Die Tagespresse hat es bereits vor einigen Tagen thematisiert, in den sozialen Medien war es auch ein oft zitiertes Thema: Der Attenborough-Langschnabeligel wurde seit mehr als 60 Jahren das erste Mal lebend fotografiert.
Schnabeligel?
Die im Deutschen missverständlich als Schnabeligel bezeichneten Tiere gehören zu den ungewöhnlichsten Säugetieren, die es heute noch auf der Welt gibt. Die Familie der Ameisenigel oder Echidnas gehört zu den Eierlegenden Säugetieren. Sie sind nur von Australien, Tasmanien und Neuguinea bekannt.
Schon ihr Aussehen ist ungewöhnlich: Sie haben einen flachen, breit gebauten Körper, der bei der größten Art bis zu 1 m lang werden kann. Die kräftigen, kurzen Beine sind zum Graben gut geeignet. An den Pfoten tragen sie fünf Zehen mit kräftigen Grabklauen, deren Zahl artspezifisch ist. Ein Schwanz ist nur kurz und fehlt bei einigen Arten.
Das Fell ist dick und dunkel, es zeigt keine Zeichnung oder Aufhellung der Bauchregion. Im Fell stehen kräftige, bis zu 6 cm lange, gelbliche Stacheln, die bei einigen Arten im Fell verborgen sind.
Wie beim verwandten Schnabeltier tragen die Männchen an den Hinterbeinen einen Stachel. Auch die Weibchen kommen mit einem solchen Stachel auf die Welt, verlieren ihn aber meist im Laufe ihrer Entwicklung. Dies kann gelegentlich auch bei Männchen passieren. Bis vor Kurzem ging man davon aus, dass mit dem Stachel verbundene Drüsen ein Gift produzieren, dies scheint aber nicht so zu sein. Während der Paarungszeit sondern Männchen über den Stachel ein Sekret ab, dessen Funktion noch nicht bekannt ist.
Außerhalb der Paarungszeit sind Schnabeligel einzelgängerisch. Sie leben artspezifisch von kleinen Tieren, die sie mit ihrer Schnauze aufstöbern und erbeuten. Dabei nutzen sie die kräftigen Klauen zum Graben oder Aufbrechen von Holz, von wo aus sie die Beute mit ihrer langen Zunge ins Maul befördern und zerkauen.
Bei Bedrohung rollen sich Schnabeligel wie europäische Igel ein und bilden eine sehr wirksam geschützte Stachelkugel. Diese Taktik funktioniert so gut, dass ausgewachsene Tiere quasi keine Feinde haben. Selbst eingeschleppte Arten wie Dingo oder Rotfuchs haben kaum eine Chance, einen gesunden Schnabeligel zu erbeuten.
Der Lebenszyklus dieser Eierlegenden Säugetiere
Zu Beginn der Paarungszeit geben die meisten Schnabeligel ihr einzelgängerisches Leben auf. Männchen gehen auf die Suche nach Weibchen, die sie über längere Zeit, oft Tage, teilweise Wochen eng verfolgen. Dabei kommt es durchaus vor, dass mehrere Männchen einem Weibchen folgen, so dass sich eine regelrechte Prozession bildet. Ist das Weibchen paarungsbereit, beginnt ein für Säugetiere ungewöhnlicher Prozess.
Das Weibchen legt sich flach auf den Bauch und hält dabei den Kopf oft im Gebüsch verborgen. Die Männchen beginnen, hinter und neben dem Weibchen einen Graben auszuheben, der bei vielen beteiligten Verehrern einen tiefen Ring um das Weibchen bilden kann. Dabei und danach versuchen die Männchen, sich mit den Köpfen aus dem Graben zu drängen, bis nur noch ein Tier übrig bleibt. Dieses Tier beginnt mit einem oft mehrere Stunden dauernden Vorspiel. Am Ende des Vorspiel kommt es zur Paarung, die ebenfalls bis zu drei Stunden dauern kann. Ist sie erfolgt, trennen sich die Tiere.
