LeopardLeopard
Lesedauer: etwa 17 Minuten

Im letzten Monat gab es eine mittlere Sensation in der Kryptozoologie. Britische Kollegen haben – gemeinsam mit einem Filmteam – ein Haar eines Leoparden in der Nähe eines getöteten Schafes nachgewiesen. Hinzu kamen Gebissabdrücke, die auf ein großes Raubtier hinweisen. Die Sensation war nahezu perfekt: Ein physischer Beweis für British Big Cats, freilebende Großkatzen auf der britischen Hauptinsel. Die Existenz eines Kryptiden wäre damit bewiesen, hallte es durch die Gemeinde der Internet-Kryptozoologen. Der Nachhall „Wenn schon eins bewiesen wurde, dann sieht es ja auch mit den anderen besser aus“, war deutlich zu hören …

 

Große Katze im Lake District
Eine große Katze aus dem Lake District. Quelle: Sun.

 

British Big Cats – identisch mit der Kellas Cat?

Große Katzen sind seit vielen Jahrhunderten immer wieder einmal Teil von Erzählungen der britischen Inseln. Dabei werden vor allem, aber nicht nur schwarze Katzen berichtet. Die namentlich bekannteste Katze ist die Kellas Cat. Sie wird meist etwas größer als eine Hauskatze beschrieben, sehr aggressiv, schwarz mit einem weißen Kehlfleck. Die Kellas Cat tritt vor allem in Schottland auf.

Neuzeitlich wird die Kellas Cat mit einem Hybriden einer schwarzen Hauskatzenrasse und der schottischen Unterart der Wildkatze beschrieben. Ihre Ursprünge hat sie aber in der Mythologie, möglicherweise sind die Erzählungen älter als das Hauskatzenvorkommen auf den britischen Inseln.

Im Allgemeinen wird unter einer British Big Cat aber eine „echte Großkatze“, also ein Leopard, Puma, Jaguar, Löwe oder Tiger verstanden. Diese Tiere sollen sich frei in nahezu allen Grafschaften der britischen Hauptinsel bewegen und werden sehr häufig gesehen.

 

Die Geschichte

Nacheiszeitliche Bewohner

Die Geschichte der British Big Cats, der Großkatzen Großbritanniens geht bis zum Ende der letzten Eiszeit zurück. Die Gletscher wichen zurück, das erste Grün folgte den nach Norden wandernden Ufern der Gletscherrandseen. Dem Grün folgten Pflanzenfresser wie Auerochsen, Wisente, Hirsche und Wildschweine. Sie wurden wiederum von ihren Fressfeinden verfolgt. Darunter waren neben Bären und Wölfen auch die rezenten Großkatzen: Tiger und Löwen sind aus dem Fossilbericht im Südosten Europas bekannt, ebenso der Leopard. Wie weit sie tatsächlich nach Norden kamen, ist subfossil nicht eindeutig überliefert. Luchse, Wölfe, Bären und Vielfraße sind vielfach nachweisbar, bis auf den Vielfraß auch geschichtlich aus Großbritannien überliefert.

 

Luchse im Schnee, per Definitionem keine British big Cats
Zwei eurasische Luchse im Schnee

 

Römische Importe

Die Römer waren sicher die ersten, die Großkatzen in größerer Zahl nach Großbritannien importierten. Gehandelt wurden Löwen, Tiger und Leoparden möglicherweise auch Geparden. Zum Einen dienten sie der Repräsentation und als Geschenke, zum Anderen waren sie als Zirkustiere sehr beliebt. Da die meisten Großkatzen auch unter eher schlechten Bedingungen gut zu züchten sind, dürfte sich bald Nachwuchs eingestellt haben – ein gern gesehener Bonus.

