Die Moray Firth Seeschlange

Seeschlangen werden höchst selten fotografiert.

Die riesige Kaulquappe
Die angebliche, riesige Kaulquappe von Robert Le Serrec

Fotos von Meeresungeheuern lassen sich an den Fingern abzählen. Da ist zunächst die riesige Kaulquappe, die Robert Le Serrec im Dezember 1964 in der Stonehaven Bay, Hook Island, Queensland, fotografiert haben will.

 

Dann existieren mehrere Fotos, die eine angebliche Mary F. und der Zauberer Doc Shiels von dem Seeungeheuer Morgawr in der Falmouth Bay gemacht haben wollen wie auch die angeblichen Videoaufnahmen des Ungeheuers, die John Holmes im August 1999 in der Gerrans Bay aufnahm.

Morgawr 1999 by John Holmes

Während die Fotos von Mary F. mit größter Sicherheit mittels einer Glasscheibe und einem darauf befestigten Knetmonster erstellt wurden, hat Holmes wohl einen Meeresvogel vor die Linsen bekommen.

Der Morgawr nach Mary F.

Es gibt sogar einen Film

Im April 2013 will der nordirische Schüler Conall Melarkey ein Monster im Lough Foyle gefilmt haben. Das Video stellte er ins Internet, aber Analysen zeigen, dass das Video nicht in Lough Foyle bei Derry in Nordirland, sondern bei Dublin in der Irischen Republik aufgenommen wurde und dass offenbar Kabel den dort zu sehenden Höcker ziehen. (Granted 2013; Anon. 2013)

 

 

 

Seeschlangen im Moray Firth?

Jetzt hat ein Mann in Schottland auf einem Foto, das er im Moray Firth aufgenommen hat, dem Fjord, der die Mündung des River Ness mit der Nordsee verbindet, im Nachhinein eine Nessie entdeckt.

Leuchtturm Chanonry Point
Leuchtturm am Chanonry Point (Bild: Tobias Möser)

Der 56-jährigen Andrew Brunton, ein Mann aus Fife, der schottischen Region zwischen den Meeresarmen Firth of Tay und Firth of Forth, befand sich am 15. September 2020 am Chanonry Point in Fortrose. Er wollte dort Delfine filmen. Der Chanonry Point, die Spitze einer Landzunge, verengt den Moray Firth auf eine Breite von nur 1,25 Kilometer. Gegenüber liegt die perfekt erhaltene Festungsstadt Fort George. Der Ort mit seinem markanten Leuchtturm ist ganz Schottland als idealer Delfinbeobachtungsplatz berühmt.

 

Bei Chanonry Point wird die Ness-Mündung in eine enge S-Kurve gezwängt. Die starken Gezeitenströmungen sind für Fische attraktiv und ein beliebtes Jagdgebiet für die nördlichste stationäre Population Grosser Tümmler 

Der pensionierte Vermögensverwalter des Fife Councils erklärte gegenüber dem schottischen Boulevardblatt „The Sun“:

 

 

„Vielleicht ist das Nessie, die aus dem Loch entkommen und die Küste entlang geflüchtet ist. Ich war eigentlich nach Fortrose gefahren, um Delfine am Chanonry Point zu beobachten, aber ich konnte keine finden. Am Tag zuvor war ich am Loch Ness gewesen [in der Ausstellung Loch Ness Experience] und ich denke, einige der Aufnahmen von Nessie ähneln denen, die ich gemacht habe. Ich weiß selbst nicht, was es ist. Wie sollte ich das auch beurteilen?“

 

 

Die Bilder zeigen einen Schwimmer in Vordergrund und dahinter einen etwas längeren Schatten im Wasser, aus dem sich im ersten Drittel eine Art langer, dünner Hals erhebt, wie ein Kormoran, aber deutlich größer.

 

Chanorny Point Nessie
Die „Seeschlange“ von Chanorny Point. Foto: Andrew Burton

Ist Nessie geflüchtet?

Offenbar wurde rasch vermutet, die Seeschlange oder die Moray-Firth-Nessie könnte einfach nur ein Schwimmer sein. Andrew Brunton jedenfalls bestreitet in dem Artikel eine solche Deutung, er habe nur einen einzigen Schwimmer bemerkt, nämlich den im Vordergrund – der sei sogar der eigentliche Grund für das Foto gewesen: „Ich bemerkte den Schwimmer, der näher bei mir ist. Er trug einen Neoprenanzug und eine Badekappe. Von ihm wollte ich ein Foto machen. Aber das Objekt weiter hinten im Wasser habe ich nicht bemerkt, ich entdeckte es erst, als ich mir die Bilder betrachtete.“

Er gehe – vielleicht im Scherz – davon aus, dass das Ungeheuer von Loch Ness in die Nordsee „geflüchtet“ sei.

 

Die seltsame Wortwahl, der Zeuge habe nur den Schwimmer in seiner Nähe beobachtet, so als habe er gesehen, dass ein zweiter weiter weg von ihm schwamm, deutet darauf hin, dass er auch das zweite Objekt für einen Schwimmer hielt. Vielleicht aber hat er den Schatten tatsächlich erst auf den Fotos bemerkt und hat dann, weil er am Tag zuvor eine Nessie-Ausstellung besuchte hatte und weil der Moray Forth die natürliche Fortsetzung des Loch Ness ist, tatsächlich gemutmaßt, er habe eine Seeschlange fotografiert. Vielleicht wusste er, dass der angebliche Nessie-Schatten ein Schwimmer war, aber die zufällige Position des Schwimmers auf dem Foto verlockte ihm, eine passende Nessie-Geschichte zu erfinden.

Oder doch „nur“ ein Schwimmer?

Jedenfalls bin ich sicher, dass es sich bei der Seeschlange um einen Menschen handelt, der parallel zum ersten Schwimmer unterwegs ist. Dass ein auf der Seite liegender, nach rechts schwimmender Mensch mit dem linken erhobenen Arm wie eine kleine Nessie wirkt, habe ich selbst schon am Comer See beobachten können (umgekehrt geht es natürlich auch!).

 

Wie leicht sich eine Seeschlangenillusion mit einer erhobenen Hand erzeugen lässt, zeigt eine Fotomontage, die Markus Hemmler und Alexander Blumtritt vor Jahren anfertigten. Es handelt sich um einen Arm im Loch Ness – und das Bild ähnelt frappant anderen Aufnahmen von Nessie.

 

Fotomontage mir Schwimmer. Verwechslungsgefahr mit Seeschlangen?
Fotomontage von Nessie. Hintergrund: Loch Ness, Arm Markus Hemmler

Mit einer Hand, in ein Foto vom Loch Ness kopiert, stellten Alexander Blumtritt und Markus Hemmler das berühmte Chirurgenfoto vom Loch Ness aus dem Jahr 1934 nach. (Foto: Alexander Blumtritt und Markus Hemmler)

 

Schließlich ergab bereits eine oberflächliche Google-Suche ein fast identisches Foto eines Schwimmers (allerdings in einem Becken).

Der arm des schwimmers scheint seeschlangen ähnlich
Ein Schwimmer im Pool

Fazit: Endlich einmal ein glaubwürdiges Foto einer langhalsigen Seeschlange wäre zu schön gewesen. Dieses, so fürchte ich, ist es nicht.


Anm. d. Redaktion: Das Netzwerk Kryptozoologie hat natürlich auch Verbindungen nach Schottland, die schon mehr als einmal nützlich waren. Einer unserer Kontakte ist ortskundig und lebt etwa 20 km von Chanorny Point entfernt. Sie ist der Meinung, dass die Aufnahme etwa eine Meile außerhalb bei Rosemarkie Beach entstanden ist.
Dieser Ort ist wesentlich ungefährlicher für Schwimmer, als die Meerenge bei Chanorny Point und die Sicht auf die Festung Fort George auf der anderen Seite stimmt eher.


