Ist der Thunderbird "nur" ein Pelikan?
Lesedauer: etwa 16 Minuten

 

„[T]he Indians say that it is thes [sic!] birds that make the thunder”

 

Paul Kane hat das Geheimnis des Thunderbird enthüllt
Paul Kane, Selbstportrait, ca. 1845

Hatte der Maler Paul Kane damit das Geheimnis um den legendären Thunderbird bereits zur Mitte des 19. Jahrhunderts gelüftet?

Er befand sich zwischen 1846 und 1848 auf einer Reise quer durch den Norden Amerikas, um Flora, Fauna und Ureinwohner des Kontinents zu zeichnen. Dabei besuchte er auch diverse kanadische Seen. Seine angeblichen Tunderbirds erblickte Kane am Playgreen Lake (den er als „Play Geene Lake“ schrieb).

Für den geneigten Kryptozoologen besteht aber kein Grund, selbst nach Kanada zu reisen, um den sagenhaften Vogel zu identifizieren. Diese Aufgabe hatte Kane ebenfalls bereits übernommen. Die Thunderbirds waren demnach nichts anderes als eine Gruppe Pelikane!

 

Auf den ersten Blick wirkt es natürlich enttäuschend, wenn wirklich ein so unspektakulärer Vogel hinter der fast schon mystischen Kreatur stehen sollte. Und trotzdem: dieser Ansatz muss weiterverfolgt werden. Durch ihn ist es potenziell möglich, ein Kryptid einer wissenschaftlich beschriebenen Tierart zuzuordnen,

Daher soll im folgenden Artikel überprüft werden, inwiefern die These, dass Thunderbird und Pelikan gleichgesetzt werden können, haltbar ist.

 

 

Kane Lake Huron
Ölgemälde von Paul Kane eines Indianercamps am Huronsee

 

Sichtungsberichte zum Thunderbird

Zunächst einmal gilt es, möglichst viele Informationen zum Thunderbird herauszufinden. Hierfür sollten Sichtungsberichte herangezogen werden. Schließlich behaupten bis in die heutige Zeit Menschen, den legendären Vogel gesehen zu haben.

Strenggenommen geben die meisten Zeugen lediglich an, übermäßig große, fliegende Tiere gesehen zu haben. Diese werden – wenn sie auf dem nordamerikanischen Kontinent auftreten – in Anlehnung an die indianischen Legenden in der Kryptozoologie häufig als Thunderbird bezeichnet.

 

Thunderbird?
Große Vögel sind beeindruckend und Teil vieler Mythen indigener Völker

 

Daher ist es wenig verwunderlich, dass durchaus nicht alle Beschreibungen eines Thunderbirds auf einen Pelikan schließen lassen. Die Frage lautet daher nicht, ob jeder vermeintliche Thunderbird ein Pelikan ist, sondern ob in manchen Situationen ein Pelikan als Thunderbird (fehl)identifiziert wurde.

Sichtungsberichte werden unabhängig von ihrer Glaubwürdigkeit so weit wie möglich im Indikativ wiedergegeben. Dies dient lediglich ihrer besseren Lesbarkeit.

 

Fliegender Braunpelikan
Ein fliegender Braunpelikan

 

Tombstones fliegender Alligator – Arizona (1890)

Im 19. Jahrhundert beschränkte man sich offensichtlich nicht nur darauf ungewöhnliche Tiere zu beobachten. Stattdessen erschoss man sie kurzerhand – leider aber, ohne sie für die Nachwelt zu konservieren. Dies geht jedenfalls aus einem alten Bericht des Tombstone Epitaph hervor:

 

Am 20.04.1890 beobachteten zwei Männer ein außergewöhnliches Wesen in der Wüste von Arizona. Es erschien ihnen wie eine Art unglaublich großer, geflügelter Alligator. Ob nun aus Angst, oder um es näher betrachten zu können: Die beiden Männer entschlossen sich, das Tier mit ihren Winchester-Gewehren zu erschießen. Das gelang ihnen auch.

Daraufhin näherten sie sich der Kreatur und vermaßen sie so gut, wie es eben möglich war. Die Länge des Tieres schätzten sie auf unglaubliche 90 Feet (ca. 27 Meter). Die Flügelspannweite soll sogar 160 Feet (ca. 49 Meter) betragen haben!

