Alle zuvor genannten Indizien stellen keinen sicheren Beweis für die Existenz eines Orang Pendek dar. Viel zu leicht lassen sich fehlidentifizieren – ob nun versehentlich oder bewusst. Im Idealfall müsste ein lebender oder auch toter Orang Pendek gesammelt werden, der zugleich als Beweis und als Holotyp dienen könnte. Die zweite Möglichkeit, die Existenz dieses Hominiden nachzuweisen, bestünde darin, eine DNA-Probe sicherzustellen. DNA wiederum würde sich etwa in den Haarwurzeln finden. So braucht es nicht zu verwundern, dass Kryptozoologen auf ihren viel zu seltenen Expeditionen alles an Haaren sicherstellen, was irgendwie vom Orang Pendek stammen könnte:
Ein „Orang-Orang-Utan“? (1999)
Bei ihrer Expedition 1999 fanden Adam Davis und seine beiden Begleiter nicht nur Fußabdrücke, sondern auch Haarproben. Diese wurden 2001 zwischen 2003 untersucht.
Der Australier Dr. Hans Brunner verglich die Haare mit Proben von bekannten Primaten und der Fauna Sumatras. Dieser Experte hatte bereits 1976 eine wissenschaftliche Arbeit über die Identifikation von Säugetierhaaren mitverfasst. Er kam zum Schluss, dass die gesammelten Haare mit keiner bekannten Art übereinstimmten. Seiner Meinung nach stammten die Haare höchstwahrscheinlich von einer unbekannten Primatenart. In „Orang Pendek – der kleine Affenmensch auf Sumatra“ berichtet der Autor zusätzlich von einer Haarprobe, die genetisch analysiert wurde. Unklar ist, ob dies 2001 bis 2003 oder 2009/2010 erfolgte. Sie wurde nicht in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht.
Tapir, Tapir, Katze… (2003)
Während ihrer Sumatra-Expedition 2003 erkundeten die Mitglieder des CFZ das Gebiet auf und um den Vulkan Gunung Tujuh. Dabei konnten sie gleich vier Haarproben an unterschiedlichen Orten sammeln:
- Ein einzelnes, etwa 2,5 cm langes, dunkelgraues Haar. Dieses hing auf etwa 1 m Höhe an einem Baumstamm. Die Mitglieder der Expedition hielten es deswegen für ein potenzielles Orang Pendek-Haar, da in der näheren Umgebung entrindete „Pahur“-Pflanzen zu finden waren. Laut den Einheimischen handelte es sich dabei um die Lieblingsnahrung des Orang Pendek.
- Einige Haare in einem etwas helleren Grauton. Auch diese fanden sich auf ca. 1 m Höhe an einem Baumstumpf. Sie wurden gesammelt, da sie dem zuvor gefundenen, einzelnen Haar ähnlich sahen.
- Über 60 Haare in einem hohlen Baumstumpf. Auch diese waren kurz und grau
- Zwei lange, braune Haare auf einer Lichtung. Die genaue Länge wurde im Expeditionsbericht nicht genannt. Richard Freeman berichtete, dass er sich so die Haare eines Orang Pendek vorstelle.
Die gesammelten Proben wurden nach der Rückkehr ins Vereinigte Königreich an einen Herrn Dr. Lars Thomas von der Universität Kopenhagen übergeben. Die kürzeren, grauen Haare stammten seiner Untersuchung nach allesamt von einem Tapir. Die Untersuchung der beiden langen, braunen Haare dauerte etwas länger. Sie blieb allerdings nicht – wie von Ernst Probst in seinem Buch „Orang Pendek – Der kleine Affenmensch auf Sumatra“ behauptet – ohne Ergebnis. Dr. Thomas war sich schon früh sicher, dass sie vom Fell einer Katze stammten. Mittels einer Vergleichsprobe konnte er schließlich auch die Art identifizieren: Es handelte sich um eine Asiatische Goldkatze (Catopuma temminckii).
