Wenn man sich von seinem Schreibtisch aus in ferne Länder begibt, um in den Berichten aus den abgelegensten Regionen der Erde Hinweise auf verborgene Tiere zu finden, so ist man sich oft gar nicht bewusst, dass allein dieser Ansatz schon reicht, um die komplexe Realität vor Ort zu simplifizieren. Zumindest ist die Gefahr dafür sehr groß. Diese “komplexe Realität vor Ort” stellen lokale Erzählmotive, ihre kulturellen Bedeutungen, sowie die sprachliche Rezitation derselben, die oft zu Missverständnissen führen. Hinzu kommen noch ökologische Faktoren, die man oft im Detail nicht kennt. Man sollte daher äußerst vorsichtig sein, bevor man sich – basierend auf vagen Beschreibungen und vereinzelten Zeugenaussagen – zur Annahme einer unbekannten Spezies “entschließt”.
Derselbe Grundsatz gilt allerdings auch in die andere Richtung. Schnell ist ein Stimulus aus dem Hut gezaubert, mit dem der “Coffee Skeptic” eine Sichtung wegerklärt. Und das, obwohl die Lage vor Ort durchaus komplexer ist.
Dem Autoren wäre Selbiges fast einmal passiert. Doch zum Glück nur fast. Dafür haben wir jetzt eine Anekdote, wie die Suche nach einem Kryptiden zum Nächsten führte. Und eine wichtige “Zusatzinformation” über das kryptozoologische Epizentrum Tasmanien.
Füchse auf dem australischen Festland
Der Rotfuchs hat sich auf dem australischen Kontinent fest etabliert. 76 % des Territoriums sollen schon besiedelt sein. In Victoria hatte man Füchse bereits 1871 für den Jagdsport eingeführt – später fand man sie auch in Queensland (1907) und Western Australia (1912). (Tasmanian Department for Primary Industries)
Kein Wunder also, dass Füchse für die Sichtungen des Beutelwolfs auf dem australischen Festland als Erklärung herangezogen werden können. Und warum nicht auch in Tasmanien? Doch hier gestaltet sich die Ausgangslage … nunja… wie hieß es nochmal, … ach ja genau: komplexer.
…und in Tasmanien?
Es gibt historische Quellen aus den letzten beiden Jahrhunderten, die auf die Einschleppung von Füchsen nach Tasmanien hindeuten. Darunter befinden sich Berichte über ausgesetzte Würfe zwischen 1935 und 1970 und einem Tier, das 1998 von einem Containerschiff bei Burnie (Nord-Tasmanien) entkommen sein soll. (Tasmanian Department for Primary Industries). Doch niemand wusste so Recht bescheid. Und so blieb es bis heute.
Die Saga beginnt
Eine amüsante Anekdote sind Tasmaniens Füchse bis dato schon einmal. Doch die obigen Geschichten machen dabei nur den Anfang.
1999 mehrten sich Berichte über die vorsätzliche Einschleppung von Füchsen auf die Insel – auch Kadaver an Straßenrändern wurden gefunden, Sichtungen häuften sich und von DNA-Beweisen war die Rede (The Conversation).
Füchse: ein apokalyptisches Szenario für Tasmaniens Umwelt
Sollten sich Füchse auf Tasmanien etablieren, so wären die Auswirkungen auf die heimische Fauna verheerend. Das zeigt die Geschichte auf dem australischen Kontinent. Die Füchse profitieren nicht nur von dem ebenfalls eingeschleppten Kaninchenpopulationen. Darüber hinaus stellten sie auch einheimischen Vogel- und Beuteltierarten nach. Sie werden mit dem Rückgang und gar dem Aussterben vieler kleiner- und mittelgroßer Tierarten direkt in Verbindung gebracht. (Tasmanian Department for Primary Industries)
Nicht auszudenken, was das für Tasmanien und seine einzigartige Fauna bedeuten würde, sollten sich die anpassungsfähigen Räuber auch dort etablieren.