Auch, dass der „extrem lange Schädel“ mit Zähnen besetzt war, spricht eher gegen die These, dass die Männer im wahrsten Sinne des Wortes den Vogel abgeschossen hatten. Ebenso war das Wesen federlos und seine Flügel waren stattdessen mit einer dünnen Membran bespannt.

Laut dem Epitaph sollte das Tier später gehäutet werden. Falls dies gelang, scheint die Haut aber heutzutage verschollen zu sein.

Insgesamt lohnt es sich auch nicht, diese Geschichte im Rahmen der aktuellen Fragestellung weiterzuverfolgen. Bei der Kreatur handelte es sich höchstwahrscheinlich um eine Erfindung oder im unwahrscheinlichsten Falle um einen Flugsaurier. Es wäre nicht die einzige Beschreibung dieser Art. Um einen Pelikan konnte es sich aber nicht gehandelt haben. Deswegen wird dieser Artikel auch ähnlichen Sichtungen keine weitere Beachtung schenken.

 

Fake Pterodactylus als Thunderbird
Dieses Fake-Foto eines Pterodactylus-Modells geht auch in die Richtung: am besten ignorieren.

 

Der Thunderbird über der Straße – Alaska (2018)

Der Thunderbird wird häufig als riesig beschrieben. Ein beeindruckendes Beispiel stellen die Schilderungen der Augenzeugin Tabitha Bauer dar.

Sie befand sich gerade auf der Mendenhall Loop Road innerhalb des Mendenhall Valley. Plötzlich flog ein unglaublich großer Vogel (wohl relativ nahe an der Straße) vorbei. Die Zeugin schätzte seine Flügelspannweite auf etwa 20 Feet (etwa 6 Meter). Keine heute existierende Vogelart weist eine so enorme Flügelspannweite auf. Zugleich dürfte es aber auch schwierig für die Zeugin gewesen sein, so schnell und trotz ihres Schreckens eine genaue (und damit nicht übertriebene) Schätzung anzustellen.

 

Ist der Riesenseeadler der Thunderbird
Bei der Alaska-Sichtung könnte es sich um einen verirrten Riesenseeadler gehandelt haben

 

Bauer macht keine größeren Detailangaben. Das Wesen sei gefiedert gewesen. Die Federn beschreibt sie als schwarz, wobei unter Umständen auch die Lichtverhältnisse eine Rolle spielen könnten. Interessanter ist schon ihre Angabe, laut der der Vogel nicht über einen (klar sichtbaren) Schnabel verfügte. Der Pelikan mit seinem markanten Schnabel dürfte hier also nicht als  Urheber in Frage kommen.

 

Die Pennsylvania-Sichtungen (2001)

Im Sommer des Jahres 2001 wurden im Juni und Juli sogar mehrere Sichtungen eines riesigen Vogels berichtet.

Die Zeugen hielten den Vogel zunächst für ein Ultraleichtflugzeug. Sie wurden aber eines besseren belehrt, da ihr „Flugzeug“ offensichtlich gefiedert war und sich in einem Fall sogar zeitweise auf einem Baum niederließ. Trotzdem der Vogel dort etwa 15 Minuten verblieb, existieren keinerlei Fotos – in der Kryptozoologie leider der Normalzustand.

Die Flügelspannweite wird auch hier als außergewöhnlich groß beschrieben: Demnach betrug sie zwischen 12 und 17 Feet (ca. 3,7 – 5,2 Meter). Die unterste der Schätzungen entspricht noch am ehesten der Flügelspannweite eines real existierenden Vogels – dem Kalifornischen Kondor. Die höheren Schätzungen sind entweder falsch oder sie beschreiben eine unbekannte Art. Der letzteren Hypothese nachzugehen, ist aber nicht Zweck dieses Artikels.

Das Gefieder war laut den Zeugen dunkelgrau bis schwarz. Das Gefieder des Braunpelikans ist recht dunkel, das des ebenfalls in Nordamerika beheimateten Nashornpelikans dagegen schon deutlich heller. Ob die Zeugen tatsächlich ein Exemplar einer der beiden Arten gesichtet haben könnten, wird an späterer Stelle im Artikel deutlich werden.

