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Der Genfer See, Lac Léman, ist mit 581 qkm nach dem Plattensee und vor dem Bodensee der größte See Mitteleuropas. 72 km lang, bis zu 13,8 km breit, im Schnitt 100 m und maximal 309 m tief, liegt er in Form eine Bohne oder Niere an der Grenze der Schweiz zu Frankreich. Genf, Montreux und Lausanne sind die bekanntesten Städte an seinem Ufer.

 

 

Durch viele meiner Veröffentlichungen zieht sich – ausgesprochen oder unausgesprochen – die These, dass sich für jeden See, der nur groß genug ist, auch Sichtungen von Ungeheuern finden lassen, dass das Seeungeheuer also kein biologischer, sondern ein volkskundlicher Fakt ist. Sollte das so sein, sollte das Motiv „Seeungeheuer“ vergesellschaftet mit anderen Erzähltypen und Unterwasser-UFO und sich – als „reale“ Sichtung oder Schwindel – in den Motiven des Riesenfischs, der Seeschlange, der Seejungfrau, des entkommenen Krokodils und des unbekannten U-Boots äußern.

 

Genfer See
Der Genfer See zwischen den Bergen der Alpen

 

Michel Meurger hat in seinem grundlegenden Werk Lake Monster Traditions noch hinzugefügt, dass von Seen generell erzählt wird, sie seien unergründlich tief und stünden unterirdisch mit anderen Seen in Verbindung: Letztendlich sei der See der Eingang zur Anders- oder Totenwelt gewesen, und die große Schlange sei nur eine Äußerung dieser Vorstellung. Ich habe als weiteres Motiv dieser Kette die „versunkene Stadt“ identifiziert.

 

Ist der Genfer See „unschuldig“?

Dieser kurze Vorbericht ist ein Versuch, diese These an einem bisher unschuldigen Objekt zu testen.

Ich habe Berichte aus der Region des Genfer Sees bislang kaum gesucht oder recherchiert. Sollten meine Vorstellungen aber zutreffen, müssten recht schnell die einzelnen Elemente auch für diesen See nachgewiesen werden können. Das in diesem Artikel enthaltene Material ist das Resultat einer eintägigen Suche im Internet und in meinen ohnehin vorhandenen Unterlagen. Erschwerend kam hinzu, dass ich kein Französisch kann, die Google-Treffer der Stichworte „Lac Leman“ und „Monstre“ also nur oberflächlich auswerten konnte. Hier sind nun die Resultate dieser oberflächlichen Recherche:

 

Caesar erwähnt den See in seinem „Gallischen Krieg“ (1,2,3. 1,8,1. 3,1,1; der römische Name lautete Lemannus lacus), führt aber nichts Bemerkenswertes an.

 

Aus spätrömischer Zeit stammt ein in Genf gefundener Schild mit zwei Delfinen in Drachenform (Geoffrey Ashe: The Quest For Arthur’s Britain. London: Paladin 1971, S. 164), in Vevey findet sich ein – jedoch modernerer –  Seepferdchenbrunnen. Das mag einfach nur am maritimen Ambiente des Sees liegen.

 

Édouard-Marcel Sandoz : Jeunes filles jouant sur des hippocampes, Vevey, Suisse
Der Seepferdchenbrunnen in Vevey (Foto: Traumrune)

… oder doch gefährlich?

Es gibt allerdings Hinweise darauf, dass dem See früher als etwas Gefährliches galt, das zu besänftigen war. Zwei Granitblöcke im Genfer Hafen heißen „Steine des Neptun“, dort wurden in der Bronzezeit den Wassergöttern geopfert. (Federica de Cesco & Kazuyuki Kitamura: Der Genfer See. Silva: Zürich 1989, S. 7 & 19) Schon Johann-Heinrich Zedler schreibt Anfang des 18. Jahrhunderts in seinem Universal-Lexikon: „Bey Genff siehet man 2, aus dem See herfür ragende, und obenher in die Runde gehende Felsen, welche man Pierre Neiton, (Petra oder Ara Neptuni) nennet, auf welchen vor Alters her die Heydnischen Einwohner dieser Gegend dem Neptuno geopffert haben, wie denn einstmals die Fischer an diesem Ort mit ihrem Netze eine Priesterliche Schlacht-Axt und ein Opffer-Messer heraus gezogen haben.“

 

Genf vom See aus
Heute dominiert der bis 140 m hohe Jet d’eau den Ausblick auf Genf.

 

Und über einen anderen Ort am Seeufer schriebt er: „Riva, ein Hafen am Genfer-See im Pais de Vaud, in der Schweiz, nahe bey Lausanne im Canton Bern, allwo man zu Schiffe gehet, wenn man über den Genffer-See fähret. Dieser Hafen wird durch ein festes Schloß beschützet. Es wollen zwar einige vorgeben, daß das Ungeziefer die Schiffahrth gantz beschwerlich mache; allein es befindet sich in der That gantz anders.“ (Zedler, Band 31, Sp. 1835).

 

An einer angeblichen mittelalterlichen Sichtung riesiger Aale im See, die vor allem auf englischen Internet-Seiten kolportiert wird, ist nichts wahr – es handelt sich um eine Erfindung eines britischen Kryptozoologen. (Ulrich Magin: Monsters in Lake Geneva. Flying Snake 16, 2020)

 

Der französische Kryptozoologe Jean-Jacques Barloy erhielt von einem Augenzeugen einen Bericht über das Auftauchen einer Seeschlange in der Bucht von Thonon am französischen Südufer des Genfer Sees: „Ein ‚Ungeheuer’ im Genfer See (Excenevex), 1958 (C. Baroche)“ schreibt er dazu knapp in seinem Newsletter Enquete (Nr. 35).

