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Joseph Smith
Joseph Smith Jr., Begründer der mormonischen Kirchen

Anfang des 19. Jahrhunderts erlitt ein junger Mann aus dem Staate New York eine Glaubenskrise. Joseph Smith war ob der Religionsvielfalt in Amerika von tiefen Zweifeln erfasst worden, welche Konfession nun das „richtige Christentum“ darstelle. Da erschien ihm der Engel Moroni. Dieser Engel informierte ihn über in seiner Nähe vergrabene Goldplatten, in denen Berichte über die jüdischen Vorfahren der Indianer verzeichnet wären. Bei weiteren Erscheinungen gab der Engel Moroni Smith genaue Angaben über den Lageort dieses auf Goldplatten gravierten „Buches Mormon“. Smith fand die Goldplatten, übersetzte sie mit göttlicher Hilfe und diktierte den Inhalt mehreren Schreibern. 1830 veröffentlichte er die Übersetzung als „Buch Mormon“.

 

 

 

Antike Auswanderung aus Israel nach Amerika?

Nach Smiths Angaben war das Buch in „reformierten altägyptischen Schriftzeichen“ auf große Goldplatten geschrieben. Glücklicherweise hat uns Joseph Smith ein Faksimile dieser Schriftzeichen überliefert. So sind seine Aussagen hier nachprüfbar (es handelt sich um Phantasiehieroglyphen). Ansonsten erzählt das „Buch Mormon“ von verschiedenen unabhängigen Auswandererwellen aus Israel nach Amerika. Die erste fand 2280, eine andere 600 v. Chr. statt. Bereits 559 v. Chr. prophezeit der Prophet Jakob das Kommen Christi (2. Nephi 10:3); 575 werden nach einem Streit Nephis mit seinen Brüdern die Rebellen mit „dunkler Hautfarbe“ bestraft, die Indianer entstehen (2. Nephi 5). 33 n. Chr. erscheint Jesus der in Amerika bereits lange existierenden christlichen Kirche. Später werden in einem großen Kampf die Christen Amerikas von den ungläubigen dunklen Indianern im Staate New York niedergemetzelt und das „Buch Mormon“ in einer Steinkiste versteckt.

 

Israelische Ziegen

 

Gott als Technologiebringer

Enthält die Bibel zahlreiche Engels- und Gotteswunder, so ist das „Buch Mormon“ handfester und lässt Gott mittels Technologie auf der Erde eingreifen. Im „Buch Mormon“ werden zwar ebenfalls zahlreiche Wunder und Lichterscheinungen erwähnt, aber Gott gibt den ausreisewilligen Juden auch den Plan eines U-Bootes und stattet sie mit einem Kompass aus!

 

Wer das Buch unter literaturgeschichtlichen Aspekten betrachtet, dem fällt sofort die Imitation des Stils der King-James-Bibel auf. Manche Stücke entstammen ganz dem Alten Testament (und zwar in dieser Übersetzung). Sie sind ausgerechnet aus Büchern, die erst nach der im „Buch Mormon“ berichteten Auswanderung nach Amerika entstanden sind.

Historisch nicht belegbar

Kurzum: Historisch ist der Inhalt für mich mehr als zweifelhaft. Aber Millionen Menschen glauben an die Wahrheit dieses Berichts und richten ihr Leben nach seinen Lehren aus. Religion ist ein unantastbares Gut, hier soll es nur um anomale Nennungen von Tieren in dieser Schrift gehen.

 

Gemeinhin nimmt man an, dass es in Nordamerika vor der Eroberung und Besiedlung durch Europäer kein Nutzvieh gab außer dem Truthahn. Das „Buch Mormon“ aber schildert eine (archäologisch nicht nachweisbare) Welt mit Rindern, Pferden und Elefanten.

 

In 3. Nephi 3:22 kommt es – die Menschen befinden sich längst in Amerika – zu einer Massenmigration, und die Auswanderer „hatten ihre Pferde und ihre Wagen und ihre Rinder und all ihr Kleinvieh und ihre Herden und ihr Getreide und all ihre Habe genommen“. Kurze Zeit später bestätigt das Buch diese Angabe. In 3. Nephi 4:4 erfahren wir, dass die Nephiten „Pferde und Rinder und Kleinvieh jeder Art“ hatten, „so dass sie für den Zeitraum von sieben Jahren überleben konnten.“

 

Zeitgenössischer Herdbetrieb in Jordanien
Zeitgenössische Haltung von Kleinvieh im nahen Osten. Bis auf wenige Details dürfte dieser Betrieb seinen Vorgängern vor 2000 und mehr Jahren gleichen.

 

Pferde im präkolumbischen Amerika?

