Eine der größten zoologischen Tragödien des 20. Jahrhunderts
In der Nacht vom 7.9.1936 auf den 8.9.1936 verstarb im Beaumaris Zoo in Hobart der letzte Beutelwolf, dem die Menschheit habhaft werden konnte. Die heutige Nacht bestreitet also das 85-jährige Jubiläum eines Ereignisses, das mit Recht als eines der größten Tragödien des 20. Jahrhunderts bezeichnet werden kann, was die menschengemachte Dezimierung der natürlichen Artenvielfalt betrifft.
Noch heute sind längst nicht alle Umstände vom Leben und Tod von „Benjamin“, dem letzten eindeutig dokumentierten Vertreter seiner Art, geklärt – das liegt auch daran, dass sein Tod seinerzeit keineswegs so ein großes Anliegen war wie heute.
Beutelwolf „Benjamin“ – ein unwiederbringlicher Zeitgenosse?
Nie wieder sollte der Mensch dem Beutelwolf so nahe kommen wie in diesem Jahre 1936. Zwar wurde man sich zunehmend des „wissenschaftlichen Werts“ dieses Tieres bewusst – und in den folgenden Jahren 1937 und 1938 gab es gleich drei Expeditionen (April 1937, sowie November 1937 und 1938) von Regierungsbehörden in den Westen- und Nordwesten Tasmaniens. (Thylacine Museum). Es waren die ersten von vielen Versuchen, den finalen Akt der menschengemachten Tragödie umzuschreiben. Das ist bis heute nicht gelungen.
Ein lebender „Tiger“ wurde nie wieder gefangen – man könnte sagen, vor 85 Jahren ist der Beutelwolf von der der zoologischen Realität in das Schattenreich der kryptozoologischen Untoten übergetreten. Bis heute verharrt die Debatte in ihrer konfliktiven Ausgangslage von 1936. Laien wie Akademiker streiten darüber, wann bzw. ob der Beutelwolf tatsächlich mit „Benjamins“ Tod vor 85 Jahren ausgestorben ist.
2021 – (k)ein Jahr des Beutelwolfs
Die „Waters-Bilder“ – keine wirkliche Sensation
Auch die Neuigkeiten zum Beutelwolf aus dem Jahre 2021 standen ganz im Zeichen dieses alten Konflikts. Doch dabei sah es anfangs so aus, als käme nach längerer Zeit endlich mal wieder Bewegung in die Debatte. Zuerst will im Februar der Präsident der tasmanischen Sektion der Thylacine Awareness Group of Australia (TAGA), Neil Waters, den Nachweis für den Beutelwolf mit Hilfe seiner Wildkameras erbracht haben. Fünf Fotos von dem ersehnten Subjekt sollen die Aufnahmen zeigen – doch wie so oft handelt es sich um Bilder, die der subjektiven Interpretation gegenüber sehr offen sind.
Und so geht auch der Gehalt ihrer Aussagekraft für das Überleben des Beutelwolfs gegen Null – die aufgeregte Debatte über die angebliche Sensation entpuppte sich schlussendlich als viel Wind um nichts.
Der Adamsfield-Kadaver reloadad – zu viele Fragen bleiben offen
Nur kurz darauf lenkte der Beutelwolf-Experte Cameron Campbell vom virtuellen Thylacine-Museum die Aufmerksamkeit auf einen 30 Jahre alten Vorfall. In einer Dokureihe (X-Creatures, Staffel 1, Folge 6) wurden 1998 erstmals zwei Farbfotos von der vermeintlichen Pfote eines Beutelwolfs gezeigt, der 1990/1991 ilegal (und versehentlich) an einer verlassenen Minen-Siedlung am Adams River geschossen worden sein soll. Eines von diesen Fotos durfte der Beutelwolf-Enthusiast Col Bailey in seinem 2013 erschienenen Buch („Shadow of the Thylacine“) in Schwarz-Weiss duplizieren – man habe ihm dabei erzählt, die Pfote stammte von diesem Adamsfield-Kadaver.
Welches Foto zeigt den Beutelwolf von Adamsfield?
Nun hat Experte Campbell diese Geschichte wieder aufgegriffen, um auf eine Verwirrung hinzuweisen: die Pfoten zeigen nicht den Adamsfield-Kadaver, sondern die Museumspräprate, die zum Vergleich von Irgendwem herangezogen worden waren. Auf einem der zwei Fotos sei aber ein drittes Foto zu sehen – und dieses zeige tatsächlich die Pfote vom Adamsfield-Kadaver. Der unbekannte Fotograf hat also die Museumspräparate mit dem Foto vom geschossenen Beutelwolf verglichen.
