Der Atlas-Leopard – ungeliebter Geist des Atlas
Schon im 20.Jahrhundert war der Berber- oder Atlas-Leopard alias Panthera pardus panthera in Nordafrika nahezu verschwunden. Mal wieder wohl nicht ohne menschliches Zutun. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts konnte er nur noch selten nachgewiesen werden. Sehr lange zurück liegen die letzten (illegalen) Wildfänge – 1965 wurde ein Leopard bei Wab Zaza geschossen. Und 1985 ging eine Leopardin einem gewissen Habibi Ben Mouha in die Falle, nachdem diese im Sommer zuvor Ziegen und Schafe gerissen hatte. Im Anschluss an ihren Fang endete ihr Fleisch in einem genüsslichen Tajin ihres menschlichen Jägers – ehe dieser für seine Untat für drei Jahre ins Gefängnis musste.
In den 1970er Jahren sprach man von einigen wenigen verbliebenen Leoparden im Nationalpark Akfadou in Algerien, sowie auch in den Tamerza-Bergen in Tunesien. In Marokko streiften wohl auch noch einige Exemplare durch die Oulmes-Region im Mittleren Atlas. Die letzten Referenzen seitens der marokkanischen Behörden stammen aus dem Jahr 1994, als man den Restbestand auf eine winzige Anzahl von nur fünf Tieren schätzte.
Schliesslich fotografierte wohl noch im Dezember 1997 der spanische Biologe Miquel Rafa eine Spur im westlichen Atlas auf 2300 Metern Höhe bei Tiziut-Ihril. Und im Jahre 1998 entdeckte ein Team der Fundación para la Conservación de la Biodioversidad CDB-Hábitat mehrere Spuren in einer Schlucht zwischen Tounfine und Tirhist. Die letzten 20 Beobachtungen stammen aus dem Hohen Atlas, dem südlichen Teil desselben Gebirges sowie vom westlichen Anti-Atlas. Auch aus dem unteren Draa-Noun sind Beobachtungen bekannt, zu nennen sind hier ganz speziell die Orte Aqqa Wabzaza und Bou Tferda. (Purroy, 2010, S. 112 – 113)
Cambridge und die Suche nach dem Berberleoparden
In eben diese, zuletzt genannte, Lokalität machte sich im Jahre 2001 eine Expedition der Universität Cambridge auf, um die letzten Berber-Leoparden zu finden. Doch sie kam mit leeren Händen zurück. Und so erklärten sie den Berber-Leoparden kurzerhand für ausgestorben.
Ein neuer Ansatz – der Berberleopard ist nicht tot!
Das ist der Punkt, an dem das Buch des spanischen Zoologen Francisco Purroy ansetzt. Francisco Purroy ist Universitäts-Professor und war für 10 Jahre Präsident der spanischen Vogelschutz-Gesellschaft Sociedad Española de Ornitologia (kurz SEO Birdlife). Er und Kollegen begeben sich Anfang der 2000er Jahre, in Begleitung mit einem einheimischen Übersetzer und finanziert durch den Tiergarten Terra Natura, in die entlegendsten Regionen des Atlas, um Lebenzeichen des Berberleoparden zu finden. So kommen sie zu einem Waldschutzgebiet in ein verlorenes Dorf im Mittleren Atlas.
Wer sucht, der findet…
Und dort werden sie tatsächlich fündig. In einem von Steineichen und Wacholdern gespickten Graben führt eine Spur direkt vom Waldschutzgebiet zu den Gehöften. Ihr Urheber ist eindeutig ein Katzenartiger. Mit seinen 82 Millimetern Breite und 93 Millimetern Länge übertrifft der Pfotenabdruck klar jene der Iberischen Luchse, die der Zoologe aus dem Schutzgebiet Doñana bei Sevilla kennt. Der Schäfer bestätigt den 10. Oktober 2002 als Datum der erstmaligen Entdeckung der Spur.