 

Krokodile und andere Ungeheuer im Genfer See

Krokodile wurden im Juni 1907, August 1950 und Juni 2016 im See gesehen und gejagt. (Ulrich Magin: Monsters in Lake Geneva. Flying Snake 16, 2020 – dieser Artikel listet rund ein Dutzend weiterer Berichte über Monstersichtungen im See auf, die hier nicht erfasst sind.)

 

 

Zur 700. Jahresfeier der Schweiz im August 1991 setzt die Künstlergruppe „Groupe Lac-Bleu“ bei Vevey die Statue einer Seeschlange mit kleinem Kopf, langem Hals und einem Höcker („des Ungeheuers vom Genfer See“) in den See, „um die Bevölkerung zu überraschen“.

 

Als Nummer 20 der Serie „Le Trio de l’Etrange“ ist 2001 ein Roman über ein Monster im Genfer See erschienen, der Kinderkrimi von Francis Valéry: „Le mystère Rosenberg“.

 

Der Werbetext lautet: „Die Geschichte: Wer hat gesagt, Lausanne sei eine ruhige Stadt? Das Trio des Seltsamen kehrt in den Dienst zurück, als eine Welle kollektiver Halluzinationen die Stadt erfasst. Erstens werden die Drachenskulpturen plötzlich lebendig und fliegen am Markttag davon. Dann bringt ein unmögliches Seemonster das Segelboot unserer Freunde auf dem Genfer See fast zum Kentern. Das einzige, was diese Erscheinungen gemeinsam haben, ist ein junges rothaariges Mädchen, das ein lustiges Notizbuch hat … Ein Notizbuch, das den Schlüssel zu diesem neuen Geheimnis enthalten könnte.“

 

Aus der gleichen Zeit stammt wohl eine französische Internet-Seite mit Web-Schwindeln, die auch ein Foto des „Monsters vom Genfer See“ enthält. Webmaster der Seite ist ein Dominique Morlet, die Aufnahmen stammen von Morlet Bourges. „Ich zeige hier einige sehr seltsame Postkarten. Betrug oder Wirklichkeit? Die letzte Karte ist ein Foto des Ungeheuers … vom Genfer See!“, lautet der Text, das Foto selbst konnte ich nicht abrufen (http://www.tronches-de-net.com/zoom/86.php).

Hat auch der Genfer See eine Seiche?

In einer Diskussion zu Sichtungen von Ungeheuern im Lago Maggiore im alten Forum der Internet-Seite „Der einsame Schütze“ schrieb am 7. Mai 2003 der User Demon, dass er ähnliche Höcker wie die von anderen Usern beobachteten auch gesehen hätte: „Dieses Phänomen habe ich selbst schon beobachtet, aber nicht nur am Lago Maggiore, sondern auch am Genfersee und (mehr als einmal) auch am Zürichsee.

 

Heckwelle eines Schiffes
Deutlich sichtbare Heckwelle eines Schiffes, die sich durch unterschiedliche Strömungsgebiete fortsetzt.

 

Bei der Wissenschaft ist es als ‚Zeiche’ (ausgesprochen Sesch) oder auch ‚die drei Schwestern’ bekannt und sorgt immer wieder auf allen möglichen Seen zu Sichtungen von Ungeheuern. Je flacher der See übrigens ist, umso eher tritt es auch auf. Im wesentlichen ist es nicht mehr als eine durch flachen Wind ausgelöste Welle, die wie zwei, meistens drei, ‚Buckel’ aussehen. Für genauere Infos müsste ich meine Bücher wälzen gehen, falls dies gewünscht wird. Die ‚drei Schwestern’ können übrigens genügend gross werden und Wucht besitzen, um ein Schiff zum kentern und sinken zu bringen, wie es schon oft auf den Great Lakes in den USA passiert ist. Die Ureinwohner um die Seen glauben, dass diese Wellen durch einen Riesigen Stör hervorgerufen werden, der in den Tiefen der Seen ruht. (Siehe dazu auch ‚The Great Lakes Triangle’)“

 

Doch der Genfer See birgt noch mehr Geheimnisse: Zu Teil 2

 


Nachtrag Tobias Möser:

Ein Feuer als kulturelles Ereignis

Am 4. Dezember 1971 war die Rockband Deep Purple in Montreux, um ein neues Album aufzunehmen. Sie bezogen ein Nebengebäude des Casinos von Montreux. An diesem Abend gaben Frank Zappa und The Mothers of Invention ein Konzert in diesem Casino, während dessen ein Feuer ausbrach. Überlieferungen zufolge hatte es ein Fan mit einer Signalpistole die Decke des Saals in Brand gesetzt. Der komplette Gebäudekomplex mit dem Equipment der Mothers brannte nieder.  „Funky Claude“, der im Lied erwähnt wird, war Claude Nobs, der Direktor des Montreux Jazz Festivals. Er half tatkräftig bei der Evakuierung der Halle.

Der Titel des Songs, Smoke on the Water, bezieht sich auf den Rauch, der sich über dem Genfersee ausbreitete. Die Musiker von Deep Purple konnten ihn in ihrem Hotel beobachten. Neben „Funky Claude“ finden sich zahlreiche weitere Anspielungen auf den mutmaßlichen Ablauf des Ereignisses.

 

Von Ulrich Magin

Ulrich Magin (geb. 1962) beschäftigt sich seit seiner Kindheit mit Kryptozoologie, insbesondere mit Ungeheuern in Seen und im Meer. Er ist Mitarbeiter mehrerer fortianischer Magazine, darunter der „Fortean Times“ und Autor verschiedener Bücher, die sich u.a. mit Kryptozoologie befassen: Magischer Mittelrhein, Geheimnisse des Saarlandes, Pfälzer Mysterien und jüngst Magische Mosel.