Die Fotos wurden vom Betreiber der Seite „Where Light meets Dark“ eingehender untersucht. Er kommt dabei zu dem Schluss, dass das qualitativ schlechte Foto im Foto dennoch unweigerlich einen Beutelwolf zeige, das 1990 oder 1991 in der Nähe von Adamsfield aufgenommen worden war („Where Light meets Dark“). So weit so gut. Doch mal wieder werfen die Umstände zum Fund des Kadavers und Zustandekommen der Fotos zu viele Fragen auf, als dass man den Fall in dieser Form wissenschaftlich ernsthaft in Betracht ziehen könnte (wir berichteten).
Eine neue Studie zum Überleben des Beutelwolfs – nicht so schnell!
So bleibt am Ende für das Jahr 2021 nur noch die Studie, die aus einer neuen Datenbank von Sichtungen Schlussfolgerungen über die Entwicklung der Beutelwolf-Population auf Tasmanien seit 1910 ableitet. An besagter Studie waren unter anderem wieder Cameron Campbell, sowie Stephen Sleightholme von der International Thylacine Specimen Database beteiligt. Das Abstract verlockt mit einer optimistischen Stellungnahme:
„das Fenster für das finale Datum des Aussterbens ist sehr weit, und geht von 1980 bis zum heutigen Tag, wobei das Aussterben in den späten 1990er oder frühen 2000er Jahren wohl am wahrscheinlichsten ist. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, so lassen diese Datensammlung und Modell sogar die Chance für ein Überleben in der abgelegenen Wildnis der Insel zu“ (Brook et. al., 2021. Übersetzung aus dem Englischen von Peter Ehret)
So spannend diese aus der Datenbank gewonnenen Erkenntnisse auch sind – die Studie hat nach wie vor noch nicht den Peer-Review-Prozess durchlaufen und gilt daher auch nicht als wissenschaftliche Stellungnahme. Deswegen heißt es erst einmal abwarten – auf einen weiteren Kommentar wird hier demzufolge auch verzichtet. Denn über ungelegte Eier hat das Netz dieses Jahr in punkto Beutelwolf schon genug diskutiert.
kein Ende in Sicht
Die Debatte hat sich also trotz der vielen “Breaking News” zum Thema Beutelwolf also nicht wirklich von der Stelle bewegt. Man hat es auch nach 85 Jahren nicht geschafft, der Insel Tasmanien mehr Einsicht in ihr größtes zoologisches Geheimnis abzuringen. Viele Fragen zum Beutelwolf, vor allem was den Zeitpunkt seines tatsächlichen (oder gar vermeintlichen) Verschwindens betrifft, bleiben nach wie vor offen.
Die Suche nach dem Beutelwolf – nicht nur Misserfolge
Dabei ist es falsch, anzunehmen, dass die zahlreichen Expeditionen, die sich nach 1936 auf den Weg machten, um einen lebenden „Tiger“ dingfest zu machen, ausschließlich leer ausgingen.
November 1937 – erste Erfolge
Schon die zweite Expedition vom November 1937, nur ein Jahr nach Benjamins Tod, stieß auf Spuren von Beutelwölfen. So teilte es der Expeditionsleiter Arthur Leonard Fleming dem Vorsitzenden des verantwortlichen Animals and Birds Protection Board auch in einem Brief mit:
„Beginnend am südlichen Ende der Raglan Range und uns in südlicher Richtung in einem Radius von 10 Meilen bewegend, fanden wir Spuren von Tigern an 11 Stellen. Möglicherweise gehen mehr als eine Spur auf dasselbe Tier zurück, aber ich würde definitiv sagen, dass mindestens 4 verschiedene Tiere die Abdrücke hinterlassen haben“ (Fleming zitiert nach: Thylacine Museum, Übersetzung von Peter Ehret)
November 1938 – noch mehr Fußabdrücke vom Beutelwolf
Auch die darauffolgende Expedition vom November 1938 konnte mit Spurenfunden aufwarten. M.S.R. Sharland, Mitglied der Royal Zoological Society of New South Wales, der die Expedition als Gast begleitete, stellte zufrieden fest:
“Beweise, die auf der Reise gefunden worden waren, verweisen auf die Existenz des Tieres an verschiedenen Stellen des Territoriums und darauf, dass es noch Grund für überfällige Schutzmassnahmen gibt. Wir sind zufrieden, definitive Beweise für die Existenz des Beutelwolfs gefunden zu haben“ (M.S.R. Sharland zitiert nach: Thylacine Museum, Übersetzung von Peter Ehret)
Sogar Gipsabdrücke konnten angefertigt werden. Sie sind heute im Tasmanien Museum & Art Gallery zu bestaunen – zu sehen sind Fotos von ihnen auch online auf der Seite des virtuellen Thylacine-Museums:
http://www.naturalworlds.org/thylacine/history/expeditions/expeditions_and_searches_5.htm
Überlebende Beutelwölfe nach 1936?