Literatur

Anon. (2013): Did student film a ‘monster’ in Lough Foyle? Belfast Telegraph, 1. Mai 2013. https://www.belfasttelegraph.co.uk/news/northern-ireland/did-student-film-a-monster-in-lough-foyle-29235157.html

 

Ganted, Gloria (2013): Sea monster in Ireland 2013. https://www.youtube.com/watch?v=cqh5rM7cI2I

 

Walker, Alice (2020): ‘ESCAPED’ Loch Ness Monster: Baffled Fife man reckons Nessie ‘could’ve escaped’ after strange sighting. The Sun, 18. September 2020

 

Dank

Mein Dank geht an Andreas Trottmann, der mich auf diese Meldung aufmerksam gemacht hat, und an Markus Hemmler und Alexander Blumtritt für die Bereitstellung ihres Fotos.

 




Der Tantanoola Tiger 2 – „Die üblichen Verdächtigen“

Der erste Teil zum Tantanoola Tiger ist am 1. Dezember hier erschienen

 

4. Station: Menschliche Bestien a.k.a “Wilde Männer”

Für die Bewohner Tantanoolas scheint der Spuk fürs Erste vorbei. Doch man bleibt alarmiert. Nicht alle sind überzeugt von dem Wolf als Tiger. Man sucht weiterhin aufmerksam nach Berichten in den Zeitungen über die Wiederkehr des Tigers. Tatsächlich sieht dann auch ein Jugendlicher noch einmal die originale, gestreifte “Bestie”, doppelt so groß wie ein Hund (Portland Guardian).

 

Karikatur: Der Tantanoola-Tiger in der Zeitungsredaktion, bereit, bei Bedarf hervorgeholt zu werden.

Wieder verschwundene Schafe

Doch den Auftakt für die nächste Etappe stellt das Jahr 1910. Schon wieder melden Viehzüchter den Verlust von Schafen. Einer von ihnen, James Chant, berichtet von mehr als 200 verlorenen Schafen in den letzten 8 Jahren (Portland Guardian). War “der Tiger” wieder da? Oder besser: niemals weg?

 

Ein grausiger Fund

Im Dezember 1910 stoßen zwei Jäger im tiefen Dickicht der Lake Bonney flats auf ein grausiges Szenario. Mitten im Gebüsch taucht sich eine künstliche Lichtung auf – ein “Arbeitsplatz”, gespickt mit Schafskadavern in sämtlichen Verwesungszuständen und blutige Schafshäute an den Drähten – später findet man noch einen weiteren improvisierten Schlachthof noch weiter drinnen im Dickicht. Mit 42 erst kürzlich getöteten Schafen. Und sie alle haben das Brandzeichen von Herr Chant. (News.com.au)

 

Fundorte der toten Schafe. Das Verbrechen war so populär, dass man Postkarten mit den Bildern druckte.

Menschlicher Tiger und morbider Tourismus

Die Polizei will den Fall nicht an die große Glocke hängen. Das funktioniert nicht. Die Leichenfelder der Schafe avancieren zu einer morbiden Touristenattraktion. Doch dann, am 5. Januar 1911, wird ein gewisser Robert Charles Edmonson in Handschellen abgeführt. Ein Detektive aus Adelaide ermittelte nach Personen, die jüngst unter der Hand in der Umgebung Schafhäute verkauft haben. Auch andere “Schlachtstätten” wurden dabei entdeckt. Der “neue” Tantanoola Tiger erregt die gleiche Aufmerksamkeit wie sein wölfischer Vorgänger. Hunderte Personen strömen herbei, um die “Leichenhäuser” zu bestaunen, sogar Postkarten werden verkauft.  (News.com.au)

 

Robert Charles Edmondson war sicherlich alles – außer harmlos.

 

Am 18. Januar 1911 wird dem Angeklagten Edmondson wegen der Tötung von 76 Schafen der Prozess gemacht. Sein 20-jähriger Komplize James Bald gesteht die Tat – im April 1911 bekennt sich auch der Hauptangeklagte für schuldig, auch für das Stehlen von Schafen im Jahre 1899 in Horsham. Er wird schließlich zu sechs Jahren Schwerstarbeit verurteilt (News.com.au)

Milde Strafe für “menschliche Bestie”

Doch Edmonson sitzt nicht einmal die Hälfte seiner Strafe hinter Gittern ab. Noch dramatischer ist, dass seine größten Verbrechen bei dem Prozess nicht einmal zur Sprache kommen. Edmonson saß nämlich 1905 schon einmal auf der Anklagebank – wegen Vergewaltigung einer 15-jährigen Tochter eines Vorgesetzten. Der Richter befindet die Zeugenaussage von Tochter und Mutter als “zu präzise”, – und so wurde Edmonson damals freigesprochen. Aus der neuerlichen Gefängnisstrafe lernt der Rumtreiber jedoch nicht. Im Herbst 1917 begeht er zwei weitere Vergewaltigungen, eine davon im Dickicht, die bevorzugte Umgebung seiner Gräueltaten – für beide Vergewaltigungen sitzt er dafür aber nur eine zweijährige Strafe ab. Er selbst betrachtet diese Verbrechen als trivial im Vergleich zu den Schafstötungen. Das Gesetz seiner Zeit gibt ihm Recht. Auf Vergewaltigung gab es in Australien damals maximal nur zwei Jahre – und für Edmonson liefen die Strafen für beide im Gefängnis in den zwei Jahren auch noch gleichzeitig ab (News.com.au).

 

5. Station: Tasmanischer Tiger

Seit man Edmonson den Prozess machte, “ruht Tantanoola in Frieden”. So schrieb es der Portland Guardian im Dezember 1932. Er konnte nicht ahnen, dass sich zu jener Zeit schon der nächste Mythos in den Startlöchern befand, in den sich die Sichtungen einer “gestreiften Bestie” wunderbar einweben ließen.

 

Zwei Beutelwölfe im Zoo

 

1936 stirbt im Beaumaris “Zoo” in Hobart, Tasmanien der letzte Beutelwolf. Trotz mehrerer Expeditionen kann kein weiteres lebendes Exemplar dingfest gemacht werden. Mit dem Tod des letzten “Tigers” schreibt der Mythos seine Geschichte fort.

 

Sichtungen auf dem australischen Festland…

Die Sichtungen des Beutelwolfs beschränken sich bekanntlich nicht auf Tasmanien. Auch das Australische Festland, wo er “eigentlich” schon seit 3000 Jahren als ausgestorben gilt (Thylacine Museum), kann mit vielen Sichtungen aufwarten.

 

…und Tantanoola “mitten drin, statt nur dabei”

Und als die Bewohner eines kleinen Dorfes namens Ozenkadnook im Jahre 1962, nur 150 km von Tantanoola entfernt, einen Tasmanischen Tiger zu sehen glauben, wird die Sage des Tantanoola Tigers schnell wiederbelebt (News.com.au)

 

Die Sichtungen gehen weiter und das Walkabout Magazine spricht 1968 mit über 100 Personen, die im Südosten von South Australia und im Nordwesten von Victoria einen Tasmanischen Tiger gesehen haben wollen. Darunter auch Personen in einem voll besetzten Bus, neben dem ein Beutelwolf hergerannt sein soll (News.com.au).

 

…The Legend goes on

50-Jahre später werden im Südosten von Süd Australien immer noch Beutelwölfe gesichtet, mit ganzen Clustern von Sichtungen kann die Region aufwarten. Auch Videos sind dabei. Sie lassen allerdings (wie so oft) keinen eindeutigen Schluss zu (News.com.au).

 

6. Station: Ein überlebender Beutellöwe? Der “Ozenkadnook Tiger” und sein mythologischer Vetter aus                                                                                                  Queensland

Die Sichtungen des vermeintlichen Beutelwolfes in den 1960-er Jahren eröffnen einen alternativen Pfad zu einem anderen etablierten kryptozoologischen Mythos auf dem australischen Kontinent.

 

Im Rahmen dieser Sichtungswelle taucht 1964 ein Foto von einem gestreiften Tier auf, das Rilla Martin auf einer Landstraße bei Ozenkadnook von ihrem Auto heraus geschossen haben will. Die Kreatur auf dem Foto kann allerdings kein Beutelwolf sein. (Naish, 2017: 197 – 198)

 

Rilla Martin 1964
Das Rilla-Martin-Foto von 1964. Was immer es zeigt: ein Beutelwolf ist es nicht.

