Der Schneemensch im Himalaya wurde 1921 international bekannt. Wie aber berichteten deutsche Zeitungen im ersten Jahrzehnt über den Kryptiden?
Die erste Meldung finde ich in der „Aplerbecker Zeitung“ vom 23. Dezember 1921 auf Seite 2:
Der Schneemensch vom Mount Everest.
Die große englische Expedition hat zwar den Mount Everest im Himalaya, den höchsten Berg der Erde, nicht zu Ende bestiegen, aber sie hat dafür die Menschheit mit einer Sensation erschreckt. Auf den höchsten Höhen, die sie erreichte, fand die Reisegesellschaft Fußspuren, menschliche Fußspuren, und die Tibeter sprachen in abergläubischer Scheu von den Schneemenschen, die in den Klüften des Gebirges ihr verborgenes Leben führten. Phantastische Zeitgenossen sprechen schon von einer verschollenen Urrasse der Menschheit, von dem langgesuchten Bindeglied zwischen Menschen und Affen, von einer geheimnisvollen Art, die sich, unberührt von aller Kultur, da oben gehalten habe.
Nun will aber der englische Naturforscher Godwin Austen selbst nicht an diesen unbekannten Bruder glauben. Er hält diese Fußspuren einfach für die eines Affen, der auch selbst im Himalaya vorkommt. Kangur und Hanuman nennen ihn die Inder, Semnopithecus die Gelehrten, in Tibet wird er als heiliger Affe verehrt. Er soll ein ziemlich kräftiger, gefährlicher Bursche sein. Da er ein Allesfresser ist, findet er selbst dort oben in Schnee und Gletschern noch seine Nahrung. Hasen, die weiter unten ihre Aesung finden, treiben sich massenhaft auf dem Schnee herum und können von den flinken Affen nicht allen schwierig gefangen werden. Wahrscheinlich wandern die Affen auch tief in die Täler hinab, sie sind nur in diesen abgelegenen Strecken noch nicht viel von Europäern beobachtet worden.
Vier Jahre später schreibt das „Frankenberger Tageblatt“ vom 12. September 1925 den nächsten, bereits skeptischeren Artikel:
Der „Schneemensch“
Aus Indien ist kürzlich wieder die Nachricht gekommen, daß man Spuren des „Schneemenschen“ gesehen habe. Man denkt dabei an einen Menschentyp, der, hoch über der Grenze, wo dauernd« menschliche Existenz noch möglich ist, ein sagenhaftes Dasein führt. Veranlaßt durch die Zähigkeit, die solche Legendenbildung fast immer anhaftet, haben Forscher diese Meldungen auf ihre Wahrscheinlichkeit oder besser gesagt Unwahrscheinlichkeit hin geprüft und sind nach dem „Kosmos“ zu dem Schlug gekommen, daß es sich nur um Fußstapfen eines größeren Säugetieres im Schnee handeln könne, die oft mit menschlichen Spuren eine beträchtliche Aehnlichkett haben.
[Wir berichteten hierzu von einem vergleichsweise rezenten Vorfall, 2019 in Makalu, Indien]
Der Bär hinterläßt Eindrücke, die man unter Umständen für die einen barfüßigen Menschen halten könnte, und selbst die Spuren des grauen Wolfes sollen mit menschlichen Tritten verwechselt werden. Die Tibetaner des Himalajas lassen sich jedoch durch wissenschaftliche Gründe weder belehren noch beirren. Sie haben auch eine ganz einleuchtende Erklärung für den Ursprung dieser vermuteten Menschenart. Ihre Behörden lasten die Verbrecher nicht hinrichten, sondern schieben sie, ähnlich dem Sündenbock der Israeliten, in die Wüste ab, die hier über der Schneegrenze liegt.
Diese Behandlung – behaupten die Tibetaner – macht die Verbannten zu einer Art wilder, kaum mehr menschlicher Geschöpfe – ein Gedanke, der in seiner Art logisch genug ist. Für die tibetanischen Kinder sind sie ein Popanz; sie fürchten sich vor ihm, heißt es, und entfernen sich so nicht gern aus dem Bereich des Hauses. Die kluge Mutter erzählt ihnen, daß der Schneemensch stark behaart sei und daß es deshalb für die von ihm verfolgten Kinder ratsam sei, stets bergab zu laufen, weil dann sein langes Haar ihm über die Augen falle und ihn am Sehen hindere, während umgekehrt beim Laufen bergauf sein Haar über die Ohren zurückfällt.
Die Geschichte mit den Brüsten wurde in Europa vom wilden Menschen, von Koboldsfrauen, von tumben Riesinnen und sogar von Hexen erzählt, sie deutet auf einen sagenhaften Hintergrund der ganzen Erzählung hin. Der gerade zitierte Bericht war jedenfalls interessant genug um auch in den nächsten Jahren periodisch in den unterschiedlichsten Zeitungen abgedruckt zu werden, darunter in der „Hildener Rundschau“ (1. Oktober 1925) und im „Duisburger General-Anzeiger“ (19. September 1926).