Es ist im Anbetracht dieser Ergebnisse nicht weiter verwunderlich, dass auch ein Teil der akademischen Gemeinschaft das Jahr 1936 als Todesdatum des Beutelwolfs anzweifelt. Cameron Campbell und Stephen Sleightholme stellten in einem 2016 veröffentlichen Paper im Australian Zoologist fest:
„der Beutelwolf hat fast mit Sicherheit den Tod des letzten gefangenen Exemplars im Jahre 1936 überlebt und die Spezies war in den 1940er Jahren noch existent, und möglicherweise sogar noch darüber hinaus“ (Campbell & Sleightholme, 2016: 120).
1900 – 1930: Rückzug nach Westen
Sleightholme und Campbell basieren ihre Schlussfolgerungen auf einer eigenen Datenbank, die sich aus historischen Belegen, Prämiengesuchen für geschossene Tiere, Zeitungsartikeln und Zeugenberichten aus erster Hand speist. In ihrer kurzen Bezeichnung CKS genannt (Capture, Kill and Sighting = Fang, Tötung und Sichtung). Der Zeitraum dieser Datenerfassung erstreckt sich von 1900 – 1940. Ziel der Studie war es, Rückschlüsse auf die mögliche Entwicklung der Beutelwolf-Populationen auf Tasmanien für diesen Zeitraum zu ziehen:
„Die Daten belegen, dass der Beutelwolf in der östlichen Hälfte des Staates in den frühen 1920er Jahren ausstarb und in seinen ehemaligen Hochburgen in den Midlands und Central Highlands in den früheren 1930er Jahren. Die übrig bleibende Population wurde in den 1930er Jahren stark fragmentiert, mit einer Arthur-Pieman Population im Nordwesten, einer Franklin-Gordon-Population im Westen, einer Florentine-Population im Süden und einer Cape Sorrell-Port Davey-Population an der Südwestküste. Die Studie unterstützt die Annahme von Bailey, dass es einen Korridor zwischen den drei Haupt-Populationen gegeben hat“ (Campbell & Sleightholme, 2016: 120; Übersetzung von Peter Ehret)
1930 – 1960: Sichtungen als Indikator für Beutelwolf-Reliktpopulationen?
Und hier war dann natürlich die Frage, ob die die Sichtungsberichte nach 1930 in diesem Zusammenhang Sinn machen könnten. Und das taten sie.
„Es gab in den 1940er und 1950er Jahren eine große Anzahl von Sichtungen, wo dasselbe Tier von vielen Personen gesehen wurde, oder auch von Buschmännern und Bauern mit Kenntnis aus erster Hand vom Beutelwolf. Doch diesen Berichten wird innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft wenig Glauben geschenkt. Es ist aber aussagekräftig, dass der Großteil dieser Sichtungen in den Territorien der Verbreitung von 1930 – 1939 stattgefunden hat.“ (Campbell & Sleightholme, 2016: 118; Übersetzung von Peter Ehret)
Die Beutelwolf-Expedition David Fleay (1945)
Und noch fragwürdiger erscheint das Jahr 1936 als finales Jahr der Existenz des Beutelwolfs, wenn in den 1940er Jahren auch noch ein Zoologe mit frischen Beweisen für sein Fortbestehen aufwartet. Im Herbst 1945 brach Dr. David Fleay samt Familie zum Erebus River im tasmanischen Westen auf, um einen Beutelwolf dingfest zu machen. Er hatte vom Fauna Board die Erlaubnis erhalten, zwei Exemplare des Beutelwolfs für die Zucht am Sir Colin MacKenzie Sanctuary in Healesville (Victoria) zu fangen. Finanziert wurde die Mission vom Field Naturalists Club of Victoria and Melbourne University. Seine Tochter, die die Expedition von ihrem Vater begleitete, erinnert sich:
„Vater arbeitete unermüdlich gegen Ende unserer viermonatigen Bemühungen und Unannehmlichkeiten und seine Beständigkeit zahlte sich fast aus, als ihm nur eine kleine Fehlkalkulation davon abhielt, triumphierend mit einem lebenden Beutelwolf nach Victoria zurückzukehren.