Der Queensland-Tiger

So wurde tatsächlich angedacht, Rilla Martin könnte einen überlebenden Beutellöwen (Familie Thylacoleonidae, ausgestorben im Pleistozän) fotografiert haben. Damit würde sich der Ozenkadnook-Tiger einreihen in die Sichtungen eines langschwänzigen, gestreiften Tieres von der Größe eines Pumas, das zwischen 1870 und 1950 gesehen wurde und als “Queensland Tiger” rezitiert wird. Bestes “Beweisstück” ist die Zeichnung eines Fußabdrucks aus Cardwell (Queensland), das eine ovale Pfote mit vier langen Zehen zeigt. Ansätze von Krallen sind zu erkennen. Die Größe des Fußabdrucks könnte (Schätzung) 12 Zentimeter betragen haben.

 

Beutellöwen

CGI-Darstellung eines Beutellöwen
CGI-Darstellung eines großen Beutellöwen mit Opfer. (Image: Rom-Diz, CC 3.0)

Die Beutellöwen (Thylacoleonidae) sind eine Familie ausgestorbener Beuteltiere, die bis vor wahrscheinlich etwa 45.000 Jahren in Australien gelebt haben. Die Tiere starben vermutlich kurz nach der Besiedlung der Menschen aus. Sie waren die größten Beutegreifer unter den australischen Säugetieren und hatten aufgrund analoger Entwicklung große Ähnlichkeit mit Katzen. Die größte Art, Thylaocleo carnifex erreichte die Größe moderner Löwen.

 

Für Großkatzensichtungen oder das Verschwinden von Großtieren oder Menschen in Australiens Hinterland werden Beutellöwen immer wieder als mögliche Erklärung herangezogen. Ein Überleben kryptischer Populationen bis heute ist jedoch mehr als zweifelhaft.

 

Allerdings handelt es sich hierbei um eine Zeichnung, und sie ist laut dem Paläontologen Darren Naish zu schematisch und erscheint nicht wie ein realer Fußabdruck eines Räubers. Ferner bemängelt Naish bei den Queensland-Tiger-Sichtungen im Allgemeinen, dass eben nicht nur große Tiere gesichtet werden, sondern auch kleinere Exemplare. Als Auslöser könnten daher ohne Probleme tatsächlich die Quolls (Familie Dasyuridae) oder schlichtweg verwilderte Katzen in Frage kommen. De facto waren tote Quolls auch das einzige Resultat, das der deutsche Zoologe und Tiersammler Carl Lumholtz zu Gesicht bekam, als er von den Eingeborenen einen toten yarri erbat. Yarri oder yaddi ist die lokale Bezeichnung für eine mythologische Kreatur und meint einen großen gestreiften, räuberischen Felsenbewohner im Norden von Queensland. (Naish, 2017: 187- 191)

 

Dasyurus maculatus
Der Riesenbeutelmarder Dasyurus maculatus. Foto: Arnd Bergmann CC 4.0, aufgehellt.

 

Ein überlebender Beutellöwe?

Bei der Beutellöwen-These kommt noch erschwerend hinzu, dass diese Tiere, geht man von den anatomischen Proportionen aus, zu Lebzeiten ohnehin nicht wie Katzen ausgesehen haben können. Die große Daumenkralle, die sehr partikularen Schneidezähne und das breite Gesicht würden bei den Queensland-Tiger-Sichtungen klar ins Auge springen, tun sie aber nicht. Darüber hinaus gibt es keine fossilen Hinweise darauf, dass der pleistozäne Beutellöwe bis in heutige Zeiten überlebt haben könnte. (Naish, 2017: 192 – 195) Der Beutellöwe kommt also ziemlich sicher nicht als Erklärung für den Queensland-Tiger in Frage. Abgesehen von Spekulationen über einen unbekannten gestreiften Raubbeutler auf dem australischen Festland (der sich aufgrund seines kurzen Gesichts deutlich von dem langschnäuzigen Tasmanischen Tiger differenziert) bleibt als Erklärung nur der folkloristische Ansatz, sowie Fehlidentifikationen von bekannten, aber scheuen Tieren. So zum Beispiel Baumkängurus (Naish, 2017: 196).

 

Der “Ozenkadnook Tiger” – die Auflösung?

Neue Hinweise auf einen Schwindel

Der Status der Kreatur auf dem Foto von 1964 ist bis zum heutigen Tag jedoch auch nicht eindeutig geklärt. Das liegt allerdings auch daran, dass das originale Negativ abhanden gekommen sind und nicht genauer untersucht werden kann. Eine Zeitung hatte es sich seinerzeit ausgeliehen und verloren. (Naish, 2017: 198) Doch im März 2017 scheint Bewegung in die Sache zu kommen. Der Weekend Australian bedauert den Tod des Karikaturisten Bill Leak, der ein Talent für Fälschungen hatte. Der Artikel erwähnt eine kuriose Geschichte dazu. Inspiriert von Beutelwolf-Sichtungen in Goroke, Victoria, fabrizierte Bill Leak zusammen mit seinem Vater und einem Kumpel einen Beutelwolf aus Pappe, bemalte ihn mit Streifen (eher weniger als mehr getreu dem biologischen Original) und fotografierte den hausgemachten “Tiger” im Bush. Nationale und auch internationale Zeitungen sprangen auf das gefälschte Foto an.

Ausschnitt der Meldung des „The Australian“ über Bill Leak’s Fälschung

 

Diese Dimensionen an öffentlichen Interesse hatte man nicht erwartet – so versteckte die Familie das Modell und zerstörte es schließlich. Laut dem Journalisten vom Weekend Australian stimmte Rilla Martin später zu, sich als Autorin des Fotos auszugeben. (Tetrapod Zoology, 2017) Zeigt das Ozenkadnook-Foto also Bill Leaks Papp-Beutelwolf?

Weitere Kritikpunkte an dem Foto

Die Vermutung einer Fälschung liegt zumindest nahe. Vor allem, wenn man die 4 Hauptkritikpunkte in Betracht zieht

  1. Das unnatürliche Aussehen des fotografierten Tieres.
  2. Die Umstände, in denen das Foto entstanden sein soll: das Tier soll gerannt sein und trotzdem gelang Rilla Martin ein relativ scharfes Bild mit ihrer Brownie Box Kamera vom Auto aus.
  3. Rilla Martin´s Körpersprache während eines Fernsehinterviews zur Sichtung, die trotz der weitgehenden Kohärenz in ihrer Schildung dennoch darauf hindeutet, dass sie nicht ganz die Wahrheit sagte.
  4. Die Abwesenheit sämtlicher biologischer Indizien für einen gestreiften Räuber im Victoria der 1960-er Jahre. (Tetrapod Zoology, 2017)

Es gibt bei dem Foto und der Geschichte also viel zu kritisieren. Und es handelt sich wohl um eine Fälschung.

Fairerweise muss man allerdings auch konstatieren, dass der Status des Fotos aus dem Jahre 1964 nach wie vor der ist, der er seit 1964 ist, nämlich: nichts Genaues weiß man nicht.

Fazit: Ein Tiger im Wandel

Ganz egal, ob Victoria-Beutelwolf, Queensland-Tiger oder das Foto von Ozenkadnook. Australiens “gestreifte Bestien” stehen nicht isoliert da und sind wohl alle Teil eines breiteren Erzählmotivs der australischen Folklore über “gestreifte Räuber”. Zufall und außergewöhnliche Ereignisse (zum Beispiel der geschossene Wolf in Tantanoola) können die Legende wieder aktivieren und an die spezifischen Gegebenheiten der lokalen Umstände anpassen. So erscheint der “Tiger” mal als Wolf, mal als Alien Big Cat, als Beutelwolf, Beutellöwe,.. oder nimmt im Extremfall sogar die Gestalt eines Menschen an.