 

Braunpelikane könnten der Ursprung des Thunderbird-Mythos sein
Hat man keinen Vergleich, können reglos dahin gleitende Braunpelikane auch als Ultraleichtflieger durchgehen.

 

Interessant ist jedenfalls auch ein weiteres Detail, welches die Zeugen erwähnen: Der Schnabel des Tieres sei außergewöhnlich lang gewesen. Diese Beschreibung würde durchaus auf einen Pelikan zutreffen.

 

Weggeschleppt vom Thunderbird – Illinois (1977)

Im nun folgenden Bericht ist der Mensch ausnahmsweise weder bloßer Beobachter, noch Aggressor. Vielmehr wäre dem Boston Evening Globe zufolge beinahe ein zehnjähriger Junge einem Riesenvogel zum Opfer gefallen:

Marlon (oder auch: Marlan) Lowe – so der Name des Opfers –  spielte mit zwei weiteren Jungen im Hinterhof seiner Eltern, als sich plötzlich ein riesiger Vogel auf sie stürzte. Lowe wurde ergriffen und etwa 20 Feet (ca. 6 Meter) weit geschleppt. Die Flughöhe des Vogels betrug in diesen Momenten nur etwa 2 Feet (ca. 0,6 Meter).

Neben den beiden anderen Jungen war auch Marlons Mutter Augenzeugin des Angriffs. Schließlich schlug der Junge seinen Entführer, worauf er seine Beute fallen ließ. Die Krallen des Tieres hinterließen tiefe Kratzer in den Schultern des Jungen.

Wieder einmal: keine Belege

Leider ist wieder einmal kein Fotobeweis vorhanden. Auch Marlons Verletzungen wurden nicht fotografisch festgehalten, sodass man nicht beurteilen kann, wie groß der Angreifer denn tatsächlich war.

 

Königsadler entführt Marie Delex sicher kein Thunderbird
Stich zur Entführung von Marie Delex, die sich 1839 im Wallis ereignet haben soll. Sie ist nicht glaubhafter als die Entführung von Marlon Lowe.

 

Schon damals wurden diese Schilderungen in Zweifel gezogen. Der Junge wog zum fraglichen Zeitpunkt 70 Pound (ca. 32 kg) und wehrte sich heftig. Es war nicht nachvollziehbar, welcher heute noch lebende Vogel zu einem solchen Kraftakt in der Lage sein sollte.

Ein Pelikan dürfte es jedenfalls nicht gewesen sein – wenn die Geschichte nicht ganz oder teilweise erfunden ist.

 

 

Der Thunderbird in der indianischen Sagenwelt

Die zuvor wiedergegebenen Sichtungsberichte sind untereinander stark inkonsistent. Außer bei den Pennsylvania-Sichtungen ist es äußerst unwahrscheinlich, dass hier ein Pelikan für einen unbekannten Vogel gehalten wurde. Noch vor der Überprüfung weiterer Faktoren kommt er in den übrigen Berichten schon seines Aussehens wegen nicht in Betracht.

Im Folgenden werden zusätzlich zu diesen wesentlichen Sichtungsberichten noch indianische Beschreibungen bzw. Sagen zum Thunderbird erläutert werden:

 

Die „Nationalität“ von Kanes Führern

Als Paul Kanes Führer den Pelikan als Thunderbird identifizierten, befand er sich am Playgreen Lake. Dieser wiederum ist in der kanadischen Provinz Manitoba gelegen, also im Südosten Kanadas. Es ist davon auszugehen, dass Kanes Führer aus der Gegend stammten. Leider erwähnt er ihren Stamm nicht, sondern bezeichnet sie pauschal als „Indians“.

Durchsucht man die Datenbank der „Indigenous and Northern Affairs Canada“-Website, scheinen die Norway House Cree die wahrscheinlichste First Nation zu sein. Ihr Stammesgebiet liegt dem Playgreen Lake am nächsten.

