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Die Wolf – Mensch – Beziehung in Großbritannien – ein Umdenken möglich?

In der Tat sieht man heute Ende des 20. Jahrhunderts auf den britischen Inseln ganz schwache Zeichen eines Umdenkens. Man findet Internetseiten für den Wolf (Siehe zum Beispiel Rewilding Britain). Heute wird darüber diskutiert, ob die Wölfe wieder eingeführt werden sollen. Auf der Grafschaft Sutherland liegt dabei ein besonderes Augenmerk (BBC News vom 17. März 2014). Auch wenn er nach wie vor nicht unter allen Bevölkerungsteilen Sympathisanten hat – der Wolf ist damit weiterhin Gegenstand der modernen Folklore. Und dieses Mal verlagert sich die Sicht auf die des Wolfes. So zum Beispiel der Folksong „The Last Wolf“ vom schottischen Liedermacher Bob Pegg aus dem Jahre 1996, der wohl stärker nicht mit Jerome Mercier´s viktorianischer Interpretation kontrastieren könnte. Der Wolf ist im Mittelpunkt, nicht mehr der Jäger:

 

 

I remember my companions – oh how we used to run

Chasing bees among the shadows, chasing shadows in the sun

Like the forest, they are gone now, and the running is all done

I am old and I am cold and I am waiting for the gun

But I remember my companions, and how we used to run…

(aus Bog Peggs „The Last Wolf“, 1996, Text von der Homepage: The Last Wolf)

 

Der Wolf in Wales – ein früher Abgang

Aus Wales waren die Tiere übrigens schon viel früher verschwunden. Die letzten bekannten Hinweise stammen aus dem 11. Jahrhundert. Nach William of Malmesbury hatte König Edgar (vermutlich meint die Quelle Edgar the Aetheling oder schlicht Edgar II., 1052 – 1125) von den Walisern Abgaben für Wolfshäute verlangt (Pluskowski, 2006: 290). Ferner ist da noch eine (sehr zweifelhafte) Anekdote von einem „mad wolf“, auf dessen Konto das Leben von 22 Menschen gegangen sein soll. Sie kommt aus dem Jahre 1166 (Ivy Stanmore).

 

Flagge von Wales
Der walisische Drache wollte seine Wölfe nicht schützen

 

Irland – letzte Bastion der britischen Wölfe

Doch ihre letzte Bastion hatten die Wölfe auf Europas „grüner Insel“, in Irland (siehe Anmerkung). Sogar im 17. Jahrhundert sollen sie dort noch recht häufig vorgekommen sein. Doch schließlich erließ man auch dort Gesetze (1652, 1653 und 1662), um ihrer Population zu vernichten. Hohe Belohnungen wurden für die Tötung der Wölfe ausgesetzt (6 Pfund für die Hündinnen, 5 Pfund für einen Rüden und 40 Shilling für jeden Welpen) Dennoch erreichen uns noch aus den Jahren 1709 und 1710 Berichte von erlegten Wölfen (Ivy Stanmore).

 


Die Grafschaft Wicklow, südlich von Dublin
Laut Ivy Shore kommen die allerletzten Berichte von Wölfen aus Irland vom Bezirk Wicklow. Sie datieren um die Mitte des 18. Jahrhunderts. 1760 wird daher als das finale Datum für das endgültige Aussterben der Wolfspopulationen auf den britischen Inseln angesetzt.

 

Fazit – oder: Warum die britischen Wölfen sterben „mussten“.

Der Niedergang der britischen Wolfspopulationen spiegelt die Etablierung der englischen Vormachtstellung auf den britischen Inseln wieder. Das ist kein Zufall. Die Wolle und Schafhaltung sind so sehr mit der englischen Geschichte verbunden, dass die Wolle und Schafhaltung unweigerlich einen Ausdruck der englischen Lebensweise darstellen – noch heute (Winder, 2017: 30).

 

1290 waren die Wölfe „besiegt“

Und tatsächlich steht das Datum 1290 als der feierliche Sieg über Englands Wolfspopulationen nicht isoliert in Englands neuerer Geschichte. Es kann sein, dass Edwards williger Vollstrecker Peter Corbet, „gar keine so große Anzahl dieser Beaster zur Strecke gebracht hat.“ (Winder, 2017: 7). Es gab in dieser Zeit kaum noch Nachweise. Doch der Feldzug gegen die Wölfe ist in einem weiteren Kontext zu interpretieren. Englishness als Lebensstil zeichnete sich ab – es ist kein Zufall, dass zur Zeit des letzten Wolfs auch die ersten literarischen Erzeugnisse in englischer Sprache erschienen – in dieser Zeit konstituierten sich die Grundlagen einer englischen Identität (Winder, 2017: 32). Gleichzeitig stieg England zu einem mächtigen Königreich auf, das – anstatt unter normannischer Herrschaft sein Schicksal fremdbestimmt zu haben – nun selbst im Ausland Besitzansprüche (in Frankreich) zu stellen wusste (Winder, 2017: 32). Doch Integration funktioniert bekanntlich nie ohne Ausgrenzung.

 

Schafe England, hier ist kein Platz für den Wolf
England erzielte Jahrhunderte lang erhebliche Gewinne durch die Woll- und Textilproduktion. Kaum ein Bild könnte englischer sein, als diese wolligen Schafe vor kleinräumigem Acker- und Weideland.

 

„Nicht nur die Wölfe wurden 1290 verstoßen“ (Winder, 2017: 32). Der Hass der Kreuzritter-Ideologie schlug sich in Pogromen gegen die eigene Bevölkerung nieder – 1290 wurde auch die gesamte jüdische Bevölkerung deportiert – Englishness stand als neues nationales Bewusstsein im Raum der Geschichte, in der Juden, Schotten und Ausländer im Allgemeinen keinen Platz mehr haben durften (Winder, 2017: 34). Ausgrenzung und Verfolgung alles „Anderen“ waren die Folge.

 

Das ist die wahre Geschichte hinter Englands letztem Wolf.


Der erste Teil: Sein Tod zum „Wohle der Nation“ erschien am 9. Juli 2024, als Repost von 2021

 

Der zweite Teil: Schottland erschien am 16. Juli 2024, als Repost von 2021


Anmerkung: Die Bezeichnung „Britische Inseln“ für die Hauptinseln Großbritannien und Irland, ferner die Hebriden, Shetland, Orkney, die Isle of Man, die Scilly-Inseln, Anglesey und die Isle of Wight sowie einige Nebeninseln ist rein geographisch zu verstehen und keine politische Aussage.

Von Peter Ehret

Peter Ehret ist studierter Politikwissenschaftler und Rechtsphilosoph. Praktisch sein ganzes Leben ist Zoologie im Allgemeinen sein wichtigstes Hobby. Seit dem Jahr 2000 befasst er sich mit Kryptozoologie. Themenschwerpunkt seines kryptozoologischen Interesses sind die Rückwirkungen von konventionellen Tierbeobachtungen auf Legendenbildung. Seit 2012 lebt und arbeitet er als Deutschlehrer in Spanien.