Die Expedition kommt also eine Woche zu spät. Aber immerhin! Auch die Berichte des Besitzers ihrer Unterkunft klingen vielversprechend. Der Leopard käme jedes Jahr im Oktober die Hänge herunter. Die Hunde schlügen an, und der Leopard seinerseits versuche sich Vieh oder gar einen seiner bellenden Beschützer zu holen. Voriges Jahr habe ein Freund acht Tiere an den Leopard verloren. Auch die Wildschweine seien vor ihm nicht sicher… und so erfahren sie schließlich auch von der Sichtung eines Schäfers, die nur wenige Tage zurückliegt. Gleich drei der begehrten Leoparden soll der Schäfer gesehen haben. (Purroy, 2010, S. 157 – 159)
Schreck für die Einen, Glück für die Anderen
Und so landen die Forscher gleich ihren nächsten Coup. Um der Sichtung mit den drei Leoparden nachzugehen, reisen sie in das Dorf, um mit dem besagten Schäfer zu sprechen. Und dessen Indikationen folgend begeben sie sich teils zu Fuß, teils mit Maultier, zu dem Ort des Geschehens, der rund 8 Kilometer vom Dorf entfernt liegt. Am 7. Oktober 2002 wurde der Schäfer dort offenbar in seiner Idylle aufgeschreckt, als vor der bergigen Kulisse plötzlich ein Leopard auftauchte.
Fast zu Tode erstarrt, hielt der Schäfer nach einer Fluchtmöglichkeit Ausschau. Doch die Katze schlich einfach lautlos an dem erschrockenen Mann vorbei. Und ihr schlichen gleich zwei kleinere Leoparden nach, ebenso sanft und lautlos wie das erste Tier. Allem Anschein nach ihre Mutter. Die Drei verschwanden schließlich in den Steineichen am Flussufer.
Glück für die Forscher: An dieser Stelle sei es sehr schlammig und man könne noch ihre Spuren sehen.
Und tatsächlich: Im Schlamm des Flussufers befinden sich die Spuren noch immer und die Forscher können sie in Augenschein nehmen. Eine Spur misst 83 und 85 Millimeter in der Breite und 91 bis 94 Millimeter in der Länge. Daneben finden sich auch kleinere Spuren von 78 bis 81 Millimeter Breite und 87 bis 89 Millimeter Länge. Es waren also definitiv drei Tiere unterwegs. (Purroy, 2010, S. 164 – 167)
Bewertung der Funde im heimischen Spanien … Grund für Optimismus
Nach ihrer Rückreise vergleichen sie die Größe der Abdrücke mit den Pfoten und Hinterläufen von Leoparden in Gefangenschaft im Safari Park im valencianischen Dénia. Die Pfote der Leopardin in Gefangenschaft misst 90 mm Länge und 81 Millimeter Breite. So sind die Pfoten der im Atlas gesichteten, führenden Leopardin zwar größer, aber alles in allem liegen beide in einer ähnlichen Größenordnung. (Purroy, 2010, S. 243)
…leider nicht ganz ohne Ungereimtheiten…
Auch bei dem Vergleich der ersten Spuren mit den Pfoten eines Männchens in Gefangenschaft verhält es sich ähnlich. Die Pfoten des Leoparden-Männchens in Gefangenschaft messen 86 bis 94 Millimeter (Purroy, 2010, S. 243), während die ersten Spuren aus dem Atlas 82 Millimeter breit und 93 Millimeter lang waren.
Einziger Wermutstropfen: Im Buch findet sich eine widersprüchliche Angabe, was die Größe dieser Spuren betrifft. Im Kapitel des hinteren Teils, wo es um die Größenvergleiche der gefundenen Spuren mit denen der gefangenen Tiere geht, gibt Purroy plötzlich für die ersten Spuren aus dem Atlas Dimensionen von 108 Millimeter Länge und 83 Millimeter Breite an (Siehe hierzu: Purroy, 2010, S. 243). Weiter vorne, im Kapitel über den ersten Fund der Spuren im Atlas spricht er hingegen, wie gesagt von 93 Millimeter Länge und 82 Millimeter Breite. (Siehe hierzu: Purroy, 2010, S. 159).