 

Thunderbird Totem
Replika des Chief Skulka-Totems. Sie zeigt einen Thunderbird im Bildausschnitt. Foto: Joe Mabel CC BY-SA 3.0

Große Ähnlichkeiten in der (schlichten) Darstellung (eines Adlers)

Diese Unterscheidung erweist sich aber vor allem für Detailfragen als relevant. Die Darstellungen des Thunderbirds in der indianischen Kunst Nordwest-Amerikas sind sich nämlich erstaunlich ähnlich.

Das mag auch daran liegen, dass sie eher schlicht sind: Gewöhnlich werden nur die Umrisse der Sagengestalt dargestellt, sodass kaum Details erkennbar sind. Tatsächlich kostet es den Laien oft einige Mühe, Thunderbird-Bilder als Darstellungen einer vogelartigen Kreatur zu identifizieren. Sie wirken eher menschenartig.

Das ist unter anderem auf die gespaltenen Schwanzfedern des Thunderbirds zurückzuführen, die alle Darstellungen zeigen. Durch die sonstige Detailarmut könnte man sie für die Beine einer humanoiden Kreatur halten. Der Eindruck wird weiter verstärkt, wenn kein erkennbarer Schnabel vorhanden ist. Ob dieser Schnabel vorhanden ist, bzw. wie lang oder kurz er ausgeprägt ist, ist oft selbst innerhalb derselben Kunstwerke inkonsistent. Die dort gezeigten Individuen haben mal keinen, mal einen mehr oder weniger langen Schnabel.

Auch sonst sind die indianischen Beschreibungen des Thunderbird eher karg: Man stellt ihn sich als eine Art großen Adler vor. Weitere Ausschmückungen finden sich nicht.

 

 

 

Sind die Norway House Cree die Ausnahme?

Diese Beschreibung widerspricht aber den Aussagen von Kanes Führern: Selbst ein Großstädter ohne jedwede zoologische Kenntnisse könnte problemlos einen Adler von einem Pelikan unterscheiden. So müssen auch die wildniserfahrenen Cree dazu in der Lage gewesen sein.

Sind ihre Vorstellungen vom Thunderbird also völlig anders, als die der benachbarten Völker? Könnte es vielleicht an ihrer relativen räumlichen Nähe zum Playgreen Lake und zum sehr viel größeren Winnipeg Lake liegen?

Dazu macht der Archäologe Edward J. Lenik ins seinem Fachartikel „THE THUNDERBIRD MOTIV IN NORTHEASTERN INDIAN ART“ keinerlei Angaben. Eigentlich soll dieser Artikel die Thunderbird-Darstellungen in der Kunst des Nordostens Nordamerikas abdecken. Allerdings beschreibt Lenik nicht, dass die Vorstellungen vom Thunderbird innerhalb dieser – etwas lose definierten – Region wesentlich voneinander abweichen. Im Gegenteil, auch wenn er dies nicht ausdrücklich betont: Was die einzelnen Stämme zum Thunderbird berichten, ist beinahe identisch.

 

Der Thunderbird als Symbolfigur

Thunderbird Totem der Tlingit
Deutlich, auch von einander abweichende Darstellungen des Thunderbirds auf einem Totempfahl der Tlingit

Möglicherweise ist der Versuch, den Thunderbird in einen einheitlichen Körper zu pressen, allzu sehr in der europäischen Gedankenwelt verwurzelt. Wir wollen wissen, welches Tier der Thunderbird sein könnte – für die indigene Bevölkerung ist er aber gar kein Tier.

Vielmehr beschreiben die Indianer übereinstimmend, dass es sich um ein magisches Wesen handele, das unter anderem auch eine menschliche Gestalt annehmen könne. Lenik spekuliert, dass das auch der Grund für dafür sein könnte, dass der Thunderbird menschenähnlich dargestellt wird.

Auch davon abgesehen ist die Gestalt des Wesens nicht weiter wichtig für die First Nations. Was dagegen für sie relevant ist: Der Thunderbird bringt mit dem Donner, den er ins Land trägt, Regen – und er schützt sie Menschen vor Monstern. Man sollte ihn also mehr als eine wohlwollende Naturgewalt, denn als Lebewesen sehen.

