Der erste Teil des Beitrags „Dämonische Hunde“ erschien am 21. Oktober 2021
„Physikalische Beweise“ für dämonische Hunde
Ach, wie oft muss man vom Hund von Blythburgh lesen, der während eines Unwetters auftaucht (wie in Trier und anderswo) und dann Spuren an der Kirchentür hinterlässt. Erstens – es gibt keine zeitgenössischen Berichte, zweitens: Man weiß, wer die Spuren hinterlassen hat, und es war kein dämonischer Hund.
Im Jahr 1577 berichtete ein Flugschrift von einem „Sonderbaren und schrecklichen Wunder“, das sich während eines schlimmen Sturmes mit Starkregen am 4. August ereignet habe (also den Vorgaben früherer Ereignisse folgt), als ein schwarzer dämonischer Hund (beziehungsweise „ein schrecklich geformtes Ding“) mit einem furchtbaren Knall die Tür der Dreifaltigkeitskirche von Bungay in Suffolk sprengte und ins Schiff der Kirche lief, dabei einen Mann und einen Burschen tötete und schließlich die Haube des Kirchturms zum Einstürzen brachte. Es hat sich also offenbar wieder um einen Blitzeinschlag gehandelt, der als Dämonensage formuliert wurde. Der Autor des Flugblattes, Abraham Fleming, berichtet (in zweitgemäßes Deutsch gebracht):
„Dieser schwarze Hund oder der Teufel in seiner Gestalt (Gott, der alles geschaffen hat, weiß es am besten) lief die gesamte Kirche entlang. Und zwar mit größter Geschwindigkeit und unglaublicher Eile, unter den Leuten und in sichtbarer Form, ging zwischen zwei Leuten durch, die gerade knieten und anscheinend ins Gebet versunken waren, drehte beiden gleichzeitig den Hals um, einmal genau nach hinten, so dass sie noch im Augenblick ihres Kniens erwürgt wurden.“ (Die in der deutschen Wikipedia gegebene „Übersetzung“ des Pamphlets ist eine spätere, interpretierende Nacherzählung. Eine komplette Transkription von Flemings Text findet sich unter diesem Link)
Krallenabdrücke hinterließ er also nach der ursprünglichen Quelle nicht. Die schwarzen, versengten Spuren an der Kirchentür, die man immer wieder abgebildet sieht, stammen nämlich nicht aus Bungay, sondern aus dem nahen Blythburgh.
Dasselbe Pamphlet berichtet, der Hund sei in derselben Nacht auch in der Kirche von Blythburgh erschienen (Blibery). Von den Spuren an der Kirchentür hören wir abermals nichts. Erst im 19. Jahrhundert wird erzählt, dass der dämonische Hund in Blythburgh seine Krallen über die Tür gezogen habe. Es ist eine moderne Erfindung.
Und die Krallen an der Kirchentür?
Die stammen aus einer Zeit, als der englische Diktator Oliver Cromwell (1599–1658) im Verlauf seiner radikalen Reformation die Kirchen als Militärlager gebrauchte. In Blythburgh befand sich darin eine Schmiede, und die Eisenstäbe aus dem Schmiedefeuer wurden an die Tür gelehnt. (Siehe Blog von Matt Salusbury)
Zum ersten haben wir es also mit einer Wandersage zu tun, die sich – aus welchen Gründen auch immer – an bestimmte Orte knüpft, dort aber nicht entstanden ist. In derselben Nacht soll ein schwarzer Hund an zwei Orten aufgetaucht sein, während eines Gewitters, wie schon 700 Jahre zuvor in Trier. Zum anderen handelt es sich um eine ätiologischen Sage, also eine, die eine Ursache für ein Geländemerkmal liefert, in diesem Falle die „Krallenspuren“ an der Kirchentür.
Der Pudel im „Faust“
Obwohl er mich in der Schule langweilte – lesen wir die berühmte Stelle vom schwarzen Pudel in Goethes „Faust“, merken wir, dass er diese Aspekte fast alle erfasste – die Flammen, das Wirbeln, das Anschwellen.
Zunächst begegnet Faust auf seinem Spaziergang mit Wagner einem Pudel. Der ist dämonisch, erscheint als Wirbelwind und steht in Flammen:
„Bemerkst du, wie in weitem Schneckenkreise
Er um uns her und immer näher jagt?
Und irr ich nicht, so zieht ein Feuerstrudel
Auf seinen Pfaden hinterdrein.“
Der Pudel begleitet Faust bis in dessen Studierzimmer und Faust sinnt über ihn nach:
„Bist du, Geselle,
Ein Flüchtling der Hölle?
So sieh dieß Zeichen,
Dem sie sich beugen,
Die schwarzen Schaaren!
Schon schwillt es auf mit borstigen Haaren.
[…]
Hinter den Ofen gebannt
Schwilt es, wie ein Elephant;
Den ganzen Raum füllt es an,
Es will zum Nebel zerfließen.
Steige nicht zur Decke hinan!
Lege dich zu des Meisters Füßen!
Du siehst, daß ich nicht vergebens drohe.
Ich versenge dich mit heiliger Lohe!
Erwarte nicht
Das dreimal glühende Licht!
Erwarte nicht
Die stärkste von meinen Künsten!“
Anmerkungen zum 1. Teil des Beitrages
Anmerkung 1
Görres schreibt: „Hat das Unwesen mehr den Charakter einer Possession, dann tritt es auch hier mehr koboldartig hervor. In Hessimont bei Neumagen wurden die Nonnen, wie Wyer, der Leibarzt von Cleve, erzählt, viele Jahre von einem Geiste geplagt, der zur Nachtzeit, wie in einem Windwirbel, in den Schlafsaal stürzte; und dann auf der Zither so lieblich spielte, dass die Nonnen zum Tanze hätten verführt werden können. Dann sprang er in Hundsgestalt in das Bette einer derselben, auf die daher ein harter Verdacht gefallen. Noch viel Lästigeres war in demselben Kloster, bei Lebzeiten des P. Paulus, vorgefallen; was der Berichterstatter, da die Betroffenen es unterdrückt, nicht veröffentlichen wollte.
In einem andern, nicht unbedeutenden Kloster cölnischer Diöcese, trieb ein ähnliches Unwesen seinen Spuk, das acht Jahre in Hundsgestalt umging und in die Unterkleider der Nonnen schlüpfte, um durch die Bewegung derselben, die es verursachte, Zeichen unsaubern Treibens zu verrathen.“
Anmerkung 2
Es gilt übrigens zu beachten, dass unsere Sagen vor allem im 19. Jahrhundert gesammelt wurden und damit ein Produkt dieser Zeit, nicht einer älteren Zeit, sind, dass also die bereits aufgeführten „Augenzeugenberichte“ sich auf die erzählten Geschichten ausgewirkt haben können, ebenso wie „Augenzeugenbericht“ hier kein juristischer Terminus ist, sondern ein erzähltechnischer – wie Karl Mays Wildwestromane gehören diese Schilderungen der literarischen Gattung des „Augenzeugenberichts“ an (wie die modernen Sagen oder FOAF (Friend-of-a-Friend)-Tales zeigen, wird eine genormte Erzählung gern als eigenes Erlebnis weiterberichtet, weil die Geschichte dann spannender klingt).