Möglich, dass er sich hier bei der zweiten Angabe weiter hinten auf den Hinterlauf bezieht und nicht mehr auf die Vorderpfote wie im Kapitel weiter vorne. Dennoch ist diese unpräzise Angabe in einem der Schlüsselmomente von dem Buch äußerst ärgerlich.
Zum Glück ist das jedoch nicht bei dem zweiten Spurenfund der Fall, wo die Abdrücke der führenden Leoparden und ihrer Jungen verglichen werden. Hier stimmen die Angaben vom vorderen Teil mit denen des hinteren Teils im Buch überein.
Universitäres Machogehabe
Ärgerlich ist an diesem Buch jedoch nicht nur die widersprüchliche Angabe zu den Größendimensionen der ersten Spurenfunde. Purroy ist kein großer Schriftsteller, aber das Problem ist, dass er einer sein will. Das Werk ist voll von überflüssigen, irrelevanten und störenden Informationen (es wird zum Beispiel jeder Aspekt seiner vielen Frühstücke, Mittag- und Abendessen aufgezählt), die dem Werk einen abenteuerlichen Flair geben sollen, de facto aber die Geduld des Lesers an mehreren Stellen überstrapazieren. Darüber hinaus ist der gesamte Text gespickt von despektierlichen Bemerkungen gegenüber Frauen, so dass einem die öffentliche Besorgnis der spanischen Feminist:innen auf einmal so verständlich erscheint.
Als Leseprobe sei hier folgende Textstelle zitiert (Übersetzung von mir):
Es kam Tony [ein amerikanischer Zoologe], gross und athletisch, und schon bald war er umgeben von einer ́Wolke` von Studentinnen, die von der Exotik seines kalifornischen Pferdeschwanzes und Piratentuches angezogen waren“ (Purroy, 2010, S. 51).
Und so geht es durch das ganze Buch. Der Autor ist Professor an einer Universität, und man kann nur noch Mitleid für die Dozentinnen und Studentinnen empfinden, wenn sie solche Typen als Vorgesetzte oder Lehrveranstalter ertragen müssen. Die Sprache ist generell ein Problem, und das liegt nicht nur daran, dass Spanisch nicht meine Muttersprache ist, sondern dass die Ausdrucksweise äußerst vulgär daherkommt. Selbst wenn in Spanien nicht alles so heiß gegessen, wie es verbal gekocht wird – die Ausdrucksweise geht auch hier unter die Gürtellinie des guten Geschmacks (so sagt es meine spanische Lebensgefährtin).
Braunbär Salsero. Brunos iberischer Vorgänger
So ist vor der Expedition nach dem Leoparden, die ab S. 99 beginnt, der einzige wirkliche zoologische Höhepunkt die Suche nach und anschließende Besenderung von „Salsero“, einem Vertreter des seltenen spanischen Braunbären. Die Zoologen sehen sich hier mit Vorwürfen der Anwohner konfrontiert, nachdem „ihr“ Bär zahlreiche Bienenstöcke geplündert hatte. Sie hätten mit dem Radiosender den Bär in ihre Gegend dirigiert und seien daher verantwortlich für den entstandenen Schaden, und müssten den Bären nun mit ihrem Sendegerät zurück-dirigieren: „Der Bär oder ich“ schreit ihnen ein wutentbrannter Dorfbewohner entgegen. „Bringt ihn sofort nach Riano zurück oder ich zerschlage euch mit dem Stock“. (Purroy, 2010, S. 57)
Man fühlt sich hier ein bisschen an die Praktikumszeiten im Nationalpark Bayerischer Wald erinnert, als so mancher Anwohner einem glauben machen wollte, der große Rummel um Bruno sei im Jahre 2006 bewusst von Biologen inszeniert worden, um einen Wandel im Umgang mit großen Raubtieren in Gang zu setzen. Auf dem Rücken der lokalen Bevölkerung.
Was auch immer die Logik dahinter sein soll, Verschwörungstheorien halten sich offenbar weder an Landes- noch an kulturelle Grenzen. Das beweist einmal mehr dieses Buch aus einer ganz anderen Ecke Europas.