Vielleicht – und das ist reine Spekulation des Verfassers – ist das wichtigste an einem Vogel, dass er fliegt, nicht seine Art. Denn so kann man ihn als Boten des Luftraums sehen. Aus dem Luftraum „kommen“ wiederum auch Regen und Donner. So liegt es für eine animistische Kultur nahe, (große) Vögel als Bringer des Wetters zu betrachten.

In diesem Fall könnte auch der Pelikan diese Rolle einnehmen.

 

Verbreitungsgebiete der Pelikane und die Frage, ob sie Donner „machen“ können

Bei näherer Betrachtung der Thematik stellt sich allerdings zusätzlich noch eine Frage: Meinte Paul Kane denn tatsächlich Pelikane als er von „pelicans“ sprach? Dieser Einfall ist nicht ganz so absurd, wie er auf den ersten Blick erscheint:

Paul Kanes Ausdrucksweise war, um es gelinde auszudrücken, exzentrisch. Abgesehen von einer völligen orthographischen Inkonsistenz seines Tagebuchs erfand er auch ganz gerne Wörter oder gab ihnen eine neue Bedeutung. Der vorliegenden Wiederveröffentlichung des Tagebuchs war daher ein Glossar beigefügt, der einige „seiner“ Begriffe erklärte.

In Bezug auf den Pelikan hilft dies aber nicht weiter.

 

Vom Thunderbird in Meeren und Binnengewässern

Grundsätzlich leben auf dem nordamerikanischen Kontinent zwei Arten von Pelikanen: Der Braunpelikan und der Nashornpelikan.

Optisch würde der Braunpelikan durch sein dunkleres Gefieder eher mit den Sichtungsberichten vom Thunderbird übereinstimmen. Paul Kane konnte solche Tiere aber nicht gesehen haben, als er sich am Playgreen Lake aufhielt. Dasselbe gilt auch für US-Amerikaner, die sich im Binnenland aufhalten.

Braunpelikane als Vorbild für den Thunderbird?
Braunpelikane auf einem Steg in Florida

Der Braunpelikan ist ein reiner Küstenbewohner. Betrachtet man eine Karte zu seinem Verbreitungsgebiet, stellt man außerdem fest, dass er vor allem im Süden Nordamerikas anzutreffen. Allenfalls in der kanadisch-US-amerikanischen Grenzregion könnte es an den Küsten noch Populationen geben.

Verbreitungskarte des Braunpelikans
Verbreitung des Braunpelikans – nur an der Küste

Ein vielversprechenderer Kandidat ist dagegen der Nashornpelikan. Er lebt im Süden der USA eher an Küsten, ist aber zumindest im Norden auch weit bis in das Binnenland verbreitet. Dieses Verbreitungsgebiet schließt Lake Winnipeg laut entsprechender Karte eindeutig mit ein.

der Nashornpelikan ist das wahrscheinlichste Vorbild für den Thunderbird
Portrait eines Nashornpelikans, allerdings ohne „Nashorn“

 

Vom Playgreen Lake ist auf der Karte nichts zu sehen. Allerdings geht dieser unmittelbar in Lake Winnipeg über. Insofern ist davon auszugehen, dass auch im Playgreen Lake eine Pelikanpopulation lebt.

Verbreitungsgebiet Nashornpelikan
Verbreitung des Nashornpelikans. Grün markiert: Lage des Lake Winnipeg mit dem Nebensee Lake Playgreen

Mehr noch: Laut der vorliegenden Karte zum Verbreitungsgebiet handelt es sich sogar um eine Region, die die Pelikane aufzusuchen, um zu brüten.

 

Liebestolle Donnerbringer?

Könnte das vielleicht auch der Grund sein, warum die Pelikane beim Playgreen Lake den Donner „machen“?

 

Auffliegender Pelikan
Wenn so ein großer Vogel, wie der Nashornpelikan auffliegt, geht das nicht völlig still – und aus dem Wasser spritzt es oft gewaltig.

 

Die Abführungsstriche im letzten Satz sollen den geneigten Leser davon abhalten, den Verfasser für verrückt zu erklären: Natürlich erzeugen Pelikane durch ihren Flügelschlag keinen Donner und noch weniger Regen. Allerdings ist es nicht unwahrscheinlich, dass ihr Auftauchen mit dem Auftreten von Unwettern korreliert.