Vielversprechende Ausgangslage
Als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme hatte Vater massiv ausgepolsterte Hundefallen vor den Käfigfallen positioniert. Er war sich sicher, dass die Spuren, die er in einer wilden Gegend namens ‚Poverty Plain‘ gefunden hatte jene von einem Beutelwolf waren; der Gipsabdruck von einem Fussabdruck passte perfekt zu ihnen. Auch hatte er, als er in der Gegend übernachtete, zuvor einen Beutelwolf bei seinem nächtlichen Schreien gehört. Diese seltsamen Schreie, die er mit ‚dem Öffnen einer knarrenden Tür‘ verglich, waren von den Buschmännern, die ihm in einer früheren Phase der Mission beim Campen begleitet haben, [als Schreie eines Beutelwolfs…] verifiziert worden.
„Der Teufel steckt im Detail“ – und der Wolf in der falschen Falle
Es war also ein Versuch nach dem Motto ‚Tu es oder stirb‘. Vater war besorgt, dass die große Anzahl der Hundefallen dem Beutelwolf schaden könnten und so reduzierte er ihre Anzahl. Das stellte sich als ein unglücklicher Fehler heraus, der ihm wahrscheinlich den Erfolg kostete. Denn an diesem besagten Abend nach starkem Regenfall und nur zehn Tage bevor wir Tasmanien verlassen wollten, näherte sich der Poverty Plain-Beutelwolf der Palisade, die ein Bennett’s Wallaby enthielt. Während es sich dem Eingang der Käfigfalle näherte, muss sich das Tier in einer gebückten Position nach vorne bewegt haben, so dass es am Ellenbogen anstatt der Pfote in der Falle hängenblieb. In energischer Panik muss es der Beutelwolf geschafft haben, sich aus der Falle zu befreien und zu entkommen.
Desolate „Katerstimmung“ am Tatort
Als wir am nächsten Morgen das Szenario betraten, eröffnete sich unseren Augen eine desolate Szene; es gab Markierungen eines Kampfes sowie zahlreiche Spuren von Fußabdrücken in dem weichen nassen Boden. Haare, die an den Fallen klebten, wurden von Vater sorgfältig aufgesammelt. […]
„Non-Plus-Ultra einer frustrierenden Erfahrung“
Wenn er alle diese ergänzenden Fallen an ihren Ort belassen hätte, dann würde er möglicherweise einen Beutelwolf ‚in der Tasche‘ haben. Es war eine Tragödie für ihn, wirklich die Geschichte der großen Chance, die ihm entgangen war. Seit den 1930er Jahren hatte Vater hart daran gearbeitet, den Beutelwolf zu verstehen: das muss einer der schlimmsten Momente seines Lebens gewesen sein. All diese engagierte, ermüdende Arbeit in so rauem Terrain und alles für nichts; mit Sicherheit war es das Non-plus-ultra einer frustrierenden Erfahrung“ (Rosemary Fleay-Thomson, zitiert nach Thylacine-Museum; Übersetzung von Peter Ehret)
Alles umsonst?
Doch ganz mit leeren Händen kamen Fleay und Familie nicht zurück:
„Die Haare und später gefundenen Exkremente wurden zu Dr. Pearson vom Tasmanischen Museum geschickt. Dieser verifizierte, dass sie ohne Zweifel von einem Beutelwolf stammten.“ (Rosemary Fleay-Thomson, zitiert nach Thylacine-Museum; Übersetzung von Peter Ehret)
Die Expeditionen des Eric Guiler (1959, 1960, 1961, 1963, 1980 – 1981)
Eine Größe für sich in der Beutelwolf-Forschung
David Fleay war nicht der einzige Beutelwolf-Forscher, dem sein ersehntes Zielsubjekt in den ersten zwei Jahrzehnten nach Benjamins Tod in der Tasmanischen Wildnis nur knapp entronnen sein soll. Dr. Eric Guiler von der Tasmanian University ist in der Fachwelt zum Thema Beutelwolf eine, wenn nicht sogar die etablierte Expertengröße auf diesem Themenfeld. Er unternahm zahlreiche Expeditionen (siehe Teilüberschrift) in den Nordwesten Tasmaniens und ist auch ein Pionier im Nutzen der Fotofallen bei der Jagd nach dem Beutelwolf.