Nachdem die Römer um das Jahr 400 Großbritannien aufgeben mussten, verblieben möglicherweise einzelne der Repräsentationstiere auf der Insel. Es ist jedoch nicht zu erwarten, dass kurze Zeit vorher in nennenswertem Maße Wildfänge gehandelt wurden – auch die römische Elite hatte anderes zu tun, im Reich brannte es überall. So waren vermutlich am Ende alle in Großbritannien gehaltenen Löwen, Tiger und Leoparden Nachzuchten in mehreren Generationen. Dass diese Haustiere eine lebensfähige Population aufbauen konnten, ist ziemlich unwahrscheinlich: Großkatzen können zwar instinktiv jagen, aber das Töten der Beute erlernen die Jungtiere von ihrer Mutter. Haus- oder Zootiere haben das nach einigen Generationen völlig verlernt.

 

Römisches Mosaik mit Löwen
Ein römisches Mosaik mit Löwen und einem Wildschwein. Es stammt aus Tunesien, die Szene könnte aber auch in einem britischen Circus stattgefunden haben

Spätantike und Mittelalter

Die folgenden Jahrhunderte werden in der britischen Geschichte oft als „dunkle Zeit“ bezeichnet, nicht weil es den Menschen so schlecht ging, sondern weil nur sehr wenige Quellen vorliegen. Eine davon ist das walisische Gedicht Pa Gwr, das eine gefährliche Katze auf der Insel Anglesey erwähnt. Die Katze ist dabei so überhöht, dass sie kaum von mythologischen Wesen zu unterscheiden ist.

Um das Jahr 1400 berichtet die Volkserzählung vom Stratfort Lyon, einem großen, roten Löwen mit Geweih. John de Stratford soll ihn aus einem Wald bei South Baddesley (ca. 15 km südwestlich von Southampton, an der Südküste) gezogen haben. Auch diese Geschichte ist mythologisch überhöht, hinzu kommt, dass sie erst im 18. Jahrhundert schriftlich fixiert wurde. Falls die Erzählung einen realen Hintergrund hatte, wurde sie also über mehr als 300 Jahre mündlicher Überlieferung überformt.

 

Tower of London
Der White Tower in London, über viele Jahre der Sitz der englischen, später britischen Könige, und ihrer Löwen.

 

Löwen wurden in England spätestens ab 1125 gehalten: Heinrich I. pflegte die Tiere in seinem Jagdschloss bei Woodstock in Oxfordshire, ab dem 13. Jahrhundert ließen die englischen Könige Löwen im Tower halten. Erst 1870 zogen die Tiere in geräumigere Gehege im Zoo von London um. Ob sich die Tiere im Tower zumindest gelegentlich vermehrten, ist Teil einer möglichen, zukünftigen Recherche.

 

Sind die heutigen British Big Cats Relikte der Römer oder des Frühmittelalters?

Keine Frage, zu diesen Zeiten wurden Großkatzen mehr oder weniger regelmäßig nach Großbritannien gehandelt. Sie wurden zu unterschiedlichen Zwecken gepflegt oder ermordet, manchmal auch beides nacheinander. Dabei kam es sicher mehr als nur einmal vor, dass ein solches Tier entkam. So liegt es nahe, dass heutige BBC tatsächlich die Nachkommen dieser Luxustiere waren.

 

Löwen in Südafrika
Sie gehören zu den erfolgreichsten Großkatzen: Die Löwen.

 

Tatsächlich spricht jedoch einiges dagegen. Großbritanniens Wirtschaft war spätestens seit dem Hochmittelalter von der Tuchproduktion geprägt. Jedes Stück Land, das nicht für die Nahrungsmittelproduktion (oder Wald mit Bäumen für die Navy) unentbehrlich war, wurde mit Mauern und Hecken begrenzt und von Schafen beweidet.
Jedes Tier, das irgendwie einem Schaf gefährlich werden konnte, wurde gnadenlos bejagt. Bär, Wolf und Luchs fielen der Ausrottung durch die britischen Farmer zum Opfer. Gerade der Wolf wurde als Hauptfeind Nr. 1 lange intensiv bejagt und sogar „dreimal ausgerottet„, wie Peter Ehret ausführlich berichtete. Von Großkatzen wird in diesem Zusammenhang nicht berichtet.

