Lesedauer: etwa 6 Minuten

Die „Sache“ mit den Waters-Beutelwolf-Fotos begann am 22.02.2021, als die Thylacine Awareness Group of Australia (TAGA) in einem YouTube-Video bekannt gegeben hat, drei lebende Beutelwölfe fotografiert zu haben.

 

 

Neil Waters, Vorsitzender der Gruppe erzählt in diesem Video, dass sie derzeit Fotos auswerten. Auf den Fotos einer Wildkamera (eng.: Trail-Cam) sollen drei Tiere zu sehen sein. Waters und einige TAGA-Mitglieder glauben, es handele sich um Beutelwölfe, genauer zunächst die Mutter, dann ein kleines Jungtier und auf dem letzten Bild ein Männchen, mutmaßlich der Vater. Die beiden erwachsenen Tiere seien etwas zweifelhaft („ambiguous“), während das Baby Streifen und einen steifen Schwanz hat und damit eindeutig als Beutelwolf zu identifizieren sei, so Waters weiter.

Bevor sie die Waters-Beutelwolf-Fotos veröffentlichen wollen, werden sie von Nick Moony, „honorary curator of vertebrate zoology at the Tasmanian Museum and Art Gallery“ (TMAG) (Auf Deutsch etwa: „Ehrenamtlicher Kurator für Wirbeltierzoologie am Tasmanischen Museum und Kunstgalerie“) sowie ein paar externen Experten untersucht. Waters nennt Hunde-Experten, Katzen-Experten, ein Tierarzt sowie weitere Leute vom Museum.

Das Video hatte bereits wenige Stunden nach der Veröffentlichung 10.000de Aufrufe. Es wurde in den Sozialen Medien gehyped, bei den Usern schien echtes Interesse zu bestehen.

 

Tasmanien: Lebensraum der Beutelwölfe
Waldweg in Tasmanien, im Lebensraum der Beutelwölfe

Wir leben in Beutelwolf-reichen Zeiten

Dies ist nicht die erste Meldung zum Beutelwolf in einer kurzen Zeitspanne Anfang 2021. Kurze Zeit vorher wurde eine Studie veröffentlicht, die eine Überlebenswahrscheinlichkeit des Beutelwolfes bis heute bei etwa 20% sieht. In der Studie werden auch mehrere Orte genannt, wo die Überlebenswahrscheinlichkeit am höchsten ist. Einer davon ist tatsächlich der Nordosten Tasmaniens, wo die Fotos entstanden sein sollen. Falls bei den Waters-Beutelwolf-Fotos ein Fake vorliegt, ist natürlich zu erwarten, dass die Urheber diese Studie ebenfalls gelesen haben.

Experten wie Nate Brislin und Tyler Greenfield warnen davor, die Sache zu ernst zu nehmen. Greenfield merkt an, dass Waters in der Vergangenheit Fußspuren von Hunden und Füchsen als Beutelwolf-Spuren interpretiert habe. Zum Thema Füchse in Tasmanien hat Peter Ehret recherchiert und kann nicht sicher sagen, ob Füchse überhaupt in Tasmanien vorkommen. Wenn ja, sind sie extrem selten.

 

Ungewöhnlich ist, dass die Trail-Cam ausgerechnet eine „kleine Familie“ aufgenommen haben soll, wie sie sich ein romantisches Kind vorstellt. Zum Einen, weil es dem menschlichen Stereotyp „Mutter, Vater, Kind“ entspricht. Wichtiger ist aber, dass mir weder von Beutelwölfen noch von anderen, besser erforschten Beuteltieren ein Familiensinn bekannt ist.
Dies bedeutet nicht, dass so etwas nicht sein kann. Der Beutelwolf war auch unter Beuteltieren etwas ungewöhnliches. Nur weil drei Individuen, eines davon kleiner, aufgenommen wurden, muss das keine Familie sein. Es kann Zufall sein oder ein Männchen folgt einem Weibchen, das läufig ist, wenn das größte Junge den Beutel verlässt. Alles möglich, dennoch stört es mich.

 

Die Waters-Beutelwolf-Fotos

 

Waters Thylacine Photo 2021 Beutelwolf
Foto 1 der angeblichen Beutelwolf-Fotos aus der Wildkamera

 

Waters Thylacine Photo 2021 Beutelwolf
Foto 2 der angeblichen Beutelwolf-Fotos aus der Wildkamera (Copyright: Thylacine Awareness Group of Australia (TAGOA))

 

Waters thylacine Photo 2021 Beutelwolf
Ausschnitt von Foto 2 und Foto 3 der angeblichen Beutelwolf-Fotos aus der Wildkamera (Copyright: Thylacine Awareness Group of Australia (TAGOA))

Laute Gegenstimmen

Erwartungsgemäß haben sich bald nach der Ankündigung die ersten und lauten Gegenstimmen formiert. Der im Video erwähnte Nick Mooney vom „Museum in Hobart“ hat das Tasmanian Museum and Art Gallery ein Statement veröffentlichen lassen:

“concluded that based on the physical characteristics shown in the photos provided, the animals are very unlikely to be thylacines, and most likely Tasmanian pademelons”

„(Wir) schließen aus den physischen Charakteristika, die auf den vorliegenden Fotos zu sehen sind, dass die Tiere wahrscheinlich keine Beutelwölfe sind, sondern Rotbauchfilander“.