Studland Bay 1959 – gleich so nah dran wie … niemals wieder
Doch am nächsten kam Guiler seinem Ziel wohl gleich bei seiner ersten Expedition im Jahre 1959. Am frühen Morgen des 7. November 1959 setzte sie von Hobart zur Studland Bay an der nordwestlichen Küste Tasmaniens über. Gleich am nächsten Morgen konnten am nördlichen Ende der Bay Spuren eines Beutelwolfs gefunden werden. Man stellte Fallen auf.
Doch dann, in einer mondhellen Nacht, nahmen die Expeditionsmitglieder beim Wild ein seltsames Verhalten wahr – es bewegte sich nicht mehr als wenige Meter aus seinem Versteck und suchte bei geringstem Aufsehen sofort Zuflucht. Nie wieder hatten die Expeditionsmitglieder derartiges Verhalten beobachtet – sie glauben daher, einem Beutelwolf bei dieser Mission näher gekommen zu sein als je zuvor. Es regnete zwar die ganze Nacht. Doch tatsächlich: am nächsten Tag fanden sie um 10 Uhr morgens den klaren und frischen Fußabdruck eines „Tigers“ in einem matschigen Feld. (Thylacine Museum)
Es bleibt: eine interessante Forschungsfrage
Natürlich reichen auch diese Sichtungsberichte und die gesicherten positiven Indikatoren der Experten nicht aus, um den Status Quo des Beutelwolfs als ausgestorbenes Tier wissenschaftlich zu revidieren. Das kann nur ein Kadaver, der auf die Zeit nach 1936 datiert oder der Fang eines lebenden Tieres. Und anekdotischem Material, selbst wenn es von Experten kommt, ist immer mit Skepsis zu begegnen. Doch bei allem berechtigten Grund zur Skepsis ist Sleightholme und Campbell beizupflichten, wenn sie betonen, dass die Zurückweisung aller nach 1936 gemachten Sichtungen als Fehlidentifikation oder Einbildung durch Teile der akademischen Gemeinschaft die Frage nach dem Ob oder Wann des genauen Zeitpunkts des Aussterbens des Beutelwolfs verdeckt. (Campbell & Sleightholme, 2016: 120) Und damit wird eine wichtige Forschungsfrage ausgeblendet.
Die zentrale Frage ist nämlich die, ob zumindest in den ersten 20 Jahren nach 1936 noch Beutelwölfe in der Tasmanischen Wildnis zugegen waren. Hier gäbe es noch viel zu tun und es wäre schade, wenn die etablierte Zoologie sich aus diesem Arbeitsfeld zurückziehen – und die Suche ausschließlich den Laien überlassen würde. Doch danach sieht es – das beweisen die Studien von Dr. Stephen Sleightholme, Cameron Campbell u.a. – gegenwärtig glücklicherweise nicht aus.
Noch viel zu tun beim Thema Beutelwolf
Dieser Nachruf ist daher als Aufforderung zum Weitermachen zu Verstehen – selbst wenn man das unwahrscheinliche Überleben des Beutelwolfs in unsere heutigen Tage nicht mehr akzeptieren will. Es sind noch längst nicht alle Fragen geklärt- und eine davon ist das vermeintliche Überleben nach 1936. Und wie die engagierten Forschungsprojekte zeigen (zu erwähnen seien hier auch noch kurz die Studien von Professor Mike Archer zu den genetischen Ausprägungen konvergenten Evolution, für die der Beutelwolf als Spezies und seine konservierten Einzelexemplare einen einzigartigen Forschungsgegenstand darstellen), eröffnen sich beim Beutelwolf noch viele spannende Fragen vin wissenschaftlicher Relevanz. Auch der kryptozoologische interessierte Laie kann hier seine Nische finden. Einen Einstieg in die Materie können die Links unter diesem Beitrag bieten.
Die Naarding-Begegnung – Überlebende Beutelwölfe nach 1960?
