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Am 16. Juni 2023 war der 10. Todestag des Meeresforschers Hans Hass.

 

Seit meiner Jugend liebe ich Hans Hass. Sein nüchternes Buch über Haie fesselte mich, seine Abenteuer in der Karibik und im Roten Meer sorgten für kurzweilige Lesestunden. Und am besten war – in regelmäßigen Abständen stieß ich auf kryptozoologische Passagen.

Hans Hass
Hans Hass, Foto: Michael Jung

Leider habe ich keinen Zugang mehr zu den Leihbüchereien meiner Kindheit. Und so sammelte ich im Laufe der Zeit alles, was ich von Hans Hass in die Hände bekam. Das war nicht einfach: Jedes Buch von ihm mehrmals aufgelegt, oft umgeschrieben, die Inhalte neu gemischt, die Titel verändert (und neue Inhalte unter einem bereits verwendeten Titel veröffentlicht).

Aber nach und nach stieß ich auf das, was ich gesucht hatte: die vier Seeungeheuer des Hans Hass. Hass war sein Leben lang ein Verfechter der Existenz der Seeschlange (sein Buch „Welt unter Wasser“ hat ein ganzes Kapitel dazu), und er selbst streifte vier Mal Kryptiden des Meeres.

 

1) Die Seeschlangen-Sichtung

1939 reiste Hans hass mit zwei Freunden nach Curacao und Bonaire auf die niederländischen Antillen, um dort in damals noch unberührten Gewässern zu tauchen. Am 110. Tag der Expedition, vermutlich 1940. machte Hass eine ungewöhnliche Beobachtung: Er erblickte im tiefen Meer „eine merkwürdige dreispitzige Rückenflosse, die fast bewegungslos über den Wellen stand“. Das verblüffte ihn, denn er hatte noch nie zuvor von einem Meerestier mit einer solchen Rückenflosse gehört. Und die wildesten Vermutungen schossen ihm durch den Kopf – war es der „gezackte Rückenkamm einer riesigen Echse – die Seeschlange vielleicht?“

Hass schwamm unter Wasser zu der Erscheinung hin. Bis sich die Seeschlange als etwas ganz anderes entpuppte:

 

„Ich starrte voraus – dort schwamm ja nicht nur ein dreispitziges Tier, sondern außerdem noch zwei weitere, die völlig unter Wasser waren! Und jedes von ihnen hatte außer der dreispitzige Rückenflosse auch eine dreispitzige Flosse am Schwanz!“

 

Es waren, das fand er heraus, Gruppen von je drei Tieren, die dichtaneinandergedrängt ruhten. Drei Delfine also statt einer Riesenmeeresechse. (Hans Hass: 3 Jäger auf dem Meeresgrund. Bertelsmann Lesering 1958, S. 251, eine ausführliche Variante der Geschichte findet sich in: Hans Hass: Unter Korallen und Haien. Bertelsmann 1977, S. 181)

Immer wieder wurden – so zum Beispiel von der „Osborne“ oder der „Poona“ – Seeschlangen gemeldet, die eine lange Reihe von dreieckigen Rückenflossen hinter sich herschleppten – waren das eventuell auch nur schlafende Delfine? Bernard Heuvelmans machte daraus seine „Many-Finned-Seeschlange“, die Seeschlange mit den vielen Flossen, einen Wal mit Schildkrötenpanzer und Flossensaum.

 

historischer Kupferstich einer Seeschlange, die ein Segelschiff angreift und einen Seemann im Maul trägt
Olaus Magnus‘ Seeschlange von 1555

 

2) Der Seeschlangen-Kadaver

Am 28. Juli 1939 befand sich Hass am Lac an der Ostküste Bonaires. Er sah eine tote Seeschlange mit eigenen Augen – aber um was es sich bei dem Kadaver handelte, geht aus seiner kurzen Beschreibung leider nicht hervor.

 

Mondfisch
Mondfische werden gelegentlich aufgrund ihrer Form als schwimmende Köpfe bezeichnet. Ist das die Lösung für den ungewöhnlichen, stinkenden Kopf?

 

Der Tierarzt Dr. Diemont hatte den jungen Tauchern von dem gewaltigen Kopf eines „unbekannten Meerestieres“ berichtet, der in der Nähe eines Fischerdorfs angespült worden war.

 

„Nach den Beschreibungen Dr. Diemonts waren wir uns darüber einig, daß es sich hier nur um den Kopf der sagenhaften Seeschlange handeln konnte, nicht einig waren wir dagegen in der frage, wem dieser Kopf gehören sollte. Ich plädierte für das Naturhistorische Museum, demgegenüber wir uns sowieso hinsichtlich der versprochenen Sammlungen noch sehr im Rückstand befanden, Jörg und Alfred wollten den Kopf mindestens teilweise für sich haben.“

 

Als sie zu dem nahen Fischerdorf kamen, bemerkten sie schnell den „mörderischen Gestank“ des Kadavers.