Bei den genannten Rotbauchfilandern (Thylogale billardierii) handelt es sich um eine kleine Känguruart. Sie ist auf Tasmanien sehr häufig, auf dem Festland jedoch ausgestorben. Rotbauchfilander wiegen etwa vier bis sieben Kilogramm, sind grau und nachtaktiv.

 

Kann man Beutelwölfe und Rotbauchfilander verwechseln?
Ein Rotbauchfilander. Wie groß ist die Verwechslungsgefahr mit einem Beutelwolf? (Foto by: JJ Harrison)

 

Meine Analyse

Ich bin bei den Aufnahmen von Zweifel erfüllt:

  • Foto 1 zeigt außer zwei reflektierenden Augen und zwei Ohren so gut wie nichts. Wie nahezu immer wäre ein Größenvergleich nett gewesen. Die Stelle des Tieres ist bekannt, die Stelle und Art des Fotoapparates auch. Da wäre es ein Leichtes gewesen, mit einem Zollstock einen Größenvergleich zu fotografieren, der Ast bildrechts über dem Tier eignet sich hervorragend als Maßstab, selbst wenn er nicht exakt in der gleichen Ebene ist.
    Ist bekannt, ob Beutelwölfe überhaupt ein Tapetum lucidum haben, das in den Augen einfallendes Licht reflektiert?
  • Auch Foto 2 ist seltsam. Es zeigt unzweifelhaft das Hinterteil eines Tieres mit einem muskulösen, aber steifen Schwanz. Hierbei stören mich zwei Dinge: Die mutmaßliche Streifenzeichnung, die für Beutelwölfe charakteristisch ist, scheint nur durch den Schattenwurf der Grasblätter zu entstehen. Dort wo diffuses Licht das Spiel aus Sonnenlicht und Schlagschatten verhindert, erscheint das Tier ungezeichnet.
  • Das Hinterteil wirkt sehr rund, während die bekannten Aufnahmen von Beutelwölfen eher schmale, schlanke Tiere zeigen. In wie weit die Tiere aus dem Beaumaris-Zoo in Hobart schlecht ernährt sind, ist eine Frage. Aber auch Jagdopfer sind eher dünn.
    Selbst wenn (!) die Rundlichkeit durch zwei nach vorne geschlagene Beine entsteht, passen die Proportionen nicht.
  • Das Fell des zweiten Tieres ist zottig. Waters argumentiert, Jungtiere hätten ein zottigeres Fell als ausgewachsene Beutelwölfe. Dennoch wirkt es zu zottig, selbst wenn man es mit den wenigen präparierten Jungtieren vergleicht.
  • Die Farbe des Fells wirkt auf den ersten Blick beige, aber insgesamt grauer, als in der Situation von einem Beutelwolf erwartet wäre.
  • Foto 3 lässt keine weiteren Schlüsse zu, es scheint unmittelbar nach Foto 2 entstanden zu sein, vermutlich die nächste Aufnahme der Sequenz.

Insgesamt zeigt die Analyse der Waters-Beutelwolf-Fotos aus der kryptozoologischen Gemeinschaft mal wieder mehr Wunschdenken, als Realität. Wie viel kommerzielles Interesse bzw. kommerzieller Erfolg da drin steht, ist eine andere Frage. Gut laufende Youtube-Filme bringen dem Einsteller zumindest einen kleinen Anteil am Umsatz. Dazu hat er die ganze Thylacine Awareness Group of Australia, Sektion Tasmania bekannt gemacht, immerhin ist er deren Präsident. Das steigert die Chance auf Spenden. Andererseits hat Waters nicht versucht, die Bilder zunächst in der (kostenpflichtigen) Sektion gezeigt.

 


Dieser Artikel wurde am 23.02.2021 das erste Mal veröffentlicht und mit zwei Updates aktuell gehalten. Wir haben diese drei Beiträge zur Wiederveröffentlichung am 16.05.2024 zusammengefasst. Die „Sache“ um die Waters-Beutelwolf-Fotos hatte keine nennenswerten Folgen, weder in der zoologischen, noch in der kryptozoologischen Gemeinschaft.

Von Tobias Möser

Tobias Möser hat Biologie, Geologie und Wirtschaftswissenschaften studiert. Schon als Kind war er vor allem an großen Tieren, Dinosauriern, später Walen interessiert. Mit der Kryptozoologie kam er erst 2003 in näheren Kontakt. Seit dieser Zeit hat er sich vor allem mit den Wasserbewohnern und dem nordamerikanischen Sasquatch befasst. Sein heutiger Schwerpunkt ist neben der Entstehung und Tradierung von Legenden immer noch die Entdeckung „neuer“, unbekannter Arten. 2019 hat er diese Website aufgebaut und leitet seit dem die Redaktion.