Erst in der „Langenberger Zeitung“ vom Freitag, den 7. Juni 1929, gibt es echte Neuigkeiten:
Ein geheimnisvoller Volksstamm.
Tibetaner und die Bewohner des Himalaja von Nepal bis Birma betrachten als ihre furchtbarsten Feinde einen Stamm seltsamer schattenhafter Wesen, die sie die „Schnee-Menschen“ nennen. Von diesem geheimnisvollen Volk, über das eine sichere Kunde noch nie gewonnen worden ist, erzählt der englische Forschungsreisende H. Stanley Jackson.
Es sollen Riesen sein, deren Größe zwischen 8 und 12 Fuß [2,40 bis 3,60 m] schwankt; sie wohnen grade unter der Schneelinie des Hochgebirges in Höhen von etwa 13.000 bis 20000 Fuß und sind nicht zahlreich; es gibt nur etwa ein Dutzend von ihnen auf jeder Gebirgskette, die angeblich in losem Zusammenhang stehen. Die Männer und Frauen dieses Volkes sind gleich furchtbar. Wenn ein männlicher ‚Tigermensch‘ einem andern Menschen begegnet, dann ‚zerrreißt er ihn in zwei Hälften‘. Eine Frau dieses Riesengeschlechts dagegen tritt den Männern mit verführerischer Anlockung entgegen. Wenn man ihr widersteht, dann verschwindet sie; aber wenn jemand ihrer Verlockung verfällt, dann wird er nie wieder gesehen.
Die Geschichten von diesem Volk, das man die ‚Mique‘ nennt, klingen natürlich zunächst wie Sagen und Märchen. Aber die Erzählungen treten so häufig auf und sind so gleichförmig, daß irgend eine Unterlage in der Wirklichkeit bestehen muß. Es sind auch keine Sagas von einem Riesengeschlecht, das in längst vergangenen Zeiten lebte, sondern es sind Berichte von einer gegenwärtigen Gefahr, und das Auffinden von Menschen, die in zwei Teile zerrissen sind, verleiht diesen Angaben immerhin eine grausige Geschichten, die ich von Begegnungen mit Miques gehört habe,‘ schreibt Stanley, ‚enthalten bestimmte gleichförmige Tatsachen.
Jedesmal sind es Schafhirten, die auf einen solchen Unmenschen stoßen, wenn sie ihre Herden auf hoch gelegene Weiden führen. Die Riesen scheinen irgendwie von den Schafen angelockt zu werden, und die Schafe haben vor ihnen keine Angst. Die Hirten hören dann meist gegen Abend, plötzlich einen Ruf, der wie ein ‚Blöken‘ oder ‚Miauen‘ klingt. Er kommt näher, ist schließlich ganz nahe, und sofort, wenn das Echo verhallt ist, taucht ein Migue auf. Die Hirten suchen sich in ihrer Furcht zu retten, flüchten in ihre Hütten und versperren die Türe.
Aber der ‚Schneemensch‘ tobt dann außen furchtbar, erschüttert mit wilden Schlägen die Wände, und bisweilen gelingt es ihm, die Tür zu öffnen und einen mächtigen, dicht mit Haaren bedeckten Arm hineinzustecken. Dann greifen die Schäfer zu einem altüberlieferten Mittel; sie überschmieren den Arm über und über mit Butter und das gefällt dem Migue so gut, daß er sich zurückzieht. So lauten etwa die Berichte derer, die sich bei einem Zusammentreffen mit den Riesen retten. Die ihrer Wut erliegen, können nicht mehr reden.
Noch nie hat ein Europäer einen solchen Migue gesehen. Man weiß von ihnen nur aus den Erzählungen der Eingeborenen.‘ Stanley wirft die Frage auf, ob es sich vielleicht hier um Bären handelt, meint aber, daß man dieser Erscheinung nachgehen müßte.
Miauende Schneemenschen und das Synonym Tigermensch waren mir bislang unbekannt. Migue und Mique könnten alternative Rechtschreibungen des tibetischen Namens Mi-Gö (wilder Mann) sein.
Der das erste Jahrzehnt abschließende Bericht stammt aus der „Bergischen Landes-Zeitung“ vom 16. Januar 1931, S. 6–7. Dort steht:
Die Suche nach dem Schneemenschen
Wissenschaft und Forschung sind im allgemeinen geneigt, anzunehmen, daß alle Menschengruppen, -Rassen und -Stämme der Erde aufgefunden und bekannt sind. Schon vor etwa 50 Jahren glaubte man auf Grund der Erforschung der abgelegensten Länder und der unzugänglichsten Gebiete der fernen Erdteile, daß kein Menschenstamm sich noch irgendwo verborgen halten könnte. Diese Auffassung vor einem halben Jahrhundert ist aber durch die Ergebnisse späterer Forschungsreisen durch Afrika, Südamerika, durch Tibet, durch die Mongolei usw. erschüttert worden.