 

Sind Luchse die British Big Cats?

Eurasische Luchse waren lange Zeit Teil der britischen Fauna. In England kann man sie subfossil bis ins frühe Mittelalter nachweisen, in Schottland wurde noch von einer sich fortpflanzenden Population in den 1760ern berichtet. Hinzu kommt, dass viele mittelalterliche und frühneuzeitliche Berichte Wildkatzen und Luchse nicht ausreichend differenzieren und beide als „wild cats“ und „cats of the mountains“ sprechen. Luchse, die Nutztiere angriffen, nannte man auch „tiger“ oder „deer’s wolf“. Dies macht die Quellenauswertung schwierig.

Die erste halbwegs neuzeitliche Überlieferung stammt von William Cobbett (1763 – 1835), einem Journalisten, Politiker und Landwirt. Er hatte als Kind eine Sichtung, die er nicht einordnen konnte. Bei einem Besuch in Kanada sah er viele Jahre später einen kanadischen Luchs, den er mit seiner Sichtung gleichsetzte.

 

Luchsportrait, das Tier sieht nach rechts
Portrait eines europäischen Luchses

 

1903 wurde ein Kanadischer Luchs (Lynx canadensis) in der südenglischen Grafschaft Devon erschossen. Er ist nun Teil der Sammlung des Bristol Museum. Da er mit Formalin behandelt wurde, ist eine genetische Untersuchung ausgeschlossen.
Seine Zähne legen nahe, dass das Tier lange Zeit weiche Nahrung gefressen hat, somit gilt er als Gefangenschaftsflüchtling und nicht als Wildtier.

 

1927 berichtete der Daily Express ebenfalls von einer Luchs-Sichtung. Seit dem kommt es gelegentlich zu Luchs-Sichtungen, wobei oft spezifiziert wird, ob es sich um einen Europäischen Luchs, einen Kanadischen Luchs, einen Iberischen Luchs oder einen Karakal handelt – eine Einschätzung, die ein Laie bei einer Feldbeobachtung gar nicht machen kann.

 

Insbesondere vor dem Hintergrund, dass es sich bei Hauskatzen, Schottischen Wildkatzen und allen Arten von Luchsen, dem Karakal und dem Serval um Kleinkatzen und nicht um Großkatzen handelt, fallen sie schon definitionsgemäß nicht unter die British Big Cats.

 

Luxustiere und der Dangerous Wild Animals Act

In den 1960ern und 70ern war es bei reichen und vor allem Neureichen Briten Mode, Großkatzen zu besitzen. Es gibt – sicherlich arrangierte – Filmaufnahmen ganzer Gruppen von Menschen, die im Park mit Großkatzen jeglichen Alters spazieren gehen oder mit ihnen spielen Einige dieser Tiere fuhren auf dem Rücksitz im Auto oder sogar im Beiwagen von Motorrädern mit. Besonders pervers wurde die Mode, wenn die Tierhalter gleichzeitig noch Pelzmäntel trugen.

Das bekannte Londoner Kaufhaus Harrods verkaufte junge Großkatzen aller möglicher Arten, dies aber wohl nicht regelmäßig, sondern nur in einer einmaligen Aktion.

Als es öfter zu Unfällen kam und sich herausstellte, dass viele der Tiere weder sicher noch tiergerecht gepflegt wurden, erließ die Regierung 1976 den ‚Dangerous Wild Animals Act‘, etwa „Gesetz über gefährliche Wildtiere“.
Das Gesetz erhöhte die Hürden für die Haltung von Affen, Raubtieren, großen oder giftigen Reptilien, gefährlichen Spinnen und Skorpionen. Hierfür wurde eine Lizenz notwendig, für die der Lizenznehmer angeben musste, welche Tiere er wo und wie pflegte. Die Lizenz wurde nur erteilt, wenn die Behörde davon überzeugt war, dass die Tiere sicher und artgerecht untergebracht sind. Eine Versicherung war ebenfalls notwendig.