Auch wenn es unwahrscheinlich ist: Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Zum Abschluss dieses Jubiläumstages soll daher noch kurz an die Sichtungen aus einer Zeit weit nach 1936 erinnert werden. Die bekannteste von ihnen und als am glaubhaftesten Eingestufte ist ohne Zweifel die des Hans Naarding. Denn Naarding war ein erfahrener Parkranger. Er will dem Beutelwolf im Jahre 1982 bei Togari begenet sein:
„Es regnete stark. Um 2 Uhr morgens wachte ich auf und aus Gewohnheit kontrollierte ich mein Umfeld mit einer Taschenlampe. Als ich die Gegend absuchte, blieb mein Licht bei einem großen Beutelwolf stehen, der nur sechs oder sieben Meter von mir entfernt stand. Meine Kameratasche befand sich außer Reichweite und so beschloss ich, dass Tier vorsichtig zu untersuchen anstatt eine Bewegung zu riskieren. Es war ein adultes Männchen im exzellenten Zustand mit 12 schwarzen Streifen auf einem sandfarbenen Fell. Die Augen reflektierten blass-gelb. Es bewegte sich nur einmal, öffnete seinen Kiefer und zeigte seine Zähne.
Nach ein paar Minuten Beobachtung versuchte ich, nach meiner Kameratasche zu greifen, aber dadurch störte ich das Tier und es bewegte sich weg in das Gestrüpp. Als ich das Fahrzeug verließ und zu der Stelle ging, an der das Tier verschwunden war, bemerkte ich einen starken Geruch. Trotz intensiver Suche im Anschluss konnte keine weitere Spur des Tieres gefunden werden.“ (Hans Naarding zitiert nach: Campbell & Sleightholme, 2016: 120; Übersetzung von Peter Ehret)
85 Jahre ohne Beutelwolf? – kein abschließendes Fazit möglich
Tatsächlich fand Naardings Sichtung in dem Gebiet statt, dass Sleightholme und Cameron der Arthur-Pieman-Subpopulation der 1930er Jahre zuordeneten, also eines der vermutlichen letzten Rückzugsgebiete der Tiere. Die Sichtung, so die Autoren, mache es möglich, dass eine Population von Beutelwölfen in dieser Region sogar noch bis in die 1980er überlebt hat. Dem steht jedoch gegenüber, dass eine intensive Suche in dem 250 km weiten Gebiet im Anschluss der Sichtung des Parkrangers keine nennenswerten Ergebnisse brachte (Campbell & Sleightholme, 2016: 120).
Es scheint, als könne man sich bei diesem „nacht- und dämmerungsaktiven Tier, das auch in den frühen Tagen der Siedlerzeit nur selten gesehen wurde“ (Campbell & Sleightholme, 2016: 110) auch 85 nach seinem „offiziellen“ Aussterben nicht eindeutig festlegen, ob wir wirklich schon 85 Jahre ohne Beutelwolf zu „feiern“ haben oder nicht. Weder in die eine noch in die andere Richtung.
Bibliografische Angaben
Fachaufsätze
Barry W. Brook, Stephen R. Sleightholme, Cameron R. Campbell, Ivan Jarić, Jessie C. Buettel (2021); Extinction of the Thylacine.doi:https://doi.org/10.1101/2021.01.18.427214 (Pre-Print-Version!)
https://www.biorxiv.org/content/10.1101/2021.01.18.427214v1 (eingesehen am: 31.08.2021)
Stephen R. Sleightholme, Cameron R. Campbell (2016): “A retrospective assessment of 20th century thylacine populations.” Australian Zoologist 38 (1): 102–129. doi: https://doi.org/10.7882/AZ.2015.023 (eingesehen am: 31.08.2021)
https://meridian.allenpress.com/australian-zoologist/article/38/1/102/134752/A-retrospective-assessment-of-20th-century (eingesehen am: 31.08.2021)
Internetquellen
„Where the light meets dark“ – Analysen zum Adamsfield-Kadaver
http://www.wherelightmeetsdark.com.au/examining-the-evidence/tasmanian-tiger-(thylacine)/adamsfield-thylacines/adamsfield-thylacine-identified/ (eingesehen am: 31.08.2021)
http://www.wherelightmeetsdark.com.au/examining-the-evidence/tasmanian-tiger-(thylacine)/adamsfield-thylacines/ (eingesehen am: 31.08.2021)
Thylacine Museum
http://www.naturalworlds.org/thylacine/history/expeditions/expeditions_and_searches_1.htm (eingesehen am: 31.08.2021)