Die Nashornpelikane brüten nämlich im Frühjahr bis Sommer. Zu diesem Zweck verlassen sie ihre – meist küstennahen – Wintergebiete und ziehen sich in die Binnengewässer zurück. Zu diesen zählen wiederum Lake Winnipeg und Playgreen Lake.

Wenig überraschender Weise steigen mit den Temperaturen im Frühjahr und Sommer die Niederschlagsraten bis auf ca. 100 mm im Juli. Auch Gewitter dürften dementsprechend häufig sein.

Nun muss man sich lediglich noch in das animistische Weltbild der First Nations hineinversetzen: Die großen Vögel kommen und plötzlich gibt es mehr Regen. Dann fliegen sie wieder ab und nun regnet es auch wieder weniger. Es wäre kaum verwunderlich, wenn die Ureinwohner aus dieser Korrelation fälschlicherweise auf einen kausalen Zusammenhang geschlossen hätten.

Allerdings sei angemerkt, dass diese These keinesfalls bewiesen ist. Es handelt sich lediglich um eine gut begründbare Spekulation.

 

Ist der Thunderbird "nur" ein Pelikan?

 

Mein Fazit zum Thunderbird

Dass Paul Kane auf seiner Reise Pelikane sah, die die Einheimischen als Thunderbirds bezeichneten, erscheint in diesem Licht nicht unrealistisch. Somit ist davon auszugehen, dass dieses Kryptid zumindest teilweise mit bekannten Arten identifizierbar ist.

Unwahrscheinlich ist dagegen, dass ausnahmslos jede Thunderbird-Sichtung auf einen fehlidentifizierten Pelikan zurückzuführen ist. Selbst wenn man die abenteuerlichsten Geschichten von angeblichen Flugsauriern außen vor lässt und sich nicht um die teils unglaublichen Größen der gesichteten Vögel schert: Diese meisten davon ähneln ihrer Beschreibung nach nicht einmal ansatzweise dem Nashornpelikan.

Eine out-of-place-Sichtung in Pennsylvania?

Von den vorgestellten Sichtungen könnten am ehesten noch diejenigen zurückzuführen sein, die in Pennsylvania stattfanden. Allerdings würde die Federfarbe laut Angaben der Zeugen eher zu einem Braunpelikan passen, der nur in Küstennähe lebt. Doch selbst ein Nashornpelikan dürfte es eigentlich nicht gewesen sein, der die Zeugen erschreckte: Pennsylvania liegt deutlich außerhalb seines Verbreitungsgebietes. Es müsste sich also schon um ein verirrtes Exemplar gehandelt haben.

Von solchen eher unwahrscheinlichen Ausnahmen abgesehen müssen die Zeugen etwas Anderes gesehen haben. Natürlich kann man ihnen pauschal vorwerfen, zu lügen – doch zu welchem Zweck sollten sie das tun? Sie können keinerlei Gewinn aus ihren teils anonymen Berichten ziehen. Insofern lohnt es sich weiterhin, solchen Schilderungen mit einer gesunden Portion aufgeschlossener Skepsis nachzugehen.

 


Quellenverzeichnis

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Lenik, Edward J. (2012): THE THUNDERBIRD MOTIV IN NORTHEASTERN INDIAN ART, in: Eastern States Archeological Federation (Hrsg.), Archaeology of Eastern North America Vol. 40, S. 163–185.

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Von Dominik Schindler

Dominik Schindler ist aktuell Student der Wirtschaftspsychologie (B. Sc.). Sein Interesse für die Kryptozoologie wurde erstmals im Vorschulalter durch eine Fernseh-Dokumentation über das Ungeheuer von Loch Ness geweckt. Da aber bis heute verhältnismäßig wenig deutschsprachiges Material zur Kryptozoologie verfügbar ist, ruhte dieses Interesse für längere Zeit. Erst seit wenigen Jahren beschäftigt er sich intensiv mit diesem Thema. Auslöser dafür war ein Bericht über den Minnesota Iceman, der auf einer englischsprachigen Website über amerikanische Sideshows veröffentlicht wurde.