Im Sommer 2023 wurden erste Fossilien eines Großwals aus der Familie der Basilosauridae in Peru entdeckt. Da die Funde aus nur wenigen Knochen bestanden, konnte relativ wenig Konkretes über die Eigenschaften des Tieres, das als Perucetus colossus beschrieben wurde, festgestellt werden. Um so ungenauer waren die Größenangaben „17 bis 20 m, 85 bis 341 t“, jedoch damit auch um so spektakulärer, geht man bei sehr großen Blauwalen von etwa 200 t aus.
Dies blieb nicht unwidersprochen, wir haben vor allem das Gewicht bei der Vorstellung des Fundes schon kritisch hinterfragt. Markus Bühler, der mich auf den neuen Artikel aufmerksam machte, wollte sich auch bei der Länge nicht festlegen. Zu Recht, wie sich zeigte. In der Folge befassten sich zwei Paper mit den Maßen von Perucetus, beide kamen zu dem Schluss, dass die Art bedeutend kleiner war, als in der Erstbeschreibung angenommen.
Februar 2024 in PeerJ.: „Downsizing a heavyweight“
Der Einfachheit halber nutze ich hier eine überarbeitete Version der google-Übersetzung des Abstracts des Artikels von Ryosuke Motani und Nicholas Pyenson:
Extreme Größen von Organismen sind in der Ökologie und Evolution von großem Interesse, da die Größe viele biologische Merkmale bestimmt. Angesichts der Herausforderungen und Schwierigkeiten bei der Messung noch lebender und ausgestorbener Kandidaten für das größte Tier aller Zeiten wie Wale, terrestrische Nicht-Vogel-Dinosaurier und ausgestorbene Meeresreptilien ist die Ermittlung der oberen Größenextreme bei den größten Wirbeltieren besonders faszinierend.
Die Entdeckung von Perucetus colossus, eines riesigen Basilosauridenwals aus dem Eozän von Peru, stellte viele Annahmen über extreme Größen von Organismen in Frage, die auf der Rekonstruktion seines Körpergewichts beruhten, das die bekannten Werte für Blauwale (Balaenoptera musculus) überstieg.
Hier präsentieren wir eine Untersuchung einer Reihe von Faktoren und methodischen Ansätzen zur Rekonstruktion des Körpergewichts von Perucetus, darunter:
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- Datenquellen von großen noch lebenden Walen;
- Anpassen veröffentlichter Körpermasseschätzungen an die Körperumrisse;
- Testen der Annahme der Isometrie zwischen Skelett- und Körpermasse, selbst bei Extrapolation;
- Untersuchung der Rolle der Pachyostose* bei der Rekonstruktion der Körpermasse; Behandlung methodenabhängiger Fehlerquoten;
- Vergleich von Perucetus mit bekannten physiologischen und ökologischen Grenzen lebender Wale und der ozeanischen Produktivität im Eozän.
Wir kommen zu dem Schluss, dass Perucetus die Körpermasse der heutigen Blauwale nicht übertraf. Abhängig von Annahmen und Methoden schätzen wir, dass Perucetus bei einer angenommenen Länge von 17 m 60-70 Tonnen wog. Wir haben höhere Schätzungen errechnet, möglicherweise bis zu 98-114 Tonnen bei 20 m Länge, was weit weniger ist als die direkten Aufzeichnungen der Gewichte von Blauwalen oder die Schätzungen von 270 Tonnen, die wir für das Körpergewicht der größten Blauwale berechnet haben, gemessen an der Länge.
* Verdickung von Knochen durch die Verknöcherung von bindegewebigem Material der Knochenhaut, bei aquatischen Organismen oft als Ballast genutzt.