Eier und Junge
Etwa drei bis vier Wochen nach der Paarung legt das Weibchen Eier. Bei den gut erforschten Kurzschnabeligeln ist es meist nur ein einzelnes Ei, zwei oder drei kommen auch vor, sind aber sehr selten. Die Arten der Langschnabeligel sind weniger gut erforscht, die meisten Quellen sprechen hier auch von einem Ei, andere teilweise von vier bis sechs. Möglicherweise ist dies auch artspezifisch unterschiedlich.
Die Eier sind laut Literatur etwa weintraubengroß und haben eine ledrige Schale.
Noch während der Eientwicklung bildet die Mutter eine Tasche auf dem Bauch aus, in die sie das (oder die) Eier unmittelbar nach dem Legen hineinbefördert. Nach etwa 10 Tagen schlüpft das blinde und embryoartige Junge, das über ein Milchfeld gesäugt wird. Das Junge bleibt etwa 8 Wochen im Beutel, in dieser Zeit entwickelt es sich schnell und erreicht je nach Art 15 bis 21 cm. Etwa zu dieser Zeit bilden sich auch die Stacheln aus.
Vermutlich ist dies der Grund, warum die Mutter das Junge dann in einem Bau zurücklässt und nur alle fünf bis zehn Tage zurückkehrt, um es zu säugen. Nach zehn weiteren Wochen öffnet es die Augen. Erst nach etwa einem halben Jahr ist es so selbstständig, dass es den Bau für erste Ausflüge verlässt. Etwa nach einem Jahr verlässt es die Mutter.
Schnabeligel werden nach dem 2. Jahr geschlechtsreif, die Mutter ist erst zwei Jahre nach der Geburt wieder paarungsbereit. Dem entsprechend langlebig sind sie, im Freiland erreichen sie 20 Jahre und mehr, in Zoos wurden die ältesten Tiere über 50 Jahre alt.
Schnabeligel: Die Arten
Schnabeligel sind Säugetiere, obwohl sie Eier legen und nicht über Zitzen verfügen. Die Zugehörigkeit zu den Säugetieren wird nicht über die Gebärweise, sondern über eine gemeinsame Abstammung definiert und dafür gibt es mehr als genug Beweise.
Das Vorhandensein von Haaren, der Bau des Innenohres mit den drei Gehörknöchelchen und die Produktion von Milch sind einige davon. Die Genetik liefert weitere.
Die Familie der Schnabeligel hat zwei Gattungen:
Die Kurzschnabeligel (Trachyglossus)
leben in Australien. Sie haben nur eine Art (Tachyglossus aculeatus), die in sechs lokale Unterarten unterteilt wird. Sie ist auf dem australischen Festland, einigen Inseln (Kangaroo-Island, Tasmanien) und im Süden Neuguineas verbreitet.
Kurzschnabeligel sind kleine Schnabeligel und erreichen nur eine Kopfrumpflänge von 35 bis 53 cm und ein Gewicht von 2,5 bis 7 kg. Sie ernähren sich fast ausschließlich von Ameisen und Termiten. Da sie in ihren Lebensraumansprüchen sehr flexibel sind und mit ihren Stacheln gut gegen Feinde geschützt sind, gehören sie nahezu überall in Australien zu den häufigen Tieren.
Gelegentlich wird die tasmanische Unterart als eigene Art geführt. Dies ist umstritten.
In Zoos findet man sie regelmäßig in DACH und den Nachbarländern. Die Unterart von Neuguinea lebt unter anderem in Berlin (beide Einrichtungen), Halle, Rockenhausen, Rostock sowie Cambron-Casteau (Belgien), Kopenhagen (DK). Die ostaustralische Unterart wird nur in Duisburg und Frankfurt (Main) gepflegt, zudem in Paignton (GB).