Durch diese Auflagen wurde die Haltung der Tiere oft so erschwert und verteuert, dass die Besitzer sie abgeben wollten. Das dadurch entstandene Überangebot und die teuren Auflagen ließen den Markt zusammenbrechen, niemand wollte eine Großkatze auch nur geschenkt.
Das Gesetz verbot nicht, die Tiere auszusetzen oder ausbrechen zu lassen. Dieses Schlupfloch wurde erst 1982 beseitigt. In der Zwischenzeit hätten viele Halter die Möglichkeit gehabt, Tiere auszusetzen.

 

In Einzelfällen mag es dazu gekommen sein. Ich gehe jedoch davon aus, dass die meisten Tierhalter genug Verantwortung hatten, weder Tier noch Menschen auf diese Weise zu gefährden. Es gibt mehrere Berichte, dass Einzelpersonen oder Zirkusunternehmen angeblich Tiere frei gelassen hätten. Belege dafür sind naturgemäß nicht zu finden.

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist auch, dass es aus Großbritannien nicht einen belegten Vorfall gibt, bei dem eine Großkatze einen Menschen außerhalb eines Zoos angegriffen hat.


Einwurf aus der Biologie: Hybriden

Insbesondere aus zwar oberflächlich interessierten, jedoch nicht sehr fachkundigen Kreisen wird gerne eingebracht, bei ungewöhnlichen Tieren handele es sich um Hybriden oder Mutanten. Dies wäre wesentlich ungewöhnlicher, als in einer globalisierten Welt einen Puma oder Leoparden in Großbritannien zu finden.

Tier-Hybride, also Kreuzungen zwischen zwei Arten sind in der Regel nicht oder erschwert lebensfähig und oft nicht oder nur begrenzt fruchtbar. Ein Arthybrid stellt in der Regel evolutionsbiologisch eine Sackgasse dar. Daher hat die Natur Schutzmechanismen gegen Hybridisierung geschaffen. Dies geschieht auf allen möglichen Wegen, von der Genetik über Physiologie und Anatomie bis zum Verhalten.
Großkatzenhybriden kommen in der Natur de facto nicht vor. Die Tiere sind Konkurrenten und gehen sich so gut es geht aus dem Weg.

Nähere Kontakte von Löwen und Leoparden bzw. Tigern und Leoparden verlaufen so gut wie nie freundlich und enden häufig mit einem toten Leoparden. Ob dies bei Kontakten zwischen Jaguar und Puma ebenfalls der Fall ist, ist dem Autor nicht bekannt, erscheint jedoch wahrscheinlich.

 

Wieso es ausgerechnet in England auch noch zu außerartlichen Paarungen gekommen sein soll, ist schwer zu erfassen. Häufig werden unklare Beobachtungen mit „vielleicht wars ja ne Mischung“ erklärt, was dann oft als Arthybrid kommuniziert wird. Leider wird dabei missachtet, dass man Löwe und Leopard nicht so einfach kreuzen kann wie Pudel und Labrador (die ja derselben Art angehören).


 

Das Phänomen British Big Cats heute: Zwei bis drei Elemente

Um sich dem Phänomen British Big Cats (BBC) wirklich zu nähern, muss dieses in zwei, möglicherweise sogar drei Elemente aufgespalten werden. Zunächst unspezifische, aber sehr zahlreiche, Sichtungsberichte, die in der Folge als BBC interpretiert werden. Dieses Phänomen tritt nicht nur in Großbritannien auf, sondern nahezu überall auf der Welt, mit spezifischen Ausprägungen.

 

Das zweite Element sind qualifizierte Sichtungen, Fotos und Videosequenzen. Die meisten davon zeigen tatsächlich irgend eine Katze oder etwas, das man als Katze interpretieren kann.

 

Das dritte Element sind tatsächliche, physische Beweise. Die meisten betreffen Kleinkatzen, die hier nicht weiter aufgeführt werden. Zu direkten physischen Nachweisen kommen noch Trittsigel und Fraßspuren.

