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Zu den von Ulrich Magin gefundenen Zeitungsartikeln zur gefangenen „Seeschlange“ in Valencia aus dem Jahr 1933 gibt es weitere Artikel zu diesem „Seeungeheuer“ in spanisch- und englischsprachigen Zeitungen. Einer der Artikel stammt aus der „El Sol“ aus Madrid:

 

 

Am Strand von Benidorm wurde ein Seeungeheuer gefangen, eine Mischung aus Hai und Pottwal, das viereinhalb Meter misst.

 

In einigen Orten des Küstengebiets wird dieser Tage eine bisher unbekannte Art von Seeungeheuern ausgestellt und an das Naturhistorische Museum in Madrid geschickt. Es ist ein riesiger Fisch, der viereinhalb Meter misst und 850 Kilo wiegt, ähnlich einem Wal, einer Mischung aus Hai und Pottwal. Es wurde am Strand von Benidorm mit einer Harpune erwischt.

 

 

Die Informationen der verschiedenen Artikel sind sowohl inhaltlich als auch fast durchgehend wörtlich gleichartig. Unterschiede gibt es bei der hier erwähnten Harpunierung und den Angaben zur Länge, die von 4 m über 4,5 m zu 13 m schwankt.

 

Lage von Benidorm zwischen Alicante und Valencia

 

Der lokale Geschichtsblogger Paco Bou beschäftigte sich 2017 in seinem zweiten Artikel der Reihe „Haie und Seeungeheuer“ mit diesem „unbekannten Hai“. Leider blieb auch er ohne weitere Erkenntnisse zur Identität. Allerdings re-publizierte er unter anderem einen Artikel der „La Libertad“ vom 04. Januar 1934. Er zeigt auch ein Foto des Kadavers:

 

 

ALBACETE – In Albacete wurde ein am Strand von Benidorm (Alicante) gefangenes Seeungeheuer ausgestellt, dass an das Museum für Naturgeschichte nach Madrid gebracht wird. Es ist ein riesiger, vier Meter langer Fisch (Mischung aus Hai und Pottwal), der 950 Kilo wiegt.

 

 

Das dazugehörige schwarzweiße Foto ist von schlechter Zeitungsqualität, exakte Einzelheiten sind nicht beziehungsweise nur schwer zu erkennen. Der Kadaver liegt auf einer Art von Podest. Die Menschen im Hinter- und Vordergrund beziehungsweise der hinter oder auf dem Tier sitzende Mann ermöglichen eine ungefähre Größeneinschätzung, die tatsächlich um die vier Meter liegt. Der kurze Kopf erscheint rundlich und verfügt – da er direkt vor einer Wand oder einem Sockel liegt – offensichtlich nicht über einen auffälligen Schnabel oder ähnliches. Ein Schwanz ist am hinteren Ende nicht zu erkennen, so dass eine Eingrenzung auf Hai- oder Walschwanzflosse nicht erfolgen kann. Die Tierleiche liegt erkennbar auf ihrer linken Seite, die linke Brustflosse steht hoch und ist gut erkennbar. Sie ist relativ zum Körper betrachtet lang und augenscheinlich hakenförmig.

 

Kadaver des Seeungeheuers
Der Kadaver auf einem Foto der „La Libertad“ vom 04. Januar 1934. Man beachte die Brustflosse

 

Das „Seeungeheuer“ ist definitiv kein Hai

In der Zusammenschau kommt anhand der erkennbaren körperlichen Merkmale zur Identifizierung weder ein Riesenhai (Cetorhinus maximus) noch ein anderer Hai in Betracht. Offenkundig handelt es sich um einen Wal.

 

Riesenhai Schottland ca. 1950
Im Vergleich hierzu ein Riesenhai-Kadaver aus der Fischerei in den 1950ern.

 

Ist es ein Zwergpottwal?