 

Auch wenn längst nicht alle Details dieser Einzelereignisse geklärt sind (wie kam ein arabischer Wolf in den australischen Bush? Was zeigt das Foto aus Ozenkadnook? Woher kommen die eingeborenen Legenden zu gestreiften Räubern?)… Eine klare Schlussfolgerung lässt die Reise durch Süd-Australiens bestialische Mythologie dennoch zu: Was auch immer Tantanoola´s mysteriöser “Tiger” gerade ist: tot ist er mit Sicherheit noch lange nicht…


Anmerkung des Autors

Es ist das Hauptaugenmerk des Reports, die Entwicklung eines Erzählmotivs nachzuzeichnen und weniger das Berichtete einem biologischen Faktencheck zu unterziehen. Aus diesem Grund wurde die Saga, so wie sie die australischen Zeitungsberichte nacherzählen, so nah wie möglich am englischsprachigen Original wiedergegeben. Es sei an dieser Stelle daher ausdrücklich gesagt, dass die Verwendung des Begriffs der “Bestie” aus dem sprachlichen Repertoire der regionalen Folklore stammt und nicht die Meinung des Autors über den geschossenen Wolf widerspiegelt. Eine biologische Fußnote ist an dieser Stelle daher dennoch angebracht. Der Portland Guardian spricht in Bezug von dem erlegten Tier von einem “Assyrian Wolf”, während das Newsportal News.com.au “A Syrian Wolf” (also “ein syrischer Wolf” statt “Assyrischer Wolf”) meint. Einen “Assyrischen Wolf” gibt es nicht – aber mit dem “Syrischen Wolf” könnte der Arabische Wolf gemeint sein. Tatsächlich nennen zahlreiche Quellen auch diesen als biologische Realität hinter dem Tier. In diesem Falle gehen jedoch zoologische Fakten und sensationalistische Berichterstattung auseinander.

Arabischer Wolf

Der aufmerksame Leser des Netzwerks für Kryptozoologie erinnert sich eventuell ein kurze Erwähnung des Arabischen Wolfs, da dieser in seiner Kleinwüchsigkeit den japanischen “Bonsai-Wolf” (Canis lupus hodophilax) sogar noch untertrifft. Für den Arabischen Wolf wird eine Schulterhöhe um die 60 Zentimeter (66 Zentimeter für Rüden) angegeben – er ist daher nicht wirklich größer als ein Australischer Dingo (57 Zentimeter). Wenn es also heisst, der geschossene Wolf sei “zu gross für ein Dingo”, so kann diese Aussage eigentlich nicht stimmen, es sei denn, es handelte sich um eine Kreuzung mit einem grösseren Wolf- oder Hund. Übertreibungen und Sensationalismus sind wohl trotzdem die näher liegende Erklärung. Auch deswegen ist es schade, dass das Hotel im Juni 2020 seine Türen leider fürs Erste schliessen musste. Was jedenfalls den Appetit seines “Tigers” auf Schafe und Ziegen betrifft – so stehen diese Tiere wohl tatsächlich auf dem Speiseplan des kleinen Arabischen Wolfs, auch wenn freilich nicht ausschließlich.


Zum Weiterlesen

Literatur:

Naish, Darren (2017), Hunting Monsters: Cryptozoology and the Reality Behind the Myths, London: Sirius Publishing.

Internetbeiträge

Arabischer Wolf – biologische Details: http://mythos-wolf.de/arabischer-wolf/

Dingo – biologische Details: https://jww.de/service-welt-jagdzeiten-jagen-in-australien-i-1290/

News.com.au vom 24. Februar 2019

https://www.news.com.au/technology/science/animals/the-grisly-mystery-of-the-murderous-tantanoola-tiger/news-story/ac9051acbddebcb9baf850f70501d095

Portland Guardian vom 29.Dezember 1932

Tetrapod Zoology, The Ozenkadnook Tiger Photo Revealed as a Hoax. Is it finally case closed on an iconic photo of a mystery beast?

https://blogs.scientificamerican.com/tetrapod-zoology/the-ozenkadnook-tiger-photo-revealed-as-a-hoax/

Thylacine Museum

http://www.naturalworlds.org/thylacine/introducing/whatis/what_is_a_thylacine_1.htm

 




Teil-Skelett einer Meerjungfrau gefunden?

Wenn das herausragende Organ der britischen Qualitätspresse, die Sun etwas meldet, muss ja was dran sein. Irgendwas wird auch immer dran sein, sonst würde sich selbst die Sun nicht trauen, etwas zu melden. Doch eine Meerjungfrau ist mehr als ungewöhnlich, lest selbst:

 

Am 29. November meldet das Boulevardblatt, dass ein Mann beim Gassi-Gehen mit seinem Hund die zerbrechlichen Reste eines Skelettes einer Meerjungfrau gefunden hat. Sie sehen auf den ersten Blick wie ein Stück menschlicher Wirbelsäule mit einem rudimentären Fischschwanz am Ende aus. Ben Landricombe, 38 hat die Knochen in einer Brandungsnische bei Jennycliff Beach, Plymouth, Devon gefunden. Wie in solchen Fällen üblich zeigte Landricombe seinen Fund zunächst den Nachbarn und dann im Dorf herum. Niemand konnte so wirklich etwas damit anfangen. Viele behaupteten scherzhaft, es sei wohl der Rest einer Meerjungfrau.

 

Der Faktencheck

Die Location

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Der Ortscheck ist meist einfach. Jennycliff Beach bei Plymouth existiert, sofern man google glauben darf. Kleine Brandungsnischen zwischen den Felsen der Steilküste, die man als „cove“ bezeichnen kann, gibt es hier zuhauf.

 

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(k)ein Kinderbuch der Kryptozoologie der Meerjungfrauen

Dieser ultimative Meerjungfrauen-Führer kommt zunächst als Kinderbuch rüber, ist jedoch Kryptozoologie pur. Angefangen bei den Selkies in den schottischen Meeren, über die in Brasilien lebende Sirene Uiara und bis zur Ningyo aus Japan, die zwar ewiges Leben schenken kann, aber auch Stürme und Unglück hervorruft. Dieses wunderschöne Buch vereint sowohl Meereswesen-Fakten als auch Zusammenfassungen der traditionellen Märchen über die Bewohner der Weltmeere. Kleine Meerjungfrauen und große Kryptozoologen werden begeistert sein!

 

Der Atlas der Meerjungfrauen hat 48 liebevoll gestaltete Seiten in großformatigem Hardcover und ist im Juli 2020 bei Lawrence King erschienen.

 

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Der Fund selbst

Der Fund selbst ist höchst merkwürdig. Landricombe hat mehrere zusammenhängende Wirbel gefunden, an sich nichts ungewöhnliches, da die Bandscheiben und Bänder auch nach dem Tod noch stabil bleiben und sich erst im fortgeschrittenen Zerfall auflösen. Da sie aus dem unteren Rückenbereich zu stammen scheinen, fehlen ihnen auch die Rippen. Merkwürdig ist das Ende, das sich zunächst schaufelförmig erweitert und dann wie abgeschnitten wirkt, jedoch eine offenbar bewegliche Membran am Ende trägt. Die Form suggeriert einen Fischschwanz.
Hinzu kommt eine Art abgebrochener Dornfortsatz, der keinen direkten Zusammenhang mit dem Skelettrest zu haben scheint.

 

Die Meerjungfrau der Sun
Ben Landricombe präsentiert stolz seinen „Fund“ dem Fotografen (Credit: Wayne Perry – Commissioned by the Sun)

 

Landricombe präsentiert seinen Fund immer von der selben Seite, egal ob er ihn am „Kopfende“ oder am „Schwanzende“ hochhält oder auf den Boden legt. Das ist bereits verdächtig, ähnlich wie bei einem Zauberkünstler, der niemals erlaubt, dass jemand seinen Tisch von hinten sieht.

Hinzu kommt, dass das schaufelartige Element am Schwanzende oben und unten wie abgeschnitten wirkt. Apropos schaufelartig, „Schäufele“ wars, woran mich der Knochen erinnert: an das schaufelartig verbreitete Schulterblatt, z.B. vom Schwein oder Lamm. Das hat natürlich am Ende der Wirbelsäule so gar nichts zu suchen.