Trotz Allem: kulturell bereichernd
Francisco Purroy mag sich in seiner Mischung aus zoologischer Autobiografie und informativen Bericht über die Suche nach den verschwundenen Leoparden des Atlas als iberischer Macho par excellence karikieren. Ein Lebemann, der gerne mal einen Drink zu viel nimmt und auch in seinem Alter noch stolz darauf ist, wenn er von der Guardia Civil frühmorgens aus der Bar geworfen wird, ist er mit Sicherheit. Doch daneben ist er auch ein professioneller Zoologe. Neben seinem offiziellen Lebenslauf mache ich das vor allem an seinen detaillierten Schilderungen der zahlreichen Vogel- und Reptilienarten fest, die mit viel Liebe zum Detail und Hintergrundinformation von Zitaten aus der Fachliteratur hinterlegt werden.
Auch ist der Respekt vor der lokalen Kultur der armen Bergbewohner, ihrer schwierigen Lebenssituation, ihrer Gewieftheit, sowie Standhaftigkeit beim Erwerb ihres täglichen Brotes in den rauen Gefilden des Atlas positiv zu werten. So bekommt das Werk doch noch einen kosmopolitischen Anstrich, was aufgrund des nicht ganz reibungslosen Verhältnisses zwischen Spanien und Marokko keinesfalls die Norm ist. Auch die Landschaften sind detailliert beschrieben, und der Pflanzenliebhaber kommt hier ebenfalls auf seine Kosten. So kann man sich in die Reisenden hineinfühlen, wie sie die versteckten Hänge und trockenen Wälder des Atlas nach Leoparden und Bartgeiern absuchen.
Sofern man in der Lage ist, bei den freudianischen Ergüssen des literarischen Brunft-Geschreis abzuschalten und sich stattdessen bei den Beschreibungen von Land und Leuten auf die menschlichen, tierischen und pflanzlichen Bewohner des Atlas einzulassen (die der Klimawandel keineswegs unbeschadet lässt!), so kann das Buch tatsächlich eine durchaus bereichernde Lektüre für den zoologisch interessierten Leser sein. Auch Abenteurer und Reiseliebhaber können dem Werk sicherlich etwas abgewinnen.
Der Berberleopard: Kryptozoologie mit neuem Biss
Und für jene, die sich mit interessanten und relevanten Forschungsfragen der Kryptozoologie jenseits der ausgeschlachteten und biologisch unwahrscheinlichen (manche sagen gar unmöglichen) Ikonen der Popkultur a.k.a. Nessie, Yeti, Bigfoot und Co. beschäftigen wollen, eröffnet dieses Buch einen sehr vielversprechenden alternativen Pfad. Man muss halt leider der spanischen Sprache mächtig sein. Damit die wichtigen Erkenntnisse über eine spannende Frage der Kryptozoologie dem deutschen Kulturkreis dennoch nicht vorenthalten bleiben, habe ich mir die Frechheit erlaubt, die relevanten Stellen des Buches hier im Deutschen wiederzugeben. Weitere Details findet ihr dann natürlich bei:
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El leopardo del Atlas: „Salsero“ y otras andanzasEl leopardo del Atlas : „Salsero“ y otras andanzas ist 2010 in spanischer Sprache bei Ediciones Leonesas S.A. erschienen und hat als gebundenes Buch 256 Seiten. Es ist aktuell nur schwierig und dann für teures Geld antiquarisch erhältlich. Mit dem Kauf über den Link unterstützt ihr den Betrieb dieser Website. |
Und hier ist noch eine Pressemeldung aus dem Jahre 2003 über die besagten Spurenfunde der Leoparden im Atlas (leider auf spanisch):
Aktuell: Autor Peter Ehret arbeitet noch an diesem Thema, es gibt spannende neue Erkenntnisse, die im nächsten Jahrbuch (Band 4) veröffentlicht werden.
Das Titelbild stammt von Andy Morffew aus Irchen Abbas, Hampshire, UK, ist als Creative Commons 2.0 lizensiert. Es zeigt einen Leoparden an einem Wasserloch bei Zimanga, Südafrika