Taskforce und Ausrottungs-Programm der Regierung
Die Tasmanische Regierung beschloss daher, zu handeln. Ein 50 Millionen Australische Dollar schweres Programm wurde im Jahre 2002 ins Leben gerufen. Es sollte den Einzug des Fuchses in Tasmanien verhindern (ABC vom 18. Dezember 2017). 2006 kam auch noch eine Task Force hinzu (ABC vom 31. Oktober 2016). Ihr Name, Fox Eradication Program und Fox Free Taskforce, lassen keinen Zweifel am Ziel der Mission. Doch dafür musste man die Füchse erstmal finden.
Traurige Bilanz
Das war im Jahre 2014 noch nicht wirklich gelungen. Tatsächlich schafften es die Mitarbeiter des Programms, das dem Steuerzahler bis dahin 35 Millionen australische Dollar gekostet hatte (The Conversation), nicht, auch nur einen einzigen lebenden Fuchs dingfest zu machen (News.com). Die australische Nachrichtenagentur ABC zog 2016 Bilanz:
„Zusammenfassung der gesammelten physischen Hinweise auf Fuchsaktivität in Tasmanien, seit 1998: 4 Kadaver, 1 Schädel, 1 positive DNA Blutprobe, 2 Sets von Fussabdrücken, 61 Exkremente mit Fuchs-DNA”
(ABC vom 31. Oktober 2016)
Sang- und klangloses Ende?
Das Programm wurde so auch 2014, zwei Jahre vor dem offiziellen Ende der Laufzeit, ausgesetzt (ABC vom 31. Oktober 2016). Tasmaniens damaliger Umweltminister Brian Neal Wightman erklärte aufgrund “fehlender Beweise für Füchse in den letzten 18 Monaten” das Programm kurzerhand zum Erfolg und sah keinen Grund mehr dafür, Füchse aktiv (zum Beispiel mit Giftködern) zu bekämpfen – stattdessen reiche eine passivere Beobachtung der Situation (Invasive Species Council).
Auftakt für einen Polit-Krimi
Doch das vorgezogene Ende bildete nur den Auftakt für ein weiteres Kapitel in Tasmaniens Konflikt mit seinen mysteriösen Füchsen. Doch dieses Mal verlagerte er sich auf die politische Bühne. Aufgrund der bescheidenen Erfolge kamen das Programm und die Task Force nun selbst ins Visier. Studien zweifelten die Methodik der Beweisaufnahme an. Verschwörungstheorien machten sich breit: die Mitarbeiter haben die “Beweise” selbst gefälscht, entweder um das Programm am Laufen zu halten, oder um ihre Arbeit (und das Gesicht) nicht zu verlieren (The Conversation).
Die Tasmanier debattierten in Pubs, im Parliament und Online, ob es Füchse nun auf Tasmanien gebe oder nicht. Ein ehemaliger Polizist, nun unabhängiger Parlamentarier, reichte eine 100-seitige Klage bei der Polizei ein, indem er die Fälschung der Beweise unterstellte. Als ihm die Ermittlungen nicht schnell genug gingen, wandte er sich an die Integrity Commission, die auf “Fehlverhalten öffentlicher Institutionen” spezialisiert ist. Der amtierende Agrarminister nahm die Gelegenheit zu einem “politischen Freistoß” gegen die damals regierende Labour-Regierung jedoch nicht wahr. Es wurde keine Untersuchung eingeleitet (ABC vom 31. Oktober 2016).
Dennoch: Tasmanien hatte einen neuen Mythos (The Conversation). Oder sollte man vielleicht besser sagen: ein neues Kryptid?
2016: “Der definitive Beweis?” …Reinekes kryptide Facette
Und wie es so ist bei Kryptiden: jeder Hinweis wird eingebunden in einen tieferen, diskursiven Kontext im Hintergrund, dessen Bedeutung weit über das biologische Phänomen hinausgeht. Ab da ist alles Möglich. So auch 2016. Da lag nämlich ein Fuchskadaver an einer Straßenseite. Der “definitive Beweis?”, so das ABC. Nichts Genaues weiß man nicht über die Herkunft des jungen Rüden. Ausser, dass das Tier an traumatischen Verletzungen gestorben ist. Aber wie es dorthin kam, konnte man nicht klären. Der Fund heizte eine angeregte Debatte in den sozialen Netzwerken an. Manche waren skeptisch, andere waren optimistischer und meldeten sich nun selbst mit eigenen Sichtungen zu Wort… (ABC vom 31. Oktober 2016)
Neue “Tiger-Jagd” auf Tasmanien?