 

Element 1: Schwarze Katzen, schwarze Hunde, Seemonster und schwarze Männer

Diese Sichtungen treten weltweit auf.  In der Regel bemerkt der Beobachter eine Bewegung dort, wo sich die Ränder des individuellen Sichtfeldes und des örtlichen Sichtfeldes überschneiden, z.B. ein Waldrand oder eine Hecke. Gelegentlich ist auch ein zeitlicher Aspekt beteiligt, z.B. das Abtauchen eines (vermeintlichen) Buckels auf dem Wasser. Durch den „Crowding-Effekt“ (empfehlenswerter Wikipedia-Artikel) entsteht hier teilweise der Eindruck eines wesentlich größeren Lebewesens, als überhaupt existiert.

Eine Mustererkennung ordnet dann die „unscharfe“ Sinneserfahrung oft einem bekannten Muster zu, dem großen Hund, der großen Katze, dem Mann, der/die gerade im Wald verschwunden sind, oder dem Rücken eines Großtieres, das gerade abgetaucht ist. Steht in Großbritannien dann die große (schwarze) Katze als lokale Mythe im Raum, wird es eine Katze gewesen sein. Steht, z.B. im Dartmoor ein großer, schwarzer, teuflischer Hund in den lokalen Erzählungen, wird ein Beobachter seine Erfahrung als Hund interpretieren. Dies ist nicht böswillig, sondern geschieht unterbewusst.

Ein Großteil der gemeldeten Sichtungen ist vermutlich auf dieses Phänomen zurückzuführen. Dies erklärt auch die Häufigkeit von Sichtungen, so berichtet die „Big Cats in Britain“-Gruppe für den Zeitraum zwischen April 2004 und Juli 2005 von 2123 Sichtungsberichten. Das sind mehr als 4,5 pro Tag! Selbst wenn jede Sichtung berichtet würde – so viele Großkatzen kann es in Großbritannien gar nicht geben. Wer schon einmal auf Safari in einem afrikanischen Nationalpark war, weiß, wie schwierig es ist, andere Großkatzen als Löwen zu Gesicht und aufs Foto zu bekommen, trotz Guide, bekannter Reviere und vorbereiteter Beobachtung.

Ein weiterer Faktor kann ein „Bias“, eine Ausrichtung in den Fragen, sein. Die Laienforscher der britischen Kryptozoologie sind sehr auf Öffentlichkeitsarbeit bedacht, so treten sie regelmäßig mit Ständen auf regionalen Veranstaltungen mit Schwerpunkt auf dem ländlichen Raum auf. Dies können Bauernmärkte, landwirtschaftliche Leistungsschauen oder Umwelt-Treffen sein. Dort befragen sie Besucher, ob sie eine Sichtung melden wollen.

Man kann sich vorstellen, wie vielen Leuten auf einmal ein Ereignis von vor zig Jahren einfällt, wenn eine nette junge Dame oder ein freundlicher junger Herr fragt …

 

Element 2: Belegbare Sichtungen

Sie vermitteln zwischen den nicht belegbaren Sichtungen und physischen Beweisen. Oft sind es schlechte Fotos, die in einer Auflösung von nur wenigen Pixeln weit entfernt etwas zeigen. Die Qualität der Videos ist oft ähnlich: Verwackelte Kameraführung, nervöse Zoomaktivitäten, aufpixelnder „Digitalzoom“, Software-Artefakte.
Dazu kommt das allgemeine Problem fehlender Maßstäbe. Eine Katze in einer Wiese ist zunächst einmal nur eine Katze in einer Wiese. Erst wenn ein Größenvergleich möglich ist, kann man halbwegs sicher feststellen, ob es sich um eine Hauskatze, eine mittelgroße sonstige Katze oder gar um eine Großkatze gehandelt hat.

 

British Big Cat
Ein Standbild aus einem Video von Jeff Johnson. Die mutmaßliche Großkatze ist etwa 200 m entfernt.

