Die Maränen / Renken / Felchen / Schnäpel /Coregonen
Diese Tiere sind heute hauptsächlich als Bewohner von Seen bekannt, vor allem in den Alpenseen und der eiszeitlichen Seenlandschaft in Norddeutschland und Polen. Die größeren Arten sind oder waren wertvolle Speisefische, die unter diversen Namen vermarktet werden bzw. wurden.
Das Bemerkenswerte bei den Coregonen ist unter anderem, dass sich die Gruppe aktuell in einem sehr schnellen Artbildungsprozess befindet. Viele der von ihnen besiedelten Seen sind erst in der Eiszeit entstanden und wurden mit deren Ende von einer oder mehreren ursprünglichen Arten besiedelt. In den letzten knapp 12.000 Jahren sind aus diesen Pionierarten eine ganze Reihe von genetisch extrem ähnlichen, aber oft ökologisch und morphologisch unterschiedlichen Arten entstanden.
Systematisch bilden sie die Gattung Coregonus, die zu Familie der Lachsfische gezählt wird. Mit diesen teilen sie unter anderem die Fettflosse.
Der Nordseeschnäpel
Der Nordseeschnäpel Coregonus oxyrinchus, auch kleine Schweb-Renke genannt, war bzw. ist ein mittelgroßer Fisch aus der Gruppe der Coregonen. Trotz seines Namens ist er eine relativ große Maränenart mit langgestrecktem, schlanken und seitlich abgeflachtem Körper. Der Kopf ist maränentypisch spitz und nasenartig verlängert, so dass das Maul unterständig erscheint. Er lebt(e) in den Mündungsgebieten und Unterläufen der Flüsse Rhein, Maas und Schelde, meist im Brackwasser. Seewasser schien er gemieden zu haben, dennoch gibt es drei Funde aus dem Süden Englands. Zum Laichen stiegen die Schnäpel die Flüsse hinauf. Im 19. Jahrhundert sollen die Tiere in großer Zahl bis Wesel, teilweise bis Strasburg aufgestiegen sein. Anders als Lachse laichten Schnäpel vermutlich mehrmals im Leben.
Da die Maränen-Arten der Gattung Coregonus vermutlich erst nach dem Ende der Weichsel-Kaltzeit, vor 11.700 Jahren (vor heute) entstanden, sind sie morphologisch und genetisch kaum zu unterscheiden. Ein wichtiges Merkmal sind die Zahl und Form der Reusendornen auf den Kiemenbögen, die jedoch wiederum von der Ernährung der Art abhängen. Frühere Ichthyologen unterschieden daher nur wesentlich weniger Arten, als man heute kennt. Dies führte zu Verwechslungen und in Folge dessen zu Besatzmaßnahmen mit teils katastrophalen Folgen.
Waren Schnäpel wie viele große Coregonen wichtige Speisefische. 1917 fing man im Rhein 5000 kg, 1921 waren es nur noch 1000, 1939 nur noch 3 kg. Seit 1940 gibt es keinen Nachweis der bekannten Vorkommen mehr. Kein Wunder, wurden doch die Flüsse stark verschmutzt und die Mündungsbereiche vollständig in den Häfen Rotterdams und Amsterdams aufgegangen.
Doch nicht ausgestorben?
Nun kommt die Meldung aus der Wissenschaft, dass der Nordseeschnäpel gar nicht ausgestorben ist, sondern sich bester Gesundheit erfreut. Wissenschaftler, genauer Rob Kroes von der Uni in Amsterdam begründen dies nicht damit, dass sie auf einmal einige Schwebrenken im ursprünglichen Lebensraum gefangen haben. Dem Ganzen liegt eher eine taxonomische Spitzfindigkeit zugrunde. Kroes und Kollegen stellten fest, dass die Nordseeschnäpel mit dem Lavaret Coregonus lavaretus artgleich sei. Der Lavaret unterscheidet sich durch das Körperprofil, eine andere Kopfform und Lebensweise deutlich vom Nordseeschnäpel – und er ist in zwei französischen Alpenseen, dem im Lac du Bourget und im Lac d’Aiguebelette endemisch. Im Genfersee ist die Art verschwunden.