Nach 26 Jahren kehrten die Nephiten in ihr angestammtes Gebiet zurück „jeder Mann mit seiner Familie, seinem Kleinvieh und seinen Herden, seinen Pferden und seinen Rindern und allem, was auch immer ihm gehörte“ (3. Nephi 6:1). Und noch später wird gedroht, „dass ich deine Pferde aus deiner Mitte austilgen werde, und ich werde deine Streitwagen zerstören“ (3. Nephi 21:14).

 

Auch im Buch Alma hören wir von Pferden. „Nun hatte der König seinen Knechten noch vor dem Tränken ihrer Herden geboten, sie sollten seine Pferde und Streitwagen bereitmachen und ihn in das Land Nephi geleiten […] Als nun König Lamoni hörte, dass Ammon seine Pferde und seine Streitwagen bereitmachte, war er wegen der Treue Ammons noch mehr verwundert […] Und es begab sich: Als Ammon die Pferde und die Streitwagen für den König und seine Knechte fertiggemacht hatte, ging er zum König hinein“ (Alma 18:9–10, 12).

 

Streitwagen, hatten die frühen Mormonen so etwas?
Historische Darstellung eines Streitwagens

 

Groß- und Kleinvieh, wo keines sein sollte – Nutztiere als Kryptide?

Von Vieh, Großvieh und Kleinvieh wird an vielen weiteren Stellen des „Buchs Mormon“ berichtet, so bei Helaman 6: 12 (Vieh), Mosiah 22: 8 sowie Alma 1:29, 3:2, 4:2,17 (Großvieh). Von Schafen und Löwen berichtet 3 Nephi 20:16: „… ihr werdet unter ihnen sein wie ein Löwe unter den Tieren des Waldes und wie ein junger Löwe unter den Schafherden.“

 

Der rätselhafteste kryptozoologische Vers aber steht in Ether 9:19. „Und sie hatten auch Pferde und Esel, und es gab Elefanten und Kureloms und Kumoms; alle von ihnen waren dem Menschen nützlich, besonders aber die Elefanten und Kureloms und Kumoms.“

 

Die Erklärungen, was diese Kureloms und Kumoms gewesen sein könnten, sind vielfältig. Als Top-Kandidaten nennen Mitglieder der Religionsgemeinschaft Tapir, Gabelbock oder Megatherium.

Anlässlich eines Vortrags bei der elften FAIR-Konferenz [1]am 6. August 2009 meinte Wade E. Miller:

 

 

[Kurelom] Ein denkbarer Kandidat, an den ich dachte, ist der Tapir. Sie haben dieses Tier wahrscheinlich nur in Zoos gesehen. Aber in Mittel- und Südamerika gibt es wilde Exemplare. Vor einigen tausend Jahren oder weniger lebten sie auch in den heutigen Vereinigten Staaten. Diese Tiere sind so groß, dass ich annehme, die könnte auf eine Art und Weise nützlich sein. Männliche Tapire können über 270 kg wiegen.

 

Südamerikanischer Tapir
Der Baird-Tapir, Tapirus bairdii, ist er die Erklärung für das Kurelom?

Weitere mormonische Informationen zu dieser Stelle kann man nachlesen unter:

https://de.qwe.wiki/wiki/Curelom_and_cumom

https://www.wer-weiss-was.de/t/kureloms-kumons/6307028

Klicke, um auf Wissenschaft_und_das_Buch_Mormon.pdf zuzugreifen

 

Kritisch ist:

https://www.mormonentum.de/literatur/bm/smithson.html


Eine Offenbarung – kein historisches Werk

Das „Buch Mormon“ darf und sollte als offenbarte Schrift außerhalb jeder rationalen Kritik stehen. Unzweifelhaft haben gläubige Mormonen wichtige Bücher über Anomalistik geschrieben (man denke an Frank Salisburys Ufo-Buch The Utah UFO Display: A Scientist Brings Reason and Logic to Over 400 UFO Sightings in Utah’s Uintah Basin. Springville, Utah: Bonneville 2010).

 

Als historische Quelle halte ich es dennoch für zweifelhaft. Ich fand es aber einmal interessant, die relevanten kryptozoologischen Passagen zusammenzustellen, die so manchen amerikanischen Kryptozoologen zu seinen Forschungen inspirieren.

 

[1] „The Foundation for Apologetic Information & Research (FAIR) ist eine gemeinnützige Organisation, die gutdokumentierte Antworten auf ungerechtfertigte Kritik gegen die Lehren, den Glauben und die Glaubenspraxis der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen), anbietet.“ – siehe http://de.fairlds.org/

Von Ulrich Magin

Ulrich Magin (geb. 1962) beschäftigt sich seit seiner Kindheit mit Kryptozoologie, insbesondere mit Ungeheuern in Seen und im Meer. Er ist Mitarbeiter mehrerer fortianischer Magazine, darunter der „Fortean Times“ und Autor verschiedener Bücher, die sich u.a. mit Kryptozoologie befassen: Magischer Mittelrhein, Geheimnisse des Saarlandes, Pfälzer Mysterien und jüngst Magische Mosel.