 

Selbst bei ihnen gut bekannten Orten haben Fotografen in der Regel versäumt, an der Stelle der Sichtung noch einmal ein Foto mit einem Maßstab zu machen. Die diversen Katzenarten unterscheiden sich in erster Linie in der Größe, so lange es keine Spezialisten wie Gepard, Serval oder Karakal sind. Die Proportionen der Generalisten sind so ähnlich, dass ohne Maßstab kaum zwischen einer Hauskatze und einem Leoparden unterschieden werden kann, insbesondere dann, wenn nur Teile des Tieres auf einem Foto zu sehen sind. Die Perspektive und eine gewisse Objektiv-Verzerrung übernehmen dann den Rest.

 

Exkurs: Unser neuer Flyer hat wie auch seine Vorgänger einen schwarz-weißen Maßstab von 9 cm Länge. Er würde sich im Notfall bereits eignen. Ein Zollstock wäre natürlich besser.

 

Selbst bei semi-Profis, die Wildkameras aufstellen, fehlt so etwas oft. Ein Kreidestrich in einer definierten Höhe an Baumstämmen im Bild der Kamera wäre ja bereits ausreichend, um die Größe einer Katze zu bestimmen.

 

Element 3: Physische Katzen und deren physische Spuren

Wenn es tatsächlich Großkatzen in Großbritannien gibt, dann müssen sie mit ihrer Umwelt interagieren. Sie bewegen sich, fressen und trinken, defäkieren und markieren, und schließlich sterben sie. Das bedeutet, dass man unter normalen Umständen gelegentlich auf Fußspuren und Markierungsstellen treffen sollte. Ein Kadaver wäre mit Sicherheit ein seltener Fund, zumal durch die fehlenden Großräuber mittelgroße Aasfresser auf der Insel wesentlich selbstbewusster agieren können, als sie es auf dem Festland tun. Kadaver auch von Großtieren verschwinden schnell, Fuchs, Dachs, Wildschwein und Rabenvögeln sei Dank.

 

Ein Teil eines Hirschskelettes liegt auf einem Weg
Skelettierter Hirschkadaver als potenzieller Hinweis auf eine Großkatze in Cornwall. Foto: Cornwall Live

 

Natürlich gibt es eine Reihe von sicher gestellten Fußabdrücken, die auf eine Großkatze hinweisen. Ein echtes Archiv dazu gibt es, soweit der Redaktion bekannt, nicht. Ähnliches scheint für die weit seltener (oder gar nicht?) dokumentierten Kratzstellen.

 

Mattschpfütze mit angblichem Pfotenabdruck
Dieser Abdruck wird von James Stephenson einer Großkatze zugeschrieben. Foto: James Stephenson

 

Direkte physische Beweise, also gefangene lebende Tiere, tote Körper oder zumindest deren Teile sind extrem selten. In ca. 50 Jahren der Forschung hat man bisher „nur drei“ physische Belege sammeln können.

  • 1980 zeigten sich einige seltsame Todesfälle unter Schafen im Inverness-Shire an der Ostküste Schottlands. Ihnen folgten Beschreibungen einer großen Katze, die frei herumlaufen sollte. Farmer Ted Noble ging der Sache nach und installierte eine Käfigfalle. Innerhalb weniger Tage fing er einen weiblichen Puma, der später in den Highland Wildlife Park gelangte. Nach dem Tod wurde das Tier ausgestopft und wird heute noch als „Felicity“ im Inverness Museum ausgestellt.
    Die Vermutung von Zoodirektor Eddie Orbell, bei Felicity handele es sich um ein ehemaliges Haustier, das nicht sehr lange in Freiheit war, wird allgemein anerkannt.
  • 2005 berichtet ein Farmer in Devon vom Fund eines Schädels. Er wird später als Schädel eines Pumas identifiziert. Die Fundumstände sind jedoch unklar, so dass er nur begrenzt Beweiskraft hat.
  • 2011 sammelten Mitarbeiter des Center for Fortean Zoology im Norden der Grafschaft Devon Haare. Ein DNA-Test der Durham University belegte Leoparden-DNA
  • 2023 fanden Mitarbeiter einer Filmproduktionsfirma bei der Produktion einer Dokumentation über British Big Cats auf einer Farm in Glouchestershire ein Haar in einem Stacheldrahtzaun. Der Suche danach gingen ungewöhnliche Angriffe und Tötungen bei Schafen voraus. Ein forensisches Labor analysierte das Haar und bekam einen 99%-Treffer auf die DNA eines Leoparden.