Wie kommt so ein Ergebnis zustande?
Die Arbeit von Kroes et al. ist lesenswert und beachtenswert, zumal sich die Wissenschaftler die Mühe gemacht haben, nicht nur mit rezenten Coregonen zu arbeiten, sondern auch das Erbgut alter Museumsexemplare zu untersuchen. Hierbei stellte sich heraus, dass historische C. oxyrinchus und rezente C. lavaretus eine gemeinsame Kladde mit geringer genetischer Diversität bilden. Nur aufgrund dieser Feststellung werden beide Arten synonymisiert und zu einer zusammengefasst.
Kritik an der Arbeit
Ich bin nicht der Meinung, dass es richtig ist, aufgrund genetischer Unterschiede bzw. deren Fehlen die beiden Arten synonymisieren.
Die Coregonen sind, wie oben kurz begründet, ein Alptraum für Taxonomen. Es gibt sie nahezu überall in Mitteleuropa, vor allem in den Alpenseen und den Resten der eiszeitlichen Gletscherseen in Norddeutschland, Dänemark, Polen und sicher auch noch weiter nach Osten. In allen Seen und vielen Flüssen hatten sich eigene Populationen gebildet, die nicht im Austausch mit ihren Nachbarn standen. Insbesondere große Seen haben beherbergen mehrere Arten. Durch ihr geringes Alter unterscheiden sie sich genetisch kaum.
Da viele ähnliche Seen ähnliche Lebensbedingungen bieten, bilden sich ähnliche Ökotypen heraus (Planktonpicker, Planktonfiltierer, bodenlebende Benthosfresser, Tiefseeformen, anandrome Wanderer usw.), die sich wiederum im Detail unterscheiden (bevorzugte Tiefe der Laichgründe, Laichzeit, Aggressionsverhalten usw.). Dies muss nicht unbedingt mit einer (heute?) am toten Tier feststellbaren genetischen Differenz einhergehen.
Es ist möglich, dass eine Form bestimmte Gene einschaltet, andere nicht, während andere Formen es genau anders machen. Dies führt dazu, dass sich genetisch ähnliche Fische morphologisch und ökologisch stark unterscheiden und geographisch getrennt sein. Während sich morphologisch und ökologisch ähnliche Arten aus nahe beieinander liegenden Seen genetisch relativ stark unterscheiden können. Oft streuen die Genotypen innerhalb einer Population so stark und zwischen den Populationen so schwach, dass anhand des Genotyps nicht sicher gesagt werden kann, wohin ein Fisch gehört – wäre die Populationen nicht durch zwei Wasserscheiden getrennt.
Meine Meinung:
Hier wedelt der Schwanz mit dem Hund bzw. in diesem Fall mit dem Fisch. Die Genetik ist eine stabile Quelle für die Taxonometrie, um zwei Arten zu unterscheiden. Aber sie hilft vor allem, ähnlich aussehende Tiere direkt zu vergleichen, sie kann (muss aber nicht!) feststellen, ob Genfluss zwischen zwei Populationen vorkommt.
In diesem Fall heißt das: Zwei Populationen unterscheiden sich im Körperbau, Bau des Kopfes und ökologisch sehr stark. Eine Population besiedelt Seen des Rhone-Gebietes, die andere Brackwasser in Strommündungen in den Niederlanden. Auch wenn sie in einzelnen Bereichen des Genoms (noch) ähnlich sind, sie als gleiche Art zu bezeichnen, macht keinen Sinn.
Nach meiner Einschätzung sind Lavaret und Nordseeschnäpel trotz hoher genetischer Ähnlichkeit zwei getrennte Arten, leider ist eine davon wahrscheinlich ausgestorben.
Quellen
R. Kroes et al, Phylogenetic analysis of museum specimens of houting Coregonus oxyrinchus shows the need for a revision of its extinct status, BMC Ecology and Evolution (2023). DOI: 10.1186/s12862-023-02161-7
Pressemeldung der Uni Amsterdam: https://phys.org/news/2023-10-extinct-fish-alive-dna-analyses.html