 

Fischschwanz-Skelett
Anatomie der Knochen des Knochenfisch-Schwanzes (Bild: NfK, abgewandelt nach Danvasilis)

 

Ein schneller Gegencheck noch einmal mit Wirbeltieren, die eine Schwanzflosse oder Fluke tragen: Bei Walen läuft das Schwanzskelett in immer kleiner werdenden Wirbeln aus. Die Fluke hat keine verknöcherte Unterstützung nötig. Bei Knochenfischen endet die Wirbelsäule in der Schwanzwurzel, aus der Hippuralknochen und die Flossenstrahlen hervorgehen. Hier ist ebenfalls keine dreieckige Platte vorhanden.

Zwergwal-Skelett
Skelett eines atlantischen Zwergwals. Deutlich sichtbar: Der Schwanz endet spitz, ohne Knochen, die die Fluke stützen.

Einwurf:

Theoretisch könnte eine Meerjungfrau natürlich über evolutionäre Sonderbildungen verfügen, z.B. einen dreieckigen Knochen an der Schwanzwurzel. Dieser müsste dann aber, aufgrund der erwarteten Auf-und Abbewegung des Schwanzes (ich nehme hier Arielle, die Meerjungfrau als Referenz) jedoch symmetrisch sein müsste. Der Knochen an Landricombe’s Fund ist jedoch nicht symmetrisch, sondern klar in eine Richtung orientiert. Hinzu kommt die alles andere als physiologische, gerade Schnittkante.

 

Der Finder

Über den Finder Ben Landricombe wird in dem Artikel nicht viel erzählt. Die Sun gibt sein Alter mit 38 an, er arbeitet als Hausmeister für das britische Verteidigungsministerium und verfügt offenbar über einen Hund, denn die Sun bezeichnet ihn als „Dog Walker“. Sein äußeres Erscheinungsbild und die Art, sich mit Base-Cab und Queen-T-Shirt zu präsentieren, passt hierzu.

Fachmann für Grenzerfahrungen?

Soweit so gut. Gibt man den Namen in eine Suchmaschine ein, wird es spannend: Ben Landricombe ist offenbar Fachmann für natürliche und nicht-natürliche Phänomene. Die „Meerjungfrau“ ist nicht sein erster Fund dieser Art.

  • Am 13. Juli 2020 war er zum Campen im 70 km nördlich von Plymouth gelegenen Maddon. Er hörte ein seltsames Geräusch und ging mit seinem Hund vor die Tür. Dort fand er in einem Wald eine Ufo-Absturzstelle. Das Ufo fehlte. CornwallLive berichtete.
  • Am 6. Januar 2018 fotografierte er einen geheimen Surfplatz im Plymouth Sound und wurde in Folge dessen bedroht. Sein Pick-Up wurde besprayt und die Reifen zerstochen. Schon damals berichtete CornwallLive. Später nutzte er das Graffito als Schriftzug für Aufkleber und T-Shirts, die er verkaufte.
  • Am 21. September 2015 berichtete der Mirror über seine Entdeckung. Damals war er als Straßenfeger unterwegs und musste flüchten, als er von einer „fürchterlichen neuen Sorte“ riesiger Ratten angegriffen wurde. Er gab an, von einer Gruppe ein Fuß (ca. 30 cm) langer Ratten angegriffen worden zu sein. Als Beweis hält er eine tote, jedoch deutlich kleinere Ratte mit einem Müllgreifer in die Kamera. Der Mirror machte damals aus einer Ratte einen Elefanten.

Man kann also davon ausgehen, dass Ben Landricombe tja, mhm, sagen wir mal: den Medienrummel gewöhnt ist und sich davon Geld oder Anerkennung oder beides erwartet. Nachdem er für seinen Ufo-Crash keine physischen Beweise vorlegen konnte, die über die Folgen einer lokalen Windhose hinausgehen, musste etwas handfesteres her. Da lag es nahe, aus einem Stück Wirbelsäule und einem Schulterblatt den Schwanz einer Meerjungfrau zusammen zu bauen.

 

Doch auch die Sun war vorsichtig und hat dann jemanden befragt, der sich mit alten Knochen auskennt. Dr. James Morris, Senior Lecturer für Archäologie an der Uni von Central Lancastashire diktiert dem Redakteur: „Ich würde sagen, es ist entweder ein Schaf, eine Ziege oder ein Reh.“

 

Meerjungfrau?
Meerjungfrauen werden weiterhin rätselhaft bleiben

 




Mehr über den Snallygaster

Der Snoligoster, den Suzan Reinert auf unserer Homepage am 6. November 2020 so lebendig geschildert hat, stellt nur einen Vertreter einer ganz umfangreichen Gattung, des Snallygasters, dessen eigentliche Heimat der US-Bundesstaat Maryland ist.

Der Snallygaster ist dabei ein Scherztier, wie der beschwingte Jersey Devil (eine Mischung aus Fledermaus und Pferd).

Snoligoster
In William T. Cox‘ gesammelten „Kreaturen der Holzfäller“ heißt er noch ‚Snoligoster‘

Ein ausgewandertes Kryptid?

Der Name soll von den deutschen Einwanderern stammen, die ein Tier fürchteten, das sie im Pennsylvania Dutch, also der Sprache der reformierten Pfälzer Einwanderer, „schelle Geeschter“ nannten. In der Pfalz selbst ist ein solches Fabelwesen unbekannt, die Vorstellung muss demnach erst in den Vereinigten Staaten entstanden sein. Der Fortianer Michael T. Shoemaker nennt diverse Abwandlungen von Snallygaster, darunter Snarly/ Snally Yow, was er für eine alternative Bezeichnung für den Bigfoot hält (das Yow käme von Jodeln und bezeichne seinen schrillen Schrei).

 

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Phantastische Tierwesen aus der Harry-Potter-Welt

Seit seiner Veröffentlichung ist Newt Scamanders Meisterwerk Pflichtlektüre an der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei und hat Generationen von Zaubererfamilien in seinen Bann gezogen. »Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind« bietet eine unverzichtbare Einführung in die Tierwesen der magischen Welt.

 

Auf der Basis von vielen Reisen und seiner langjährigen Forschung ist ein Werk von unerhörter Wichtigkeit entstanden. Einige der Tierwesen werden Lesern der Harry-Potter-Bücher bekannt sein: der Hippogreif, der Basilisk, der Ungarische Hornschwanz… Andere werden sogar den eifrigsten Amateur-Magizoologen in Erstaunen versetzen.

 

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Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind ist bei Obscurus Books in der Winkelgasse erschienen, hat in der Muggle-Version 128 Seiten und ein Hardcover.

 

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Die ersten Sichtungsmeldungen erschienen Anfang des 20. Jahrhunderts (sieben Meldungen zwischen 1909 und 1932) in den Counties Montgomery und Frederick an der Grenze zu Virginia. Der Snallygaster war damals und dort „halb Vogel, halb Reptil“. (Opsasnick)

Die Geschichte eines Phantoms

Knapp zusammengefasst schreiben Mark Chorvinsky und Mark Opsasnick ein kurze Geschichte des Phantoms:

 

 

„Snallygaster – Er ist das einzige Ungeheuer von Maryland, das es bis in Websters’s International Dictionary gebracht hat, ein riesiger reptilartiger Vogel, der einem fliegenden Drachen gleicht. Die Flugbahn des Snallygasters ging über Burkittsville, Frederick und das Middletown Valley. Er zeigte sich zum ersten Mal 1909 und dann, mit zahlreichen Sichtungen, 1932. Die Bevölkerung mied es während dieser Sichtungswellen aus Angst, im Dunkeln das Haus zu verlassen.

 

Der Snallygaster erschien zum ersten Mal in der Zeitung Daily Mail aus Hagerstown, er wurde von dem Emmitsburg Chronicle aufgegriffen, am beliebtesten war der Snallygaster jedoch in den Seiten des Valley Register aus Middletown, wo er zum ersten Mal als Aufmacher eingesetzt wurde. Viele, wenn nicht gar sämtliche dieser Artikel sind scherzhaft gemeint, selbst wenn das die Leser zu ihrer Zeit nicht merkten. [Das Tier war unter zahlreichen alternativen Namen bekannt.] In den Folgejahren bezeichneten viele Zeitungsartikel Bigfoot-artige Tiere als Snallygaster. Mittlerweile bedeutet der Begriff allgemein jede Art von Ungeheuersichtung.“ (Chorvinsky und Opsasnick)

 

Ein sehr berühmter Scherz

Auch wenn er nur im Scherz erzählt wurde (und wohl zunächst nur unter deutschen Siedlern) hat der Snallygaster eine steile Karriere hingelegt, er hat sich bis nach Florida ausgebreitet, spielt in einer Folge von „Familie Feuerstein“ die Hauptrolle und hat einen eigenen Wikipedia-Eintrag.