Die Originalarbeit „Downsizing a heavyweight: factors and methods that revise weight estimates of the giant fossil whale Perucetus colossusVolltext ist bei der Medline“ ist 2024 im PeerJ. erschienen. DOI: 10.7717/peerj.16978 – Der verfügbar
Januar 2025 in Palaeo-Electronica: „Trimming down Perucetus„
Auch hier nutze ich eine überarbeitete Version der google-Übersetzung des Abstracts des Artikels von Gregory S. Paul und Asier Larramendi:
Durch Extrapolation der Verhältnisse Skelett/Gesamtmasse wurde das Gewicht des gigantischen paläogenen Wals Perucetus colossus auf 85 bis 341 Tonnen geschätzt und kam damit an den Blauwal (Balaenoptera musculus) heran oder übertrifft ihn sogar. Bei einer so großen Schwankung der Körpermasse fehlt es an der für eine analytische Genauigkeit erforderlichen Präzision und die Abschätzung hat daher keinen technischen Wert. Obwohl genügend Überreste für ein viel genaueres volumetrisches Modell vorhanden waren, haben die Autoren kein belastbares Modell geliefert. In einer nachfolgenden Arbeit (Motani und Pyenson, 2024, die Arbeit oben, Anm. d. Übers.) wurde das Gewicht von Perucetus auf 60 bis 70 Tonnen als wahrscheinlichste Schätzung herunterskaliert. Um die Frage besser beurteilen zu können, haben wir im bislang umfangreichsten Versuch dieser Art Mehransichten-Profilskelette von Perucetus und anderen großen Meeressäugetieren erstellt. Dazu gehören die ersten genauen Rekonstruktionen einer Reihe großer Meeressäugetiere. Perucetus wurde unter Verwendung der Proportionen schwerknochiger pachycetiner Basilosaurier rekonstruiert.
Quervergleiche und Versuche, das realistische Volumen des ausgestorbenen Wals zu veranschaulichen, lassen keinen Zweifel daran, dass der Holotyp von Perucetus nicht die Schwergewichtsklasse der Wale erreichte. Eine Länge von 15 bis 16 m und eine Masse von 35 bis 40 Tonnen entsprechen eher seiner bekannten Anatomie.
Dieses Ergebnis wurde durch Neuberechnungen der Skelett-/Gesamtmasseverhältnisse bei großen pachyosteosklerotischen* Meeressäugern bestätigt, die darauf hindeuten, dass die Methode bei richtiger Anwendung nützliche Schätzungen liefern kann. Obwohl ihre anfängliche Größenzunahme bemerkenswert schnell war, wuchsen basale Wale nicht in nur wenigen Millionen Jahren nach der anfänglichen Evolution der vollständig marinen Formen zu Superwaldimensionen heran.
Die Evolution extrem großer Körpergrößen über 50 Tonnen fand erst im späten Neogen statt. Der größte Wal aller Zeiten, der Blauwal, wird wahrscheinlich nicht größer als 30 m und 200 Tonnen sein. Es wird betont, dass anatomisches Wissen, das in technische Volumenmodelle umgesetzt wird, das wichtigste Mittel zur Wiederherstellung der Masse ausgestorbener Organismen bleibt.
*Tiere, die Knochen als Ballast nutzen
Die Originalarbeit „Trimming down Perucetus“ ist im Januar 2025 in der Palaenotologica Electronica erschienen und ebenfalls als Volltext verfügbar: https://doi.org/10.26879/1435
Bemerkenswert ist hierbei, dass auch die Stellersche Seekuh, Hydrodamalis gigas neu rekonstruiert und für die Studie genutzt wurde:
Skelett- und Profildarstellung ausgestorbener und noch lebender großer bis gigantischer Meeressäugetiere, im gleichen Maßstab und in gut ernährtem Zustand präpariert, die meisten mit Brustquerschnitten; Maßstab entspricht 4 m. Abb. Aus der zitierten Arbeit.
