Die beiden ersten Teile zum Minnesota Iceman:
„Der Sideshow-Star unter den Kryptiden“ ist hier am 02.04. erschienen.
„Anthropologie auf dem Volksfest“ ist hier am 09.04.2020 erschienen.
Der falsche Iceman
Dass Hansen sich nicht in einem Gefängnis wiederfand, ist zumindest dann nicht verwunderlich, wenn gegen ihn tatsächlich wegen Mordes ermittelt wurde. Bereits im Februar 1969, also etwa einen Monat vor der Veröffentlichung von Heuvelmans‘ wissenschaftlicher Schrift, erhielt Sanderson einen Anruf von Hansen. Dieser teilte ihm mit, dass der tatsächliche Eigentümer des Minnesota Iceman sehr wütend über die bevorstehende Veröffentlichung sei. Er habe den echten Iceman daher mitgenommen und stattdessen eine Nachbildung zurückgelassen. Diese werde in Zukunft ausgestellt werden.
Schausteller Hansen und die Institutionen
Hansens Verhalten in der darauffolgenden Zeit kann man nur als bizarr bezeichnen. Er, der zuvor auf keinen Fall wollte, dass über seinen Iceman im größeren Rahmen berichtet wird, lud nun selbst Journalisten zu sich ein. Dabei erzählte er, dass er momentan eine „Nachbildung“ ausstelle. Zugleich versicherte er, dass es einen echten Iceman gebe, der nun an einem geheimen Ort aufbewahrt werde. Dieser sei allerdings nur ein Affe, nicht aber ein Mensch. Die Smithsonian Institution habe sich mit dem FBI verschworen, um den Affen zum Menschen umzudeklarieren. Als Motivation für diesen angeblichen Plan, der problemlos das Skript eines Agentenfilmes sein könnte, gab Hansen an, dass man ihm den Iceman wegnehmen wolle.

Die Smithsonian Institution hatte sich tatsächlich zeitweise für den Iceman interessiert. Das FBI erklärte sich allerdings schnell für nicht zuständig, da der Iceman kein Mensch sei. Die Behauptung von mindestens zwei Wachsfiguren- bzw. SFX-Herstellern, den Iceman kreiert zu haben, dürfte dazu beigetragen haben. Schließlich teilte auch die Smithsonian Institution mit, dass sie nicht mehr an einem Schaustück interessiert war, das eine offensichtliche Fälschung sei. Das war ein doch bemerkenswerter Sinneswandel, zumal der Iceman zwischenzeitlich gar nicht mehr wissenschaftlich untersucht worden war.
Auch seinem Kollegen Sanderson weist Heuvelmans einmal mehr eine unvorteilhafte Rolle zu. Dieser habe behauptet, dass er selbst in der Lage sei, eine detailgetreue Fälschung des Iceman herzustellen. Dafür brauche er lediglich ein menschliches Skelett und die Haut eines sehr schwach pigmentierten Schimpansen. Einmal ganz abgesehen davon, dass die Zurschaustellung eines solchen Ausstellungsstücks illegal gewesen wäre (das Reisen mit menschlichen Überresten ist zumindest in Minnesota verboten), könnte man so nicht alle anatomischen Eigenheiten des Iceman erklären. Trotzdem wurden seine Aussagen als Indiz dafür gewertet, dass der Iceman eine Fälschung sei.
Ein Original, das eine Fälschung sein will?
Heuvelmans war entgegen der Beteuerungen Hansens ohnehin davon überzeugt, dass das Modell des Iceman in Wirklichkeit aus Fleisch und Blut war. Der Anthropologe John Napier hatte zwar einen Artikel publiziert, in dem er wesentlich Unterschiede zwischen dem „Original“ und dem „Modell“ beschrieb – am bekanntesten dürfte wohl die Tatsache sein, dass dem neuen Iceman der Mund offenstand. Heuvelmans war allerdings der Überzeugung, dass dies durch ein Auftauen und anschließendes Wiedereinfrieren des Originals bedingt sei.