 

Fred Flintstone and the snallygaster
Yabbadabbadoo – Fred Feuerstein und der Snallygaster

 

In der Form und in der Schreibung des Namens ist er nicht festgelegt: Snallygaster, Snarly Yow und Snoligoster, Drache, Bigfoot, Flugsaurier oder riesiges Krokodil mit Propeller. Bei Google ergibt das Suchwort Snallygaster 736.000 Ergebnisse, bei Google-Bücher immerhin noch Dutzende Sammlungen von Sagen und Folklore und erzählende Kinderbücher, in denen jeder die Vielfalt des Snallygasters unmittelbar erfahren kann. Sogar in J. K. Rowlings „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“ tritt er auf.


Literatur

Chorvinsky, Mark und Opsasnick, Mark: A Field Guide to the Monsters and Mystery Animals of Maryland. Strange 5, S. 41-46, Zitat S. 43

 

Opsasnick, Mark: A Chronological Listing of Creature Sightings in the State of Maryland. The Info Journal 51, Februar 1987, S. 8–14

 

Shoemaker, Michael T.: Leserbrief. The Info Journal 42, Mai 1987, S. 2–3




Der Tantanoola Tiger 1 – Stationen eines kryptozoologischen Erzählmotivs

Am unteren Rand von South Australia, in einem kleinen Ort namens Tantanoola, befindet sich ein Hotel, das seinen Namen einer kryptozoologischen Legende verdankt: das Tantanoola Tiger Hotel zeugt von Begebenheiten, die das Dorf (und ganz Australien) lange Zeit in Atem hielten. Alles begann mit verschwundenen Schafen und Sichtungen eines “seltsamen Tieres”  in einer damals sehr wilden Gegend. Der Zufall markiert die Geburt einer Legende. Doch damit nicht genug. Aus der Hysterie entwickelte sich ein wandelbares Erzählmotiv, das in sämtlichen kryptozoologischen Figuren Station machte. Der Tantanoola Tiger ist in der heutigen Folklore weit mehr als eine wilde Katze. Hier ist seine Geschichte.

 

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Tantanoola liegt ziemlich abgelegen

1. Station: Australisches Alien Big Cat

Mysteriöser Eindringling

November 1891 – 30 km westlich von Mount Gambier. Zwei Aborigines, tätig als Schafscherer auf dem Grund des Viehzüchters John Cameron, sehen ein mysteriöses Tier, das sie nicht der heimischen Fauna zuordnen. Die Hunde sind verschreckt und auch die menschlichen Beobachter rennen geschockt zum Gutsherren, der dem Ereignis zuerst wenig Beachtung schenkt.

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Lage von Tantanoola im Südosten Südaustraliens

 

Doch der mysteriöse Eindringling macht die Farm noch einmal unsicher. Und dieses Mal hinterlässt er Spuren. Sie gleichen denen eines Hundes, sind mit ihren 10 Zentimetern jedoch weit größer.

 

Im Dezember 1892 – In einem Dorf nahe von Tantanoola, befindet sich das Ehepaar Taylor gerade auf dem Heimweg. Da überquert vor ihnen ein seltsames Tier die Straße. Es ist braun, hat schwarze Streifen und einen langen Schwanz. Die Gesamtlänge soll ganze 1,5 Meter betragen haben. “Es war kein Dingo”, so schwören die beiden Zeugen im Nachhinein.

Ein Schaf-Räuber aus dem Zirkus?

Schon bald melden Viehzüchter den Verlust von Schafen – sie fanden ihre blutigen Häute, blitzsaubere Knochen… (News.com.au)

Ein Teil eines Hirschskelettes liegt auf einem Weg
Sind saubere Knochen ein Zeichen für eine Großkatze oder für zahlreiche kleine bis sehr kleine Aasfresser? Foto: Cornwall Live

Dann bringt die Melbourne Press den Stein ins Rollen. Die Zeitung verknüpft die Ereignisse mit einem Tiger, der Jahre zuvor einem Zirkus entlaufen sein soll. Auch wenn eine Lokalzeitung, der “Star” diese sensationalistische Erklärung stark anzweifelt – der Mythos ist geboren. Es hilft auch nicht, wenn dieselbe Lokalzeitung darauf verweist, dass schon die Jahre davor Schafe verschwunden sind und das Verschwinden auf rein menschliche Ursachen zurückging (Portland Guardian) – der Geist ist aus der Flasche. Und ganz Australien spricht jetzt vom “Tantanoola Tiger”. (News.com.au)

 

Das Dorf lebt in der Angst. Kinder dürfen nachts nicht mehr raus, verschiedenste Zeugen “hoher Reputation” glauben, das Tier nun selbst gesehen zu haben, größer als ein Hund, mit Streifen (Portland Guardian).

Die erste Tigerjagd

Mittlerweile schreiben wir den Mai 1893. Gutsverwalter John Livingston glaubt das Land unter seiner Verantwortung als das bevorzugte Terrain des Tigers. Er sammelt ein Dutzend Männer, um die Gegend des German Creek zu durchkämmen. Sie schlagen sich durch Dickicht, positionieren sich mit Gewehren an strategischen Punkten, treiben mit ihren Rufen den Bush vor sich her… da nimmt einer der Hunde die Fährte von etwas auf und rennt ins Gebüsch. Nur wenig später springt er verängstigt wieder raus. Etwas Dunkles bewegt sich hinter den Zweigen. Die Jäger wagen sich ins Geäst… und finden einen schwarzen Schwan auf seinem Nest (News.com.au).

 

SChwarzer Schwan
Auch Schwarze Schwäne können ganz schön bissig werden, aber nisten sie im Busch?

 

2. Station: Ein “Monsterschwein”

Oktober 1893 – Ein Mann namens Kenny Mathison präsentiert eine grausige Auflösung des Rätsels: “Es hat eines meiner Pferde komplett gehäutet, vom Brustkorb bis zum Knie. Es versteckt sich tagsüber im Gestrüpp und jagt in der Nacht.” Ein wildes Schwein sollte der Übeltäter sein. Schließlich gelang es ihm, die richtige Giftmischung für das “Monster” zusammenzurühren. Er streute sie über ein totes Schaf – und da lag es am nächsten Morgen: 2,7 Meter soll es von der Schnauze bis zum Schwanz gemessen haben, mit Hauern von 9 Inch Länge. Die Hauer und seinen “Jagdbericht” schickte er der Zeitung Express & Telegraph. “Ich bin sehr zufrieden, dass ich mit dem Schwein den Tiger getötet habe, der so viel Schaden bei meinen Schafen und schwachem Vieh im Distrikt von Tantanoola angerichtet hat” (News.com.au)

 

Wildschwein
Wildschwein-Keiler im Gehege

 

3. Station: Eine canide “Bestie”

Die zweite Jagd

Doch  der Tiger ist mit dem Schwein nicht tot. Die Sichtungen von des Tantanoola Tiger gehen weiter. John Livingston´s Neffe Donald Smith sieht sie im August 1894 auf einem Ritt bei German Creek mit einem Schaf im Maul. Auch wenn er noch nie zuvor einen Tiger gesehen hat: Er ist sich nachher sicher, dass er diesem Tier in diesem Moment in die Augen schaute. Sein Onkel Livingston schickt ihn zur Polizei. Und der Inspector glaubt dem Zeugen. Zwei berittene Agenten machen sich nun mit einem “black tracker”, d.i. ein eingeborener Spezialist in der Spurensuche, auf in den Bush, um die “Bestie” endlich dingfest zu machen.