Man muss nicht lange suchen, um den Hinweis auf Tasmaniens “eigentlichen” Kryptiden zu finden: “Nur eine weitere Jagd nach dem Tasmanischen Tiger (Beutelwolf)?” – fragt ein Kommentar, der die Maßnahmen des Programms letztendlich dann doch verteidigt. Als Grund nennt er die zwar spärlichen, aber existierenden Beweise, die zumindest für eine sporadische Präsenz von Füchsen auf der Insel sprechen. In diesem Fall wäre es auch nicht ungewöhnlich, wenn man nur ganz wenige Hinweise fände. Doch ganz abgesehen davon sei es in Anbetracht des Bedrohungs-Szenarios für die heimische Umwelt richtig gewesen, früh zu reagieren (The Conversation).
Diesem Argument kann man in Zeiten von Corona leicht folgen (auch wenn der Rotfuchs in seiner unfreiwilligen Rolle als eingeschleppter Schädling für Australiens empfindliche Fauna definitiv nicht in dieselbe Kategorie wie das tödliche Virus gehört).
Fazit: Rotfuchs düpiert Tasmanische Regierung
Was bleibt ist eine amüsante (aber lehrreiche) Anekdote über die Schwierigkeit, die Präsenz von Arten zu beweisen, selbst wenn diese der Wissenschaft längst bekannt sind. Auch die Millionen von Australischen Dollars, die die Regierung in ihre Fuchsjagd investierte, reichten letztendlich nicht, um definitiv zu sagen, wie es denn nun um Tasmaniens Füchse bestellt ist. Und dass diese Geschichte ausgerechnet auf Tasmanien spielt, sollte uns Kryptozoologen aufhorchen lassen. Sowohl den lauten Skeptiker als auch den (nach 85 Jahren eher flüsternd sprechenden) Optimisten. Die Dinge verhalten sich vor Ort eben nicht immer so einfach, wie es aus der Ferne scheint.
Zum Weiterlesen
Interne Links zu Tasmanien:
Dossier zum Beutelwolf mit vielen Informationen.
„Sicher ist nur sein Tod“. Ein Nachruf auf den letzten Beutelwolf
„Neues vom Beutelwolf“ mit Sichtungsberichten seit 2016
Internetquellen
ABC vom 18. Dezember 2017:
https://www.abc.net.au/news/2017-12-18/tasmanian-fox-report-finds-no-evidence-of-fabrication/9269148
ABC vom 31. Oktober 2016:
https://www.abc.net.au/news/2016-11-01/dead-fox-discovery-in-tasmania-reignites-debate/7981198
Invasive Species Council vom 30.Juni 2013
https://invasives.org.au/blog/fox-in-tasmania-eradication-program-dropped/
News.com vom 19. Dezember 2017:
Tasmanian Department for Primary Industries, Parks, Water and Development: https://dpipwe.tas.gov.au/invasive-species/invasive-animals/invasive-mammals/european-red-foxes
The Conservation vom 25. März 2015
https://theconversation.com/tasmanias-fox-hunt-was-worth-it-even-if-there-were-no-foxes-34045
wissenschaftliche Papers
Caley P, Ramsey DSL, Barry SC (2015) Inferring the Distribution and Demography of an Invasive Species from Sighting Data: The Red Fox Incursion into Tasmania. PLoS ONE 10(1): e0116631. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0116631
Gonçalves et. al. (2014) The risks of using “species-specific” PCR assays in wildlife research: The case of red fox (Vulpes vulpes) identification in Tasmania. Forensic Science International: Genetics. Vol. 11: 9 – 11 https://linkinghub.elsevier.com/retrieve/pii/S1872497314000659