Felicity, die einzige gefangene British Big Cat
Felicity war ein out-of-place-animal, das 1980 in Schottland gefangen wurde. Dermoplastik im Museum Inverness, Schottland

 

Was sagt die DNA-Probe und was sagt sie nicht?

Eine DNA-Probe ist zunächst einmal ein Beleg, wie viele andere Dinge auch. Es ist keinesfalls das „smoking gun“, wie es in amerikanischen Gerichtsserien immer dargestellt wird. Bisher bedeutet der Fund nicht mehr, als dass ein Haar eines Leoparden an einem Stacheldrahtzaun entdeckt wurde. In der DNA steht nicht drin, wie es dahin kam, wo der Träger des Haares her kam, ob er noch lebt oder als Wandverschönerung im Kaminzimmer eines Lords hängt. Die Anwesenheit des Haares beweist nicht, dass der Leopard das Schaf getötet hat oder überhaupt an Schafen interessiert ist.

 

Leopard
Leopard

 

Der Fund beweist aber etwas anderes: Die Suche war nicht umsonst. Drei Belege in 43 Jahren sind zwar ziemlich mager, aber dieses Haar ist ein Hinweis darauf, wo und wie man weiter suchen sollte. Stacheldraht-Zäune haben sich nicht zum ersten Mal als gute Quelle für DNA erwiesen und sollten in Zukunft eine wichtige Rolle bei der Suche nach BBC spielen – falls sie es nicht bereits tun.

Weitere DNA ist notwendig. Bisher ist von zwei DNA-Proben bekannt, dass es sich bei den Probenlieferanten um Leoparden handelt. Eine individuelle Verwandtschaftsanalyse ist sicher bereits in Arbeit, theoretisch könnte es sich auch um das selbe Individuum handeln, 12 Jahre und etwa 120 bis 150 km Differenz, das ist nichts, was ein Leopard nicht schaffen könnte.

 

Ein schwarzer Leopard in Indien, keine British Big Cat
Ein schwarzer Leopard in der Natur (Foto: Dheerajmnanda, CC 4.0)

 

Eine Verwandtschaftsbeziehung zwischen den Katzen und potenziellen weiteren DNA-Spendern zu ziehen, erscheint mir jetzt das Wichtigste. Mit den richtigen Analysen kann man feststellen, ob es sich um isolierte Einzeltiere handelt oder ob eine vernetzte und sich fortpflanzende Population von Leoparden im Süden Englands lebt.

 


Dieser Text ist nach längerem Gedankenaustausch mit Peter Ehret, Markus Bühler, Ulrich Magin und Andreas Trottmann entstanden. Auch ihre Gedanken und Ideen sind hier eingeflossen, herzlichen Dank dafür.

Von Tobias Möser

Tobias Möser hat Biologie, Geologie und Wirtschaftswissenschaften studiert. Schon als Kind war er vor allem an großen Tieren, Dinosauriern, später Walen interessiert. Mit der Kryptozoologie kam er erst 2003 in näheren Kontakt. Seit dieser Zeit hat er sich vor allem mit den Wasserbewohnern und dem nordamerikanischen Sasquatch befasst. Sein heutiger Schwerpunkt ist neben der Entstehung und Tradierung von Legenden immer noch die Entdeckung „neuer“, unbekannter Arten. 2019 hat er diese Website aufgebaut und leitet seit dem die Redaktion.