Die Beschreibung als „Mischung aus Hai und Pottwal“ und der kurze Kopf könnten als eine mögliche Erklärung auf ein Mitglied der Walfamilie der Zwergpottwale (Kogiidae) hindeuten. Diese weisen länglichere und gebogene, relativ dünne und spitze Zähne auf, die im Hinblick auf unerfahrene Augenzeugen und beschreibende Assoziationen unter Umständen den gezogenen Vergleich mit Haien rechtfertigen würde. Hierzu passend wäre auch der kurze Kopf, auch wenn dieser bei den Kogiidae eher rechteckig oder kastenförmig anstatt rundlich erscheint. Sie haben ein enges, unterständiges Maul, was im Vergleich an ihre größeren Verwandten, den Pottwal Physeter macrocephalus erinnert. Wäre diese Identifikation korrekt, würde der Kleine Pottwal Kogia simus eher ausfallen.  Er erreicht nur eine Menge bis zu drei Meter und ist nur an der westlichen Spitze von Spanien verbreitet. Der Zwergpottwal Kogia breviceps ist mit einer Länge von knapp über drei Meter und einer bekannten Verbreitung um ganz Spanien wahrscheinlicher.
Tatsächlich passt zu beiden Arten jedoch weder die beschriebene Länge von vier bis viereinhalb Metern (sofern korrekt), noch und insbesondere die in Relation zum Körper längliche und hakenförmige Flosse.

 

Kogia
Markus-Bühlers Rekonstruktion eines Kogias, der sich mittels einer Drüsenflüssigkeit vor einem Hai zu verbergen sucht. Deutlich erkennbar der eckige Kopf und das kleine, unterständige Maul.

Oder ist das Seeungeheuer ein Grindwal?

Diese speziellere Flossenform führt bei der weiteren Suche innerhalb der Zahnwalunterordnung (Odontoceti) schließlich zur Gattung der Grind- oder auch Pilotwale (Globicephala). Der Gewöhnliche oder Langflossen-Grindwal (Globicephala melas) ist aufgrund seines Vorkommens auch an der Küste der Provinz Alicante wahrscheinlicher als der Kurzflossen-Grindwal (Globicephala macrorhynchus). Auch weitere Details wie ein kurzer, runder Kopf ohne auffälligen Schnabel sowie die Länge passen zu dieser Identifikationsmöglichkeit. Hinzu kommt in der Vergrößerung des Fotos der Eindruck eines weißen Bereichs zumindest im Brust- bis Bauchbereich, was der weißlichen Partie beginnend von der Kehle bis zum Anus hin verlaufend bei Globicephalas melas entsprechen könnte.

 

Gestrandeter Langflossen-Grindwal mit charakteristischen langen Flippern und der hellen Bauchzeichnung. Ca. 1940, CC BY Auckland Museum.

 


Literatur:

Jefferson, T. A., Webber, M. A., & Pitman, R. (2015). Marine mammals of the world: a comprehensive guide to their identification. Academic Press.

 

Magin, U., 2022: „Freitagnacht-Kryptos: EINE SEESCHLANGE IN VALENCIA GEFANGEN?“; Internet-Publikation auf netzwerk-kryptozoologie.de am 09.09.2022 unter Link

 

Paco Bou. 2017. Tiburones y monstruos marinos-2. In: Historia de Benidorm y más cosas. 09.03.2017. Online-Publikation: https://pacobou.wordpress.com/2017/03/09/tiburones-y-monstruos-marinos-2/

Von Markus Hemmler

Markus Hemmler ist hauptberuflich als Bürokommunikationsspezialist im öffentlichen Sektor tätig. Sein persönliches Interesse gilt der Geschichte von meist „Cold Cases“ der aquatischen Monster: der Untersuchung und Identifizierung toter Tierkadaver, die als Meeres- oder Seeungeheuer und dergleichen bezeichnet werden. Durch seine Recherchearbeiten hat er nicht nur zahlreiche „Seeungeheuer“-Fotografien aufgespürt, wie etwa die Orkney-Kadaver von Deepdale Holm und Hunda aus den Jahren 1941/42, des südafrikanischen Trunko aus dem Jahr 1924 und seinem „Sohn“ aus dem Jahr 1930. Auch die extensive Aufarbeitung der Geschichte dieser Fälle, darunter des Cape-May-Kadavers von 1921, des Suez-„Seeelefant“ von 1950 und des Gourock-„Monsters“ von 1942. zählen zu seinem Werk. Darüber hinaus hat ermittelt Hemmler mit großem Interesse auch an den wenigen deutschen U-Booten aus dem Weltkrieg, die Verbindungen zu Seeungeheuern haben.