„Neues vom Beutelwolf“ war hier bisher nahezu jedes Jahr ein Thema, auch in diesem Jahr ist es nicht anders. Der (nicht?) ausgestorbene große Raubbeutler erzeugt bei den Kryptozoologen immer wieder eine schwer erklärbare Faszination. Über diese Faszination zu spekulieren, ist jedoch nicht Ziel des Beitrages.
Das Klon-Projekt
Das Beutelwolf-Klon-Projekt ist ja seit 1999 bekannt. Den Anfang machte Prof. Michael Archer, damals Direktor des Australian Museum in Sydney. In der Sammlung liegt ein Beutelwolf-Embryo oder besser: Beuteljunges, in Alkohol konserviert. Diese Tatsache ist sehr wichtig, da Alkohol anders als das früher häufig verwendete Formaldehyd DNA nicht zerstört. Damit hat man die Chance, auf die DNA eines individuell sehr jungen Tieres zuzugreifen.
Bisher hat man mit der DNA eine Menge anfangen können, zumal auch DNA anderer Proben in die internationalen Forschungsgenbanken eingeflossen ist. Phylogenetische Untersuchungen sind damit ebenso wie individuelle Verwandtschaftsverhältnisse zu ermitteln. Man kann Inzuchtgrade feststellen und damit auf Populationsgrößen bzw. Genfluss zwischen Populationen schließen.
Das ist alles sehr schön, die Wissenschaft freut sich sehr darüber. Aber es bringt keinen lebenden Beutelwolf in einen Zoo, und das ist letztlich das, was die Öffentlichkeit sehen will. Die Probleme hierbei sind extrem komplex. Ein vollständiges Genom liegt noch immer nicht vor. Und selbst ein vollständiges Genom reicht eben nicht aus, um einen vollständigen Beutelwolf herzustellen.
Neben den Steuerungsproblemen, z.B. „Wann wird aus einer Stammzelle eine Gewebezelle?“ und: „Was für ein Gewebe wird aus ihr hervorgehen?“ muss ein künstlicher Uterus und künstliche Beutelwolfmilch geschaffen werden. Es ist davon auszugehen, dass ein gummibärchengroßer Beutelsäugling Milch anderer Beschaffenheit bekommt, als ein Tier, das bereits kurz davor ist, den Beutel zu verlassen. Was ist mit Hormonen, Immuninformationen usw., die möglicherweise über die Milch von der Mutter zum Baby übertragen werden?
Der Wolf beißt sich in den Schwanz
Im Prinzip bräuchte man eine komplette Beutelwolf-Eizelle, deren Umgebung den zunächst entstehenden Stammzellen sagt, was sie zu tun haben. Danach braucht man einen Milchlieferanten, der all die unbekannten Dinge bereits problemlos beherrscht. Erst dann macht es Sinn, den Beutelwolf-Kern in eine entkernte Eizelle zu transplantieren und ihn einer Leihmutter einzusetzen.
Dieses Prinzip ist seit „Dolly“ millionenfach erprobt und funktioniert leidlich.
Dummerweise ist die einzig bewährte „Maschine“, die eine Beutelwolf-Eizelle spenden und kurze Zeit drauf auch genau die passende Milch liefern kann, eine Beutelwolf-Mutter. Gute Idee, aber die sind ja dummerweise ausgerottet, was ja der Grund für das Klonen ist.
Die Übertragung eines fremden Genoms in eine andersartige Eizelle ist auf diese Weise einfach möglich, aber nicht sehr erfolgversprechend. Viele biologische Vorgänge, gerade in den ersten Phasen der Embryonalentwicklung laufen in einem Bereich ab, in dem vergleichsweise kleine Moleküle, „niedermolekulare“ Substanzen ausschlaggebend sind. Diese liegen in unglaublicher Menge und Vielfalt in jeder Zelle vor, der überwiegende Teil davon sind nur Baumaterialien oder Abbauprodukte oder auf dem Weg vom Abbauprodukt zum Baumaterial und andersherum. Die dazwischen herumwuselnden 0,1% (oder noch weniger) biologisch aktiven Moleküle zu finden, ist quasi unmöglich. Da diese auch bei jeder Art unterschiedlich sind, ist es sehr schwierig für die Zelle, mit fremder DNA etwas anzufangen.
An diesem Punkt verlässt die Forschung den öffentlich finanzierten Sektor und wird privatwirtschaftlich. Die Firma Colossal Biosciences will einen anderen Weg gehen. Sie hat Zellen von einer Schmalfuß-Beutelmaus, dem Dunnart bekommen (welche Art genau ist vermutlich Firmengeheimnis – oder gar nicht bestimmt). Deren Genom will sie nicht durch das Beutelwolf-Genom ersetzen, sondern mittels Gen-Editing so verändern, dass es dem Beutelwolf-Genom entspricht.