Die zweite Suche bringt nun auch tatsächlich bessere Ergebnisse. Auf dem Boden finden sich nämlich Krallenspuren und Zeichen eines Kampfes. Als die Männer den Spuren folgen, finden sie blutige Wolle an den Farnen. Offenbar hatte die “Bestie” die Tiere davon geschleift. Dann stoßen sie auch noch auf einen Pfotenabdruck mit 13 Zentimetern Durchmesser. (News.com.au)

 

Wolfsspur
Fußspur eines (europäischen) Wolfes (Peter Ehret)

 

Sichtungen und Hilfe aus dem Ausland

1895 gibt es jeden Monat eine Sichtung vom “Tiger”. Im Nachbarstaat Victoria hören die Bewohner der Stadt Coleraine ein lautes “Brüllen” und als Minenarbeiter in Bendigo von einem “stählernen Schnüffeln” geweckt werden, ist man sich sicher, dass der Tiger von Tantanoola den Bundesstaat gewechselt hat. Auch rücken “Buschmänner” aus, um den Tiger zu finden. Und auch dort greift die Hysterie greift um sich. Ein “achtbarer” Mann sieht die Silhouette eines gestreiften Tigers, genau dann, als seine Frau wiederholt davon träumt, dass er von der Bestie gebissen wird (Portland Guardian).

 

Die menschlichen Jäger schalten ein paar Gänge höher. Zwei Männer aus Afghanistan mit Erfahrung in Tigerjagden werden in den Bush geschickt (man halte hier kurz inne und denke an die zwei Finnen bei der Jagd auf den Bär “Bruno” im Jahre 2006 in Deutschland), ausgestattet mit Pferden, die Polizei stellt die Waffen (Portland Guardian).

Jagd am Mount Saint

Ein anderer sehr erfahrener Schütze namens Thomas Donovan macht sich ebenfalls auf die Suche nach der “Bestie”. Als “Einsatzgebiet” wählen sie die Gegend um den Mount Saint, weil von hier eine glaubwürdige Sichtung auf einem Landgut stammt. Und überhaupt kam die Mehrheit der jüngsten Sichtungen von dort. (News.com.au)

Am 21. August 1895, noch vor Dämmerung, kommen sie mit ihren Pferden am Zielort an. Da bemerken sie 300 Meter entfernt eine nervöse Schafherde, die von einem großen Tier aufgewühlt wird. Die Jäger können es aus der Entfernung nicht klar erkennen – aber wie ein Tiger sieht es nicht aus, eher wie ein großer Hund. Doch ohne Zweifel attackierte es die Schafe. (News.com.au)

Donovan’s Gelegenheit

Die Männer reiten bis auf 90 Meter an das Geschehen heran. Sie können beobachten, wie die “Bestie” gerade ein Schaf zu Fall bringt und sich anschließend auf seine Hinterbeine setzt. Die Gelegenheit. Donovan legt an – und feuert auf das Tier.

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Es ist hart getroffen. Doch es hat noch Kraft zur Flucht. Die Männer hinterher. Nach 180 Metern liegt die Kreatur am Boden. Keine Chance. Die Kugel hat Schulterblatt- und Herz durchdrungen und ist zur anderen Seite wieder hinaus. Aber das sterbende Tier, das die Männer vor sich haben, ist kein Tiger. Es sieht aus wie ein Hund. Aber es gleicht keinem Hund, den sie zuvor gesehen haben (News.com.au)

“Zu groß für ein Dingo”

Donovan bringt den Kadaver zu einem Tierpräparator. Dutzende Personen umschwärmen dessen Laden. Das Tier misst 1,5 m von der Schnauze bis zur Schwanzspitze. Von Ohrspitze zu Ohrspitze 33 Zentimeter. 2,5 Zentimeter lang sind seine Zähne. Das Fell ist dunkelbraun am Rücken und Schwanz und gräulich am Kopf, den Seiten und Flanken. Die kräftigen Beine sind von einer gelblichen Farbe. Die Pfoten sind 11 Zentimeter dick und passen ziemlich gut zu der Größe der Abdrücken von der Ranch aus dem Jahre 1893. Es wird spekuliert: „Zu groß für ein Dingo“ … „Eine Kreuzung zwischen Dingo- und großem Hund?“ Doch langsam dämmert es dem Präparator und einigen Begleitern, dass es weder das Eine noch das Andere ist. (News.com.au)

 

Dingo
Wildlebender Dingo

 

Ungewöhnliche Trophäe

Ein gewisser Herr Minchin vom Zoo in Adelaide bestätigt die Vermutung: es ist ein Wolf. Um genauer zu sein, ein Arabischer Wolf  (der Portland Guardian spricht von einem “Assyrian Wolf”). Dieser Typ wurde tatsächlich in Victoria gezüchtet und so wäre im Prinzip nichts Ungewöhnliches daran, dass einer von ihnen in der nahen Umgebung im Bush auftaucht. (Portland Guardian).

Foto der Trophäe des Tantalooga Tiger
Historisches Foto des Tantanoola-Tiger, bzw. des ausgestopften Wolfes

Die “Bestie” überzeugt natürlich nicht alle beteiligten Personen – und Zeugen. Wieder andere Zeugen (darunter Livingston´s Neffe) hingegen schon. Doch wie ist es in den Bush gelangt? Ein Überlebender eines Schiffbruchs? Oder ein Ausreisser vom Zoo in Victoria? Dort hat man ja tatsächlich dereinst Kreuzungen mit Arabischen Wölfen gehalten. (News.com.au)

 

Donovan stellte seine Trophäe jedenfalls noch Jahre hinterher in seiner Heimatstadt Nelson aus, nachdem er für ihre Besichtigung in Tantanoola schon von 400 Schaulustigen einen Shilling abkassiert hat. Dorthin gelangt das ausgestopfte Tier schließlich auch wieder zurück – und dort steht es noch heute. Um genau zu sein: Im Tantanoola Tiger Hotel. In einer Glasvitrine.

 

Tantalooga Tiger Hotel
Das Tantanoola Tiger Hotel, historisches Foto


Der zweite und letzte Teil dieses Beitrages wird voraussichtlich am Dienstag, 8. Dezember erscheinen.




Skizzen nach Augenzeugenberichten

Der Mensch ist ein Augentier und ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Sagt man. Deshalb sollen hier vor allem Bilder für sich sprechen – Bilder, die Augenzeugen einer ungewöhnlichen und überraschenden Beobachtung gemacht haben oder Bilder, die Forscher nach Angaben solcher Augenzeugen gemalt oder skizziert haben. Wie viel erfahren wir über die „Wirklichkeit“ durch solche Zeichnungen?

 

Wenn jemand zum Beispiel das Loch-Ness-Monster gesehen hat, erhalten wir oft eine Zeugenskizze oder eine Zeichnung, die nach Angaben des Augenzeugen angefertigt wurde. Je populärer (und damit bedeutender für die Interpretation des Phänomens) eine Sichtung ist, desto mehr Skizzen liegen vor.

Befragung von Augenzeugen und was sie skizzieren

Constance Whyte, Tim Dinsdale und Ted Holiday gelten auf dem Gebiet der Nessie-Forschung als verlässliche Autoritäten. Sie haben jeweils die wichtigsten Augenzeugen befragt und sich von ihnen das Gesichtete skizzieren lassen. Doch diese Skizzen fallen bei derselben Beobachtung häufig sehr, sehr unterschiedlich aus, auch wenn sie dieselbe ursprüngliche Zeichnung wiedergeben. Es scheint so, als veränderten sich bei Befragungen angefertigte Skizzen allmählich.