Die Langschnabeligel (Zaglossus)
Die Systematik innerhalb der Gattung Zaglossus wird in der Zoologie lebhaft diskutiert. Heute werden meist drei rezente und eine fossile Art angegeben. Die Verwandtschaftsverhältnisse sind unklar, ebenso, welche Art wie viele Unterarten hat. Die Existenz unbekannter Arten, Unterarten und Lokalformen kann ebenso nicht ausgeschlossen werden. Wir folgen der aktuellen Hauptmeinung, die jedoch nicht unbedingt einem Konsens unterliegt.
Eine oder zwei ausgestorbene Arten
Zaglossus robustus ist eine ausgestorbene Art. Sie ist die einzige Art, die nicht von Neuguinea, sondern aus Tasmanien bekannt ist. Die Art lebte bis vor etwa 50.000 Jahren und starb vermutlich aus, als das südliche Australien trockener wurde. Häufig wird sie in die Gattung Megalibgwilia gestellt, gemeinsam mit der ebenfalls aus Tasmanien bekannten Art M. ownii.
Der Westliche Langschnabeligel
Der Westliche Langschnabeligel Zaglossus brujini ist eine der drei rezenten Arten. Sie kommt im Westen der Insel Neuguinea und einigen vorgelagerten Inseln. Er bevorzugt höhere Lagen, alpine Wiesen und feuchte Bergwälder. Diese Tiere erreichen ein Gewicht von bis zu 16,5 kg, haben meist drei, selten vier Klauen an jeder Pfote. Ihr Schnabel ist sehr lang, schmal und nach unten gebogen.
In Neuguinea ist die Art durch Lebensraumzerstörung, aber auch die traditionelle Jagd stark gefährdet. Eine kommerzielle Jagd und der Handel mit diesen Tieren ist nicht mehr erlaubt, dies steht auch unter spürbarer Kontrolle durch Regierungsbehörden.
Kryptozoologisch ist die Art interessant. Fossil kommt ist sie auch auf dem Australischen Kontinent nachweisbar. 2012 ist ein Paper in den Zookeys erschienen, das sich mit dem Vorkommen der Art in den Australischen Kimberleys befasst: Link.
Aktuell wird die Art in keinem Zoo der EAZA gehalten. Die letzte Zoohaltung in Europa erfolgte 1996 bis 2013 in Moskau hinter den Kulissen. Ansonsten gab es Haltungen in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts in Berlin, Amsterdam, Budapest und London.
Der Barton-Langschnabeligel
Der Barton-Langschnabeligel (Zaglossus bartoni) ist im zentralen Hochland sowie im Osten und Nordosten Neuguineas verbreitet. Von dieser Art werden vier Unterarten anerkannt, die alle geographisch isoliert vorkommen. Die Art wird größer als die beiden anderen Langschnabeligel von Neuguinea, sie erreicht je nach Unterart 60 bis 100 cm Körperlänge und 5 bis 10 kg Gewicht. Sie hat immer fünf Grabklauen an den Vorderpfoten und deren vier an den Hinterpfoten.
Wie die beiden anderen Langschnabeligel lebt auch der Barton-Langschnabeligel nahezu ausschließlich von Würmern. Sie besiedelt dabei hoch gelegene Landschaften wie sub-alpine Wälder, Matten und Krüppelgewächsfluren und geht in die höchsten Lagen (4150 m, höher geht es in Neuguinea nicht). Die Art ist hauptsächlich nachtaktiv und sehr heimlich. Sie wurde bis 2016 als vom Aussterben bedroht eingestuft und gilt nun als gefährdet.
In Europa wurde die Art nur 1965 bis 1994 im Zoo von London gepflegt. Ein Bild eines lebenden Tieres konnte ich nicht bekommen.
Da ist er endlich!