A, Basilosaurus cetoides USNM 4674/4675/12261, 18.35 m, ~15 t;
B, Perucetus colossus MUSM 3248 15.7 m, 36.7-40.5 t (Grau: die alternative, seekuhähnliche Rekonstruktion);
C, Cynthiacetus peruvianus MNHN.F.PRU10, 8.95 m, 4 t; ein basilosaurider Wal aus dem späten Eozän aus den südost-USA und Peru
D, Balaenoptera musculus LML GOGA 1982, 27 m, 150 t; Blauwal
E, Balaenoptera physalus MSC Bp.140400, 20 m, 53 t; Finnwal
F, Eubalaena glacialis ZMVC CN2, 14.3 m, 60 t; Atlantischer Nordkaper
G, Physter macrocephalus SCF Pm.141204, 16.5 m, 59 t; Pottwal
H, Hydrodamalis gigas UZMH 710, 5.5 m, 3.2 t; ausgewachsenes Tier, 8 m, 10 t;
I, Dugong dugon LDUCZ Z33 I, 2.7 m, 0.4 t; Dugong, Gabelschwanzseekuh
J, Trichechus manatus NHMUP C-1442, 3.1 m, 0.7 t. Karibik-Manati
Skelett- und Profildarstellung im gleichen Maßstab, Balken entspricht 4 m, im Vergleich:
A, Blauwal (beinhaltet Profil von weiblichen Weltrekordhaltern mit ca. 190–200 Tonnen), in wohlgenährtem Zustand und sorgfältig präpariert;
B, Holotyp von Perucetus colossus mit Versionen (C und D) von Bianucci et al. (2023) mit unterschiedlichen Massen von P. colossus; die Vollprofile des Letzteren wiegen ca. 60 Tonnen unter Annahme eines annähernd kreisförmigen Körperquerschnitts, die Profillinien sind Annäherungen an Bianucci et al.’s Medianschätzung/Äquivalent (in Grau) für große Blauwale und Maximalschätzungen (in Hellgrau), entweder isometrisch vergrößert (C) oder unter Annahme einer konstanten Körperlänge (D). Abb. aus der zitierten Arbeit (CC 4.0).
Fazit
Perucetus war ein großer Wal, aber reichte eher in die Größenklassen von Buckelwalen und übertraf den Blauwal definitiv nicht im Gewicht. Insbesondere das letzte hier dargestellte Bild zeigt, wie grotesk die Gewichtsschätzung insbesondere für ein vergleichsweise kurzes Tier aussieht: Der Wal hätte in diesem Fall beinahe Kugelform und wäre kaum in der Lage gewesen, halbwegs energiesparend zu schwimmen.
Der Vergleich in Sachen Größe mit dem Buckelwal (15 m, 30 t) erscheint realistisch, auch wenn Perucetus definitiv kein Bartenwal war und sich mit Sicherheit anders ernährt hat. Alle bisher bekannten Basilosauriden waren Fleischfresser mit deutlich angepasstem Gebiss. Ob dies auch bei Perucetus der Fall war, ist unbekannt, da noch kein Schädel gefunden wurde. Aus den stark vergrößerten Knochen auf eine ähnliche Lebensweise wie bei der Stellerschen Seekuh zu schließen, erscheint mir ebenfalls hochspekulativ, zumal auch von der Lebensweise der Stellerschen Seekuh wenig bekannt ist.
Ähnlich wie bei Simbakubwa kutokaafrica haben wir es hier mit einer kaum realistischen Gewichtsschätzung zu tun, die dennoch veröffentlicht wurde. Hier stellt sich die Frage, warum hier nicht bereits beim ersten Gegenlesen der Arbeit innerhalb der Arbeitsgruppe ein solcher Fehler auffällt und warum er durch alle Prüfinstanzen beibehalten wird.
Quellen
Paul, Gregory S. and Larramendi, Asier. 2025. Further trimming down the marine heavyweights: Perucetus colossus did not come close to, much less exceed, the tonnage of blue whales, and the latter are not ultra-sized either. Palaeontologia Electronica,
28(1):a5.
https://doi.org/10.26879/1435
palaeo-electronica.org/content/2025/5431-trimming-down-perucetus Als pdf im Volltext
Motani R, Pyenson ND. Downsizing a heavyweight: factors and methods that revise weight estimates of the giant fossil whale Perucetus colossus. PeerJ. 2024 Feb 29;12:e16978. doi: 10.7717/peerj.16978. PMID: 38436015; PMCID: PMC10909350.
Giovanni Bianucci, Olivier Lambert, Mario Urbina, Marco Merella, Alberto Collareta, Rebecca Bennion, Rodolfo Salas-Gismondi, Aldo Benites-Palomino, Klaas Post, Christian de Muizon, Giulia Bosio, Claudio Di Celma, Elisa Malinverno, Pietro Paolo Pierantoni, Igor Maria Villa, Eli Amson: A heavyweight early whale pushes the boundaries of vertebrate morphology. In: Nature. 2. August 2023, ISSN 1476-4687, S. 1–6, doi:10.1038/s41586-023-06381-1