 

George Spicer und seine Frau waren 1933 die ersten, die Nessie an Land sahen, als es eine Nebenstraße überquerte. In einem Leserbrief an die Lokalzeitung „Inverness Courier“ schilderte Spicer, es sei sechs bis acht Fuß lang [1,80 bis 2,40 m] gewesen und habe ein Lamm im Maul mit sich geschleppt. Die Spicers änderten ihre Geschichte nach diesem ersten Bericht. Bei der Forscherin Constance Whyte beschwerte sich George Spicer im Jahr 1957, dass sich die Leute über ihn lustig gemacht hätten: „Es wurde berichtet, dass das Monster ‚mit einem Lamm im Maul‘ gesehen worden war; diese und andere verzerrte oder unvollständige Berichte waren zu dieser Zeit üblich und wurden, sehr zum Ärger von Herrn und Frau Spicer, danach häufig wiederholt.“

Skizze der Spicers
Die erste Skizze nach den Angaben der Spicers

Whyte gegenüber sagten sie nun: „Das muss wohl das Ende des Schwanzes gewesen sein.“ Die Größe des Wesens gaben sie in einem Interview mit Tim Dinsdale im Jahr 1960 mit 7,5 m (25 Fuß) an, Nick Witchell erzählten sie Mitte der 1970er Jahre, es seien 9 m (30 Fuß) gewesen. (Magin 2011, S. 210–211) Geschichten wachsen, Augenzeugenberichte passen sich den geäußerten Kritikpunkten an. Aber eben auch Zeugenskizzen.

Das Ungeheuer des Ehepaars Spicer

Das Ungeheuer des Ehepaars Spicer nach Rupert Gould 1934, Constance Whyte 1957 und Tim Dinsdale 1976. Alle konsultierten die Augenzeugen, unter deren Ägide die Illustrationen angefertigt wurden. Das Spicer-Monster ist durchaus variabel.

Spicer
Das Monster der Spicers zeigt sich variabel.

Das Monster des Arthur Grant

Der Nächste, der das Ungeheuer an Land sah, war 1934 der Student Arthur Grant. Seine eigene Skizze ist eher tastend, die veröffentlichten Versionen allerdings verfestigen diese Eindrücke und verändern sie zuweilen. Bei Dinsdale werden sogar eindeutige Zehen zu glatten Flossen.

 

 

Arthur Grants erste Skizze
Arthur Grants erste Skizze

Rupert Goulds Version 1934 (S. 163)
Rupert Goulds Version 1934 (S. 163)

Constance Whyte 1957
Constance Whyte, 1957

Tim Dinsdale 1961 (S. 45)
Tim Dinsdale, 1961 (S. 45)

Tim Dinsdale 1976 (S. 35).
Tim Dinsdale,1976 (S. 35).

 

Nessie bei den Finlays

Greta Finlay und ihr Sohn sahen das Ungeheuer am 20. August 1952 aus nächster Nähe. Auch hier sind, selbst bei genereller Ähnlichkeit, leicht gröbere Abweichungen zu bemerken – lag der Körper unter Wasser oder bildete er zwei oder sogar drei Höcker?

Auch passt das Bild nicht mit dem Zeugenbericht zusammen: Die Finlays meinten, „die sichtbare Gesamtlänge belief sich auf etwa 4,50 m. Den Hals hielt es senkrecht, und da, wo er ins Wasser kam, traf er auf einen massigen Körper. Hals und Kopf waren zusammen 60 bis 75 cm lang.“ Nimmt man aber die Gesamtlänge am Wasserspiegel mit 4,50 m an, dann wären Hals und Kopf 1,80 bis 2,10 m lang. Oder – maß der Hals 60 cm, dann betrug die Gesamtlänge der beiden Höcker nur 90 cm. Die Skizzen weichen nicht nur voneinander ab, sondern zudem vom mündlichen Bericht.

 

Greta Finlays Ungeheuer nach Constance Whyte 1957
Greta Finlays Ungeheuer nach Constance Whyte, 1957

Greta Finlays Ungeheuer nach Tim Dinsdale, 1961 (S. 123)
Greta Finlays Ungeheuer nach Tim Dinsdale, 1961 (S. 123)

Greta Finlays Ungeheuer nach Tim Dinsdale, 1976 (S. 95)
Greta Finlays Ungeheuer nach Tim Dinsdale, 1976 (S. 95)

 

Die Abbildung von Elizabeth Montgomery Campbell

In einem Buch über Nessies Cousine Morag im Loch Morar bildete Elizabeth Montgomery Campbell die 33 von ihr gesammelten Sichtungen des Monsters ab – und erschafft durch diese starke Vereinfachung ein Bild des Tieres, das einheitlich wirkt, aber gar nicht einheitlich ist, wenn man die einzelnen Berichte liest, die hier als identisch skizziert sind!

Monster von Mrs Campell
Die Silhouetten,des Loch Morar-Monsters, die Elizabeth Montgomery Campbell gesammelt hat. 

Das Foto von Hugh Grey

Das erste Foto des Monsters gelang im November 1933 angeblich Hugh Grey aus dem Seedorf Foyers (Abb. 16). Die Umzeichnung dieses Fotos zeigt, wie sehr seine Darstellung den Überzeugungen der jeweiligen Autoren angepasst wurde. Die zweite Abbildung unten stammt von dem skeptischen Maurice Burton (S. 79), die dritte von F. W. Holiday (S. 32), der das Ungeheuer für einen riesigen Wurm hielt.

Grey Picture
Das Originalbild von Hugh Grey

 

Die Umzeichnung vom skeptischen Maurice Burton (S. 79)

 

Diese Umzeichnung stammt von F. W. Holiday (S. 32), der das Ungeheuer für einen riesigen Wurm hielt

Überhaupt ist es nicht einfach, ein fremdes Erlebnis in eine Skizze zu fassen. Der Monsterforscher Maurice Burton (S. 141) legte zwei professionellen Tierzeichnern und zwei Zoologen denselben schriftlichen Augenzeugenbericht vor, damit sie ihn illustrieren konnten (Sichtung von P. Grant, 12. August 1934). Das Ergebnis mahnt zumindest zur Vorsicht, wenn ein Monster- oder UFO-Forscher ein Bild nur nach Augenzeugenberichten zeichnet, ohne den Beobachtern selbst das Bild vorzulegen.

 

 

Erkenntnis im Urlaub: Mildred Nye

Auch die Erinnerung kann die Genauigkeit von Skizzen beeinträchtigen. Anfang der 1960er Jahre machte Mildred Nye Urlaub im ostenglischen Orford, als sie einen Lastwagen bemerkte, auf dem ein frisch gestrandetes Seeungeheuer lag. Es war fünf Meter lang und hatte die Form einer riesigen Kaulquappe. Jahre später schrieb sie dem Kryptozoologen Tim Dinsdale und lieferte gleich eine Skizze mit, die ein groteskes, sicherlich unidentifizierbares Lebewesen zeigt. Dinsdale forschte aber nach und erfuhr, dass genau zu der Zeit ein ganz gewöhnlicher, 3,30 Meter langer Blauhai gestrandet und per Lastwagen in ein Forschungsinstitut verfrachtet worden war. Die Skizze der Zeugin stützte ihre Erinnerung, aber ihre Erinnerung war ganz und gar falsch – sowohl was Größe als auch Form des Ungeheuers anging. Natürlich war die Zeugin keine Lügnerin, der Fall belegt nur erneut, wie vorsichtig man mit erinnerten Zeugenberichten umzugehen hat. (Dinsdale 1976b, S. 151–155)

 

 

Das sind sehr grundlegende Fakten – Skizzen verändern sich, wenn sie übernommen werden, Augenzeugen erinnern sich neu und anders, wenn sie nach Jahren wieder befragt werden, Verlass ist auch auf verlässliche Autoren nicht, weil Fehler eben vorkommen. Es ist gut, wenn ein Augenzeuge oder ein Forscher unter dessen Aufsicht eine Skizze zeichnet, weil der unmittelbare optische Eindruck häufig selbsterklärender ist als ein langer und umständlicher Bericht mit Worten.

Und doch gilt dieselbe Vorsicht wie bei Zeugenerzählungen.


Literatur

Burton, Maurice: The Elusive Monster. London: Hart-Davies 1961

Dinsdale, Tim: Loch Ness Monster. London: Routledge & Kegan Paul 1961, 1976a

Dinsdale, Tim: The Leviathans. London: Futura 1976b

Holiday, F. W.: The Great Orm. London: Faber & Faber 1968

Magin, Ulrich: Investigating the Impossible. Anomalist 2011

Montgomery Campbell, Elizabeth: The Search for Morag. London: Tom Stacey 1972

Whyte, Constance: More Than a Legend. London: Hamish Hamilton 1957