Ein Amazonenhaar? (2004)
Trotz dieser Rückschläge im Vorjahr wollten die Mitglieder des CFZ auch auf ihrer zweiten Sumatra-Expedition 2004 wieder Haarproben sammeln. Wenn sie bis jetzt schon keine verlorene Welt gefunden hatte, wollten sie doch zumindest ein verlorenes Tal untersuchen. Dieses befand sich in der Nähe des Vulkanes Gunung Tujuh (im Nationalpark Kerinchi-Seblat) und wurde so gut wie nie von Menschen besucht. Hier fanden sie lediglich eine Haarprobe.
Es handelte sich dabei um ein langes, schwarzes Haar. Dieses fanden die Teilnehmer der Expedition im eigenen Lager. Richard Freeman versichert jedoch, dass keiner von ihnen derart lange Haare hatte. Er mutmaßte, dass es wohl an einem ihrer Kleidungsstücke hängengeblieben war. Zugleich war er sich aber unsicher, ob es nicht vielleicht nicht—menschlichen Ursprungs sein könnte. Seine Hoffnung, auf einen Stamm schöner, wenn auch gefährlicher Amazonen zu treffen, wurde jedenfalls nicht erfüllt. Sehr zu seiner Enttäuschung, aber zur Erleichterung seines Guides, der Sagen über weibliche Spukgestalten mit diesen Eigenschaften kannte.
Die Haarprobe wurde nach der Rückkehr der Expedition wieder Dr. Lars Thomas übersandt. Allzu spektakulär können die Ergebnisse allerdings nicht gewesen sein. Weder am Ende des Expeditionsberichts 2004 noch am Anfang des Expeditionsberichts 2009 wurde das Ergebnis der Untersuchung bekanntgegeben.
Noch ein Orang-Orang-Utan? (2009/2010)
Die Haar-Proben, die die Mitglieder des CFZ auf ihrer dritten Expedition nach Sumatra am Ort einer Orang Pendek-Sichtung gefunden hatten, wurden natürlich ebenfalls untersucht. Dieses Mal teilten sich Dr. Lars Thomas und Todd Disotell diese Aufgabe.
Die Ergebnisse wirken zunächst paradox: Genetisch gesehen war die Probe dem Menschen am ähnlichsten. Was aber das Aussehen der Haare betraf: Laut Thomas wirkten sie so, als ob sie von einem Menschenaffen stammten. Auch hier könnte natürlich wieder eine Kontamination der Proben eine Rolle gespielt haben, durch die menschliche DNA an die Haare eines Affen gelangte.
Karl Shuker, der sich auf seinem Blog „Shuker Nature“ mit diesen Ergebnissen beschäftigte, verwarf diese Idee. Er hielt die Vorstellung, ein (beinahe) menschliches Wesen könnte tierähnliche Haare haben, nicht für unrealistisch. Schließlich könnten bereits minimalste Abweichungen im genetischen Code zu extremen Abweichungen einzelner Merkmale führen. Als Beispiel führt er „King Cheetahs“ an. Hierbei handelt es sich um Geparde, deren Fell – durch eine Mutation bedingt – weit stärker einem Leoparden, als einem normalen Gepard ähnelt. Laut Shuker ist diese Mutation durch ein einziges, abweichendes Allel bedingt. Analog dazu könne auch eine geringe genetische Abweichung einen (Beinahe-)Menschen mit affenartigen Haaren hervorbringen. Dieser These nach könnte der Orang Pendek also tatsächlich eine Art Menschen-Waldmensch sein…
Karl Shuker hat hier ein eher ungünstiges Beispiel gewählt: Der „King Cheetah“ unterscheidet sich von seinen normalen Artgenossen durch die Fellzeichnung, nicht aber durch die Struktur der Haare. Die Devon-Rex-Mutation der Hauskatze erscheint ein geeigneteres Beispiel zu sein. Diese verändert die Proteinstruktur des Haares, sodass es gelockt statt – wie sonst üblich – glatt ist.
Das Prinzip ist dabei aber dasselbe: Eine geringfügige Veränderung des genetischen Codes führt zu einer starken Veränderung eines Phänotyps. Trotz des ungünstigen Beispiels bleibt Shukers Hypothese also nachvollziehbar.
Teil 5: Siamang oder Orang Utan?
Aufgrund ihres Umfanges bieten wir das Quellenverzeichnis mit dem letzten Artikel der Serie zum Download an.