 

„Dr. Diemont hatte nicht übertrieben: der Kopf war in der Tat sehr groß und sehr merkwürdig. Wenn wir nicht genau gewußt hätten, daß es sich hier um den Kopf der Seeschlange handeln konnte, hätten wir ihn vielleicht als den einer ungewöhnlich großen Seekuh angesprochen. Wir bissen die Zähne zusammen und machten uns daran, das faulende Fleisch von den Knochen zu entfernen. Als wir aber mit großer Mühe endlich an einer Stelle ein Loch durch die steinharte Elefantenhaut gebohrt hatten, strömte daraus eine so furchtbare Pestillenz, daß wir uns fluchtartig wieder zurückzogen. Mochte die Seeschlange auch weiterhin unentdeckt bleiben, wir wollten mit diesem Kopf nichts mehr zu tun haben.“

 

Und dabei blieb es – es existieren nicht einmal Fotos des Rätselkadavers.

(Hans Hass: 3 Jäger auf dem Meeresgrund. Bertelsmann Lesering 1958, S. 193; wortidentisch in: Hans Hass: Jäger auf dem Meeresgrund. Südwest-Verlag o.J., S. 171f.)

 

3) Die körperlose Seeschlange

Kalmar-Laichballen
Eier des Kalmars Thysanoteuthis rhombus, Foto: Escanez A, Riera R, González A, Sierra A, CC-BY-3.0

 

Wir befinden uns immer noch auf Curacao, um 1939.

 

„Am Tag nach unserem Langustenschmaus folgten wir der Küste in östlicher Richtung und schwammen bis zum Leuchtturm am Kap der Caracasbay, wo Alfred [von Wurzian?] einen großen gallertigen Körper entdeckte, der knapp unter der Wasseroberfläche trieb. Er war gut eineinhalb Meter lang und fünfzig Zentimeter dick und hatte die Form einer gedrallten Röhre. Das Gebilde war so durchsichtig, daß man es nur im Gegenlicht sehen konnte. Von Organen irgendwelcher Art war nicht die Spur.“

 

(Hans Hass: 3 Jäger auf dem Meeresgrund. Bertelsmann Lesering 1958, S. 165, mit Foto)

Das Foto, das Hass aufnehmen konnte, zeigt, dass es sich bei dem Gebilde möglicherweise um eine Kolonie von Salpen gehandelt hat. Am wahrscheinlichsten aber ist, dass Hans Hass auf das Gelege eines Kalmars stieß. Fotos solcher Kalmargelege sind praktisch identisch mit dem Foto, das Hans Hass schoss.

 

4) Die Seejungfrau

Auch eine moderne Odysseus-Geschichte hält Hass für uns bereit. Wir befinden uns in Bonaire. Der mit den drei Tauchern bekannte Einheimische Leonardo erzählte ihnen von dem „Mamparia Kutu“, einem großen schwarzen Felsen, der dort am Ufer unvermittelt aufragt.

 

„Hier, so erzählen die Fischer, sitzt in manchen mondhellen Nächten eine wunderschöne Nixe, die seit vielen Jahrzehnten die Fischer bezaubert. Der wunderbare Gesang und die Schönheit dieses Meerweibes, so behauptet Leonardo, hätten schon viele Fischer ins Meer gelockt, die dann nie mehr gesehen worden seien. Erst vor zwei Monaten [Juni oder Juli 1939] habe ein Mann sie wieder auf dem Mamparia Kutu sitzen sehen, doch er sei so schnell wie möglich weitergesegelt und habe sich aus Angst Augen und Ohren zugehalten.. Am nächsten Morgen kehrte er mit anderen Fischern an diese Stelle zurück, und sie haben zwar nicht die Nixe, aber zwischen Stein und Wasser im Sand schlangenartige Spuren entdeckt.“

 

(Hass, Hans: Unter Korallen und Haien. Ullstein; Berlin 1950, S. 150, ebenfalls in: Hans Hass: Unter Korallen und Haien. Bertelsmann 1977, S. 119)

 

Der Seejungfrau-Mythos ist eindeutig aus Europa importiert – aber welches Tier, wenn überhaupt, sah der Fischer?

 

Seejungfrau
Moderne Darstellung einer Seejungfrau

Von Ulrich Magin

Ulrich Magin (geb. 1962) beschäftigt sich seit seiner Kindheit mit Kryptozoologie, insbesondere mit Ungeheuern in Seen und im Meer. Er ist Mitarbeiter mehrerer fortianischer Magazine, darunter der „Fortean Times“ und Autor verschiedener Bücher, die sich u.a. mit Kryptozoologie befassen: Magischer Mittelrhein, Geheimnisse des Saarlandes, Pfälzer Mysterien und jüngst Magische Mosel.