Denn in all diesen fernen Gebieten fand man noch einige kleinere Reste unbekannter Menschenstämme und zwar sowohl solche gelber wie schwarzer Hautfarbe. Man hat sogar versucht, diesen kümmerlichen Resten durch Verbesserung ihrer Lebenshaltung frische Lebenskraft zuzuführen und sie vor dem Aussterben zu bewahren. Diese Versuche dürften aber an dem Widerstand bezw. an der Scheu dieser ‚letzten Mohikaner‘ ihres Stammes scheitern. Noch bis vor wenigen Jahrzehnten glaubte man auch, daß man auf der Nordspitze Grönlands noch unbekannte Menschen auffinden werde. Diese Mutmaßung hat sich als irrig erwiesen, denn außer Lappländern, Eskimos und den Zwergeskimos haben sich keine anderen Menschenstämme antreffen lassen.
In neuerer Zeit ist nun verschiedentlich die Meinung aufgetreten, daß es einen Flecken Erde auf der Welt gibt, der bisher noch von keinem Vertreter der höheren Kultur betreten und erforscht wurde, nämlich der Berg Kamet im Himalaja-Gebiet. Die ständigen Eisstürme, die hier herrschen, und die außerordentlich schwierigen Gebirgsformationen haben es bisher verhindert, den Dingen auf den Grund zu gehen. Und doch spinnt sich um dieses Fleckchen Erde, oder richtiger, um dieses Gletschergebiet ein Geheimnis, das dadurch besonders interessant wird, weil man bei den Versuchen, den Berg zu besteigen, angeblich Fußabdrücke eines Wesens gefunden haben will, die man bisher nicht erklären konnte, die man aber in Verbindung bringt mit Gerüchten, die in einigen Kreisen tibetanischer Kulis umgehen. Danach soll hier eine besondere Menschenart, der sogenannte Schneemensch hausen.
Eine Forschungsexpedition soll Aufklärung bringen
Gelegentlich der Forschungsexpeditionen in dem Himalaja-Gebiet wollen auch Europäer dann und wann in stürmischer Nacht vor ihren Zelten flüchtige Schatten von geheimnisvollen Wesen beobachtet haben, die merkwürdige Heullaute von sich gegeben haben sollen. Ein deutscher Forscher kam vor etwa zwei Jahren mit der Aufsehen erregenden Mitteilung von einer Himalaja-Expedition zurück, daß er über den sogenannten Schneemenschen Näheres in Erfahrung gebracht habe. Es soll sich um ein Zwischenwesen zwischen Mensch und Affe handeln, das mit einem dicken Pelz und riesigen Füßen ausgestattet sei. Im Laufe dieses Jahres soll nun dieses Geheimnis gelüftet werden.
Eine große Expedition zur Durchforschung des gesamten Himalaja-Gebietes ist in Vorbereitung. Die besten englischen Bergsteiger sollen herangezogen werden, da der Kametberg auf englischem Gebiet liegt.
Die Expedition wird von dem mehrfach hervorgetretenen Himalaja-Forscher Frank Symthe [richtig Frank Smythe (1900–1949), britischer Bergsteiger und Autor] geführt werden, der seinerzeit auch an der Besteigung des Kinchinjunga teilnahm. Er will unter allen Umständen versuchen, die Gerüchte über den Schneemenschen zu klären. Viele Forscher stehen auf dem Standpunkt, daß das Vorhandensein eines menschenartigen Wesens auf dem Kamet schon deshalb als fast ausgeschlossen gelten müsse, weil man sich bei dem Fehlen jeglicher Vegetation und jeglichen Tierlebens nicht vorstellen kann, wie in diesen Eis- und Schneeregionen ein Menschen- oder Tierwesen sein Leben fristen soll.
Der Kamet hat fast gletscherartigen Charakter und ist fast immer heftigsten Eisstürmen ausgesetzt. Symthe selbst hält trotzdem das Vorhandensein des Schneemenschen nicht für völlig ausgeschlossen. Er hat ein um so größeres Interesse an der Aufklärung dieses Kamet-Geheimnisses um den Schneemenschen, weil seine Feststellung und die Bestätigung des Gerüchts über die menschenaffenartige Gestalt des geheimnisvollen Wesens die Darwinsche Lehre von der Abstammung des Menschen vom Affen erneut in den Brennpunkt der wissenschaftlichen Auseinandersetzungen über Abstammung des Menschen und Entwicklung des Menschengeschlechtes stellen müßte.“
Der Berg Kamet
Über den Kamet schreibt die Wikipedia: „Der Kamet ist mit 7756 m der zweithöchste Berg in der Garhwal-Region in Indien nach der Nanda Devi (7816 m). Er liegt nahe der indisch-tibetischen Grenze und wird von den Tibetern Kang-Med (‚Brennender Berg‘) genannt.“
Wer der „deutsche Forscher“ aus dem Artikel ist, ist noch unklar. Ivan T. Sandersons Liste der Yeti-Autoren hat keinen entsprechenden Eintrag.