Der Attenborough-Langschnabeligel
Der Attenborough-Langschnabeligel ist die dritte und kleinste rezente Art der Langschnabeligel. Sie ist kaum bekannt. Bisher scheint sie auf ein etwa 50 km² großes Gebiet im Norden der Insel Neuguinea an der Grenze zwischen Indonesien und Papua-Neuguinea beschränkt zu sein. Sie lebt dort in den bewaldeten Gipfellagen, die schon in Küstennähe 1600 m erreichen können.
Vom Attenborough-Langschnabeligel war lange nur der Holotyp bekannt. 1961 wurde er vom niederländischen Botaniker Pieter van Royten gefunden. Er gelangte ins Naturalis Biodiversity Center in Leiden (NL), wo man ihn zunächst für ein Jungtier einer der beiden anderen Arten hielt. Es bestand aus einem Fell und einem mehrfach gebrochenen Schädel.
Erst als Tim Flannery und Colin Groves die Gattung Zaglossus 1998 überarbeiteten, fiel auf, dass es sich bei dem Präparat keineswegs um ein Jungtier, sondern um ein erwachsenes Tier einer anderen Art handelt. Die kleine Art wiegt etwa 2 bis 3 kg, sie frisst neben Insekten und deren Larven wohl auch Regenwürmer. Der Schnabel des Attenborough-Langschnabeligel ist relativ kürzer als der der anderen Zaglossus-Arten, und er ist gerade. Alle Pfoten tragen beim Typusexemplar je 5 Grabklauen, das Fell ist feiner, kürzer und dichter.
Die Wieder-Entdeckung
Nach der Erstbeschreibung galt die Art aufgrund des kleinen Verbreitungsgebietes am Mount Rara in den Cyclop Mountains als vom Aussterben bedroht, möglicherweise ausgestorben. Die Bezirkshauptstadt Jayapura liegt in unmittelbarer Nähe, so dass ein permanenter Verlust der Natur zu befürchten ist. Lokale Eingeborenengemeinschaften initiierten eine Kampagne, um die traditionelle Jagd auf die Langschnabeligel zu beenden. Sie wurden oft erlegt und gemeinsam mit ehemaligen Rivalen als Friedensangebot verzehrt.
Forscher des EDGE of Existence programme untersuchten 2007 in den nahe gelegenen Cyclope-Mountains Bauten des Attenborough-Langschnabeligels. Dabei hörten sie von einer möglichen Sichtung 2005. Dies führte dazu, dass die Art eine der 10 Focus-Arten dieses Programms wurde.
2017 nahm man den Attenborough-Langschnabeligel in die Liste der „25 meistgesuchten verlorenen Arten“ der Organisation „Search for lost Species“ auf.
Jetzt, 2023 vor wenigen Tagen konnte eine Wildkamera einen lebenden Attenborough-Langschnabeligel fotografieren. Es ist vermutlich das erste Mal, dass diese Art lebend auf ein Foto gelangt, 60 Jahre nach der letzten sicheren Beobachtung.
Ein Team der University of Oxford unter der Leitung von Dr. James Kempton und der indonesischen NGO Yayasan Pelayanan Papua Nenda (YAPPENDA) und weiteren Organisationen brachte 80 (!) Wildkameras in dem kleinen Gebiet um den Mount Rara aus. trotz einem alles andere als gut begehbaren Terrain, giftigen Tieren, blutsaugenden Egeln, Malaria, Erdbeben und enormer Hitze. Dabei legten sie über 11.000 Höhenmeter zurück und verbrachten komplette vier Wochen im Wald – ohne dass die Kameras auch nur ein Haar bzw. einen Stachel eines Langschnabeligels fotografieren konnten.
Wie das Narrativ es fordert, brachte der allerletzte Expeditionstag Erfolg. Die letzten Bilder der letzten durchsuchten Speicherkarte zeigten das heimliche Tier dreimal. Es sind die ersten Bilder eines lebenden Attenborough-Langschnabeligels.
Quellen
Wikipedia zu den einzelnen Tieren
Zootierliste.de
Weiteres zu der Expedition findet sich auf der Seite der Oxford University.