Sanderson war allerdings anderer Auffassung. Im Gegensatz zur breiten Öffentlichkeit war er wie Heuvelmans der Meinung, dass der 1968 untersuchte Iceman ein Wesen von Fleisch und Blut gewesen sei. Der aktuell, also 1969, ausgestellte Iceman sei dagegen eine Nachbildung. Man muss Heuvelmans allerdings recht geben, wenn er behauptet, Sanderson gegenüber einem Vorteil gehabt zu haben. Schließlich war er im Besitz von Fotografien des Originals. Trotzdem wird auch Sanderson seine These nicht aus der Luft gegriffen haben.
Letztlich konnte allerdings keine der beiden Theorien nachgewiesen werden. Hansen tourte noch einige Zeit, wobei er im Sommer 1969 eine weitere Kontroverse verursachte. Als er den Iceman in Kanada ausstellen wollte, wurde er an der Grenze aufgehalten. Er verweigerte eine Untersuchung, trotzdem es sich angeblich nur um ein Modell handelte. Nur knapp entging er einer Konfiszierung des Iceman. Kurz darauf kündigte er an, dass der er die Ausstellung beenden werde und den echten Iceman der Wissenschaft zugänglich machen werde. Wie man heute weiß, passierte nichts.

Exkurs: Groover Krantz und der falsche Riese
Die folgende Anekdote steht nur in indirektem Zusammenhang mit der Geschichte des Minnesota Iceman. Sie zeigt jedoch eindrucksvoll auf, wie sich selbst Experten in ihrem Forschungsfeld irren können. Auch hat sie einen Bezug zur Kryptozoologie im Allgemeinen und Hominiden im Speziellen.
Im Jahr 1993 sah sich Groover Krantz, der für seine Schriften über Hominiden bekannte Kryptozoologe, seinem aktuellen Ziel nahe: Seit einiger Zeit forschte er nach, wo „Olaf, der Wikinger-Riese“ aktuell ausgestellt wurde. Dabei handelte es sich um eine Mumie von enormer Größe – angeblich 9 ft., 3 inch (ca. 2,82 m). Krantz hoffte, durch ein näheres Studium dieser äußerst großen Gestalt Rückschlüsse auf die Bewegungsabläufe von Bigfoots ziehen zu können. Inwieweit man von menschlichen Bewegungsabläufen auf die Bewegungsabläufe von Bigfoots schließen kann und warum ausgerechnet ein Riese als Vergleichsobjekt geeignet sein soll, sei dahingestellt. Groover Krantz glaubte jedenfalls fest an die Notwendigkeit seines Vorhabens.
Ein weiteres Museum
Fündig wurde er schließlich in einem Dime Museum – man stelle sich Barnums-American-Museum in einem etwas kleineren Rahmen vor. Er teilte dem Inhaber, Doug Higley seine Pläne mit, den Riesen zu untersuchen. Higley weigerte sich allerdings, Olaf der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen und nannte dafür einen guten Grund: Der Riese war eine Fälschung. Diese wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts vom „Nelson Supply House“, einem kommerziellen Gaff-Hersteller, gefertigt. Als Beweis zeigte Higley dem Kryptozoologen einen Katalog der Firma, in dem diese „Mumie“ beworben wurde.
Krantz war also einer Fälschung aufgesessen, trotzdem er sie mindestens zwei Mal selbst in Augenschein genommen hatte. Zu seiner Verteidigung muss man allerdings zwei Tatsachen anbringen: Erstens hatte er Olaf nie „für sich allein“, da er ihn immer bei öffentlichen Schaustellungen betrachtete. Zweitens waren die Lichtverhältnisse in Olafs Sarg so schlecht, dass es anscheinend keinem der Besucher gelungen ist, jemals ein ordentliches Foto von ihm zu machen. Higley allerdings meinte später, dass man den Gaff auch mit bloßem Auge als solchen hätte erkennen können. Außerdem hätte spätestens eine Untersuchung mit einer Lupe durch die Glasscheibe hindurch Klarheit gebracht, da so Nähte sichtbar waren.

Der letzte Teil „Minnesota Iceman 4 – Die Herkunft des Iceman“ ist am 23.04.2020 erschienen.