Lesedauer: etwa 4 Minuten

Die Gruppe der Knorpelfische ist nicht nur rezent, sondern auch paläontologisch immer wieder für Überraschungen gut. Bizarre Formen gab es reichlich, beginnend bei den den „Bügelbrett-Haien“ der Gattung Stethacanthus (Devon bis Carbon, 370 – 345 Ma) über die „Kreissägenhaie“ der Gattung Helicoprion (Perm, 280 – 270 Ma) bis zu den Adlerhaien der Gattung Aquilolamna milarcae (Kreide, 93 Ma). Auch die modernen Knochenfische geizen nicht mit Extravaganzen: Sägehaie- und rochen, Mantas und natürlich die Hammerhaie sind alles andere als alltäglich. Eines der größten Rätsel waren die Haie der Gattung Ptychodus, von denen fast nur fossile Gaumenplatten, teilweise von enormen Ausmaßen bekannt waren.

 

Stethacanthus spec.
Ein Paar „Bügelbretthaie“ der Gattung Stethacanthus, Abb: Dmitry Bogdanov, CC-BY-SA 3.0

 

Neu entdeckte Fossilien der Gattung Ptychodus

Der fossile Hai Ptychodus Agassiz, 1834 zeichnet sich durch ein sehr ausgeprägtes Quetschgebiss und eine mutmaßlich gigantische Körpergröße aus. Die Gattung gilt seit fast zwei Jahrhunderten als einer der rätselhaftesten ausgestorbenen Elasmobranchier (d. h. Haie, Rochen und Rochen).  Diese weit verbreiteten Fossilien der Tiere aus der Kreidezeit sind in Lagerstätten aus dem Albium und Campan auf fast allen Kontinenten verbreitet. Die Funde bestehen jedoch meist aus isolierten Zähnen oder mehr oder weniger vollständigen Gebissen, während kraniale und postkranielle Skelettelemente sehr selten sind.

Die Autoren der Studie beschreiben neu entdecktes Material aus der frühen späten Kreidezeit Mexikos, darunter vollständig artikuliert Exemplare mit erhaltenen Körperumrissen. Sie enthüllen wichtige Informationen zur Anatomie und systematischen Position der Gattung Ptychodus.

 

Ptychodus spec. aus Vallecillo
Ein Fossil eines Ptychodus spec, aus Vallecillo. Abb. aus: Vullo et al., 2024

 

Ergebnisse der Untersuchung

Ptychodus und seine Verwandten waren zu Lebzeiten schnell schwimmende, durophage Heringshaie (Lamnide), die sich auf eine bisher bei Knorpelfischen unbekannte Ernährungsform spezialisiert haben. Sie fraßen vermutlich vor allem hartschalige, aktiv schwimmende Tiere des offenen Wassers wie Ammoniten und Meeresschildkröten: Anders als alle bekannten Lamniden hatten die Tiere keine Zähne, sondern trugen Gaumenplatten wie man sie heute von krebsfressenden Rochen kennt – nur deutlich größer.

In Vallecillo fanden die Ausgräber nur Fossilien von Jungtieren bis etwa 2 m Länge. Doch die genaue Überlieferung der Anatomie erlaubt es den Wissenschaftlern, bei den größten erhaltenen Zähnen eine Länge der Haie von bis zu 9,7 m zu mutmaßen. Jetzt ist bekannt, wie viele Wirbel die Haie hatten, wie groß ihr Augen und Augenhöhlen waren, wo welche Flossen saßen, wie groß der Kopf war und welche Form der Körper hatte. Mit diesen Daten konnte Ptychodus in die Familie der Heringshaie (Lamnidae) eingeordnet werden.

Spannend ist der Zeitpunkt des Aussterbens: Haie mit dieser Spezifikation starben im Campan aus, genau zu dem Zeitpunkt, als sich Mosasaurier der Unterfamilie Globidensini entwickelten, die mit den namensgebenden Kugelzähnen vermutlich die selbe Beute fraßen.

Ptychodus im Habitat
Künstlerische Darstellung von Ptychodus in seinem Habitat. Im Hintergrund schwimmt ein Aquilolamna milarcae, Abb. aus: Vullo et al., 2024

 

Bedeutung der Funde

Die Vallecillo-Funde sind in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. Bereits die Autoren der grundlegenden Arbeit betonen, dass sie die ökologische Plastizität der Heringshaie darstellt. Eine Spezialisierung auf hartschalige Beute ist bei keiner anderen Gruppe der Freiwasserhaie bekannt.

Darüber hinaus lassen die voll artikulierten Skelette inklusive der Körperkonturen einen gewissen Rückschluss auf den Körperbau anderer fossiler Lamniden zu. Es wird wohl nicht lange dauern und irgendjemand nimmt die Vallecillo-Fossilien als Vorbild für die Rekonstruktion anderer, sehr großer fossiler Haie, einschließlich Otodus (megalodon). Hier ist also einiges zu erwarten.

 

Anatomie Ptychodus
Anatomische Analyse eines der Funde. Abb. aus: Vullo et al., 2024

 

Quellen

Originalarbeit: Vullo Romain et al., (2024). Exceptionally preserved shark fossils from Mexico elucidate the long-standing enigma of the Cretaceous elasmobranch PtychodusProc. R. Soc. B.291: 2024.0262 http://doi.org/10.1098/rspb.2024.0262

Ergänzendes Material: Vullo, Romain et al. (2024). Supplementary material from „Exceptionally preserved shark fossils from Mexico elucidate the long-standing enigma of the Cretaceous elasmobranch Ptychodus“. The Royal Society. Collection. https://doi.org/10.6084/m9.figshare.c.7165772.v2

Alle Abbildungen von Ptychodus stammen aus den Arbeiten, heruntergeladen bei ScienceAlert

Von Tobias Möser

Tobias Möser hat Biologie, Geologie und Wirtschaftswissenschaften studiert. Schon als Kind war er vor allem an großen Tieren, Dinosauriern, später Walen interessiert. Mit der Kryptozoologie kam er erst 2003 in näheren Kontakt. Seit dieser Zeit hat er sich vor allem mit den Wasserbewohnern und dem nordamerikanischen Sasquatch befasst. Sein heutiger Schwerpunkt ist neben der Entstehung und Tradierung von Legenden immer noch die Entdeckung „neuer“, unbekannter Arten. 2019 hat er diese Website aufgebaut und leitet seit dem die Redaktion.