Aus diesen Zellen will sie zunächst eine Zellkultur aus Stammzellen, dann später Embryonen und schließlich Babys erzeugen. Das hört sich zunächst recht gut an, die Firma konnte auch eine Menge Venture-Capital am Markt sammeln, aber wie man das Problem mit der Milch angeht, ist noch nicht geklärt. Dennoch will man bis 2025 einen lebenden Beutelwolf, bis 2030 ein lebendes Mammut erzeugen.
Wir werden sehen.
Neue Videos
In diesem Jahr sind drei Videos im Netz diskutiert worden, in denen angeblich ein Beutelwolf zu sehen ist. Eine Zusammenstellung ist hier zu sehen. Da die Sequenzen alle drei nur wenige Sekunden lang sind, musste der „Produzent“ dieses Videos zur uralten Methode greifen und hat sich eher den Wolf gelabert, als ihn zu zeigen. Wer auf näselndes Englisch steht, kann die Tonspur offen halten, die Dame war vermutlich auch die Sängerin der englischen Version von „Schnappi“. Genug gelästert, die erste Sequenz fängt bei 0:35 an und dauert 9 Sekunden:
Das Paul G. Day-Video
Diese Sequenz zeigt ein Tier, das am Horizont vor der untergehenden Sonne dahin – ja, was denn nun? Es rennt eindeutig mit den Vorderbeinen und springt mit den Hinterbeinen wie ein Känguru. Mit diesen neun Sekunden muss doch etwas anzufangen sein.
Es gibt keine Filmsequenzen von einem Beutelwolf, der Platz zum Rennen hat. Alle Filme sind in den kleinen Verschlagen im Beaumaris Zoo in Hobart aufgenommen, die den Tieren nur wenige Körperlängen Platz bieten. Es gibt ein Einzelbild, bei dem sich ein Beutelwolf aufrichtet und dann wie ein großes Känguru steht. Dazu gibt es Berichte, nach denen der Beutelwolf ab einer gewissen Geschwindigkeit eine Mischung aus Hüpfen und Laufen gezeigt haben soll.
Falls das so ist, könnte es sich bei dem Tier aus der Aufnahme tatsächlich um einen Beutelwolf handeln.
Die Vergrößerung entlarvt das Tier jedenfalls schnell: Der Hauptdarsteller schont ein Hinterbein, setzt es nicht richtig auf. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um einen verletzten Fuchs oder Hund handelt, ist also extrem hoch.
Übrigens: G’day, ausgesprochen „gedeih“, kurz für Good Day, ist der übliche australische Gruß. Ein Schelm, wer böses dabei denkst.
Das Mannykunv -Video
Dieses Video ist zwar von vergleichsweise schlechter Qualität, weil es draußen dunkel ist. Der Filmer glaubt zwar, etwas ausgestorbenes zu filmen, aber es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass das ein Beutelwolf war: Er lief wie ein Fuchs, hatte keine Streifen und das unter Straßenlaternen?
Ein Tier, das sich seit 1936 mehr oder weniger erfolgreich vor der Entdeckung und Film- oder Fotoaufnahmen drückt, rennt jetzt auf einmal auf einer beleuchteten Straße entlang und zeigt zwar Vorsicht, aber keine Angst vor Autos?
Das Andy – Stratmore – Video
Der Australier Andy hat es in Strathmore, eine Stadtteil von West-Melbourne auf dem australischen Festland aufgenommen. Es zeigt seiner Meinung nach einen möglichen Beutelwolf.
Das Tier sieht sehr dunkel und dünn aus, es stöbert nachts am Straßenrand und rennt weg, als sich Andy mit dem Auto nähert. Natürlich gibt es eine gewisse Ähnlichkeit mit den Fotos von Beutelwölfen (sonst hätte es keinen Grund gegeben, das zu veröffentlichen).
Sieht man sich das Video genauer an, kommt man jedoch schnell zu einem anderen Schluss. Das Tier ist deutlich kleiner als ein ausgewachsener Beutelwolf. Keine Frage, es könnte sich um ein Jungtier handeln. Doch eines der wichtigsten von weitem sichtbaren Unterscheidungsmerkmale trifft auch hier zu: Der Beutelwolf hat im Vergleich zu einem Fuchs, Hund oder Dingo einen kurzen Hinterfuß.
Auf dem Bild zeigt sich aber eindeutig ein langer Hinterfuß, damit ist die Sache klar. Es ist daher kein Beutelwolf, der da im Müll stöbert.
Hinzu kommt die Tatsache, dass dieser „Beutelwolf“ auf dem australischen Festland gefilmt wurde. Ein Vorkommen hier ist um so unwahrscheinlicher, weil sein Aussterben hier um 3000 v. Chr. erfolgte. Nur in Tasmanien überlebte er bis 1936 – oder später?
Schade eigentlich, aber ich fürchte, wir werden den ultimativen Beweis eines lebenden Beutelwolfes so schnell nicht bekommen, sei es ein Wildfang, eine genetische Abbildproduktion oder wenigstens ein Video.