Columbia – tatsächlich liegt British Columbia noch weit unter dem Schnitt aller vier Staaten, Washington kommt ihm nahe, aber die südlichen Staaten Oregon und Kalifornien liegen deutlich darüber. Ich nehme an, dass es an dem einen Bericht über einen 12 Fuß großen Bigfoot bei nur 5 Berichten liegt, das Oregon Platz 1 vor Kalifornien einnimmt.
Die Bergmannsche Regel ist also auf Bigfoot in zwei von drei Datensätzen nicht anwendbar, zumindest in dieser Hinsicht verhält sich unser geheimnisvoller Affe überwiegend nicht wie ein reales Säugetier.
Da das Buch der Bords über 1000 Sichtungsmeldungen listet, kann jeder seine eigene Analyse machen – in anderen Jahrzehnten oder mit anderen Saaten. Bleiben die Daten im Widerspruch zur Bergmannschen Regel oder habe ich einfach nur die falschen Jahrzehnte erwischt?

Literatur
Bord, Janet und Colin: The Bigfoot Casebook. Harrisburg PA: Stackpole Books 1982
Drinnon, Dale: Sasquatch Data And Bergmann’s Rule. http://forteanzoology.blogspot.com/2010/12/dale-drinnon-sasquatch-data-and.html
Gill, George W.: Population Clines in North American Sasquatch as Evidenced by Track Lengths and Estimated Statures, in: Manlike Monsters on Trial: Early Records and Modern Evidence, Marjorie M. Halpin und Michael M. Ames, Hrsg., Vancouver, BC: University of British Columbia Press 1980
Green, John: Sasquatch – the Apes among Us. Surrey, BC: Hancock House 2006
Spektrum Lexikon der Biologie. https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/bergmannsche-regel/8037